Ohne Kapitalmarkt geht es nicht

Boschan und Felbermayr nehmen sich kein Blatt vor den Mund.

Tibor Pásztory. Im Rahmen der diesjährigen Bilanzpressekonferenz der Wiener Börse setzten CEO Christoph Boschan und Wifo-Direktor Gabriel Felbermayr unmissverständliche Worte an die österreichische Bundesregierung sowie die Europäische Union. Während es bei ersterer hauptsächlich um die Berücksichtigung des Kapitalmarktes bei der Altersvorsorge ging, wurde die EU deutlich eines „Regulierungstsunamis“ geziehen: „Wie oft habe ich eigentlich schon aus Brüssel über das Vorhaben gehört, die Kapitalmarktregularien zu entbürokratisieren? Für jede neue Regel sollte eine alte gestrichen werden, hieß es, aber nichts ist geschehen!“, äußert sich Boschan durchaus eindeutig über sein, wie er es nennt, „Leib- und Magenthema“. Dabei hält er einen Austausch eins zu eins sowieso für sinnlos, denn jeweils nur eine Regel zu streichen, brächte sowieso nicht viel. Als logische Konsequenz fordert Boschan ein Regulierungsmoratorium, also null neue Regeln.

Nicht im Regierungsprogramm
Freilich sieht auch der Börsen-CEO die Notwendigkeit einheitlicher Regulatorik im EU-Raum. Ohne Harmonisierung gäbe es für mittlere oder kleinere Börsen wie Wien bzw. Prag (eine Tochter der Wiener Börse) kein Überleben. „Niemand ist international an österreichischen Sonderregulierungen interessiert!“, fasst er knapp zusammen. Was die neue Österreichische Bundesregierung anbelangt, gibt sich Boschan deutlich milder. Zwar hätte er schon an die zehn Finanzminister erlebt, die nicht gerade durch großes Interesse am heimischen Kapitalmarkt aufgefallen seien, aber mit der aktuellen Regierung fänden immerhin Gespräche statt. Trotzdem kommt er nicht um eine Kritik am Regierungsprogramm herum, in dem sich nur ein kümmerlicher Absatz zum Thema Kapitalmarkt finden lässt (wie auch der Börsen-Kurier schon mehrfach kritisiert hat): „In diesem möge man beachten, was darin nicht steht.“ Höflich zusammengefasst hält Boschan fest: „Der Kapitalmarkt hält zahlreiche Hebel bereit, damit Österreich noch mehr Potenzial entfalten kann, der politische Wille ist entscheidend.“

Internationale Best-Practice-Beispiele
Auch Felbermayr stößt in das gleiche Horn und präsentiert die zentralen Erkenntnisse neuester Wifo-Berechnungen, die Kapitalismuskritikern durchaus aufstoßen sollten, denn ein Ausbau der betrieblichen Altersversorgung unter Berücksichtigung des Kapitalmarktes würde Altersarmut und die Einkommensungleichheit der verschiedenen Bevölkerungsschichten durchaus bekämpfen. Wie schon andere Experten vor ihm (etwa Eco-Austria-Direktorin Monika Köppl-Turyna, Ex-Erste-CEO Andreas Treichl oder VIG-CEO Hartwig Löger) verweist auch er auf Best-Practice-Beispiele aus Dänemark, Schweden und den Niederlanden. In allen drei genannten Staaten werde die staatliche Daseinsvorsorge durch den Kapitalmarkt für alle gewinnbringend ergänzt. So machen alleine die bescheidenen 2,5 % des Bruttoeinkommens, die in Schweden in kapitalgedeckte Pensionsfonds investiert werden, einiges aus – zum Wohle der Pensionisten wie der Staatskasse. „Österreich hat eine im internationalen Vergleich unterentwickelte zweite Säule der Altersversorgung“, zitiert Felbermayr. Insgesamt mache die kapitalgedeckte Altersvorsorge in Österreich nur 6,9 % des BIP aus, im OECD-Durchschnitt jedoch 86,7 % (sic!).

Rekordergebnis bei Wiener Börse
Die Frage der Altersversorgung stellt nur eine von vielen Herausforderungen dar, die unter Hinzuziehung des Kapitalmarktes gelöst werden könnte. Auch die Gründung eines international investierenden Staatsfonds wäre für den heimischen Kapitalmarkt belebend, so Boschan.

Als erfreulich erweist sich die zunehmende Akzeptanz von Aktien in Österreich, denn immerhin 30 % der Bevölkerung besäßen bereits Aktien (in anderen Ländern freilich noch viel mehr). Aus diesem Grunde konnte die Wiener Börse AG 2024 mit einem Jahresumsatz von 81,8 Millionen Euro und einem Ergebnis vor Steuern von 50,1 Millionen Euro auch Rekordgeschäftszahlen erzielen. Kerngeschäft bleibt dabei der Aktienumsatz in Höhe von 74 Milliarden Euro, wobei der heimische Aktienmarkt durch Dividendenstärke glänzt. Dividenden eingerechnet habe der ATX am 6. März 2025 die 10.000-Punkte-Marke überstiegen. „Das ist die Realität“, so Boschan.

Foto: Wiener Börse/Alexander Felten