Rechnung ohne Wirt(schaft) gemacht
Grüner Deal: EU-Kommission kündigt massive Vereinfachungen der grünen Regulatorik an.
Andreas Dolezal. Als die damals neue EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen im Dezember 2019 den „Grünen Deal“ präsentierte, war die Welt noch eine andere. Der von Klimaschutzaktivistin Greta Thunberg initiierte „Schulstreik für das Klima“ wuchs zur globalen Bewegung „Fridays for Future“ an, grüne Regierungsbeteiligungen in Deutschland und Österreich machten den Kampf gegen den Klimawandel zu zentralen Themen. Die Auswirkungen der viel zitierten Klimakatastrophe wurden auch für die Bevölkerung immer sichtbarer. Das visionäre EU-Ziel der Klimaneutralität bis 2050 folgte diesem Zeitgeist, machte die Rechnung aber ohne die Wirtschaft und mit zu wenig Realitätssinn.
Bürokratie-Monster
Aus dem Deal, der ursprünglich nur 29 Seiten umfasste, ist, ausgehend von der EU-Taxonomie, über die Jahre ein Monstrum geworden, das viele tausend Seiten Gesetzestext umfasst: Von A wie Abfallrahmenrichtlinie über Lieferkettengesetz (CSDDD) und Nachhaltigkeitsberichtspflichten (CSRD/ESRS) bis Z wie (CBAM-)Zertifikate. In dieses enge regulatorische Korsett gezwängt, sollen Unternehmen dazu beitragen, Europa zum ersten klimaneutralen Kontinent der Erde zu machen.
Trickle-Down-Effekt unterschätzt
Was in der Finanzindustrie seinen Anfang nahm, sickerte sukzessive zur gesamten europäischen Wirtschaft durch: eine horrende Bürokratie. Der Plan, nur große Unternehmen in die Pflicht zu nehmen, verpuffte. Denn die Großen können ihre „grünen“ Pflichten nur erfüllen, wenn sie auch ihre kleinen Lieferanten einbinden. So entstand eine Kaskade an direkt und indirekt betroffenen Unternehmen aller Größen, der so genannte Trickle-Down-Effekt.
Zu komplex, auch für den Regulator
Zusätzlich bewahrheitete sich das Sprichwort, dass viele Köche den Brei verderben. Im Dickicht der Regelwerke verlor auch der europäische Gesetzgeber den Überblick. Viele Rechtsakte sind inhaltlich und zeitlich nicht aufeinander abgestimmt, die EU schaffte es mehrfach nicht, die sich selbst gesetzten Fristen für Detailregelungen einzuhalten. Mitgliedstaaten hinken mit der nationalen Umsetzung von EU-Richtlinien hinter-her, wie zum Beispiel Österreich mit dem Umsetzen der CSRD. Rechtsunsicherheit für Unternehmen paart sich von Beginn an mit dem Grünen Deal.
Mehr Optimismus als Realismus
Manche visionären Pläne der EU klingen auf dem Papier hervorragend und erstrebenswert, sind für die Realität aber viel zu optimistisch (etwa die grüne Vorreiterrolle für die ganze Welt) bis hin zu technisch gar nicht realisierbar (der EU-Rechnungshof empfiehlt etwa der EU-Wasserstoff-Strategie dringend einen Realitätscheck). Gemeinsam mit Bürokratie-Last und Trickle-Down-Effekt nährte dies den Widerstand der Wirtschaft.
Herausfordernde Zeiten
Die grüne Regulatorik verlangt Unternehmen in der aktuell wirtschaftlichen und geopolitisch schwierigen Phase sehr viel ab. Nach der Corona-Pandemie kämpfen Betriebe weiterhin mit hohen Energie- und Rohstoffpreisen, dem Fachkräftemangel und der Konsumflaute. Österreich und Europa stecken in einer Rezession. Mitten im Bewältigen dieser Herausforderungen, die für Unternehmen, unseren Wohlstand und unser gesellschaftliches Gefüge existenziell sind, beansprucht die grüne Regulatorik finanzielle und personelle Ressourcen, die große Unternehmen Millionen Euro kostet und kleine bis mittlere Unternehmen schlichtweg überfordert.
EU-Kommission erkennt Realität
„Damit Europa aufholen kann, müssen wir auch unseren Unternehmen das Leben leichter machen“, kündigte EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen Ende November 2024 an. Zu viel Berichterstattung, zu viele Überschneidungen, zu komplex und zu teuer, um sie einzuhalten, sei die Bürokratie, gestand sie ein
Am 26. Februar 2025 präsentierte die EU-Kommission einen Vorschlag für eine Omnibus-Verordnung, mit der EU-Taxonomie, Nachhaltigkeitsberichtspflichten und Lieferkettengesetz vereinfacht werden sollen. Die Wirtschaft begrüßt diesen Schritt als wichtig und unverzichtbar, Klimaaktivisten und NGOs befürchten, dass Klima- und Umweltschutz abgeschafft werden.
Nachhaltigkeit bleibt in zentrales Thema, die grüne Regulatorik findet lediglich den Weg zurück in die Realität.
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