Drei weitere Leitzinssenkungen möglich

Wenig Potenzial der Fed versus größere Spielräume der EZB.

Michael Kordovsky. Die US-Notenbank Federal Reserve hat den Leitzins in ihrer jüngsten Sitzung am 29. Jänner unverändert bei 4,25 bis 4,50 % belassen. Damit bleibt die Geldpolitik angesichts der weiterhin erhöhten Inflation restriktiv. Dazu Fed-Chef Jerome Powell: „Wir wissen, dass eine zu schnelle oder zu starke Lockerung der geldpolitischen Restriktionen den Fortschritt bei der Inflationsbekämpfung beeinträchtigen könnte.“ Die Inflation bleibt ein zentrales Thema: Während sie in den vergangenen zwölf Monaten deutlich zurückging, verharrt sie zuletzt wieder auf einem leicht erhöhten Niveau. Die US-Verbraucherpreise stiegen im Dezember um 2,9 % im Jahresvergleich, nachdem sie bereits im dritten Monat in Folge angezogen hatten.

Auch der Arbeitsmarkt bleibt robust: Im Dezember sank die Arbeitslosenquote leicht auf 4,1 %, während 256.000 neue Arbeitsplätze geschaffen wurden. Powell erklärte, der Arbeitsmarkt sei „im Gleichgewicht“ und übe keinen zusätzlichen Inflationsdruck aus. Fakt ist, dass die Stundenlöhne der US-Privatwirtschaft ex Agrar im Dezember auf Jahresbasis nur noch um 3,93 % stiegen verglichen mit 4,25 % ein Jahr zuvor.

Interessant ist der politische Druck auf die Fed. Präsident Donald Trump fordert mit Verweis auf sinkende Ölpreise sofortige Zinssenkungen und erklärte provokant: „Ich kenne mich mit Leitzinsen besser aus als die Fed.“ Die Notenbank erwartet für 2025 jedoch nur zwei Zinssenkungen und bleibt angesichts möglicher Inflationstreiber – darunter Trumps geplante Zölle und Massenabschiebungen – vorsichtig. Powell ließ sich nicht auf einen direkten Schlagabtausch mit Trump ein und betonte: „Wir warten geduldig ab und müssen nichts überstürzen.“ Der Machtkampf zwischen Trump und der Fed dürfte sich in den kommenden Monaten weiter zuspitzen und der Markt preist derzeit am wahrscheinlichsten ein bis zwei Leitzinssenkungen ein.

Eurozone: Grünes Licht
Anders sieht es im Euroraum aus, dessen Leitwirtschaft Deutschland im dritten und vierten Quartal 2024 eine leicht schrumpfende Wirtschaftsleistung aufwies. Das BIP-Wachstum im dritten und vierten Quartal 2024 lag lediglich bei je 0,9 % und eine Rezession in der Industrie drückt auf die Industriegüterpreise ex Energie und nimmt langsam den Lohnkostendruck aus dem Markt. Die Inflationsrate ist von Dezember 2023 auf Dezember 2024 von 2,9 weiter auf 2,4 % gesunken. Lediglich Basiseffekte bei den Energiepreisen führten zuletzt wieder zu einem moderaten Anstieg.

Am 30. Jänner konnte somit der EZB-Rat die fünfte Leitzinssenkung um 0,25 %-Punkte einstimmig beschließen. Einlagenzins und Hauptrefinanzierungssatz wurden auf jeweils 2,75 bzw. 2,90 % zurückgenommen. Dieser Schritt war aber in den Geldmarktzinsen schon eingepreist. Und weitere Lockerungen erscheinen wahrscheinlich, was auch aus dem Wording von EZB-Präsidentin Christine Lagarde in der Pressekonferenz zur jüngsten geldpolitischen Entscheidung abgeleitet werden kann: „Der Disinflationsprozess schreitet gut voran. Die Inflation hat sich im Wesentlichen weiterhin im Einklang mit den Projektionen entwickelt und dürfte im laufenden Jahr zu unserem mittelfristigen Zielwert von 2 % zurückkehren.“ Im weiteren Verlauf der Rede folgte eine Präzisierung: „Die meisten Indikatoren der zugrunde liegenden Inflation haben sich im Einklang mit einer nachhaltigen Rückkehr der Inflation zu unserem mittelfristigen Zielwert entwickelt.“

Und noch konkreter lautet die gute Nachricht Lagards: „Unseren Erwartungen zufolge wird die Inflation kurzfristig um das aktuelle Niveau schwanken. Danach sollte sie sich nachhaltig um den mittelfristigen Zielwert von 2 % einpendeln. Der nachlassende Arbeitskostendruck und die anhaltende Wirkung unserer vorangegangenen geldpolitischen Straffung auf die Verbraucherpreise dürften diesen Prozess unterstützen.“

Ein weiterer Punkt ist die Schätzung des neutralen Leitzinsniveaus. Darüber gibt es zahlreiche Debatten und Publikationen. Der neutrale Zins, bei dem die Geldpolitik weder expansiv noch restriktiv wirkt, liegt nach bisherigen Schätzungen von Ökonomen der EZB im Bereich von 1,75 bis 2,5 %. Auf eine Journalistenfrage dazu reagierte Lagarde: „Wir sind derzeit restriktiv. Wir sind nicht bei der neutralen Rate. Diese Debatte ist völlig verfrüht. Wenn wir uns dem nähern, werden wir auf der Grundlage eines Forschungspapiers und einer Analyse des Stabes arbeiten, und das wird uns helfen zu bestimmen, wie nahe wir dran sind und wie unser geldpolitischer Kurs aussehen sollte.“

Risiken und Verzögerungsfaktoren
Aber es gibt noch Bremsfaktoren und Restrisiken. Noch im Würgegriff der einst hohen Inflationsraten befindet sich die Binneninflation. Dazu Lagarde: „Die Binneninflation, die der Teuerung bei Dienstleistungen eng folgt, ist nach wie vor hoch, da sich die Löhne und einige Dienstleistungspreise derzeit noch mit einer erheblichen Verzögerung an den zurückliegenden Inflationsschub anpassen. Gleichzeitig deuten die jüngsten Signale darauf hin, dass die Abschwächung des Lohndrucks anhält und die Gewinne eine Pufferfunktion haben.“

Während ein beschleunigter Wirtschaftsabschwung das Zinssenkungspotenzial erhöhen würde, gibt es auch inflationäre Risikofaktoren, die das Tempo rückläufiger Leitzinsen bremsen könnten. Dazu Lagarde: „Die Inflation könnte höher ausfallen, wenn die Löhne oder die Gewinne deutlicher steigen als erwartet. Aufwärtsrisiken für die Inflation ergeben sich auch aus den erhöhten geopolitischen Spannungen. Diese könnten die Energiepreise und die Frachtkosten auf kurze Sicht in die Höhe treiben und den Welthandel stören. Zudem könnten Extremwetterereignisse und die fortschreitende Klimakrise allgemein dazu führen, dass die Nahrungsmittelpreise stärker steigen als erwartet.“

Fazit
Ausgehend vom geschätzten neutralen Zinsniveau, aktuellen Inflationstrends, jüngsten Zinskurven und Expertenmeinungen erscheinen drei weitere Leitzinssenkungen der EZB im laufenden Jahr durchaus wahrscheinlich.

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