Wasserstofftechnologie hängt noch zu stark von Politik und Energiepreisen ab
Ein Marktkommentar von Christian Rom, Portfoliomanager DNB Fund Renewable Energy bei DNB Asset Management.
(06.06.) Energiesicherheit und Erneuerbare Energie stehen im Blickfeld vieler Investoren. Dabei hat sich die Kostenwettbewerbsfähigkeit erneuerbarer Technologien in den letzten Jahren aufgrund ihrer Lernkurven stetig verbessert, was das Thema Elektrifizierung und die damit verbundene politische Unterstützung vorangetrieben hat. Die Turbulenzen an den Energiemärkten nach der Energiekrise haben ihre relative Wettbewerbsfähigkeit im Vergleich zu fossilen Brennstoffen nur noch weiter verbessert.
Wasserstoff könnte bei der Dekarbonisierung schwieriger Sektoren wie der energieintensiven Industrie (Zement und Stahl), der Schifffahrt und dem Schwerlastverkehr eine Rolle spielen. Allerdings ist die Effizienz der Technologie gering und befindet sich in einem frühen Stadium ihrer Entwicklungskurve und hängt daher von billiger erneuerbarer Energie und politischer Unterstützung ab. Der Wasserstoff- und Brennstoffzellensektor hat bereits Fehlstarts erlebt, aber der von der Emissionspolitik ausgehende Impuls sowie die angekündigten Pläne für Wasserstoff sollten stark genug sind, um einen “echten Start” darzustellen. Allerdings ist es noch zu früh, um zu bestimmen, welche Unternehmen sich in diesem Sektor hervorheben werden und welche Art von Rendite sie bieten können.
Aktuelle Top-Positionen im Bereich Erneuerbarer Energien
IMCD (6,1 % des Fonds) ist Vertreiber von Spezialchemikalien und Lebensmittelzutaten, die umweltfreundlichere Inputs und Produkte für seine Kunden und deren Kunden ermöglichen. Das Unternehmen verfügt über eine einzigartige Wettbewerbsposition, die es weiterhin nutzt, indem es seine geografische Reichweite und sein Angebot durch sowohl organische als auch anorganische Initiativen ausweitet. Dies spiegelt sich unserer Ansicht nach nicht vollständig in der Bewertung wider.
Vestas (5,4 % des Fonds) ist als Weltmarktführer bei Onshore-Windturbinen stark positioniert, um vom Wachstum der Offshore-Windenergie zu profitieren. Das Unternehmen senkt nachweislich die Kosten durch technologische Innovation und Optimierung der Lieferkette. Konsolidierte Branche mit einem hohen Anteil an wiederkehrenden Serviceeinnahmen mit langfristig hohen Margen.
Sunrun (5,8 % des Fonds) ist führender Anbieter von Solarenergie für Wohnhäuser und Batterien in den USA. Sunrun hat das Geschäftsmodell “Residential Solar as a Service” erfunden, das es Haushalten ermöglicht, ohne Investitionen auf Solarenergie umzusteigen und ihre Stromkosten zu senken.
Darling Ingredients (4,9 % des Fonds) ist das größte börsennotierte Unternehmen im Segment der Umwandlung von Lebensmittelabfällen in nachhaltige Produkte und einer der führenden Hersteller von erneuerbarem Diesel. Angesichts der Entwicklung der Industrie für erneuerbare Kraftstoffe sind wir der Ansicht, dass Darling gut positioniert ist, da das Unternehmen derzeit 10-15 % der Abfälle der globalen Fleischindustrie in Kraftstoffzutaten und andere Mehrwertprodukte wie Kollagen, Düngemittel und Futtermittelzutaten umwandelt.
Tech-Riesen als Anlagefalle?
Übertriebene Bewertungen erhöhen das Risiko für Investoren enorm.
Roman Steinbauer. Steigende Aktienindizes des US-Technologiesektors deuten erneut auf einen breiten Anstieg des offensiven Anlagesegments. Bei einer Betrachtung der Einzelwerte wird klar: Wenige, aber vor allem die prominentesten Tech-Aktien zogen zuletzt den Nasdaq 100, den Nasdaq Composite (beinhaltet 3.000 Einzelwerte) sowie den relativ technologielastigen S&P-500-Index teils bis auf 11 % an die Rekordstände des November 2021 heran. Obwohl hohe Zinsen dem Segment grundsätzlich zuwiderlaufen, feuerten starke Quartalszahlen oder vielversprechende Prognosen von Apple (ISIN: US0378331005), Alphabet (US02079K1079), Microsoft (US5949181045), Amazon (US0231351067), Meta (US30303M1027) oder Oracle (US68389X1054) die Kursanstiege an. Aber auch Veröffentlichungen über Entwicklungserfolge durch die gewichtigsten Gesellschaften bereiteten die Zutaten der jüngsten Aktienhausse. So spitzt sich der Wettlauf um die Vorstellung leistungsstarker Datenbrillen zwischen dem Meta- und dem Apple-Konzern zu.
Seit Jahresbeginn zogen die Kurse von Apple um 40 % auf das Allzeit-Hoch von 180 USD, jene von Microsoft um 42 % auf 332 USD empor. Einer Rekordbewertung strebten zudem die Notizen der Oracle mit +26 % entgegen, während Alphabet mit +24 % weit überdurchschnittlich kletterte. Zwar befinden sich Papiere von Amazon noch 30 % unter dem Top von 123 USD, dennoch machten sie seit Jahresbeginn 42 % an Terrain gut. Am spektakulärsten stiegen unter den Schwergewichten aber seit 1. Jänner die Wertpapiere der Nvidia Corp. (US67066G1040) mit +170 %. Damit verdrängte die Gesellschaft aus Santa Clara mit einer Marktkapitalisierung von derzeit 934 MrdUSD (869 Mrd. Euro) unter den gesuchtesten Anlagefavoriten der obersten Riege den Media-Streaming-Vorreiter Netflix (umgerechnet 167 Mrd. Euro Marktwert) aus dem führenden halben Dutzend. Innerhalb weniger Wochen wurde Nvidia als Entwickler von Grafikprozessoren unter Investoren als bevorzugter Auftragsgewinner von Investitionen in die KI-Technologie definiert. So bezog sich der Nachrichtendienst Reuters in der Vorwoche auf Daten des Investment-Research-Hauses Vanda, wonach im Mai Individual-Anleger 28 Millionen Stück Nvidia-Aktien handelten und das Unternehmen in dieser Hinsicht bereits an vierter Stelle liegt. Davon unbeeindruckt, legte die Bewertung von Netflix auch um ein Drittel zu. Der Großteil an Aktien untergeordneter Ränge im Tech-Universum konnte sich diesen rasanten Anstiegen keineswegs anschließen.
Wenn auch am Beispiel des jüngsten Börsenstars Nvidia seitens diverser Investmentbanken Kurszielwerte bis zu 500 USD pro Aktie genannt wurden (JP MorganChase, Barclays Capital), erinnern relevante Bewertungsparameter an Zeiten höchster Auswüchse. Selbst ein eintreffendes jährlich hohes zweistelliges Wachstum würde einen langen Bestand erfordern, um die Verhältnisse zu rechtfertigen: Preis/Umsatz: 36, Preis/Cashflow: 76, Preis/Buchwert: 38, KGV 206. Dan Suzuki, Investment-Chef bei Richard Bernstein Advisors, äußerte sich in der Vorwoche im US-Nachrichtenkanal CNBC so: „Die Übertreibungen der Bewertungen erhöhen das Risiko enorm.“ Amy Wu Silverman, Managing Director bei RBC Capital Markets, zeigte sich gegenüber Bloomberg ebenso skeptisch: „Wer noch kaum investiert ist, sollte vorsichtig sein, jetzt noch aufzuspringen.“ Die laufende Rallye im Dunstkreis von KI übertünche zudem ungezügelte, heftige Rotationsprozesse in den Anlageklassen.
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Medikamente mit enormem Potenzial
Adipositas betrifft breite Bevölkerungsschichten. Lösungen sind in Sicht.
Red/ks. Präparate bzw. der Kampf gegen die Fettleibigkeit sind zuletzt in den Mittelpunkt gerückt. Adipositas ist ein Thema, das weltweit leider breite Bevölkerungsschichten betrifft, wo sich aber auf der Medikamenten-Seite Lösungen abzeichnen.
Experten gehen davon aus, dass in diesem Zusammenhang ein Milliardenmarkt im Entstehen ist. Der Börsen-Kurier sprach dazu mit Terence McManus, er ist Lead Portfoliomanager des „Bellevue Diversified Healthcare“ (ISIN: LU2441707499).
Börsen-Kurier: In den Medien wurde dem Adipositas-Medikament Wegovy viel Aufmerksamkeit zuteil. Welches Potenzial hat das Präparat?
Terence McManus: Wir rechnen damit, dass sich der Markt für Medikamente gegen Fettleibigkeit zu einem der bedeutendsten im medizinischen Bereich entwickeln wird. Vor zwei Jahren hatte er ein Volumen von nur ein oder zwei Milliarden US-Dollar, aber die Lancierung von Novo Nordisks GLP-1-Rezeptoragonisten Wegovy hat sich als entscheidender Impulsgeber erwiesen. Wegovy erfüllt in Sachen Wirksamkeit inzwischen die Erwartungen der Patienten und punktet durch geringe Nebenwirkungen. Der Konsens räumt dieser Wirkstoffklasse allein im Bereich Adipositas einen Spitzenumsatz von mindestens 30 MrdUSD ein.
Börsen-Kurier: Warum nimmt dieser Markt so plötzlich Fahrt auf?
McManus: In den USA haben die unterschiedlichen Akteure mittlerweile anerkannt, dass Adipositas eine ernst zu nehmende Krankheit darstellt und als solche behandelt werden muss. Daher findet der Markt inzwischen ideale Rahmenbedingungen vor: Die Kosten für Adipositas-Medikamente werden (teilweise) erstattet, Ärzte sprechen sich für diese Präparate aus, es herrscht Nachfrage auf Patientenseite und seit kurzem ist ein wirksames Mittel erhältlich. Die positiven Auswirkungen dieser Medikamente auf die langfristigen Kosten im Gesundheitswesen sind ausreichend bekannt, auch wenn noch umstritten ist, ab welchem Grad der Erkrankung ein positiver pharmaökonomischer Nutzen erzielt wird.
Börsen-Kurier: Welchen Patienten werden die Kosten für Adipositas-Medikamente erstattet?
McManus: In den USA wird ein großer Teil der privaten Krankenversicherungen die Kosten für die Behandlung mit Wegovy voraussichtlich übernehmen. In einigen Fällen sogar bereits ab einem Body-Mass-Index (BMI) von 27, sofern eine Komorbidität vorliegt, wie beispielsweise die Erkrankung an Bluthochdruck. Dabei handelt es sich um einen sehr niedrigen Schwellenwert, denn per Definition gilt ein Patient mit einem solchen BMI nicht als fettleibig! In Europa zeigt sich ein uneinheitlicheres Bild. So erstattet derzeit nur etwa die Hälfte der größten europäischen Länder die Kosten, macht aber einen höheren BMI als in den USA geltend.
Börsen-Kurier: Wegovy ist ein GLP-1-Rezeptoragonist, eine Wirkstoffklasse zur Behandlung von Diabetes. Wie sehen Sie die Zukunft dieser Wirkstoffklasse?
McManus: Nach unserem Dafürhalten werden sich GLP-1-Rezept-oragonisten zu einer der bislang größten Wirkstoffklassen entwickeln angesichts der Vielzahl möglicher Krankheiten, deren Behandlung von einem Eingriff in den Stoffwechsel profitieren könnte. Beim Spitzenumsatz könnte die Wirkstoffklasse monoklonalen PD-1-Antikörpern bei Krebsleiden oder Anti-TNFs bei Autoimmunerkrankungen den Rang streitig machen. Zur Behandlung von Diabetes werden GLP-1-Rezeptoragonisten bereits seit geraumer Zeit eingesetzt, wobei der Behandlungsalgorithmus seitdem weiterentwickelt wurde. Es ist bekannt, dass GLP-1-Rezeptoragonisten bei Diabetikern zu Gewichtsverlust und zur Verringerung kardiovaskulärer Ereignisse beitragen. Wir erwarten weiteren medizinischen Nutzen wie etwa positive Wirkungen bei Nierenerkrankungen oder Fettleber.
Börsen-Kurier: Welcher wichtige Impulsgeber steht bei Adipositas-Mitteln als nächster an?
McManus: Als bedeutender Katalysator steht zur Jahresmitte die Veröffentlichung der Ergebnisse der klinischen Studie „SELECT“ zu Wegovy an, die den kardiovaskulären Nutzen des Medikaments für die adipöse Patientenpopulation ohne Diabetes untersucht. Fallen die Resultate positiv aus, spräche dies für eine Kostenerstattung des Präparats in den USA und Europa. Dies wiederum würde sich klar positiv auf die Bewertung von Novo Nordisk auswirken. Eli Lilly vertreibt bereits ein GLP-1-Medikament gegen Diabetes und lanciert das Präparat zum Jahresende auch für den Einsatz bei starkem Übergewicht, was den Adipositas-Markt weiter ankurbeln wird.
Börsen-Kurier: Gibt es neben Novo Nordisk und Eli Lilly andere nennenswerte Marktakteure?
McManus: Beide Unternehmen investieren intensiv in dieses Indikationsgebiet und arbeiten an der Entwicklung oraler Formulierungen und diverser Kombinationstherapien. Abgesehen von diesen beiden Platzhirschen hat Amgen vor Kurzem vielversprechende, frühe Studiendaten vorgelegt. Pfizer verfügt über zwei Wirkstoffe in der mittleren klinischen Entwicklung und Novartis forscht an der Entwicklung eines Mechanismus, der dem Fettabbau dient und den Verlust von Muskelmasse verhindern soll. Diese Konkurrenten hinken jedoch viele Jahre hinter Novo Nordisk und Eli Lilly hinterher.
Börsen-Kurier: Novo Nordisk oder Eli Lilly? Welche Aktie hat mehr Potenzial?
McManus: Uns gefallen beide Titel, aber wir setzen gegenwärtig stärker auf Novo Nordisk. Novo Nordisk ist die Nummer 1 bei Diabetes und Adipositas, während Eli Lilly deutlich breiter aufgestellt ist. Es stehen zudem Ergebnisse einer anderen Studie von Eli Lilly an, die mit großen kursrelevanten Unsicherheiten nach oben oder unten behaftet sind, also ein so genanntes „Binary-Event“. Da wir stärker an einem reinen Adipositas-Engagement interessiert sind, bevorzugen wir Novo Nordisk.
