„Politische Kraft zur Veränderung fehlt in diesem Land“

Stärkung des heimischen Kapitalmarktes ist für Wiener Börse vorrangig.

Marius Perger. Dass die Wiener Börse im Vorjahr in einem „verhaltenen Marktumfeld“ ihr Ergebnis auf Rekordhöhe halten konnte und auch der Konzernumsatz nahezu das hohe Niveau des Jahres davor erreichte, war beim Jahrespressegespräch mit Börse-Aufsichtsratsvorsitzendem und Wienerberger-CEO Heimo Scheuch sowie Börse-CEO Christoph Boschan nur ein Randthema. Im Vordergrund stand die Bedeutung eines starken Kapitalmarkts für die heimische Wirtschaft und die grüne Transformation.

Doch kurz zurück zum Jahr 2023: Der Rückgang des Aktienumsatzes im Vorjahr bedeutet nicht, dass sich das Handelsvolumen zur Konkurrenz verlagert hätte, so Boschan. Im Gegenteil: Der Marktanteil der Wiener Börse ist sogar leicht gewachsen. Erfolgreich haben sich die anderen Geschäftsbereiche entwickelt, die Diversifikation trage Früchte, wobei Boschan einerseits auf die Erlöse aus dem Central Securities Depository Prag, das für das Verwahrgeschäft in Tschechien zuständig ist, andererseits auf das Anleihensegment verweist. Allein heuer habe man schon fast 5.000 neue Anleihenlistings verzeichnet, für Privatanleger sei das Angebot der Wiener Börse der günstigste Weg, österreichische Bundesanleihen zu handeln, betont der Börse-Chef. Zufrieden zeigt sich auch Scheuch: Die Börse Wien halte allen Vergleichen mit den „Großen“ stand, man solle „nicht jammern, sondern stolz sein auf diese Börse“.

Appell an die Politik
Trotz der Politik und des ständigen Schlechtredens des Kapitalmarktes hätten immer mehr Österreicher Interesse am Kauf von Wertpapieren, betont Scheuch. Doch immer noch würden mehr als 300 Milliarden Euro nicht oder niedrig verzinst hierzulande – salopp gesagt – „herumliegen“. Notwendig sei deshalb eine Stärkung des Kapitalmarktes, wobei Scheuch auch darauf verweist, dass die EU-Mitgliedsstaaten aufgerufen sind, mehr für den gemeinsamen Finanzmarkt zu tun. Und nicht zuletzt zeige sich, dass Staaten mit gut entwickelten Kapitalmärkten schneller, nachhaltiger und mit höheren Wachstumsraten in eine CO2-neutrale Zukunft transformieren.

Gefordert sei die Politik, betont auch Boschan. Sie müsse für „relevante Kapitalsammelstellen“ sorgen, insbesondere durch den Ausbau der zweiten und dritten Säule, deren Volumen in Österreich derzeit nur 7 % des BIP ausmacht – im Vergleich zu rund 100 % in anderen entwickelten Staaten.

„Wir brauchen eine Regierung, die sich dem Finanzmarkt widmet“, sagt Scheuch, „und einen Kapitalmarktbeauftragten, der nicht aus der Arbeiterkammer oder der Wirtschaftskammer kommt, sondern von uns“. Die Börse als Finanzierungsquelle für die Transformation der Unternehmen sei für unser Land „extrem wichtig“. Nicht vergessen dürfe man auch, dass der österreichische Wohlstand auf dem Export aufgebaut ist: „Wir brauchen die internationale Vernetzung und die kommt über den Kapitalmarkt.“

Scheuch fordert auch weitere Privatisierungen: „Wir haben gezeigt, dass diese gut funktionieren.“ Jede neue Regierung habe sich mit damit zu beschäftigen, es dürfe kein Tabu-Thema sein. Und schließlich wünscht sich Scheuch einen „Fonds, der allen Österreichern gehört“. Dazu bedürfe es einer Entpolitisierung der staatlichen Beteiligungen, die in einen Staatsfonds übertragen werden müssten. Dies wäre ein wesentlicher Bestandteil für das Wachstum der Wirtschaft. Es gehe darum, wettbewerbsfähige Rahmenbedingungen für den österreichischen Kapitalmarkt zu schaffen. Aber, so Scheuch: „Die politische Kraft zur Veränderung fehlt in diesem Land“.

ESG im Fokus
Verstärken will die Wiener Börse ihren Fokus auf den Bereich nachhaltiger Investmentmöglichkeiten. Bereits heute werde Emittenten das eigens für nachhaltige Anleihen konzipierte „Vienna ESG Segment“ geboten; Inzwischen sind dort mehr als 100 Anleihen von über 30 Emittenten gelistet, deren Volumen von mehr als 27 Milliarden Euro in die Transformation der Wirtschaft fließt.

Und ab sofort stellt die Wiener Börse ESG-Initiativen auf die (virtuelle) Bühne – mit einer Kampagne auf allen Kommunikationskanälen will man zeigen, wie österreichische börsenotierte Unternehmen die ESG-Transformation vorantreiben.

Foto: Börsen-Kurier