Jetzt kühlen Kopf bewahren
Trotz des jüngsten Zollschocks sei es zu früh, die USA abzuschreiben, so Experten.
Patrick Baldia. Mit den von US-Präsident Donald Trump am 2. April in seiner Rede zum „Liberation Day“ angekündigten und mittler-weile in Kraft getretenen neuen Zöllen wurden die schlimmsten Befürchtungen übertroffen. Die Antwort einiger betroffenen Staaten ließ nicht lange auf sich warten. Andere bereiten noch Gegenmaßnahmen vor.
Die Reaktionen an den Börsen seitdem deuten darauf hin, dass die neuen Tatsachen keineswegs als der von Trump angekündigte „Befreiungsschlag“ gesehen werden. Allein am 2. April hat der S&P 500 mit einem Minus von fast 5 % abgeschlossen, während der Dow Jones Industrial Average um 4 % zurückging. Der techlastige Nasdaq Composite brach sogar um 6 % ein. Ganz zu schweigen von den globalen Börsen. „Angesichts der erheblichen Erschütterung des globalen Handelssystems erscheint es schwer vorstellbar, dass sich die Aktienmärkte von den jüngsten Verlusten erholen – weitere Kursrückgänge scheinen wahrscheinlich“, hält Chris Iggo, CIO Core Investments bei AXA Investment Managers, fest.
Wie sollen Anleger, die in den USA Investiert sind, reagieren? Für Christoph Vahs, Senior Fund Manager bei der Erste Asset Management (EAM) und verantwortlich für den Erste Responsible Stock America, kann Trumps Entscheidung durchaus ein „Wegweiser“ sein. „Insgesamt sollten Anleger im aktuellen Umfeld dennoch einen kühlen Kopf bewahren, sich der Fundamentaldaten besinnen, aber auch über den Tellerrand – sprich in andere Länder – schauen“, sagt er zum Börsen-Kurier. Denn selbst mit den neuen Zöllen sei es zu früh, die USA abzuschreiben. Tatsache sei, dass dort in den vergangenen Jahren die größten und innovativsten Unternehmen zu finden waren und sich Anlegern auch mehr Möglichkeiten als etwa in Europa boten.
Ein Zugang für Investoren könnte sein, sich für Sektoren und Unternehmen zu entscheiden, die überwiegend in den USA tätig sind und damit nicht vom neuen Zollregime betroffen sind. Dazu gehören etwa Telekom- oder Immobilien-werte. „Für viele anderen US-Unternehmen ist es dagegen schwer ihre Supply Chains, die über viele Jahre mit ausländischen Zulieferern aufgebaut wurden, neu auszurichten“, meint Vahs.
Sich auf breiter Ebene in defensiven Titeln zu positionieren, scheint aktuell jedenfalls auch nicht die ideale Lösung zu sein. Nur ein Beispiel: Der US-Health- Care-Sektor hat seit dem Antritt des US-Gesundheitsministers Robert F. Kennedy Jr. rund 12 % verloren. Interessanter könnten laut Vahs dagegen unterbewertete Industriewerte oder Unternehmen aus der Bauwirtschaft sein, wie zum Beispiel Caterpillar, die von steigenden Infrastrukturausgaben profitieren könnten. Ein Anstieg der Inflation könnten wiederum Discounter-Konsumgüterfirmen wie Dollar Tree attraktiv machen.
Einstiegsmöglichkeiten könnten sich auch im weiterhin hoch bewerteten Tech-Sektor bieten. „Beispielsweise ist das für 2025 erwartete KGV von Google (18,3x) so niedrig wie seit 20 Jahren nicht mehr“, so Vahs. Auch der Chipgigant Nvidia sei trotz zuletzt stärker gestiegener Gewinne billiger als noch vor zwei Jahren. Stark unterwegs war zuletzt auch Netflix.
Hat Trump den Bogen diesmal überspannt? „Eine der zentralen Fragen ist, wo Trumps Schmerzgrenze liegt – wie lange wird er an den Zöllen festhalten und was könnte einen Umschwung auslösen? Die weit verbreitete Annahme, dass Trump sehr empfindlich auf Rückgänge am Aktienmarkt reagieren würde, hat sich eindeutig nicht bestätigt“, sagt Libby Cantrill, Head of Public Policy bei Pimco.
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