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Kryptowährungen zeigen Resilienz
Die größte Digitalwährung, der Bitcoin, liegt seit Jahresbeginn mit rund 60 % im Plus.
Patrick Baldia. Das Jahr 2022 werden Krypto-Anleger vermutlich nicht in allzu guter Erinnerung haben, sofern sie es nicht bereits verdrängt haben. Allein der Wert des Bitcoins ist um rund 65 % zurückgegangen. Aber angesichts von Entwicklungen wie den Zinserhöhungen der US-Fed, dem Zusammenbruch des Blockchain-Projekts Terra-Luna oder des FTX-Skandals ist das auch nicht völlig überraschend. Adrian Fritz, Senior Research Associate beim Schweizer Krypto-Experten 21Shares, erinnert gegenüber dem Börsen-Kurier daran, dass 2022 auch für traditionelle, zu 60 % aus Aktien und zu 40 % aus Anleihen bestehende Portfolios eines der schlechtesten Jahre über-haupt gewesen sei.
„An der Entwicklung des aus Assets, Unternehmen und der zugrundeliegenden Technologie bestehenden Krypto-Marktes ist ersichtlich geworden: Die Resilienz gegenüber Bärenmärkten ist vorhanden“, meint Fritz und verweist auf das Kursplus des Bitcoins von etwas mehr als 60 % seit Jahresbeginn. Neben der Kursentwicklung seit Jahresbeginn sei das auch an anderen Kennzahlen ersichtlich, die das siebenköpfige Research-Team bei 21Shares für die Analyse nutze und die auf ein positives bzw. besseres Marktsentiment deuten würden. Bis zum kommenden Jahr sei jedenfalls mit einer Seitwärtsbewegung des Bitcoins – ohne Tief und neues Hoch – zu rechnen.
Wie lässt sich die Resilienz des breiten Krypto-Marktes vor allem im Krisenmonat März, für den ein Plus von 20 % zu Buche steht, erklären? „Das rasche Eingreifen staatlicher Instanzen war sicher hilfreich“, meint Manuel Schleifer, Finanzmarktstratege bei Raiffeisen Research. „Der Hauptfaktor ist aber, den wir zuletzt immer wieder betont haben: die hohe Korrelation zum US-Tech-Aktiensektor.“ Diese sei wiederum das Resultat der Zinssensitivität. Denn ähnlich wie an der Nasdaq sei auch der Höhenflug diverser Kryptos der jahrelangen Niedrigzinspolitik geschuldet gewesen.
Da der Bitcoin meist in US-Dollar notiert, ist für Schleifer auch eine Gemeinsamkeit nicht abzustreiten. So würden Daten einen inversen Verlauf der Kurse zeigen. „Während der US-Dollar im Herbst sein Hoch gegenüber dem Euro markierte, bildete der Bitcoin sein Tief aus“, sagt der Analyst, um hinzuzufügen: „Die Hoffnung auf baldige Leitzinssenkungen in den USA und das weitere beherzte Vorgehen der EZB setzte dem Dollarhöhenflug aber ein Ende – mit dementsprechenden Folgen für den Krypto-Markt.“
Ziel: Umtausch in Fiat-Geld
Wie sehr der Wert des Bitcoins von einer Fiat-Währung (Anm. Fiat-Geld ist ein Wirtschaftsobjekt ohne inneren Wert, das als Tauschmittel dient; Quelle: Wikipedia) bestimmt wird und damit vom etablierten Finanzsystem abhängig ist, ist für Schleifer an Ironie kaum zu überbieten. „Seien es die klassischen Finanzintermediäre, der Staat oder das Geldsystem selbst – die Einflüsse und Abhängigkeiten sind offensichtlich und allgegenwärtig“, hält Schleifer fest. Ein in sich geschlossener Kreislauf, in den beispiels-weise Bitcoin-Maximalisten untereinander agieren, Transaktionen tätigen, Güter und Dienstleistungen mit Bitcoin bezahlen, würde für eine weitgehende Unabhängigkeit von äußeren Einflüssen wie der Geldpolitik sorgen, meint er weiter. Nachsatz: „In der Regel wird am Ende des Tages stets ein Umtausch von Kryptos in Fiatgeld angestrebt.“
Für all jene, die nicht auf dem „klassischen Weg“ in die Welt der Kryptoassets investieren möchten, könnten einschlägige ETPs (für „Exchange Traded Products“, Anm.) eine Option darstellen. Dabei handelt es sich um passiv gemanagte börsengehandelte Wertpapiere wie ETFs, ETCs (für „Exchange Traded Commodities“, Anm.) und ETNs (Exchange Traded Notes). „Anders als klassische börsengehandelte Schuldverschreibungen sind ETCs – die in der Schweiz paradoxerweise ETPs genannt werden – vollständig besichert und verfügen über ein stark reduziertes Gegenparteirisiko“, erklärt uns Bernhard Wenger, Head of Northern Europe bei 21Shares. Selbst im Falle eines Zahlungsausfalls hätten Anleger vorrangige Ansprüche auf das Vermögen in Krypto-ETPs.
Ein paar Beispiele für ETPs aus dem Haus 21Shares: Mit dem „21Shares Bitcoin ETP“ (ISIN: CH0454664001) können die Anlageergebnisse der größten Kryptowährung verfolgt werden. Als Inflationsschutz ist der „21Shares Bytetree BOLD ETP“ (CH1146882308) gedacht. Dieser bildet einen Index aus Bitcoin und Gold ab, der monatlich, entsprechend der inversen historischen Volatilität der einzelnen Vermögenswerte neu ausgerichtet wird. Der 21Shares Bitcoin Core ETP (CH1199067674) zielt wiederum darauf ab, ein Investment in Bitcoin zu ermöglichen.
Aufgrund der hohen Volatilität bei Kryptowährungen sollten Anleger das Risiko von Kursverlusten beachten.
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Warum der nächste Wirtschaftsaufschwung stärker ausfallen könnte als erwartet
Eine Einschätzung von USA-Experte Jared Franz von der Capital Group.
(31.05.) Seit Monaten beschäftigt die Anleger die Frage nach einer Rezession, wie stark diese ausfallen wird und was danach kommen könnte. Jared Franz, US-Wirtschafts-Experte bei Capital Group, ist der Meinung, dass es, trotz gewisser Risiken, viele Gründe für einen Aufschwung gibt, der stärker ausfallen könnte als in vorherigen Zyklen.
„Ich glaube, dass wir uns bereits am Rande einer Rezession befinden“, erläutert Franz. „Und da die Inflation immer noch über dem 2 %-Ziel der Fed liegt und die Arbeitsmärkte angespannt sind, hat die Zentralbank noch einiges zu tun. In Anbetracht der jüngsten Turbulenzen im Bankensektor dürfte die Fed derzeit ihre Zinserhöhungspläne zurückhalten, aber ich glaube, dass sie die Zinsen so lange anheben wird, bis sich die Inflation weiter verlangsamt.“
Franz erwartet einen Rückgang des US-Amerikanischen Bruttoinlandsprodukts (BIP) um 1,0 %, was als „milde“ Rezession gelten würde. Das wäre wesentlich weniger als der Rückgang von 4,5 %, den die Anleger während der globalen Finanzkrise von 2007 bis 2009 erlebten, und käme einer herkömmlichen Rezession näher. Damit sollen die Auswirkungen der Rezession auf den Einzelnen nicht kleingeredet werden, betont der Experte: „Rezessionen, und seien sie noch so mild, können schmerzhaft sein.“
Ein weiterer Risikofaktor sei der schwächelnde US-Immobilienmarkt. Die Verkäufe seien im März zurückgegangen, was den zweiten Monat in Folge zu einem Rückgang der Immobilienpreise geführt habe. Franz rechnet jedoch damit, dass die Preise noch einmal um 10 % sinken und sich dann wieder erholen werden. Dies könne dazu beitragen, die Verschlechterung der Bilanzen der privaten Haushalte zu begrenzen, was das Vertrauen der Verbraucher stärken könnte.
Basis für starke Erholung gegeben
„Wenn wir einen solchen Aufschwung erleben sollten, gibt es meiner Meinung nach zwei Gründe, warum er stärker ausfallen wird als frühere Zyklen“, so Franz. Erstens bestehe möglicherweise kein Bedarf an einem groß angelegten Schuldenabbau wie bei der Finanzkrise. Da so viele Unternehmen mit einer Konjunkturschwäche gerechnet hätten, seien bereits Maßnahmen ergriffen und Aufträge aufgeschoben worden, um Überschüsse aus der Wirtschaft herauszuarbeiten. Zweitens sei der US-Verbrauchersektor im Vergleich zu früheren Zyklen stark. Gesunde Arbeitsmärkte, Lohnzuwächse und das Vermögen der privaten Haushalte dürften wichtige Katalysatoren für eine robustere Erholung sein.
„Ich rechne außerdem damit, dass eine moderatere Inflation die Stärke der Verbraucher weiter unterstützen wird“, so Franz. „Es wird zwar einige Zeit dauern, bis die Fed die Inflation auf ihr Ziel von 2,0 % gesenkt hat, aber ich glaube, dass sie sich in der Nähe von 3,0 % einpendeln wird.“ Akademische Studien hätten gezeigt, dass die Verbraucherausgaben von einer Inflation um die 3,0 % tendenziell nicht wesentlich beeinflusst würden. Eine eingedämmte Inflation würde wahrscheinlich das Vertrauen der Verbraucher stärken. Zudem erwartet Franz, dass sich die Inflation bis 2025 auf 2,0 % bis 2,5 % zubewegen wird.
„Ich gehe auch davon aus, dass wir nach der Rezession eine stärkere Wohnungsnachfrage erleben werden“, sagt der Experte. „Der demografische Wandel und die steigende Zahl der Haushaltsgründungen lassen eine Erholung der Wohnungsnachfrage erwarten. Die Beliebtheit der Telearbeit dürfte die Nachfrage nach Wohnraum in Vorstädten, in Gebieten außerhalb der Vorstädte und in Städten der zweiten Reihe ebenfalls ankurbeln.“
Was bedeutet das für die Anleger?
Solide Fundamentaldaten des Arbeitsmarktes, die Bilanzen der privaten Haushalte und eine nachlassende Inflation könnten zu einem Wachstum von 3,0 % im US-Verbrauchersektor führen. Dies sei wichtig, da die Verbraucher etwa 67 % der US-Wirtschaft ausmachen würden. „Es ist wichtig zu betonen, dass eine Rezession zu einem gewissen Rückgang auf dem Arbeitsmarkt führen wird, aber ich erwarte, dass sich der Arbeitsmarkt erholen wird“, resümiert Franz.
Starke Löhne und ein hohes Verbrauchervertrauen könnten außerdem die Verbraucherausgaben ankurbeln, was wiederum zu einem Aufschwung in einer Reihe von Branchen führen könne, auch im Reise- und Freizeitsektor. Darüber hinaus könne eine Erholung des Wohnungsmarktes nicht nur den Bauausgaben, sondern auch den Ausgaben für andere langlebige Güter wie Haushaltsgeräte Rückenwind verleihen.
In der Vergangenheit habe der Aktienmarkt dazu geneigt, Erholungen vorwegzunehmen und sich vor jeder Konjunkturwende zu erholen.
Ein goldenes Zeitalter
Das begehrte Edelmetall könnte auf 4.800 US-Dollar klettern.
Harald Kolerus. Er wird von „Rohstoff-Bullen“ heiß ersehnt, ist mehr als 400 Seiten stark, erscheint in Deutsch, Englisch, Spanisch und bald auch Chinesisch: Der „In Gold We Trust-Report“ vom liechtensteinischen Vermögensverwalter Incrementum AG. Jetzt wurde er wieder publiziert – mittlerweile zum 17. Mal. Die beiden Autoren und Incrementum-Fondsmanager Ronald-Peter Stöferle und Mark J. Valek präsentierten das schwergewichtige Paper. Es findet übrigens knapp 2 Mio Leser und steht kostenlos zum Download bereit (ingoldwetrust.report).
Inflation stützt Gold
Auf den Punkt gebracht, zeigen sich die Experten optimistisch für Gold, was vielfältige Gründe hat. Ein Argument ist die hohe Inflation, mit richtiger Entspannung wird an dieser Front nicht gerechnet. Auch wenn die Teuerungsraten in den USA und der Eurozone zuletzt gefallen sind, gehen die Autoren davon aus, dass eine weitere Inflationswelle folgen wird (wenn nicht sogar mehrere). Viele Faktoren seien dafür verantwortlich, z. B. demographische Entwicklungen, aber auch der verstärkte Fokus auf die Fiskalpolitik. Stöferle: „Die Geldpolitik tritt in den Hintergrund, zu Gunsten fiskalischer Maßnahmen. Regierungen gefallen sich in der Rolle, kräftig zu spendieren.“ Das treibt natürlich inflationäre Tendenzen an, recht beachtliche Lohnabschlüsse tragen eben-falls ihr Scherflein bei. Dann hätten wir noch das Phänomen der „Greenflation“, also der Tatsache, dass die grüne Energiewende und der Umstieg auf nachhaltiges Wirtschaften gut, aber eben auch teuer sind. Des Weiteren nimmt die De-Globalisierung zu, bzw. wird der Globalisierungsprozess zumindest gehemmt. Soll heißen: Nationaler Protektionismus wird forciert, Handelsbeschränkungen werden aufgebaut, produziert wird möglichst nahe, und nicht dort, wo es am billigsten ist. Zu schlechter Letzt kommen noch der Ukraine-Krieg und weltpolitische Spannungen ins Spiel. Im Report heißt es dazu: „De-Globalisierung und weltweite Aufrüstung sprechen für ein strukturell – und nicht bloß vorübergehend – inflationäres Umfeld mit hoher Volatilität der Teuerungsraten.“
Rezession: Wie das Amen im Gebet
Was den Verbraucher schmerzt, ist aber gut für Gold-Liebhaber, denn das Edelmetall gilt als klassischer Inflationsschutz und Krisenwährung. Apropos Krisen: Die Incrementum-Experten gehen von einem Abrutschen in die Rezession in den kommenden zwölf Monaten aus, das komme „so sicher wie das Amen im Gebet“, zeigte sich Stöferle vor allem mit Blick in Richtung USA überzeugt. Er wies in diesem Zusammenhang auf die hohe Verschuldungsrate in den Vereinigten Staaten hin, und zwar bei Konsumenten, Unternehmen und der öffentlichen Hand. Die harsche Zinssituation würde die „gehebelte Volkswirtschaft“ unter Druck setzen und in einem Wirtschaftsabschwung enden. Wobei Ökonomen zwischen einer harten und milden Rezession unterscheiden – der Börsen-Kurier wollte wissen, welche Form die wahrscheinlichere sei? Darauf antwortete Valek: „Es ist schwierig zu quantifizieren, ob es zu einem Hard- oder Soft-Landing kommen wird. Unsere Einschätzungen liegen aber im Bereich einer harten Landung.“ Stöferle bestätigte und hält einen stark spürbaren Wirtschaftsabschwung zumindest in den USA für sehr wahrscheinlich: „Natürlich wünscht sich jeder eine milde Rezession, und dass danach alles schnell wieder in die Höhe geht, so wird eine harte Landung auch von Analysten nicht eingepreist. Indikatoren wie die Arbeitsmarktdaten und der Leading Economic Index (LEI) sprechen allerdings für eine tiefe Rezession.“ Anmerkung: Der LEI wird vom unabhängigen Forschungsverband Conference Board erstellt und hat seit 1968 jede Rezession verlässlich vorhergesagt …
Der Profiteur
Geopolitische Spannungen, kein Teuerungsstopp und dann auch noch Rezession – kein behaglicher Ausblick. Aber auch schlechte Nachricht bergen oft Gutes: Gold erweist sich nämlich gerade in Zeiten wirtschaftlicher Abschwünge als Renditebringer. Stöferle und Valek haben sich intensiv mit der Performance unterschiedlicher Asset-Klassen während einer Rezession auseinandergesetzt, dafür erfolgte die Unterteilung in fünf Phasen. Die Auswertung für Gold, Silber, Aktien allgemein, Rohstoffe und Minenaktien zeigt, dass sich Gold mit einer durchschnittlichen Performance von 10,6 %, während dem gesamten Rezessionszeitraum am besten als Hedge eignet. Allerdings muss man differenzieren: Während in den Phasen 1 und 2 die Performance von Gold mit 10,9 und 5,7 % sehr positiv ist, fällt sie in den späteren Phasen mit Werten jeweils unter 3 % deutlich schwächer aus. Ergo: Der Zeitpunkt erscheint jetzt nicht als der Schlechteste, um Goldbestände aufzubauen. Obwohl das richtige Market-Timing kaum zu erwischen ist, sind regel-mäßige Zukäufe wohl die sinnvollere und zugleich weniger nervenaufreibende Vari-ante.
