Europas Comeback? Wie es funktionieren könnte

Amerikanische Verteidigung, russisches Gas, unendlicher Absatzmarkt China – das ist vorbei.

Tibor Pásztory. Im Rahmen der diesjährigen Country Risk Conference lud Dagmar Koch, Country Managerin des Kreditversicherers Coface Österreich, 170 Gäste aus dem Wirtschafts- und Finanzwesen in den Apothekertrakt des Schlosses Schönbrunn zu inspirierenden Vorträgen des US-Wahlkampfexperten Julius van der Laar sowie des Historikers und Journalisten Christoph von Marschall. Das Thema: „Europas Comeback?“ – mit Fragezeichen, wohlgemerkt.

Ins Tun kommen
„Das Comeback Europas kann gelingen. Wir dürfen dabei nicht unsere langfristigen Ziele den kurzfristigen Krisen opfern. Unsere Werte wie Menschenwürde, Freiheit und Demokratie bilden dabei das Fundament für nachhaltiges Wachstum und Wohlstand“, leitete Koch das Thema ein und meinte aber auch: „Wir müssen unsere Aufgaben endlich angehen, das ist entscheidend.“ Tatsächlich scheint es hoch an der Zeit, die Scheu vor ungewohnten Herausforderungen abzulegen und ins Tun zu kommen. Das betrifft nicht nur die politische und makroökonomische Ebene, sondern auch zutiefst betriebswirtschaftliche Entscheidungen der Unternehmen, „denn wer macht große Investitionen, wenn er nicht weiß, was morgen ist?“, wie Christiane von Berg, Head of Economic Research Coface BeNeLux & DACH, das Kernproblem in simplen Worten zusammenfasste.

Drei bequeme Pölster sind weg
Europa hat sich über die letzten 35 Jahre auf drei bequemen Erfolgsgrundlagen ausgeruht, so Christoph von Marschall: Die Verteidigungskosten übernahmen die USA, aus Russland bezog man billige Energie, und China wurde zu einem riesigen Absatzmarkt. Alle drei Faktoren sind nahezu gleichzeitig und binnen kürzester Zeit verschwunden.

Denkt man an die Verteidigungskosten und die Unsicherheiten bezüglich der Zukunft der NATO, fällt unweigerlich der Name Donald Trump. Auch wer diesen Namen nicht mehr hören kann, muss sich nach 150 Tagen seiner zweiten Amtszeit mit dessen Handeln auseinandersetzen – und verstehen, warum laut van der Laar 47 % der Amerikaner mit dessen Amtsführung zufrieden sind – „gigantisch gute Werte im Vergleich zu Joe Biden!“ Trump sei eben der ultimative Meister der medialen Inszenierung, er sei wie der Produzent einer eigenen Netflix-Serie. In den Augen seiner Wähler gelte das Prinzip „Versprochen – gehalten!“, denn seinen ultraharten Kurs habe er im Wahlkampf angekündigt.

Geostrategisch schlecht aufgestellt
Die USA tendieren wieder zum Isolationismus, und so wackelt auch die Nato-Beistandsgarantie, während Wladimir Putin Grenzen mit Gewalt ändern will und so Europas Friedensordnung in den Müll wirft. Die EU ist allenfalls ökonomisch Weltmacht, nicht militärisch, und wird von anderen Großmächten nicht mehr ernstgenommen. „If you have no seat on the table, you are on the menue“, so ein amerikanischer Spruch. In diesem Sinne könnte man die Ukraine als Vorspeise verstehen, danach kommt – und da scheint sich Marschall ziemlich sicher – Litauen dran. Damit wäre ein Landkorridor via Weißrussland in das russische nördliche Ostpreußen (heute nach Lenins Schlächter Mikhail Kalinin Kaliningrad benannt) hergestellt, das Russland als wichtiger Stützpunkt für seine Seestreitkräfte dient.

Wenn Litauen fällt, fallen wohl auch Lettland und Estland. Polen wäre schon eine größere Nummer. Deutschland müsste im eigenen Interesse in den Krieg gegen Russland einsteigen, verfügt aber nur über Munition für zehn Tage. Das ist aber noch nicht die ganze Wahrheit: Selbst wenn Deutschland unter dem neuen Kanzler Friedrich Merz alle finanziellen Mittel zur Nachrüstung ausschöpfe, fehle immer noch das Personal. Die Wehrpflicht hatte Deutschland ja 2011 ausgesetzt. „Die Politik schlafwandelt seit Jahren“, so Marschall. Deutschland liege oft falsch mit seinen Erwartungen an die internationale Entwicklung, wie zum Beispiel bei der Wahl Trumps 2016 und 2024 sowie dem Angriff Putins auf die Ukraine: „Keine Vorbereitung, kein Plan B!“.

Und doch ins Positive?
Dabei sollte sich die weltweit drittgrößte Volkswirtschaft Deutschland nicht andauernd selbst unterbewerten. Immerhin produziert man mit 1 % der Weltbevölkerung 4,3 % der Weltwirtschaft. Diese ökonomische Stärke sei jedoch stark exportgetrieben, aber die Märkte USA und China wackeln derzeit gehörig. „Ohne Sicherheit ist alles andere nichts“, die Erhöhung des Wehretats von 1,5 auf 3,5 bis 5 % sei daher absolute Priorität (und ein Wachstumstreiber).

„Deutschland kann Krise“, gibt sich Marschall überzeugt. Die Abhängigkeit von russischem Gas sei in atemberaubender Geschwindigkeit abgelegt worden, so ein Positivbeispiel. Auch Frankreich und Großbritannien (trotz Brexit) scheinen gewillt, sich gegen Russland zu stellen. Ob die EU hier das richtige Vehikel für neue Stärke ist, scheint schon alleine aufgrund des Einstimmigkeitsprinzips in vielen Fragen zweifelhaft. Eine Koalition der Willigen, also von Nationalstaaten, scheint auch nicht perfekt, aber unkomplizierter. Feiert etwa Charles de Gaulle‘s „Europa der Vaterländer“ ein Comeback? Amerikanische Verteidigung, russisches Gas, unendlicher Absatzmarkt China – das ist vorbei.

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