Chinas Deflationsrisiko signalisiert eine Zeitenwende

Vermögensverwalter: Hohe Wachstumsraten sind Vergangenheit.

Roman Steinbauer. Es mag schon etwas paradox anmuten, in aktuellen Zeiten das Wort „Deflation“ zu nennen. Die (vor allem durch enorme industrielle Überkapazitäten) vom Rest anderer Industriestaaten abweichende Wirtschaftslage Chinas brachte das Thema dennoch wieder ins Rampenlicht.

Die Finanzmarkt-Korrespondentin für China des US-Wirtschaftskanals CNBC, Evelyn Cheng, führte in einem Beitrag bereits am 14. August aus, Chinas Behörden würden am Anleihemarkt intervenieren – ein Umstand, der Sorgen um die Finanzstabilität offenbare. Die Maßnahmen der Notenbank zielten darauf ab, eine ausgebrochene Rallye am Anleihemarkt zu bremsen, um ein weiteres Drücken des Zinsniveaus zu verhindern. Im Gegensatz zu den USA oder Europa liegen die Renditen 10-jähriger chinesischer Staatsanleihen aktuell nur noch bei 2,07 %, während Peking bei zweijährigen Titeln sogar Schuldscheine mit Kupons um 1,36 % am Markt unterbringt. Aufsehen erregend ist dabei das Tempo der Abnahme der Anleiherenditen bzw. des Kursanstiegs der Bonds. Warfen doch Verbindlichkeiten mit Laufzeit über eine Dekade hinweg im diesjährigen Jänner noch 2,58 % ab.

Zunehmende politische Brisanz
Vordergründig mag das Umfeld historisch niedriger Zinsen vorteilhaft erscheinen, wird der Staat doch dadurch in die Lage versetzt, zu günstigen Konditionen Staatsanleihen zu begeben. Doch die Geschwindigkeit der Flucht der Anleger in den festverzinslichen Sektor schafft unter Chinas Wirtschaftslenkern Unruhe. Resultiert aus dieser Entwicklung immerhin eine zunehmende Kaufzurückhaltung der Konsumenten, die das Wirtschaftswachstum insgesamt bedrohe. Die Ökonomin Cheng wies in diesem Zusammenhang insbesondere auf eine (in Europa noch kaum vernommene) Jugendarbeitslosigkeit im Reich der Mitte hin, die unterdessen 14,9 % erreicht habe. Somit baue sich Potenzial eines sozialen Sprengstoffes auf. Die Korrespondentin zitierte am 6. September bereits unter anderem jüngste Aussagen des ehemaligen Chefs der chinesischen Zentralbank, Yi Gang, wonach sich die Entscheidungsträger in Peking auf die Ankurbelung der Binnennachfrage konzentrieren sollten. Die Bekämpfung des Deflationsdrucks mit einer extrem

lockeren Geldpolitik sei dabei der vorrangige Ansatz. Denn nach Worten Gangs bewege sich der Verbraucherpreisindex (VPI) der zweitgrößten Volkswirtschaft bis zum Jahresende Richtung Null-Linie. Nach Daten des chinesischen Nationalen Statistikamtes hielt sich die Teuerung bereits 2023 mit +0,2 % gerade noch über der Null-Linie.

Alte Maßstäbe nicht mehr heranzuziehen
Der Schweizer Finanzkanal Moneycab brachte Ende August zum Thema eine Lageeinschätzung des Bondstrategen der Vermögensverwaltung Abrdn (2017 aus der Fusion von Standard Life und Aberdeen Asset Management entstanden), Edmund Goh. Dieser umriss die heikle wirtschaftliche Situation, in der sich China derzeit befindet, dramatisch: „Die Vermögenspreise sinken, die Wirtschaft schwächelt. Dabei stellen die niedrigen Anleiherenditen eine Gefahr für die Stabilität des Finanzsystems dar.“ Die Verkettung der Gegebenheiten im gegenwärtigen Trend seien unverkennbar. Denn durch sinkende Renditen hätten Chinas Versicherungsunternehmen die Anlagegelder vorwiegend auf den Anleihemärkten geparkt. Druck durch die Kunden, Fix-Renditen zu garantieren, führten zu-dem zu einer Trendverstärkung. Laut Goh werde die asiatische Wirtschaftsmacht generell nicht mehr in der Lage sein, die hohen Wachstumsraten Jahrzehnte fortzusetzen. Denn selbst im Zuge eines fiskalischen Stimulus-Eingriffes, erwartet dieser nur noch eine Expansion von 2 bis 3 % p.a.

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