Glänzender Ausblick
Jedenfalls zeigen sich die Experten weiter optimistisch; Valek: „Wir bestätigen unser langfristiges Goldpreisziel, es liegt im Basisszenario am Ende der Dekade bei 4.800 USD. Das würde einer Rendite von 12,5 % pro Jahr entsprechen.“ Diese Vorgabe erscheine laut dem Fondsmanager „mehr als realistisch“, vor allem wenn man im Hinterkopf behalte, dass in den 2000er-Jahren die annualisierte Rendite bei knapp 14,5 % lag.
Aber auch kurzfristiger gesehen sollte Gold anziehen: Die Spezialisten gehen davon aus, dass das Edelmetall schon bald auch auf Dollar-Basis sein All-Time-High knacken könnte. „Jetzt schon wurde immer wieder mit den Höchstständen geflirtet“, so Stöferle. Die Prognose lautet: 2.180 USD Ende des heurigen dritten Quartals und 2.500 USD bis zum dritten Quartal 2024. Zur Verdeutlichung: Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Gold-Reports hielt das Edelmetall bei 1.960 USD pro Feinunze. Gehen die Prognosen auf, könnte man sich aus heutiger Sicht also über einen Zugewinn von rund 11 bzw. 27 % freuen.
Interessant: Minenaktien
Im Report wurden aber auch andere Anlagemöglichkeiten durchgecheckt: Keine schlechten Karten hätten demnach langfristig Minengesellschaften, denn diese haben in den vergangenen zehn Jahren viel zu wenig investiert, es besteht Nachholbedarf. Und die Tatsache, dass die Branche über die höchsten Barmittelbestände seit Beginn der Aufzeichnungen verfügt, sowie Schulden abgebaut hat, schreit nahezu nach Fusionen und Übernahmen.
Fazit
Investments rund um Gold haben laut der sehr umfassenden Analyse einiges zu bieten, aber natürlich ist es nicht ratsam, alles auf eine Karte setzen. Eine „goldene Regel“ lautet: Das Edelmetall sollte in einem gut gestreuten Gesamtportfolio rund 10 % ausmachen.
Foto: AdobeStock / Subbotina Anna
Kunterbunte Schönfärberei bei ESG
Green, brown, blue, pink: Nachhaltigkeit kennt viele bunte Schattierungen.
Andreas Dolezal. Unternehmen schmücken ihre Waren und Dienstleistungen, darunter auch Finanzprodukte, gerne mit Attributen wie grün, klimafreundlich und nachhaltig. Sie geben sich damit in der Öffentlichkeit und gegenüber (potenziellen) Kunden ein „grünes Image“. Klar, Nachhaltigkeit, Klima- und Umweltschutz liegen im Trend. Konsumenten, Mitarbeiter und Lieferanten suchen und bevorzugen heutzutage Unternehmen, die ihrer nachhaltigen Verantwortung ehrlich gerecht werden.
Grünfärberei auf der Spur
Handelt es sich aber lediglich um einen grünen Anstrich (oder gar eine bewusste Täuschung), dem keine angemessenen und wahrheitsgemäßen Maßnahmen zu Grunde liegen, sprechen wir von Greenwashing. Dies stößt nicht nur der Öffentlichkeit sauer auf. Verbraucherschutzverbände, Juristen, investigative Recherche-Netzwerke und Medien entlarven Grünfärberei zunehmend. Zum Reputationsschaden gesellt sich dann eventuell auch ein Verstoß gegen das Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb. Auch die EU plant strengere Regeln und gezielter gegen Grünfärberei vorzugehen.
So vielschichtig sich Nachhaltigkeit in der Praxis gestaltet, so bunt sind mittlerweile auch die verschiedenen Facetten der Schönfärberei. Das Gegenteil von Greenwashing etwa heißt Brownwashing (auch Greenbleaching oder Grünbleiche).
Neu: Brownwashing
Brownwashing bezeichnet die Praxis von Unternehmen, zwar sehr wohl nachhaltig, klima- und umweltbewusst zu handeln, dies jedoch nicht zu kommunizieren, sondern für sich zu behalten. Dahinter steckt nicht immer falsche Bescheidenheit. Stake- bzw. Shareholder könnten Beiträge zum Klima- und Umweltschutz kritisieren, weil ihnen die Kosten dafür zu hoch erscheinen, oder die damit erzielten Vorteile zu gering. Finanzdienstleister umschiffen mit Brownwashing die überbordende Bürokratie, die mit nachhaltigen Finanzprodukten einher geht. Braun gefärbt sind also jene, die de facto grüner sind, als sie sich zeigen.
Beim Bluewashing werben Unternehmen mit sozialen und gesellschaftlichen Merkmalen, wie der Achtung der Menschenrechte und fairen Löhnen, denen aber keine oder nur oberflächliche Maßnahmen gegenüberstehen. Bluewashing lenkt davon ab, dass sich Unternehmen nicht ernsthaft um ihre soziale Verantwortung bemühen. Das Blau leitet sich von der Corporate-Farbe der Vereinten Nationen ab. Der UNO wird vorgeworfen, das freiwillige Einhalten der zehn Prinzipien des UN Global Compact nicht zu überprüfen. Unternehmen, die sich damit rühmen, aber tatsächlich nicht daran halten, betätigen sich als Bluewasher.
Der Schein trügt manchmal
Pinkwashing betreiben Unternehmen, die in der Öffentlichkeit mit der Regenbogenfahne werben, sich also augenscheinlich mit der LGBTIQ-Community (Lesben, Homosexuelle, Bisexuelle, Transgender, Intersexuelle, Queere) solidarisieren, diese in der Praxis aber gar nicht unterstützen. Pinkwasher wollen damit modern, fortschrittlich und tolerant wirken. Das Pink stammt von den rosa Schleifen, die als Symbol für das Engagement gegen Brustkrebs gelten, und mit denen US-amerikanische Kosmetik- und Pharmafirmen in der Vergangenheit missbräuchlich warben.
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Mercosur spaltet das Land
Wenn es um das Handelsabkommen geht, gehen die Meinungen auseinander.
Christian Sec. Seit 2019 ist das Mercosur-Freihandelsabkommen zwischen der EU und den südamerikanischen Staaten Argentinien, Paraguay, Brasilien und Uruguay ausverhandelt. Das Abkommen würde 91 % aller Zölle zwischen den beiden Wirtschaftsräumen abschaffen. Trotzdem steht Österreich gemeinsam mit Staaten wie Frankreich und Irland auf der Ratifizierungsbremse. Im Jahr des Verhandlungsabschlusses hat der Österreichische Nationalrat einen bindenden Beschluss zur Ablehnung des EU-Mercosur-Abkommens in der bestehenden Form gefasst, dem alle Parteien bis auf die NEOS zugestimmt haben. Die Regierung bleibt bis heute ihrem „Nein“ treu. Landwirtschaftskammer und Arbeiterkammer unterstützen die Haltung der Regierung, während die Vertreter der Wirtschaft und Industrie einen Beitritt befürworten.
Kein faires Abkommen
Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig bemängelte bei einem Vortrag in der Hagelversicherung in Wien im bestehenden Vertrag vor allem ein fehlendes Nachhaltigkeitskapitel. „Wenn wir in Europa in Bezug auf Klima- und Umweltschutz in Vorleistung gehen, dann kann es nicht egal sein, wie die Importe aussehen, und von wo sie kommen.“ Totschnig betont, dass dies keine kategorische Abwehrhaltung gegen Freihandelsabkommen sei. „Wir sind für Handelsabkommen, sofern sie fair sind.“ Darunter fallen für ihn z. B. Abkommen mit Neuseeland, Singapur oder auch CETA (EU-Kanada).
Der Zuckerhersteller Agrana sprach bereits in einer Aussendung von 2019 von einem politischen Fehler, falls die EU diesen Vertrag unterzeichnet. „Unsere Argumentation habe sich seither nicht wesentlich geändert“, erklärt Markus Sima, Sprecher von Agrana, gegenüber dem Börsen-Kurier. „Tatsache sei, dass die heimischen Rübenbauer und unsere Zuckerproduktion schon heute mit Wettbewerbsverzerrungen durch eine ungleiche Pflanzenschutzpolitik auf dem Weltmarkt konfrontiert ist“, so Sima. „Jede Harmonisierung von internationalen Regulierungen muss unter der Auflage stehen, dass auch die jeweiligen europäischen Qualitätsstandards eingehalten werden.“
Industrie für schnelle Ratifizierung
Profiteur eines Abkommens wäre jedenfalls die Industrie. Immerhin würde die neue Freihandelszone einen leichteren Zugang zu einem Absatzmarkt von 270 Millionen Menschen ermöglichen. Allein Brasilien mit seinen 215 Millionen potenziellen Konsumenten wäre ein reizvoller neuer Kundenmarkt für viele Unternehmen, der jedoch weiterhin seine international wenig konkurrenzfähige Industrie durch hohe Zölle schützt. Insgesamt gehe die EU nach vollständiger Umsetzung des Vertrags von einer Zollersparnis für europäische Exporteure in der Höhe von 4 Milliarden Euro aus. Darüber hinaus sollen Produktzertifizierungen vereinfacht werden und der öffentliche Beschaffungsmarkt für Mercosur-Länder für europäische Anbieter geöffnet werden, schreibt die Industriellenvereinigung. Diese verlangt von der Kommission ein aktives Drängen nach einem Abschluss. Man sollte in Europa die aktuelle Chance nicht verspielen und anderen globalen Playern, wie z. B. China, wertvolle Wirtschaftsbeziehungen überlassen, erklärt Christoph Neumayer, Generalsekretär der Industriellenvereinigung (IV) in einer Aussendung. „Die Mercosur-Region ist reich an Rohstoffen und seltenen Erden, die für die grüne Transformation immer mehr benötigt wird.“
WKÖ-Generalsekretär Karlheinz Kopf verweist darauf, dass die hohen europäischen Standards im Sozial-, Umwelt- und Lebensmittelbereich durch das Mercosur-Abkommen weiter sichergestellt sind.
Die von Börsen-Kurier befragten Industrieunternehmen fühlen sich anscheinend von der IV gut vertreten und wollten sich zu der Causa nicht weiter äußern.
In Zeitlupe auf Kollisionskurs
Nouriel Roubini über das angespannte Verhältnis zwischen den USA und China.
Nouriel Roubini. Vor kurzem nahm ich am China Development Forum (CDF) in Peking teil, einer alljährlichen Tagung ausländischer Wirtschaftslenker, Wissenschaftler, ehemaliger politischer Entscheidungsträger und von Mitgliedern der chinesischen Führung. Die diesjährige Tagung war die erste seit 2019, die vor Ort abgehalten wurde, und bot westlichen Beobachtern Gelegenheit, die neue chinesische Führungsspitze einschließlich des neuen Ministerpräsidenten Li Qiang zu treffen. Zugleich war die Veranstaltung die erste Gelegenheit für Li seit seinem Amtsantritt, selbst ausländische Vertreter zu treffen. Während viel davon die Rede war, dass der chinesische Präsident Xi Jinping enge Getreue auf Schlüsselpositionen innerhalb der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) und der Regierung befördert habe, boten unsere Gespräche mit Li und anderen hochrangigen Vertretern der chinesischen Führung eine nuanciertere Sicht auf deren Politik und Führungsstil.
Pro „Reform und Öffnung“
Bevor er im März Ministerpräsident wurde, diente Li als Parteisekretär der KPCh in Shanghai. Als Wirtschaftsreformer und Verfechter privaten Unternehmertums spielte er eine wichtige Rolle dabei, Tesla zum Bau einer riesigen Fabrik in der Stadt zu bewegen. Während der Covid19-Pandemie setzte er Xis strenge Null-Covid-Politik durch und überwachte den zweimonatigen Lockdown Schanghais.
Zum Glück für Li wurde er für seine Loyalität belohnt und nicht zum Sündenbock für das Scheitern dieser Politik gemacht. Seine enge Beziehung zu Xi versetzte ihn zudem in die Lage, den Präsidenten zu überzeugen, die Null-Covid-Beschränkungen über Nacht aufzuheben, als sich diese als nicht durchhaltbar erwiesen. Während unseres Treffens wiederholte Li Chinas Bekenntnis zur „Reform und Öffnung“ – eine uns auch von anderen Mitgliedern der chinesischen Führung vermittelte Botschaft.
