Externe Schocks werden unterschätzt

Wie das Klima und die Geopolitik die Weltwirtschaft prägen.

Michael Kordovsky. Börsianer holen ihre entscheidungsrelevanten Zahlen, Daten und Fakten primär aus Publikationen über Investments und wirtschaftliche Entwicklungen. Das erscheint auch logisch. Doch immer wieder treten Ereignisse ein, die sämtliche Prognosen über Bord werfen. Es geht hier um einschneidende Ereignisse in Form von Naturkatastrophen, Kriege und Pandemien. Die Wirkung dieser externen Schocks auf Wirtschaft und Börsengeschehen wird vollkommen unterschätzt, und dennoch sind dies Meilensteine der Wirtschaftsgeschichte. Dazu gibt es jede Menge Beispiele.

Rezessionsfaktor und Kapitalvernichtung durch Krieg
So hatte der verlorene Erste Weltkrieg (1914 bis 1918) infolge nicht mehr leistbarer Folgekosten und einer übermäßigen Bedienung der Notenpresse in der Weimarer Republik 1923 eine Hyperinflation zur Folge. Dieses Chaos ebnete radikalen Kräften den Weg an die Macht, woraus 1939 bis 1945 der Zweite Weltkrieg resultierte.

Danach folgte eine lange Phase der Prosperität, anfänglich her-vorgerufen durch Wiederaufbau, dann ab den 90er-Jahren infolge neuer Märkte im Osten, angefangen in der Ex-DDR, den ehemaligen Ostblock-Staaten bis hin zur gesamten Ex-Sowjetunion. Rüstungsausgaben wurden auf breiter Front hinuntergefahren und flossen über niedrigere Steuern in die zivile Realwirtschaft.

Ab September 2001 (9/11) wurde die Welt wieder unruhiger. Nach den Terroranschlägen in den USA war in New York zwischen dem 11. und 14. September 2001 die Börse für vier Handelstage geschlossen, und nach Wiedereröffnung am Montag, dem 17. September, brachen die Kurse um 7,1 % ein. Das Platzen der damaligen Technologieaktienblase beschleunigte sich.

Den Ukrainekrieg mit Beginn 24. Feber 2022 hatte kaum jemand vorhergesagt. Er überraschte, führte zur Preisexplosion bei Erdöl und Erdgas und bremste die Erholung der Wirtschaft von der Pandemie. Infolge steigender Zinsen wurden Investitionen für Unternehmen und Eigenheime für Privatpersonen immer schwerer leistbar. Vor allem in Europa wirkte sich dies negativ auf das BIP-Wachstum aus. Vom zweiten Quartal 2022 bis hin zum dritten Quartal 2023 verlangsamte sich in der EU27 das BIP-Wachstum von 4,2 auf 0,1 %, ehe im 1. Quartal 2024 wieder eine leichte Erholung auf 0,5 % folgte.

Ein anderer Krieg in der Geschichte, der Wirtschaftswachstum kostete, war der Jom-Kippur-Krieg im Oktober 1973. Am 6. Oktober 1973, dem jüdischen Feiertag griffen Syrien und Ägypten Israel an und wollten die von Israel besetzten Golanhöhen und die Sinai-Halbinsel zurückerobern. Begleiterscheinung war auch eine Drosselung der Ölförderung durch die Organisation der arabischen Erdöl exportierenden Staaten (OPEC) um 5 %, um die westlichen Länder für ihre Unterstützung Israels unter Druck zu setzen. Die Folgen waren: eine Vervierfachung des Ölpreises, eine US-Inflationsrate von bis zu 12,3 % (Dezember 1974), in den USA eine schwere Rezession von November 1973 bis März 1975, die einen Rückgang der Wirtschaftsleistung um 3,2 % mit sich brachte. Ebenfalls Co-Faktoren einer US-Rezession waren der Erste Golfkrieg (1979/80) und die Kuwait-Krise (2. August 1990 bis 17. Jänner 1991).

