Megatrends auf dem Genfer Automobilsalon
Das Design der Fahrzeuge kann wettbewerbsentscheidend sein.
Tibor Pásztory, Genf. Das Design- und Engineering-Unternehmen Pininfarina ist das einzige der traditionsreichen italienischen Designhäuser, das – dank Mailänder Börsennotiz und indischer Großinvestoren – noch in relevanter Größe existiert. Vor dem Hintergrund des diesjährigen Genfer Automobilsalons unterhielt sich der Börsen-Kurier mit CEO Silvio Angori (am Foto rechts) über die Zukunft des Automobilmarktes und die Möglichkeiten von Designhäusern, auf diesen Einfluss zu nehmen.
Teilnahme äußerst bescheiden
Zunächst sei ein Seitenblick auf den diesjährigen Genfer Salon gestattet, den hundertsten in seiner Geschichte, der schon alleine aus diesem Grund sowie nach vier Jahren Corona-bedingter Pause ein besonderes Fest hätte werden sollen. Um es kurz zu machen: er war es nicht, weigerten sich doch die meisten Automobilhersteller, an diesem teilzunehmen. Von den großen europäischen Herstellern wagte sich lediglich Renault mitsamt Tochter Dacia aus der Deckung sowie ein paar chinesische Hersteller. Als dementsprechend mäßig erwies sich auch der Ansturm der Besucher. Vielversprechend gestalteten sich jedoch neue Diskussionsformate, die sich um grundsätzliche Fragen drehten.
Alte versus neue Welt?
Autosalons gelten bei den Herstellern derzeit als veraltetes Konzept. Als „hip“ wird alles gesehen, was irgendwie als digital bezeichnet werden kann, und selbst den Automobilverkauf wagen die zahlreichen Newcomer nach dem Vorbild von Tesla selbstbewusst ab Werk und ohne Händlernetz – mit mäßigem Erfolg. Nehmen die Hersteller vielleicht den Mund zu voll?
Pininfarina CEO Angori macht sich erst gar keine Mühe, um den heißen Brei herumzureden: „Es wird heutzutage von den Herstellern zu viel über Technologie geredet“, um gleich ein Beispiel zu formulieren: „Man will uns ‚veganes Leder‘ verkaufen, dabei handelt es sich doch auch nur um Kunststoff.“ Nun, wegen des Facelifts eines Golfs wird heute tatsächlich kaum jemand noch einen Autosalon besuchen. Und interessiert den Durchschnittskunden wirklich jede (echte oder unechte) Innovation, solange seine Bedürfnisse im Alltag, wie etwa Reichweite oder adäquate Platzverhältnisse, nicht erfüllt werden?
Im Umbruch
Zweifellos, die automobile Landschaft befindet sich im Umbruch wie seit 100 Jahren nicht mehr. Damals ging es Pionieren wie Henry Ford, André Citroën und Ferdinand Porsche um die Einführung des Massenautomobils, heute um den umweltverträglichen Umgang mit diesem. Ob die Elektromobilität dabei der Weisheit letzter Schluss ist, ist eine zentrale Frage, doch die (europäische) Politik von der Notwendigkeit einer Technologieoffenheit zu überzeugen, scheint bislang ein schwieriges Unterfangen.
Diese selbstgestellte Falle wird von den chinesischen Herstellern genützt, die derzeit in den europäischen Markt drängen. Doch auch Chinesen begehen strategische Fehler. Aus der Geschichte japanischer und koreanischer Hersteller wissen wir, wie viel Geld und Geduld vonnöten ist, um eine neue Marke im Markt zu etablieren. Statt sich auf jeweils ein bis zwei neue Marken zu konzentrieren, erfinden chinesische Hersteller jedoch gefühlt fast täglich neue, die man sich erst einmal merken muss.
Wie können solche neuen Marken und deren Produkte nun eine eigene Persönlichkeit erhalten? Angori arbeitet mit den meisten bedeutenden Herstellern zusammen und spricht aus Erfahrung: „Diese Marken müssen sich über Technologie und/oder Design eine Markengeschichte erarbeiten – das benötigt Zeit. Aber die neuen Hersteller lernen schnell. Um die Anforderungen des Marktes zu erfüllen, ist Expertise gefragt. Diejenige unserer 500 Mitarbeiter ist Grundlage unserer Existenz.“
Zur Absicherung des Unternehmens tätigt 25 % des Umsatzes aber außerhalb der Automobilbranche.
Design schlägt Langeweile
„Alle Autos sehen heute gleich aus“, heißt es in der Bevölkerung oft, und die SUV-Monokultur nervt viele Menschen. Kann sich Angori eine größere Artenvielfalt des Automobils vorstellen? Die Antwortet lautet schlicht „ja“. Sogar die Coupé-Form könnte ein Revival erleben, wenn vielleicht auch mehr als 5- denn als 2+2-Sitzer. Auch dieser Weg könne Newcomern zu einer rascheren Etablierung verhelfen. Design werde daher im Wettbewerb an Bedeutung gewinnen, gerade bei Elektrofahrzeugen, bei denen bessere Aerodynamik höhere Reichweiten ermögliche.
Die Bedeutung der Automobilbranche insbesondere für die europäische Wirtschaft kann alleine aufgrund der Arbeitsplätze gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Doch handelt es sich beim Automobil nicht um irgendeinen Gebrauchsgegenstand, sondern um ein emotionales Produkt. Obgleich mindestens ebenso viele Menschen eine Waschmaschine besitzen wie ein Auto, findet man im Zeitschriftenhandel jede Menge Automagazine, aber kein einziges Waschmaschinenjournal. Wird dies auch in Zukunft so bleiben? Auch die jüngeren Generationen blieben im Großen und Ganzen autoaffin, solange ihre Anforderungen erfüllt würden, gibt sich Angori überzeugt. Und solange gutes Design Langeweile bekämpfe. In diesem Sinne trügen auch kleine exotische Sportwagenhersteller zum einzigartigen Nimbus des Automobils bei.