Erfrischend freundlich …
Lis bemerkenswerte Jovialität stand im starken Gegensatz zum reservierten Auftreten des früheren Ministerpräsidenten Li Keqiang, den wir in früheren Jahren während dessen Amtszeit getroffen hatten. Bei unserem Treffen brachte Li Apple-Chef Tim Cook lauthals zum Lachen, indem er seine fröhliche Stimmung auf ein virales Video zurückführte, in dem Cook beim Besuch eines Apple-Geschäfts in Peking von der Menge applaudiert wurde. Er machte sogar Witze über ein in derselben Woche viral verbreitetes Video, in dem US-Abgeordnete TikTok-Chef Shou Zi Chew in die Mangel nehmen. Anders als Cook, so merkte er an, habe der bedrängte TikTok-Boss während seiner Kongressanhörung nicht gelächelt. Lis Witzeleien beinhalteten die stillschweigende Warnung, dass US-Unternehmen in China zwar weiterhin willkommen seien, doch dass die chinesische Regierung mit harten Bandagen kämpfen könne, wenn Chinas Unternehmen und Interessen in den USA schlecht behandelt würden.
… aber harter Kurs gegen die USA
Lis verhüllte Drohung fängt die aktuelle chinesische Einstellung gegenüber den USA ein. Obwohl führende Wirtschaftspolitiker in China häufig über eine Öffnung des Landes reden, priorisiert die chinesische Politik Sicherheit und Kontrolle noch immer gegenüber Reformen. Chinas neuer Außenminister Qin Gang nahm in seiner Rede beim CDF eine falkenhafte Haltung ein. An die Adresse der USA gerichtet warnte er die Teilnehmer aus dem Westen, dass China zwar ein offenes Welthandelssystem aufrechtzuerhalten suche, doch kraftvoll auf alle Versuche reagieren würde, es in einen neuen Kalten Krieg hineinzuziehen.
Beschwichtigungsversuche der USA
US-Finanzministerin Janet Yellen hatte sich in einer jüngsten Rede bemüht, Chinas Sorge abzumildern, dass die USA seinen Aufstieg „einzudämmen“ und sich von Chinas Wirtschaft zu entkoppeln suchen. Jüngste den Handel mit China begrenzende Maßnahmen, so stellte sie klar, basierten auf Bedenken über die nationale Sicherheit und nicht auf dem Bemühen, das Wirtschaftswachstum des Landes zu behindern.
Doch China zu beschwichtigen wird schwierig, da die USA Berichten zufolge weitreichende Beschränkungen für chinesische Investitionen in den USA und für US-Investitionen in China planen. Die chinesische Führung hat sich bisher unempfänglich für die Bemühungen von Yellen und US-Außenminister Antony Blinken gezeigt, einen Dialog zum Ausbau der Zusammenarbeit, zur Minimierung von Konfrontationen und zur Steuerung der eskalierenden strategischen Konkurrenz und Rivalität zwischen beiden Mächten ins Leben zu rufen.
EU-Kommission wenig beachtet
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat kürzlich in einer ähnlich pragmatischen Rede argumentiert, Europa solle sich gegenüber China auf „Risikominderung statt Entkoppelung konzentrieren“. Zugleich jedoch verwies sie dabei auf die vielen Arten, auf die Chinas Politik Europa und den Westen bedroht. Das kam in Peking nicht gut an, und man zeigte ihr bei ihrem Besuch gemeinsam mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron in China im April faktisch die kalte Schulter, während für den entgegenkommenderen Macron der Rote Teppich ausgerollt wurde.
China versucht derzeit, einen Keil zwischen EU und USA zu treiben. Angesichts der Tatsache, dass EU-Unternehmen erhebliche Interessen in China haben, nahmen viele europäische CEOs am CDF teil, während die Präsenz amerikanischer Wirtschaftslenker begrenzt war. Dies und Macrons kontroverse Bemerkungen während des Besuchs im April – besonders seine Aussage, dass Europa kein „Vasall“ der USA werden dürfe -, legten nahe, dass diesen Bemühungen Erfolg beschieden war. Doch bekräftigte ein anschließendes G7-Kommuniqué die Haltung des Westens zu Taiwan und verurteilte Chinas aggressive Politik gegenüber der Insel, und Chinas stillschweigende Unterstützung für Russlands brutale Invasion der Ukraine dürfte Europa davon abhalten, einer chinesischen Charmeoffensive zu erliegen.
US-Wahlkampf treibt seltsame Blüten
Das Geschehen im Vorfeld der US-Präsidentschaftswahl wird zusammen mit Chinas Verdacht, dass die USA Chinas Wirtschaftswachstum einzudämmen suchen, Bemühungen zum Aufbau von Vertrauen und zum Abbau der Spannungen zwischen beiden Ländern behindern. Da Demokraten und Republikaner miteinander darum wetteifern, als möglichst hart gegenüber China angesehen zu werden, dürfte sich der chinesisch-amerikanische Kalte Krieg intensivieren, was das Risiko eines letztlichen heißen Krieges um Taiwan erhöht.
Trotz der Bemühungen von US-Regierungsvertretern, Leitlinien für einen strategischen Wettbewerb mit China festzulegen, und des Beharrens der Vertreter der chinesischen Führung, dass sie kein Interesse an einer wirtschaftlichen Abkoppelung hätten, erscheint die Aussicht auf eine Zusammenarbeit zunehmend abwegig. Fragmentierung und Entkoppelung entwickeln sich zur neuen Normalität; beide Länder bleiben auf Kollisionskurs, und eine gefährliche Vertiefung der derzeitigen „geopolitischen Depression“ ist praktisch unvermeidlich.
Übersetzung: Jan Doolan, © Project Syndicate 1995 – 2023
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Attraktive Büroimmobilien
Höhere Renditen bei Büros für die Immo-Gesellschaften.
Christian Sec. In den vergangenen zwölf Monaten verlor der „S&P Office Reits Index“, der den US-Büroimmobilienmarkt bewertet, mehr als 40 Prozent. Die Annahme des Marktes ist dabei, dass die hohe Inflation, die zu Zinserhöhungen führt, eine Abkühlung der Wirtschaft zur Folge hat, was wiederum dazu führt, dass Personal abgebaut wird und damit Büroflächen eingespart werden können oder müssen. Dies bedeutet für Immobilieninvestoren wiederum sinkende Mieteinnahmen bzw. Renditen, wie Alexander Sikora-Sickl vom Erste Asset Management gegenüber dem Börsen-Kurier erklärt.
Für Österreich prognostiziert der Immobilienmakler Remax einen Preisrückgang von rund 10 % bei Büroimmobilien für 2023. Das ist ein Knick in der Preisentwicklung, der bereits seit dem Jahr 2020 anhält, wie Remax in einer Aussendung schreibt. Auch wenn die Situation in Europa ähnlich ist, verfallen die Büroimmobiliengesellschaften aber nicht in Panik. „Zyklen sind in unserer Branche nichts Neues und nach Jahren der sehr attraktiven Rahmenbedingungen war ein Dämpfer zu erwarten“, so Herwig Teufelsdorfer, der Vorstand der S Immo. Daher sieht er die jetzige Marktphase nicht als nachhaltige Disruption des Marktes. „Ein klarer Fokus aufs Kerngeschäft und ein stabiles Geschäftsmodell machen sich jetzt sicherlich bezahlt“, so Teufelsdorfer.
Auch die französische Fondsgesellschaft Corum Asset Management, die hauptsächlich in europäische Büroimmobilien investiert, sieht die derzeitige Situation am Büroimmobilienmarkt als große Chance für weitere Akquisitionen und hat per Hauptversammlungsbeschluss die Möglichkeit geschaffen, ihren Fremdkapitalanteil bei Bedarf auf 40 % zu erhöhen, um am Markt einkaufen zu können. Dabei will sich die Fondsgesellschaft die sinkenden Immobilienpreise gepaart mit gleichbleibenden bzw. steigenden Mieteinnahmen zu Nutze machen.
Konzentration auf Büros
Auch die S Immo, die ein gemischtes Portfolio von Wohn- und Büroimmobilien (mit 25 % Wohnen und 55 % Büro) im Portfolio aufweist, hat bereits Mitte des vergangenen Jahres kommuniziert, sich von niederrentierlichen Wohnimmobilien – vor allem in Deutschland – zu trennen, und die Erlöse in Objekte mit höherer Rendite, das heißt Büroobjekte, zu reinvestieren. „Dieses Vorhaben verfolgen wir seitdem erfolgreich“, erklärt Teufelsdorfer. In Deutschland wurden laut dem Vorstand bis zum Ende des ersten Quartals Verkaufsverträge für 153 Objekte mit einem Gesamtvolumen von 570 MioE abgeschlossen. Im Gegenzug wurden im Herbst 2022 bereits 14 Büroimmobilien in Budapest angekauft. Im Feber 2023 hat die S Immo eine Absichtserklärung für einen großvolumigen Ankauf in Wien für bis zu sechs Bürogebäude am Wienerberg und im April den Kaufvertrag für drei Büroobjekte und ein Hotel in Tschechien unterzeichnet. „Diese Ankäufe steigern nachhaltig unsere Mieteinnahmen, Ertragskennzahlen und unseren Cashflow.“
Die Immofinanz, mit 50 % plus einer Stimme Mehrheitseigentümer der S Immo, bleibt ihrer Portfoliostrategie unverändert treu, wie sie auf Anfrage des Börsen-Kurier erklärt. Rund 52 % des Portfolios bestehen aus Büroimmobilien,
46 % aus Einzelhandelsimmobilien (Ende 2022). Dies bedeutet auch, dass die Immofinanz weiterhin an ihrer bisherigen Finanzpolitik festhält. Dabei soll die Verschuldung mittelfristig konservativ bleiben, wie die Immofinanz erklärt.
Last but not least will die CA Immo den Anteil in Österreich und Deutschland am Gesamtportfolio, das fast zur Gänze aus Büroimmobilien besteht, von aktuell knapp 70 auf mehr als 80 % steigern, um damit ihre Kernmärkte weiter zu stärken.
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Unter dem Radar
Wenig bekannten Unternehmen auf der Spur.
Harald Kolerus. Wer kennt sie nicht, die Börsenschwergewichte dieser Welt, ob sie nun z.B. Amazon, Microsoft, Alphabet, Apple oder Meta heißen? All diese klingenden Naben haben eines gemeinsam: Eben, dass sie praktisch jedem ein Begriff sind. Das führt dazu, dass solche Blue Chips im Mittelpunkt des Investoren- und Analysteninteresses stehen. Auch wenn die Performance stimmen mag, um „unentdeckte Perlen“ handelt es sich dabei also wahrlich nicht.
Klein aber oho
Solche Kandidaten kann man hingegen in der „zweiten oder dritten“ Reihe finden, am Rande oder sogar weit abseits der großen Indizes. Auf dieses Feld konzentriert sich die in Hannover ansässige Paladin Asset Management, die Fondsboutique hat sich auf Micro-, Small- und Mid Caps spezialisiert. Zwei Produkte stehen zur Auswahl: Der Paladin One (ihn gibt es seit zehn Jahren, ISIN: DE000A1W1PH8) und der im Herbst letzten Jahres gestartete Paladin Origins (DE000A3DQ772). Die Fonds eignen sich laut Anbieter für Investoren, die auf eine defensive Aktienstrategie setzen wollen. Der Börsen-Kurier traf Marcel Maschmeyer, Sprecher des Vorstands und Fondsmanager, und Michael Schnabl, Leiter Vertrieb des Unternehmens, zum Interview in Wien. Am Anfang stand die Frage, von welcher Größenordnung bei den kleineren AGs übe-haupt die Rede ist? Dazu Maschmeyer: „Im Paladin One finden sich Titel mit einer durchschnittlichen Marktkapitalisierung von rund 500 Mio. Euro, einzelne Unternehmen können aber darunter liegen oder mehrere Milliarden schwer sein. Im Origins liegt die Market Cap im Schnitt ein Drittel unter der des Paladin One. Es gibt also keine starre Grenze.“
Akribische Suche
Und welche Vorteile bieten kleinere AGs nun gegenüber Blue-Chips? Maschmeyer: „In Europa findet man ungefähr 7.000 börsennotierte Unternehmen, ca. 80 % davon liegen unter einer Marktkapitalisierung von 1 Mrd. Euro. Allgemein ist das Research bei Micro-, Small- und Midcaps sehr stark ausgetrocknet, wir sind aber hingegen mit akribischer Analyse auf der Suche nach spannenden Titeln. Das gibt uns die Chance, Hidden Champions und Spezialsituationen auszumachen.“ Attraktive Unternehmen finden die Experten vor allem in der DACH-Region, aber auch in den nordischen Staaten und in den Benelux-Ländern.
Schnabl führte weiter aus: „Wir setzen auf ein Konzept der ‚richtigen Diversifikation‘. Also auf Unternehmen und Geschäftsmodelle, die nicht zueinander korrelieren. Das heißt: Es ist für uns nicht genug, einfach breit zu streuen.“ Zum besseren Verständnis lohnt sich ein Blick auf zwei Titel: Die Medios AG und Ion Beam sind beide im medizinischen Bereich beheimatet, verfolgen aber völlig unterschiedliche Konzepte. Medios ist im komplexen Bereich der individuellen Arzneimittelversorgung in Deutschland tätig; Ion Beam wiederum baut riesige Bestrahlungsräume für die Krebstherapie und ist weltweit tätig, so etwa auch in China. Zwei Geschäftszweige, die also nicht miteinander verbunden sind.
Nachtanken in Österreich
Wobei es heimische Anleger interessieren wird, dass aktuell eine „rot-weiß-rote“ AG im Paladin Origins vertreten ist, nämlich Wolftank-Adisa. Ein Name, der auch den meisten österreichischen Investoren wohl kein stehender Begriff ist. Dabei handelt es sich ein weltweit agierendes Technologieunternehmen für Energie- und Umweltlösungen, das in den spannenden Bereichen Flüssiggas- und Wasserstofftankstellen einen schönen Umsatzanteil generiert. Ein gutes Beispiel für einen Titel der erfolgreich, aber von den meisten Investoren noch unentdeckt, unter dem Radar fliegt.
Foto: Wolftank Adisa
Hat die künstliche Intelligenz einen kommerziellen Wendepunkt erreicht?