Eine Studie des Kieler Instituts für Weltwirtschaft mit dem Titel „Kiel Policy Brief – The Price of War“ vom Feber 2024 analysierte die ökonomischen Auswirkungen von Kriegen und verwendete dazu einen Datensatz mit mehr als 150 Kriegen seit 1870. Ergebnis im O-Ton: „Alleine auf den unmittelbaren Kriegsschauplätzen sinkt das reale BIP fünf Jahre nach Kriegsbeginn durchschnittlich um 30 %, während die Inflation um bis zu 15 %-Punkte steigt. Weitere Kriegskosten kommen auf Nachbarländer und weiter entfernte Länder hinzu, die mit zunehmender Distanz sinken.“ Daraus leiten die Autoren für die Ukraine bis 2026 einen kumulativen BIP-Verlust von umgerechnet 111,1 Milliarde Euro und einen Rückgang des Kapitalstocks um umgerechnet 880 Milliarde Euro (EUR/USD 1,08) ab. Schäden für Drittländer werden mit umgerechnet 231,5 Milliarde Euro kalkuliert.

Unterschätzte (Natur-)Katastrophen
Auch die Corona-Pandemie ist von vielen Seiten in den ersten Wochen unterschätzt worden. Doch letztendlich brach 2020 die Weltwirtschaftsleistung um 3,1 % ein. Die Spanische Grippe von 1918 bis 1920, die weltweit mindestens 25 Millionen Todesfälle verursachte, würde heute rund 4,8 % der globalen Wirtschaftsleistung kosten.

Mittlerweile alltäglich ist der Klimawandel. Heuer gingen bereits reihenweise regionale Temperaturrekorde durch die Medien. Dürren und Waldbrände, gefolgt von schweren Regenfällen und Überschwemmungen prägen die Witterung, während immer mehr Ernten ausfallen und die Preise betroffener Agrargüter emporschnellen. Doch was hat der Klimawandel für wirtschaftliche Auswirkungen?

Anhand von Prognosen aus 33 globalen Klimamodellen hat ein internationales Forscherteam unter der Leitung von Paul Waidelich von der ETH Zürich eine bahnbrechende Studie durchgeführt, die in der Fachzeitschrift Nature Climate Change veröffentlicht wurde, um solche Auswirkungen auf BIP weltweit zu quantifizieren. Die Ergebnisse: Die Studie ergab, dass bei einer Erwärmung des Planeten um +3 ºC das globale BIP um bis zu 10 % sinken würde. Wichtig ist die Erkenntnis, dass Schwankungen und Extreme die Kosten des Klimawandels auf der ganzen Welt erhöhen. Niederschlagsveränderungen und starke Temperaturschwankungen richten hohe Schäden an.

Eine globale Erwärmung um 3 ºC erhöht auch das Risiko extremer Niederschläge weltweit, wodurch das globale BIP im Durchschnitt um 0,2 % sinkt. Ein Großteil dieser Kosten entsteht in den USA und in China, die im Gegensatz zu den wärmeren tropischen Regionen weniger an extreme Niederschläge gewöhnt sind. Unter den betrachteten Extremereignissen haben jedoch Hitzewellen die stärksten Auswirkungen. Die Studie deutet darauf hin, dass fast die Hälfte der weltweiten wirtschaftlichen Schäden bei einer globalen Erwärmung von 3 ºC auf extreme Hitze zurückzuführen sein könnte.

In der jüngsten Zeit häufen sich aber Medienberichte über Hitzewellen und weltweit wachsen die Risiken von Ernteausfällen, die wiederum mehr Inflation bedeuten. Mehr Inflation hat aber eine restriktivere Geldpolitik und höhere Zinsen zur Folge und kostet somit auch Wirtschaftswachstum.

Fazit
Zunehmende Klimakapriolen und erhöhte geopolitische Risiken infolge des China-Taiwan-Konflikts, eines eskalierenden Ukrainekriegs und des aktuellen Gaza-Konfliktes erfordern, dass Anleger über den Tellerrand blicken, um sich mit wesentlichen Faktoren auseinanderzusetzen, die auch die zukünftigen Wirtschafts- und Börsenentwicklungen prägen können, obwohl sie nicht unbedingt Tagesthemen der Börsenberichterstattung sind.

Foto: Pixabay / a_scarcy