Der nächste Sargnagel für „grüne“ Investments
EU-Aufsichtsbehörde ESMA: Wo „grün“ draufsteht, soll auch „grün“ drinnen sein.
Andreas Dolezal. Mitte August hat die europäische Markt- und Wertpapieraufsicht ESMA ihre Leitlinien zu Fondsnamen, die ESG- oder nachhaltigkeitsbezogene Begriffe verwenden, in allen Amtssprachen der EU veröffentlicht. Damit steht fest, dass die Bestimmungen am 21. November 2024 in Kraft treten. Die ESMA schließt damit eine regulatorische Lücke.
Regulatorischer Alleingang der ESMA
Die EU-Offenlegungs-Verordnung SFDR legt fest, wann sich ein Finanzprodukt nachhaltig nennen darf („hellgrün“ = Artikel 8, „dunkelgrün“ = Artikel 9), vergisst aber, dafür Schwellenwerte festzulegen. Das führt zur skurrilen Situation, dass in Artikel-9-Finanzprodukten manchmal nur 1 % nachhaltige Investitionen enthalten sind. Diese Lücke schließt die ESMA mit ihren Leitlinien.
Experten fragen sich jedoch, ob es überhaupt in den Kompetenzbereich einer Aufsichtsbehörde fällt, solche Regeln festzulegen. Deren Aufgabe ist es eigentlich, geltende Regeln zu beaufsichtigen – und nicht, nach eigenem Gutdünken, ohne parlamentarische Kontrolle, eigenmächtig Regeln zu erlassen.
Bemerkenswert ist, dass es sich um einen Alleingang der EU-Markt- und Wertpapieraufsicht handelt, und nicht um gemeinsame Leitlinien der drei Aufsichtsbehörden EBA (Banken), EIOPA (Versicherungen) und ESMA. So gelten die neuen Regeln nur für Investmentfonds, nicht aber für Bank- und Versicherungsprodukte.
Wo „grün“ draufsteht, soll „grün“ drinnen sein
Die ESMA betrachtet eine lange Liste an „grünen“ Schlüsselbegriffen für Fondsnamen als relevant:
• Transformationsbezogene Begriffe wie „transformierend“, „Transformations-“, aber auch „Fortschritt“, „Entwicklung“, „Netto-Null“ usw.
• Umweltbezogene Begriffe wie „grün“, „ökologisch“, „Klima“, „ESG“ usw.
• Sozialbezogene Begriffe wie „sozial“, „Gleichstellung“ usw.
• Governance-bezogene Begriffe wie „Unternehmensführung“, „Governance“ usw.
• Auswirkungsbezogene Begriffe wie „wirkungsvoll“, „Impact“ usw.
• Nachhaltigkeitsbezogene Begriffe wie „nachhaltig“, „Nachhaltigkeit“ usw.
Fonds mit solchen Begriffen in Namen müssen mindestens zu 80 % im Einklang mit diesen nachhaltigen Aspekten investieren. Werden in einem Fondsnamen mehrere relevante Begriffe kombiniert, gelten die jeweiligen Bestimmungen kumulativ. Dann wird es also doppelt und dreifach kompliziert.
Folgt eine Welle an Namensänderungen?
Neue Fonds müssen die Leitlinien ab 21. November 2024 anwenden. Fonds, die vor diesen Stichtag aufgelegt wurden, erst ab 21. Mai 2025. Das heißt, dass sich Fondsgesellschaften überlegen müssen, ob und welche „grüne“ Fonds sie eventuell umbenennen. Denn der bürokratische Aufwand, um relevante Begriffe in Fondsnamen zu rechtfertigen, ist erheblich und mit aufsichtsrechtlichen Risiken behaftet.
Eingriff ins Asset Management
Dazu kommt, dass die Bestimmungen einen massiven Eingriff ins Fondsmanagement darstellen. Stets zu mindestens 80 % „grün“ investiert zu sein – unabhängig von der Marktphase -, schränkt den Handlungsspielraum von Asset Managern erheblich ein. Die Auswahl an geeigneten Investments ist nach wie vor eingeschränkt, die Datenlage weiterhin mangelhaft, und Cash gilt nicht als nachhaltiges Investment.
Bärendienst an nachhaltigen Finanzprodukten
Schon die missglückte Abfrage der Nachhaltigkeitspräferenzen vergällt vielen Anlegern die Lust am nachhaltigen Investieren. Viele „grüne“ Fonds haben sich in den vergangenen zwei, drei Jahren nicht als Performancebringer herausgestellt. Und nun legt eine Aufsichtsbehörde Investmentfonds auch noch praxisferne Fesseln an. Das Angebot an nachhaltigen Finanzprodukten wird weiter schrumpfen.
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