(16.05.) ChatGPT hat neue Spekulationen über die Verheißungen und Gefahren künstlicher Intelligenz (KI) angeregt. Doch was ist dran am Hype um die sogenannte „generative KI“, also um Programme, die Inhalte generieren können? Hat die künstliche Intelligenz einen kommerziellen Wendepunkt erreicht und wird damit auch für Investoren interessant? Christophe Braun, Equity Investment Director bei Capital Group, ist überzeugt: „KI steht kurz davor, umfassende Veränderungen in vielen Unternehmen und Branchen auszulösen. Für Investoren ist jedoch entscheidend, sich mit den Details zu beschäftigen, um Realität und Hype unterscheiden zu können.“
Spätestens seit dem Launch von ChatGPT im November letzten Jahres stehe KI im Mittelpunkt des Interesses. Dabei sei das Verständnis und der Einsatz von KI auf breiter Ebene noch immer relativ gering. „Eine Studie der Unternehmensberatung McKinsey aus dem Jahr 2022 zeigt zwar, dass sich der Einsatz von KI in den letzten fünf Jahren weltweit mehr als verdoppelt hat, doch der anfängliche Überschwang scheint ein vorübergehendes Plateau erreicht zu haben“, erklärt Braun. „Möglicherweise weil sich die Erkenntnis durchsetzt, dass die Einführung dieser Technologie organisatorische Veränderungen erfordert.“
Dennoch würden die KI-Kapazitäten rasch zunehmen. „Aus den Gesprächen mit Unternehmen haben wir den Eindruck gewonnen, dass wir tatsächlich kurz vor einem Wendepunkt stehen könnten“, sagt Braun. Im Kern gehe es bei KI um die Fähigkeit, Vorhersagen und Entscheidungen auf der Grundlage von Trainings-Daten zu treffen. Was sich in den letzten Jahren geändert habe, sei die Tatsache, dass technische Durchbrüche es ermöglichen, KI-Modelle auf immer größeren Datenmengen zu trainieren und damit neue Funktionsebenen zu erreichen. „Wenn sich KI-Systeme weiterentwickeln, könnten sie auf dem Weg sein, bei vielen Aufgaben weitaus effizienter zu werden als die besten Menschen. Möglicherweise erreichen sie sogar ein Stadium, in dem sie beginnen, Lösungen und Produkte zu entdecken, an die Menschen noch nie gedacht haben“, erklärt Braun.
Die KI-Systeme der frühen 2000er Jahre hätten maschinelles Lernen in erster Linie zur Verbesserung ihres analytischen Modells genutzt. Das Ad-Targeting von Google und Facebook sei ein Beispiel dafür. „Generative KI hingegen kann mithilfe der so genannten ‚Transformer-Architektur‘ neue und einzigartige Inhalte erstellen“, sagt Braun. Dies ermögliche es einer KI, die Beziehungen innerhalb eines Datensatzes, beispielsweise eines Textes oder Bildes, zu verstehen und das für kreative Aufgaben erforderliche Kontextbewusstsein zu entwickeln.
Aufgrund dieser Entwicklung hätten Experten ihre zeitlichen Prognosen zur KI-Entwicklung drastisch nach vorne korrigiert. „Noch vor wenigen Jahren reichten die Schätzungen darüber, wann KI-Systeme beispielsweise eine Goldmedaille bei der Internationalen Mathematik-Olympiade gewinnen könnten, bis in die 2040er Jahre; heute gehen die mittleren Prognosen davon aus, dass dies noch in diesem Jahrzehnt geschehen könnte“, so Braun.
Er fasst die Entwicklung so zusammen: „Die letzten 10 Jahre sind in der Technologiebranche durch eine einzigartige Kombination aus mobilem Internet und Cloud gekennzeichnet gewesen. In beiden Bereichen haben wir eine Entwicklung von einer geringen Durchdringungsrate zur breiten Akzeptanz sehen können. KI beginnt nun den Staffelstab zu übernehmen.“
KI aus Investorenperspektive
Was bedeutet das für Investoren? Die Annahme, dass sich mit KI letztlich viel Geld verdienen lasse, zeige sich in den Aktienkursen der großen Unternehmen bislang kaum. Das private Unternehmen OpenAI, das ChatGPT entwickelt hat, werde Berichten zufolge aktuell mit 29 Milliarden US-Dollar bewertet. „Wenn die gemeldeten Zahlen korrekt sind, ist diese Bewertung allerdings mit viel Enthusiasmus verbunden“, sagt Braun. Denn obwohl das Unternehmen ehrgeizige Ziele habe, erwarte es in diesem Jahr nach eigenen Angaben nur rund 200 Millionen US-Dollar an Einnahmen.
Auch bei anderen Unternehmen, die potenziell ähnliche KI-Angebote bereitstellen könnten, spiegele sich der Enthusiasmus für KI noch nicht in ihren Bewertungen wider: „Google ist der Pionier bei Transformationsmodellen und wir sehen keine 29 Milliarden US-Dollar im Aktienkurs des Unternehmens, die seine KI-Fähigkeiten widerspiegeln“, führt Braun aus. „Meta kann ebenfalls eine starke Erfolgsbilanz bei KI-Modellen vorweisen und dennoch bleibt der Aktienkurs des Unternehmens gedrückt.“
Auswirkungen der KI auf andere Branchen
Interessant könnten für Investoren neben den Tech-Unternehmen auch andere Branchen sein, auf welche die Verbreitung von KI große Auswirkungen haben könnte. Denn neben den offensichtlichen Technologie- und Wissenssektoren gebe es weitere potenzielle Anwendungsbereiche für KI. Dazu zählt Braun Lieferkettenmanagement, Gesundheitswesen (Arzneimittelentwicklung und Scan-Analyse), Versicherungen, Öl und Gas (Auswertung von Satellitendaten), Versorgungsunternehmen (Netz- und Lastmanagement) und autonome Landwirtschaft. „Die KI-Strategie eines Unternehmens könnte deshalb zu einem immer wichtigeren Teil der Unternehmensanalyse werden“, so der Experte. „Unternehmen, die KI nutzen können, um ihr Produktangebot oder ihre Produktivität weiterzuentwickeln, könnten in den kommenden Jahren einen großen Vorteil haben.“
Auch auf die Halbleiternachfrage dürfte KI sich auswirken: „Der Halbleiteranteil in KI-Anwendungen ist sehr hoch. Es mag schwierig sein, jene Aktien zu identifizieren, die generative KI am besten nutzen, aber es gibt nur eine Handvoll Unternehmen, die die Halbleiter herstellen, auf denen diese Systeme laufen“, sagt Braun.
Fazit
Braun resümiert: „Aktuell ist KI eine faszinierende, aber etwas begrenzte Anlagegelegenheit. Mittelfristig steht die KI an der Schwelle zur Beschleunigung. Entsprechend beobachten wir die betroffenen Bereiche genau. Längerfristig wird diese Technologie die in sie gesetzten Erwartungen wahrscheinlich übertreffen. Wenn auch noch nicht klar ist, was das für die Welt bedeutet, glauben wir, dass der Schlüssel für Portfoliomanager darin liegt, mit Unternehmen zusammenzuarbeiten, die am besten für die bevorstehenden Veränderungen positioniert sind.“
Aktionärsrechte in Gefahr
Der Gesetzesentwurf zur virtuellen HV ist da und sorgt für Diskussionsstoff.
Florian Beckermann, IVA. Die grüne Justizministerin Alma Zadic hat einen Ministerialentwurf zum virtuellen Gesellschafterversammlungsgesetz vorgelegt. Insbesondere an der Regelung für Börsengesellschaften entzündet sich Kritik. In der Covid19-Zeit hatte sich eine Virtualisierung der HV verbreitet, unter Pandemie-Gesichtspunkten war das vertretbar. Von einer „bewährten Praxis“ ist man jedoch weit entfernt: Extrem niedrige Teilnehmerzahlen, verkürzte Transparenz- und Kontrollmöglichkeiten, sowie mannigfaltige Missbrauchsmöglichkeiten schwächen Aktionärsrechte tiefgreifend. Manch einer ist gänzlich ausgeschlossen. Der Gesetzentwurf mit sieben Paragrafen stellt sich den Problemstellungen der Materie nur lückenhaft. Die Hauptpunkte:
Luftschloss: Schwellen unrealistisch
Die Virtualisierungs-Option soll über eine Satzungsmehrheit (75 %) auf fünf Jahre erfolgen. Die Form der Versammlung wird satzungsdispositiv. Der dem physischen HV-Format innewohnende Minderheitenschutz wird auf diesem Wege ausgehöhlt; er sollte aber gesetzlich gewährt bleiben. Die Satzungsschwelle ist für die meisten Kernaktionärsgruppen in Österreich eine Leichtigkeit, für eine Minderheit meist unerreichbar. Die Frist wird international bereits nicht goutiert.
Nahezu fiktional ist die Regelung der „Präsenz-Schutzschwelle“, in der 10 % des Grundkapitals eine physische, ordentliche HV verlangen können (§ 5 (7)). Der Entwurf weist damit eindeutig auf die hohe Gefährlichkeit der virtuellen HV hin, versäumt aber eine realistische Schwelle einzuführen. So wäre beispielsweise bei der Erste Group ein Kapital von 1,4 Milliarden Euro nötig, um diese Hürde zu nehmen. Administrative Hürden kommen hinzu. Ein Schutz-Luftschloss ist das Ergebnis. Unrealistische Schwellen führen grundsätzlich zu tiefen (Vertrauens-)Brüchen zwischen Gesellschaftsteilen.
Technische Unsicherheit – keine Beschlussberatung möglich
Erschwerend kommt die technische Umsetzung hinzu. Eine Echtzeitverbindung ist aufwendig, eine Videokommunikation höchst problematisch. Aktuelle Erfahrungen in Deutschland zeigen, dass Unterbrechungen (und HVs über zehn Stunden) Standard werden. Mit Teilnehmerzahlen im niedrigen zweistelligen Bereich ist zu rechnen, trotz einer Kostenverdoppelung. Eine Rechtssicherheit ist hier nicht mehr gegeben. Auch können sich Aktionäre nicht mehr im Rahmen der HV miteinander beraten, um ihre Beschlüsse vorzubereiten. Dies trifft den Wesenskern der HV negativ.
Interessenkonflikt des Vorstands
Ein Interessenskonflikt entsteht, wenn das rechenschaftspflichtige Organ Vorstand die Form der Versammlung bestimmt. Man stelle sich vor, ein Parlament würde auf Wunsch virtuell tagen. Opposition zu gewissen unternehmerischen Entscheidungen wird massiv beschnitten. Ein Elfenbeinturm-Management wäre gefördert. Dass der Vorstand die Interessen der Aktionäre bei der Wahl des Formats angemessen zu berücksichtigen hat, wird sich wohl nur auf dem Klagswege prüfen lassen. Die verfassungsmäßige Überprüfung einer solchen Fragestellung ist bereits Gegenstand eines Verfahrens vor dem Gerichtshof.
Lichtblicke
Trotz der Kritik am Entwurf sind auch positive Elemente anzumerken: Interessant ist die Vorgabe eines offenen, hybriden Formats, das dem Aktionär individuell die Wahl der Beteiligungsform lässt. Auch die Regelung eines Stimmrechtsvertreters ist ein sinnvolles Novum. Für eine Vielzahl von nicht-börsennotierten Gesellschaften kann die vorstehende Kritik warnender Hinweis sein, der jedoch bei Einstimmigkeit der Gesellschafter seine Grenze findet.
Fazit: Die virtuelle HV-Option in dieser Form ins Dauerrecht zu übernehmen, ist weiterhin ein Irrweg. Praxisferne Schutzregeln scheitern an der Marktrealität und sind kein Schutz. Die positive HV-Kultur in Österreich wird ohne Not geschädigt. Der Entwurf verpasst einstweilen die Gelegenheit, einen einfachen Wettbewerbsvorteil zu generieren und eine tragfähige Lösung für die Zukunft zu präsentieren, die auch Minderheitsinteressen angemessen berücksichtigt. Bei einer Aktionärsquote von 25 % in Österreich trifft dies keinen kleinen Bevölkerungsanteil. Die rein virtuelle HV für Publikumsgesellschaften muss in dieser Form daher abgelehnt werden.
Den Stand der parlamentarischen Begutachtung und die Möglichkeit zur Stellungnahme finden Sie unter:
https://www.parlament.gv.at/gegenstand/XXVII/ME/271
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Sachlicher Inflationsschutz
Mit Infrastrukturinvestments will Nordea langfristig der Teuerung trotzen.
Raja Korinek. Die Inflationsentwicklung dürfte länger im Fokus der Anleger stehen. In den USA war sie im Monat April erneut leicht rückläufig und stieg im Jahresvergleich um 4,9 %. In der Eurozone legte sie hingegen wieder zu. Das Plus lag im Vergleich zum Vorjahreswert bei 7 %.
Ein Schutz gegen die Inflation rückt angesichts der Entwicklungen zunehmend in den Fokus, wie sie zum Beispiel ein langfristiges Investment in Sachwerte bieten kann. Davon ist Robert Stan, Senior Investment Specialist bei Nordea, im Gespräch mit dem Börsen-Kurier überzeugt und verweist in diesem Zusammenhang auf den „Nordea 1 – Global Sustainable Listed Real Asset Fund“ (ISIN: LU2500361162). Der Fonds wird gemeinsam mit CBRE IM verwaltet. Letzterer Dienstleister ist auf das Management von Sachwerten spezialisiert.
Bürosektor sorgt für Schlagzeilen
Zuletzt haben allerdings negative Meldungen aus dem gewerblichen Immobiliensektor für Schlagzeilen gesorgt. Ob sich in solch einem Umfeld ein entsprechendes Investment lohnt? Stan will die Entwicklung nicht überbewerten.
Er sagt, „börsennotierte Immobilienunternehmen halten sich im aktuellen Umfeld gut. Viele der Meldungen haben mit dem US-Bürosektor zu tun, der weniger als 3 % der börsennotierten Immobilienindizes ausmacht, oder mit Immobilienvermögen, das aufgrund variabel verzinster Darlehen finanziert wird“. Insgesamt biete der Sektor breit gestreute Chancen, von Gewerbe- und Wohnimmobilien bis hin zum Gesundheitssektor und der Kommunikation.
Doch was reizt insbesondere im aktuellen Umfeld an Sachwertinvestments? „Die Vermögenswerte haben oft regulierte oder vertraglich vereinbarte Renditen, bei denen die Cashflows mit der Inflation steigen.“ Bei globalen Versorgern oder Mautstraßenbetreibern legen die Regulierungsbehörden etwa häufig fest, dass die Tarife direkt mit der Inflation steigen. Obendrein tendierten Sachwerte-Aktien teils aufgrund solcher Merkmale dazu, in einem inflationären Umfeld eine bessere Wertentwicklung an der Börse zu erzielen als der Gesamtmarkt, so Stan.
Zuverlässige Einkommensströme
Auch der Blick auf Dividenden kann sich bei Real-Asset-Unternehmen lohnen. „Sie bieten robuste Einkommensströme, die von Cashflows angetrieben werden.“ Stan verweist auf ein weiteres Detail: So beträgt das jährliche durchschnittliche Dividendenwachstum bei Real-Assets-Unternehmen 3,5 bis 4,5 %, wobei das Wachstum in einem inflationären Umfeld umso ausgeprägter sei. Im Fonds lag zuletzt im Übrigen die durchschnittliche Dividendenrendite bei 4,1 %.
Wie aber geht der Fonds vor? Zu den größten Positionen zählen Funkmastenbetreiber American Towers (US03027X1000) aus den USA sowie Cellnex Telecom (ES0105066007) aus Spanien. Zu den Versorger-Investments zählt WEC Energy Group (US92939U1060) aus dem US-amerikanischen mittleren Westen. Rund 70 % des WEC-Investitionsprogramms stehen im Zusammenhang mit der Energiewende, erneuerbaren Energien sowie der Steigerung der Netzzuverlässigkeit, zeigt Stan auf. Zugleich senkte der Konzern seine Emissionen in den vergangenen zwei Jahren kräftig.
Das französische Infrastrukturunternehmen Vinci agiert als Bauleiter und Betreiber von Konzessionen, so etwa von Mautstraßen und Flughäfen. Unter anderem bietet Vinci intelligente Mobilitätslösungen an, anhand derer Staus – somit auch Emissionen – verringert werden sollen. Tatsächlich steht nebst dem Inflationsschutz auch die Nachhaltigkeit im Fokus.
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Auf dauerhaft hohe Zinsen einstellen
Notenbanken-Dilemma: Wie sie‘s mit den Zinsen anstellen, machen sie‘s falsch.
Rudolf Preyer. „Vor einem Jahr hatten wir noch ein Pessimismus-Tief, jetzt haben wir ein Optimismus-Hoch“, eröffnete Gastgeber Alexander Eberan, Leiter Private Banking Wien, vergangenen Dienstag das Expertengespräch zum Thema „Das Dilemma der Notenbankpolitik“ im Foyer der Steiermärkischen Bank und Sparkassen AG. Auch ging es um eine Einordnung der europäischen Kapitalmärkte.
Vor dem Hintergrund der letzten Ereignisse im Bankensektor (Stichwort Krise der US-amerikanischen Regionalbanken) und einer weiterhin hohen Inflation befinden sich die Notenbanken derzeit in einem Dilemma: Erhöhen sie die Zinsen in unverändert hohem Tempo weiter, könnte sich die Vertrauenskrise bei Banken verschärfen – senken sie zu früh, bleibt die Inflation hoch.
Auch dem Anleger fällt es in diesem Umfeld schwer, eine ruhige Hand zu bewahren, so Eberan. Seine Gäste waren bereits vor einem Jahr in dieser Konstellation in der Johannesgasse angetreten.
Value-Aktien im Fokus
Monika Rosen, langjährige Chefanalystin der UniCredit Bank Austria, ist überzeugt, dass sich die Kerninflation nicht so schnell unter die gewünschten 2 % drücken lässt, „wie sich die Notenbanken das vorstellen“. Wir stünden erst „am Beginn der Bekämpfung“. Als „momentan führenden Bereich“ verwies sie auf den Technologiesektor – im Nasdaq-500 machen aktuell acht Tech-Unternehmen 30 % des Indexvolumens aus, darunter die FANGG-Aktien (Facebook, Amazon, Apple, Netflix und Google, die jetzt als Alphabet firmieren). Diese Tech-Giganten haben KGVs von 30 und höher, „das sind alles noch Wachstumswerte“. Aber: Wenn die Zinsen steigen, sollten die Kurse von Wachstumsaktien fallen. Für die nähere Zukunft sollten mit Rosen „eher Value- und günstigere Aktien das Rennen machen“.
Die Gefahr einer erneuten Finanzkrise sieht Monika Rosen nicht: Man hätte die Lehren aus der Krise 2008 gezogen, als man die Lehman Brothers pleitegehen hat lassen.
Asien als globaler Wachstumstreiber
Carsten Roemheld, Kapitalmarktstratege bei Fidelity International, erklärte: „Die defensiven Sektoren kommen jetzt!“ Auf Nachfrage dachte er etwa an den Bereich Healthcare. Auch lohne es sich jetzt wieder, in Anleihen zu investieren; etwaige Tiefs im Börsengeschehen im Oktober werden über den Ausgang des Jahresgeschäfts bestimmen. Dieses und nächstes Jahr werden gut 70 % des Weltwachstums aus Asien stammen. Sobald der Dollar seinen Zenit erreicht hat, sollten auch wieder Schwellenländeranleihen sowie Währungen anziehen. Wobei, so ergänzte Rosen, Schwellenländerinvestments durchaus einer gewissen Risikobereitschaft bedürfen.
Zurück zu Asien: China erwachse gerade mit Indien ein großer Konkurrent – nicht umsonst habe Apple-CEO Tim Cook zuletzt zwei riesige Stores in Delhi und Mumbai eröffnet. Allerdings haben die Chinesen in den vergangenen drei Jahren viel Geld gespart, wenig konsumiert, was jetzt der Wirtschaft zugutekommen sollte.
Abschließend bekräftigte Roemheld abermals, dass sich alle, die Geld allokieren, auf dauerhaft hohe Zinsen einstellen müssen.
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E-Auto-Boom nimmt wieder Fahrt auf
Gewerbekunden sind Treiber der Mobilitätswende in Österreich (08.05.)
(08.05.) Das weltweite Wachstum des Marktes für reinelektrische Fahrzeuge (Battery Electric Vehicle, BEV) verliert aufgrund geopolitischer Spannungen sowie erster Sättigungseffekte an Fahrt und bildet ein stabiles Plateau. Das zeigen die Ergebnisse des aktuellen „Electric Vehicle Sales Review“ von PwC Autofacts® und Strategy&, der Strategieberatung von PwC, in dem die Neuzulassungszahlen in weltweit 19 ausgewählten Märkten ausgewertet werden. Im ersten Quartal 2023 wurden demnach weltweit 24,3 % mehr BEVs zugelassen als im Vorjahreszeitraum.
Fuhrparks spielen bei österreichischer Mobilitätswende eine wesentliche Rolle
In Österreich hat sich der Absatz von E-Autos nach einer Jahresendrallye wieder entlang des langfristigen Aufwärtstrends eingependelt. Noch im Vorjahr 2022 verzeichnete Österreich mit insgesamt 34.165 verkauften reinelektrischen Fahrzeugen lediglich einen Zuwachs von 2,4 % im Vergleich zum Jahr 2021. Angesichts der deutlich spürbaren Erhöhung der Kaufprämien für BEVs wurden hierzulande allein im ersten Quartal 2023 um 56,8 % mehr reinelektrische Autos verkauft als im Vorjahresquartal – dies entspricht einer Neuzulassung von 11.235 BEVs.
In österreichischen Fuhrparks setzen sich reinelektrische Fahrzeuge zunehmend durch – die Zahl an gewerblich zugelassenen E-Autos ist besonders hoch: Mit rund 77,1 % zählen Gewerbekunden wie Firmen und Gebietskörperschaften zu den häufigsten Besitzern von vollelektrischen Fahrzeugen – lediglich 22,9 % entfallen auf Private.
„Allein im vergangenen Quartal wurde in Österreich mehr als drei Viertel aller E-Autos an Gewerbekunden verkauft. Flotten und Fuhrparks sind damit wesentliche Stellschrauben für die österreichische Mobilitätswende und ein elementarer Markt für die europäischen Autobauer. Umso wichtiger ist es, dass die OEMs dieses Segment mit attraktiven Modellen und Services optimal bedienen“, sagt Johannes Schneider, Partner bei Strategy& Österreich. „Aktuell sehen wir allerdings noch enorme Angebotslücken im Segment der Kombis, die sich im Job genauso gut nutzen lassen wie im Familienurlaub. Hier gibt es noch keinen adäquaten Elektro-Ersatz. Aus unserer Sicht sind Dienstwagen allerdings ein großer Hebel beim Wandel der bislang verbrennerdominierten Flotten hin zu BEVs. Wichtig sind weiterhin attraktive staatliche Förderungen sowie Vorgaben für grüne Flotten, aber auch angemessene Preise und kürzere Lieferzeiten, um den Anteil an BEVs in österreichischen Flotten noch weiter zu erhöhen.“
Globaler Markt für E-Mobilität fragmentiert sich
Weltweit zeichnet sich aufgrund protektionistischer Tendenzen eine immer stärkere Fragmentierung des Elektromobilitätsmarktes ab. Südkorea etwa stützt heimische Hersteller mit Kaufprämien, Indonesien fördert regionale Marken mit steuerlichen Anreizen und die USA stärken die heimische Automobilindustrie über den Inflation Reduction Act (IRA). China weitet seine marktbestimmende Position unterdessen immer mehr aus und manifestiert seine Unabhängigkeit von amerikanischen oder europäischen BEV-Herstellern. Während die deutschen Autobauer ihre BEV-Neuzulassungen in China im ersten Quartal 2023 um 25 % steigern konnten, blieben ihre Marktanteile im dortigen Markt mit 4 % konstant zum Vorjahreszeitraum. Zugleich drängen chinesische Hersteller immer stärker auf den europäischen Markt.
„Die deutschen Automobilhersteller haben lange darauf gesetzt, dass die Batterie wie eine Commodity behandelt wird, während für Wettbewerber aus Asien schon früh der strategische Wert von Batterie und Zelle im Mittelpunkt stand. Die deutschen Hersteller sind bei der Batteriezelltechnologie daher noch mitten in der Aufholjagd. Chinesische und amerikanische Wettbewerber haben sich dagegen durch die vertikale Integration der gesamten Zellfertigung abgesicherte Lieferketten geschaffen und strategische Vorteile gesichert. Diese können sie jetzt ausspielen und mit einer aggressiven Preispolitik den Wettbewerb unter Druck setzen“, sagt Günther Reiter, Automotive Leader bei PwC Österreich. „Für die deutschen Hersteller ist der Ausbau der Modellpalette insbesondere in den Segmenten Low-Cost und Premium sowie Langstrecke entscheidend, um sowohl bei den Privatfahrzeugen für eine breite Masse als auch bei den Geschäfts- und Premiumfahrzeugen den segmentspezifischen Kundenanforderungen gerecht zu werden und die Transformation zum elektrischen Fahren zu beschleunigen.“
Börsenakteure zum Reizthema HV-Formate
Die Diskussion „virtuell“ oder „in Präsenz“ hat sich noch keineswegs erledigt.
Rudolf Preyer. Wir haben uns weiter umgehört – und O-Töne zum Reizthema „Präsenz- versus Virtuell-Hauptversammlungen“ eingefangen. Für klärende Gespräche konnten wir jetzt zwei Privataktionäre sowie zwei CEOs gewinnen.
Christoph Boschan, Vorstandsvorsitzender der Wiener Börse AG, unterstreicht gegenüber dem Börsen-Kurier zum Thema Hauptversammlungen: „Die Ausübung der Aktionärsrechte muss gewährleistet sein. Das Um und Auf für die Wiener Börse ist die Orientierung an internationalen Standards.“
„Präsenz-HVs trotz Corona“
Friedrich Schopf ist CEO der Linz Textil Holding AG – er verspricht im Gespräch vorneweg, „auch in Zukunft Präsenz-HVs“ abzuhalten. Auf welchen Kurs hat sich diese AG eingeschworen? „Es ist das Anliegen der Aktionäre, persönlich Fragen stellen zu können – und auch vom Management in einem persönlichen Austausch über die Lage des Unternehmens informiert zu werden.“
Was man aus den „Corona-HVs“ gelernt habe? – laut Schopf die Tatsache, dass „trotz strengerer hygienischer Auflagen Präsenz-HVs“ möglich waren: „Es bedarf nur einer guten Organisation. Außerdem haben wir große Dankbarkeit unserer Aktionäre bemerkt, dass auch während Corona Präsenz-HVs abgehalten wurden.“
Wie denkt Schopf über „hybride“ Modelle? Antwort: Ein solches Format stelle die Organisation sowie auch die Moderation vor neue Herausforderungen.
Nach seiner Trendeinschätzung befragt, erklärt Schopf: „Bei den größeren börsennotierten Unternehmen wird sich sicher langfristig die virtuelle HV durchsetzen.“
Der Linz Textil-CEO bekräftigt abschließend: „Wir schätzen den persönlichen Austausch mit unseren Aktionären sehr.“
„Brauchbares Hybridmodell“ benötigt
Ludwig Klim ist ein langjähriger Abonnent des Börsen-Kurier und erfahrener Privatinvestor. Auf die Frage „Warum polarisiert die Frage ‚Präsenz- versus Virtuell-HV‘ Ihrer Meinung nach so stark?“ antwortet er pointiert, dass im virtuellen Fall die Rechte der Aktionäre eingeschränkt werden: „Ad-hoc-Fragen sind dann fast nicht mehr möglich. Auch ist der Meinungsaustausch unter den Aktionären bei virtuellen HVs nicht gut möglich.“
Er, Klim, glaube daran, dass Österreichs Privataktionäre „in der überwiegenden Mehrheit“ für Präsenz-HVs sind. Gleichzeitig spricht er sich aber auch für ein „brauchbares Hybridmodell“ aus: Eine „zusätzliche virtuelle HV parallel zur Präsenz-HV“ sei zu befürworten, „da auch Aktionäre, die geografisch an der Teilnahme eingeschränkt sind, so ihre Rechte ausüben können“.
„Konzentration & Kommunikation“
Alexander Kozlik ist ein bekannter Privataktionär, der als Akteur schon seit Jahrzehnten am heimischen Börsenparkett auftritt.
Er bemängelt etwa, dass es beim virtuellen Format „unnötig kompliziert“ sei, etwa auch Vollmachtsformulare auszufüllen. Er sagt: „Speziell für ältere Menschen ist es schwierig, die Konzentration und die Kommunikation zu halten.“ Wolle man etwa in der Virtuellvariante Nachfragen stellen, sei dies „überaus umständlich“.
Der Börsen-Kurier bleibt selbstverständlich an diesem Thema dran.
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Handelsvolumen auf Rekordniveau
Zertifikate sind bei den heimischen Investoren fest verankert.
Rudolf Preyer. Der österreichische Zertifikatemarkt habe seine Stabilität unter Beweis gestellt, erklärt Frank Weingarts, Vorsitzender des Vorstandes des „Zertifikate Forums Austria“ (ZFA), im gerade erschienenen Jahresbericht zum Vorjahr.
Während an den Märkten sowohl Rentenpapiere als auch Aktien in signifikantem Ausmaß von durchschnittlich 20 % an Wert verloren, sei es bemerkenswert, dass der Open Interest lediglich um 7,8 % auf 13,7 Milliarden Euro zurückging und das Handelsvolumen mit 3,6 Milliarden Euro auf gleichem Niveau wie im Rekordjahr 2021 blieb: In den meisten Monaten des 2023er-Jahres konnten sogar Nettomittelzuflüsse in Anlagezertifikate verzeichnet werden – „wir nehmen das als Beweis für die Akzeptanz der Anlageklasse Zertifikat“.
So sieht die Struktur der heimischen Zertifikate-Landschaft aktuell aus: Insgesamt 65 % der Anlage-Zertifikate entfallen auf Kapitalschutz-Produkte, der überwiegende Großteil auf Zertifikate, die vollständigen Schutz anbieten. Bonus-Zertifikate stehen für 13 %, Aktienanleihen für 11 % und Express-Zertifikate für 8 % der Anlage-Zertifikate. Mehr als drei Viertel der Hebelprodukte sind sog. Knock-Out-Zertifikate. Hebelprodukte schließlich stellen rund 1 % des Open Interest des österreichischen Gesamtmarktes dar.
Ertrag und Risiko: Kehrseiten der Medaille
„Strukturierte Produkte können den Kunden im Vergleich zur Direktanlage entscheidend vor Verlusten bewahren“, sagt Thomas Wulf, Generalsekretär der European Structured Investments Products Association (EUSIPA), „ihr Wesen ist auch Beleg dafür, dass Ertrag und Risiko stets Kehrseiten der gleichen Medaille bleiben.“
Strukturierte Produkte seien in der Lage, dass Anleger an der Kursentwicklung wichtiger Marktteilnehmer partizipieren können, gleichzeitig aber einen Schutz vor den gerade bei langfristiger Anlage allfälligen größeren Schwankungen der Einzelwerte, Aktienkörbe und Indizes haben. Wulf prägnant: „Ertrag gibt es nur gegen Risiko. Wer den Kunden vor dem Markt schützen will, gewährt ihm letztlich keinen Zugang.“
Zur Lobby- bzw. Interessensarbeit des „Zertifikate Forums Austria“: Der im Jahr 2021 erstmals vereinbarte Nachhaltigkeit-Kodex für Zertifikate wurde im vorigen Jahr in enger Abstimmung mit dem „Deutschen Derivate Verband“ und unter Berücksichtigung der seit August 2022 gültigen MiFID-Bestimmungen an die europäischen Normen angepasst und veröffentlicht.
Somit kann das ZFA den Anlegern – aber auch den Beratern – eine klare Orientierung geben, welche Investments heute als „grün“ anerkannt werden.
Strukturiere Produkte: Teil der Lösung
Wieder der ZFA-Vorstandsvorsitzende: Strukturierte Produkte seien flexibel genug, um sich den meisten Bedürfnissen und Rahmenbedingungen anzupassen. Sie sollten deshalb vom Gesetzgeber und Regulator als „Teil der Lösung und nicht, wie allzu oft und immer wieder, als Teil des Problems gesehen werden“.
Weingarts unterstreicht im Jahresbericht abschließend: „Wir sehen voll Zuversicht in die kommenden Monate und Jahre, denn mehr und mehr stellt sich heraus, dass Zertifikate angesichts der zunehmenden Volatilitäten an den Märkten, den plötzlich wirksam werdenden und vielfältigen Krisen und den zunehmenden politischen Spannungen genau jene Anlageinstrumente für Privatanleger sind, die zum langfristigen Vermögensaufbau besonders zielführend beitragen können.“ Es sei die vordringliche Aufgabe des Zertifikate Forums Austria, den Nutzen der Zertifikate – unter dem Motto: „Zertifikate sind die Lösung!“ – neue Anlegerschichten zu vermitteln.
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go-international: Partner für Exportbetriebe
Starke Unterstützung für erfolgreichen Export
Österreichs Exportwirtschaft schreibt laufend neue Erfolgsgeschichten – und sichert damit Wertschöpfung und Arbeitsplätze im Inland. Die Internationalisierungsoffensive go-international unterstützt unsere Betriebe zielgerichtet, damit aus Exportideen neue Erfolge für Unternehmen und ganz Österreich werden.
Beim Thema Export ist das kleine Österreich international eine große Nummer: Unser Land zählt pro Kopf zu den Top-10-Exporteuren weltweit. Das sichert Wertschöpfung und rund 1,2 Millionen Arbeitsplätze in Österreich. Damit noch mehr Betriebe mit ihren Produkten und Dienstleistungen auf internationalen Märkten erfolgreich sein können, liefert die Internationalisierungsoffensive go-international des Bundesministeriums für Arbeit und Wirtschaft (BMAW) und der Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ) wertvolle Unterstützung.
Weniger Risiko im Auslandsgeschäft
Gemeinsames Ziel ist es, mehr Klein- und Mittelbetriebe zum Export zu motivieren, Unternehmen neue Märkte zu eröffnen sowie auch mehr fixe „Standbeine“ heimischer Betriebe im Ausland möglich zu machen. Die Leistungen von go-international sollen vor allem dabei helfen, das unternehmerische Risiko von Exportgeschäften besonders zu Beginn abzufedern und damit besser kalkulierbar zu machen. Dafür gibt es etwa ein „new to export“-Programm mit praktischen Informations- und Schulungsmaßnahmen. Einen der Förderschwerpunkte bilden auch „new to market“- Maßnahmen für Wachstumsmärkte: Sie umfassen regional gebündelte Informations-, Beratungs- und Veranstaltungsangebote samt attraktiven Konditionen für die Beteiligung an Messen im Ausland. go-international unterstützt natürlich auch wichtige strategische Stärkefelder des Standorts, wie Green-Tech, Technologietransfer, Bildungsexport, Ausfuhr wissensintensiver Dienstleistungen oder Internationalisierung der Kreativwirtschaft.
Direkte finanzielle Unterstützung durch Direktförderungen
Besonders wichtig: Die Internationalisierungsoffensive fördert heimische Unternehmen bei ihren Exportprojekten auch finanziell. Sie können sich einen von zwei für die Marktbearbeitung ausgegebenen Euro zurückholen. Den Antrag kann man digital über das Förderkonto auf go-international.at einbringen. Interessierte Unternehmen können sich von den Außenwirtschafts-Expertinnen und -Experten in den Wirtschaftskammern in den Bundesländern beraten lassen.
Mehr über starke Unterstützung für erfolgreichen Export:

Österreichischer Exporttag 2023
Inspiration und Service rund um Export und Förderungen
Am 20. Juni ist es wieder so weit: Österreichs größte Veranstaltung der Exportwirtschaft vereint die wichtigsten Informationen, neuesten Erkenntnisse und spannendsten Trends aus aller Welt.
Inspiration – Innovation – Expertenwissen
Inspiration, neues Wissen und praktisches Service rund um Exportthemen und Förderungen liefert der von der Internationalisierungsoffensive unterstützte Exporttag 2023 in der Wirtschaftskammer Österreich am 20. Juni in Wien. Hier kann man die geballte Fach- und Länderkompetenz von 64 WKÖ-Wirtschaftsdelegierten aus aller Welt sowie von zahlreichen Exportdienstleistern aus erster Hand nutzen. Mehr als 40 internationale Speaker, ein Conference Track mit mehr als 14 abwechslungsreichen Themen auf 3 Bühnen und viele weitere Side Events informieren und vernetzen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer. So wird der Weg von der Exportidee zum Exporterfolg gut planbar.
Mehr über den Österreichischen Exporttag 2023:

Wirtschaftswachstum verlangsamt sich, bleibt aber positiv
Ein Kommentar von Guy Wagner von BLI – Banque de Luxembourg Investments.
(03.05.) Obwohl sich das Wirtschaftswachstum verlangsamte, blieb es im ersten Quartal in den wichtigsten Regionen positiv. Dies schreiben Guy Wagner und sein Team in ihrem jüngsten monatlichen Marktbericht „Highlights“.
Demnach wuchs das Bruttoinlandsprodukt in den USA im Quartalsvergleich auf annualisierter Basis um 1,1 Prozent und blieb damit sowohl hinter den Erwartungen als auch hinter den 2,6 Prozent zurück, die im letzten Quartal 2022 verzeichnet worden waren. „Das geringer als erwartete Wachstum war vor allem auf die Verlangsamung der Unternehmensinvestitionen und die niedrigen Lagerbestände zurückzuführen, während die Konsumausgaben der privaten Haushalte stiegen“, sagt Guy Wagner, Chief Investment Officer (CIO) von BLI – Banque de Luxembourg Investments.
Außerhalb Chinas dürfte sich Konjunkturabschwächung fortsetzen
In der Eurozone stieg das BIP im Quartalsvergleich um 0,1 Prozent und blieb damit ebenfalls leicht hinter den Erwartungen zurück. In Deutschland stagnierte die Aktivität, und in Frankreich wuchs sie leicht, während Italien, Spanien und Portugal eine stärkere Expansion verzeichneten. In China beflügelte die Wiedereröffnung der Wirtschaft die Wachstumsrate im Jahresvergleich auf 4,5 %, da sich der inländische Konsum erholte. „Außerhalb Chinas dürfte sich die Konjunkturabschwächung in den kommenden Monaten fortsetzen, was hier und da allmählich zu einer Entwicklung hin zu wahrscheinlich negativen Wachstumsraten führen wird“, so der luxemburgische Ökonom.
Eingriffe der öffentlichen Hand sorgen für Ruhe an den Finanzmärkten
Die raschen Eingriffe der öffentlichen Hand zur Beendigung der Turbulenzen im Bankensektor, die durch die Zusammenbrüche der Silicon Valley Bank und der Credit Suisse im vergangenen Monat ausgelöst worden waren, sorgten für Ruhe an den Finanzmärkten. So erwiesen sich die Endfälligkeitsrenditen von Staatsanleihen als sehr stabil und beendeten den April auf einem ähnlichen Niveau wie Ende März.
Aktienmärkte legen trotz Bankenkrise leicht zu
Nachdem sich die Aktienmärkte im März trotz der Bankenkrise als sehr stabil erwiesen hatten, legten sie im April, einem traditionell günstigen Monat für die Aktienkurse, leicht zu. Die Stärke der europäischen Währung verhinderte jedoch einen Anstieg des MSCI All Country World Index Net Total Return in Euro. In lokaler Währung stiegen der S&P 500 in den USA, der Stoxx 600 in Europa und der Topix in Japan. Nur der MSCI Emerging Markets Index fiel, was durch Chinas Militärmanöver, das eine Einkreisung der Insel Taiwan simulierte, beeinträchtigt wurde. „Auf Sektorenebene entwickelten sich Unternehmen aus defensiven Sektoren, von denen die meisten robuste Ergebnisse veröffentlichten, sowie Ölwerte am besten, während Unternehmen aus anderen zyklischeren Sektoren allmählich von der Konjunkturabschwächung belastet werden“, sagt Guy Wagner. „So performten die Sektoren Energie, Basiskonsumgüter und Gesundheit am besten, während die Sektoren Diskretionärer Konsum, Technologie und Materialien am schlechtesten abschnitten.“
Emotionalisierung durch Sportsponsoring
Finanzindustrie will ihr Markenimage durch Sport aufpeppen.
Christian Sec. Auffallend viele Versicherungen versuchen sich als Namensgeber für Fußballstadien. Der neue Cup-Sieger Sturm Graz spielt in der Merkur-Arena, die Wiener Austria spielt in der Generali-Arena und der österreichische Rekordmeister Rapid Wien im Allianz-Stadion.
Die Allianz hat mittlerweile bereits ein Stadion-Imperium aufgebaut. Sieben solcher Sportstätten weltweit tragen den Namen des globalen Versicherers. Die Namensrechte auf das größte Stadion im Allianz-Portfolio, der Heimstätte von FC Bayern München, soll dem Konzern 6 Mio. Euro jährlich kosten. Sport scheint dabei einen gewünschten Kontrast zu den etwas sperrigen und leblosen Versicherungsprodukten zu liefern.
So begründet die Uniqa ihr Engagement im Sport auch mit den Emotionen, die damit verbunden sind. Die Uniqa hat zwar kein Stadion, das seinen Namen trägt, aber konnte 2017 immerhin den ältesten Fußballklub des Landes, die Vienna, als neuer Hauptsponsor vor der Pleite retten. Dazu entsendete die Versicherung gleich einen Uniqa-Vorstand ins Präsidium des heutigen Zweitligisten. Seit einem Jahr ist CFO Kurt Svoboda auch der Präsident des Fußballvereins, der heute wieder große Ambitionen hegt.
Svoboda wurde bis vergangenen Freitag, wo völlig überraschend der Kärntner Verbandschef Klaus Mitterdorfer bestellt wurde, auch als neuer ÖFB-Präsident gehandelt. Nicht zuletzt deshalb, weil die Uniqa im gleichen Jahr als man die Vienna aus dem finanziellen Schlamassel holte, auch eine Partnerschaft mit dem Österreichischen Fußballbund begann. So ist der Versicherer Titelsponsor des ÖFB-Cups und nun auch Partner der Nationalteams bei Männern und Frauen. Fußball ist neben Skifahren das wichtigste Standbein im Sportsponsoring bei der Uniqa. „Die Begeisterung der Bevölkerung für Skisport und dem Fußball ist groß, die Identifikation hoch und wir können damit kundenperspektivisch besser agieren“, so Svoboda gegenüber dem Börsen-Kurier.
Nicht alle sponsern
Fußball und Ski-Alpin sind mit Abstand die Sportarten mit dem größten Sponsoring-Anteil in Österreich. Laut Statista kommt Fußball auf einen Anteil von 28 % und Ski-Alpin auf 27,7 %. Der österreichische Sport-Sponsorenmarkt hat 2022 laut dem Marktforschungsinstitut Focus einen Bruttowerbewert von 1,27 Mrd. Euro. Die Uniqa ist dabei jedoch nur Nummer 10. Ganz vorne liegt laut Focus Audi gefolgt von Red Bull und Admiral Sportwetten. A1 und Raiffeisen folgen auf den weiteren Plätzen.
A1 war in diesem Jahr offizieller Hauptsponsor der Skiweltmeisterschaft. Dabei war dieser Deal nicht von langer Hand geplant. In einem LinkedIn-Posting erklärte Marco Harfmann, Director Marketing Communication bei A1, dass sich eine Gelegenheit bot, sowohl in Saalbach in zwei Jahren als auch in Courchevel als Hauptsponsor zu fungieren. „Es war ein ziemlich heißer Ritt, diesen Deal innerhalb von 48 Stunden in trockene Tücher zu kriegen.“
Die Erste Bank versucht auch abseits der heiligen Kühe Fußball und Skisport ihre Marke zu promoten. 17 Jahre bis 2020 war die Erste Bank Namenssponsor der Eishockeyliga. Dazu war sie über viele Jahre Namensgeber der Heimstätte der Eishockeymannschaft Vienna Capitals. Derzeit stellt die Erste Bank ihr Sportsponsoring auf drei Säulen. Im Bereich Spitzensport sind es die Erste Bank Open, das größte Tennis-Event Österreichs, im Breitensport sind es z. B. Laufbewerbe, wie der Vienna City Marathon, und in der Nachwuchsförderung z. B. die Sparkassen Schülerliga.
Aber nicht alle Banken sind im Sportsponsoring aktiv. Die Bawag beispielsweise hat derzeit Sportsponsoring nicht im Fokus, wie sie auf Anfrage des Börsen-Kurier angibt.
Foto: Himmelhof
In Infrastruktur investieren
Zweistellige Renditen über lange Zeiträume mit ausgewählten Infrastrukturaktien.
Michael Kordovsky. Mautstraßen, Schienennetze, Erdöl- und Erdgaspipelines, Flüssiggas-Terminals, Stromnetze, Flug- und Seehäfen haben eine Gemeinsamkeit: Sie haben hohe Eintrittsbarrieren (Investitionskosten und begrenzte Konzessionen) und in der Regel sind es regional natürliche Monopole, da die Gesamtkosten zur Bereitstellung eines Produkts oder einer Dienstleistung geringer sind, wenn nur ein Anbieter vorhanden ist. Daraus resultiert eine hohe Pricing-Power im Rahmen der staatlichen Regulatorien. Meist regeln Konzessionsverträge die Relation zwischen Inflationsentwicklung und Preisanhebungen. Dass sich das lohnt, zeigen der weltweit 153 Infrastrukturaktien enthaltende „GLIO Index“ mit 11 % p.a. (bis 31. März 2023) sowie der DJ Brookfield Global Infrastructure mit +10,5 % p.a., und dies jeweils bei einer niedrigeren Volatilität als beim MSCI World, der im gleichen Zeitraum „nur“ 9,4 % p.a. an Performance erzielte.
Stromversorgung und Telekom-Infrastruktur
Mit einem Plus von 30,5 % p.a. über 20 Jahre hinweg sticht der US-Wert SBA Communications (ISIN: US78410G1040) hervor. Das Unternehmen ist auf Mobilfunk-Infrastruktur in Nord-, Mittel- und Südamerika sowie Südafrika spezialisiert und stellt Sendemasten zur Verfügung. Die Rentabilität des investierten Kapitals lag zuletzt bei 10,5 % und das Betriebsergebnis aus dem Leasing-Geschäft wuchs von 2016 bis 2022 um 7,9 % p.a. auf umgerechnet mehr als 1.700 Mio. Euro. Laut Analystenschätzungen sollte sich der bisherige Wachstumstrend weiter fortsetzen. Solide Renditen, aber nun eher im hoch einstelligen bis knapp zweistelligen Bereich, erscheinen realistisch.
Größeres Kurspotenzial birgt ein US-Stromversorger in sich, der auf Sicht von 22,5 Jahren bereits 14 % p.a. im Plus liegt. In Florida versorgt der auf erneuerbare Energie spezialisierte Versorger NextEra Energy (US65339F1012) rund 12 Mio. Einwohner mit Strom. Das Unternehmen ist global führend in der Stromerzeugung aus Wind und Sonne und auch Leader in der Batterie-Zwischenspeicherung. Von 2007 bis 2022 wuchsen der um Sonderposten bereinigte Gewinn/Aktie und die Dividendenzahlung/Aktie um je 8,3 bzw. 9,9 % p.a. Ab 2012 beschleunigte sich das Gewinnwachstum auf 9,8 % p.a., verglichen mit 3,9 % p.a. bei den Top-zehn-Stromfirmen in puncto Marktkapitalisierung.
Mautstraßen, Flughäfen, etc.
Unter den Mautstraßenbetreibern, die in der Regel hervorragenden Inflationsschutz bieten, ist die australische Atlas Arteria (AU0000013559), die auch in Frankfurt notiert und Autobahnen in Frankreich und den USA (Chicago Skyway und Dulles Greenway) sowie den Warnow Tunnel in Rostock (Deutschland) betreibt, mit 21,1 % p.a. in den vergangenen zehn Jahren der Shooting Star. In Europa ein wichtiger Player ist der französische Konzessions- und Baukonzern Vinci S.A. (FR0000125486), der in mehr als 110 Ländern aktiv ist und neben dem Baugeschäft auch im Bereich Mautstraßen und Energieinfrastruktur tätig ist. Nettogewinn und freien Cashflow steigerte Vinci in den vergangenen zehn Jahren um je 8 bzw. 11 % p.a.
In den Schwellenländern überzeugte in den vergangenen zehn Jahren mit 20,8 % p.a. Performance hingegen Airports of Thailand (TH0765010R16), die auch in Deutschland notiert. Im Bereich Erdöl/Erdgas-Pipelines und Terminals mit 19 % p.a. in den vergangenen zehn Jahren im Plus ist Cheniere Energy (US16411R2085), ein Betreiber von Flüssiggasterminals in den USA.
Foto: AdobeStock / zhu difeng
Qualität gegen Inflation
Französische Fondsgesellschaft Comgest setzt auf „Pricing-Power“.
Harald Kolerus. „Die vergangenen Jahre waren herausfordernd und schwierig, auch für unsere Strategie“, sagte Laure Négiar, Portfoliomanagerin bei Comgest, frei von der Leber weg in einem Live-Webinar. Langfristig sei die Performance, die sich mit „Quality Growth“ einfahren lasse, aber stark. Darunter ist der Fokus auf Aktien mit langfristigem bzw. nachhaltigem Wachstum zu verstehen. Diese werden bei der französischen Gesellschaft Comgest anhand eines selektiven Stock-Picking-Prozesses und Fundamentalanalyse gefunden. Investiert wird ausschließlich „long only“ in Aktien.
Schlüsselmoment
Négiar erklärte einige der Vorteile von Quality Growth im aktuellen Umfeld: „Die Inflation ist ein großes Thema an den Märkten, wobei Qualitätsunternehmen in der Regel bei den Umsätzen von der Teuerung profitieren können.“ Das funktioniert dann gut, ohne dass die Margen leiden müssen, wenn Unternehmen über Preissetzungsmacht verfügen. Das heißt, sie haben eine derart starke Marktstellung, dass sie die Preise für ihre Produkte erhöhen und somit die Inflation an ihre Kunden weitergeben können.
Ein Beispiel wäre die Office Suite von Microsoft (ISIN: US5949181045), die auch – sinngemäß – wie warme Semmeln gekauft wird, wenn sie teurer wird. „Pricing-Power ist einer der Schlüsselmomente im derzeitigen Umfeld“, so die Expertin.
Marathon und „frisches Blut“
Als Unternehmen mit besonders starker Preissetzungsmacht sieht man bei Comgest neben Microsoft auch Linde (IE000S9YS762) und ASML (USN070592100). Mit Blick auf das erste Quartal 2023 sagte Comgest-Portfoliomanager Zak Smerczak: „Die Unternehmen innerhalb unserer Global-Equity-Strategie haben sich heuer als sehr resilient erwiesen, wir sehen unsere Philosophie bestätigt.“ Négiar fügte hinzu: „Wir befinden uns direkt in der Berichterstattungsperiode, wir sehen eine gute Entwicklung bei den AGs, in die wir investiert sind. Zum Teil liegen die Ergebnisse über den Erwartungen.“ Gehen wir noch etwas tiefer in die globale Quality-Growth-Strategie: Hier ergänzen sich „Marathonläufer“, an denen schon lange Beteiligungen gehalten werden, mit „Newcomern“. Zu den Langstreckenläufern zählen wiederum Microsoft, L‘Oréal, Eli Lilly, Keyence und Visa. Für „neues Blut“, also Zukäufen in den letzten zwei Jahren, sorgten Lonza, Alcon, Analog Devices, Recruit und Adyen.
Grüne Kraft
Das ist aber noch nicht alles; einen genaueren Blick warf Négiar auf Linde: „Das Unternehmen spielt in der Dekarbonisierung eine wichtige Rolle, es ist ein sogenannter ‚Enabler‘.“ Linde ermöglicht bzw. unterstützt somit die grüne Energiewende, und zwar mit seiner führenden Rolle im Bereich der Industriegase. Diese sind wiederum eng mit der Zukunftshoffnung „blauer“ sowie „grüner“ Wasserstoff verbunden. Außerdem ist Linde stark positioniert bei der Absonderung und Speicherung von CO2 (Carbon Capture, ebenfalls ein vielversprechender Trend).
Ein weiteres interessantes Unternehmen ist Daikin (JP3481800005), das die Comgest-Experten als „führend bei grünen Klimaanlagen“ bezeichnen. Smerczak führte weiter aus: „Es mag vielleicht auf den ersten Blick verwundern, einen Klimaanlagen-Hersteller als nachhaltig zu bezeichnen, aller-dings weisen die Geräte von Daikin eine deutlich bessere Klimabilanz auf als die der Mitbewerber. Daikin steht bisher noch nicht so sehr im Mittelpunkt der Analysten, die Marktanteile hingegen wachsen gut.“ Quality Growth eben, erfreulicherweise mit dem Megatrend Nachhaltigkeit verbunden.
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Produktion in Hoffnungsmärkten
Unternehmen verstärken Direktinvestitionen in Südostasien und Südamerika.
Christian Sec. In den letzten Jahren sind die Direktinvestitionen in die ASEAN-Länder Südostasiens sowie nach Südamerika stark gestiegen. Zwischen 2014 und 2021 versechsfachten sich die Direktinvestitionen in Thailand, Malaysia, Indonesien und Indien auf rund 3,5 Milliarden Euro. In Südamerika stiegen die Ausgaben österreichischer Unternehmen im gleichen Zeitraum um das Zweieinhalbfache auf 7,5 Milliarden Euro. Für Unternehmen mit hohen Umsatzanteilen in Asien taugen die ASEAN-Länder in Südostasien als Produktionshub und Vertriebsstandort für den gesamten asiatischen Markt. Ein Freihandelsabkommen zwischen China und den ASEAN-Ländern erleichtert zudem den Zugang zum chinesischen Absatzmarkt.
Der steirische Leiterplattenhersteller AT&S investiert gerade in zwei Werke in Kulim in Nordmalaysia. Insgesamt beträgt dabei die Investitionssumme rund 1,75 Milliarden Euro. Die Beweggründe gerade für diesen Standort sind eine gut etablierte Fachkraftkompetenz im Bereich Mikroelektronik, wie AT&S- CEO Andreas Gerstenmayer in einer Aussendung erklärt. AT&S-COO Ingolf Schröder sieht weiters die hervorragende Infrastruktur und die stabile Lieferkette als Standortvorteil dieser Region. Geplant war die Fertigstellung der beiden Fabriken 2024. Im März musste AT&S jedoch bekanntgeben, dass das Milliardenprojekt nun doch langsamer voranschreitet. So geht der Konzern „aktuell davon aus, dass Teile des Investitionsprojekts in Kulim zu einem späteren als bisher geplanten Zeitpunkt realisiert werden“, hieß es in einer Mitteilung.
Südamerika im Kommen
Auch der Holzfaserproduzent Lenzing, der 60 % seines Umsatzes aus dem asiatischen Raum lukriert, investiert in den ASEAN-Ländern. Im vergangenen Jahr gab der Konzern den Produktionsstart einer hochmodernen Lyocellanlage in Thailand in der Nähe von Bangkok bekannt. Das Projekt ist, laut des Konzerns, der erste Schritt, die Produktion mit der Spezialfaser nach Asien zu bringen, wo sich die größten Märkte, die wichtigsten Kunden und das größte Wachstumspotenzial befinden. Der für die Fasern benötigte Zellstoff wird künftig aus einem brasilianischen Werk kommen, das ebenfalls im vergangenen Jahr in Betrieb genommen wurde. Der brasilianische Standort in der Nähe von Sao Paolo besticht, laut Angaben des Unternehmens, durch eine vorteilhafte Holzökonomie, einem starken lokalen Talentepool und einem ausgezeichneten Lieferantennetzwerk. Nicht zuletzt deswegen wurde seit 2000 ein erheblicher Anteil der neuen Zellstoffkapazitäten weltweit in Brasilien errichtet, wie der Konzern auf Börsen-Kurier-Anfrage erklärt. Das Projekt ist das größte der Unternehmensgeschichte, mit einem Volumen von 1,38 Milliarden USD (rund 1,25 Milliarden Euro) und damit noch um einiges größer als das Projekt in Thailand, das rund 400 Millionen Euro verschlang.
Auch der Baumaschinenhersteller Palfinger setzt verstärkt auf Lateinamerika als Hoffnungsmarkt. In Ländern wie Brasilien und Argentinien, wo auch die beiden südamerikanischen Produktionsstätten des Unternehmens liegen, sieht Palfinger-CEO Andreas Klauser „großes Potenzial“. Im vergangenen Jahr stieg der Umsatzanteil des Lateinamerikageschäftes von 4,5 auf 6 %. Vor allem Kräne für die Land- und Forstwirtschaft und den Bergbau werden stark nachgefragt.
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Chancen in volatilen Märkten
Zertifikate können in vielen Börsenlagen interessant sein.
Harald Kolerus. Die Lage an den Finanzmärkten bleibt alles andere als langweilig: In die allgemeinen Rezessionsängste und den nicht enden wollenden Ukraine-Krieg mischten sich zuletzt die Sorgen um eine mögliche Bankenkrise. In dieser nicht einfachen Situation traf sich der Börsen-Kurier in Wien mit Patrick Kesselhut (Foto), Director Public Distribution bei Société Générale.
Bankenkrise kaum Thema
Er meint, dass Zertifikate gerade von Phasen eines volatilen Seitwärtstrends, den viele Experten vorhersagen, profitieren können. Weil einige dieser Produkte den Anlegern ja die Chance bieten, nicht nur bei steigenden Kursen zu reüssieren. Angesprochen auf die dramatische Notrettung der Credit Suisse und diverse Bankenpleiten in den USA (Silicon Valley Bank etc.), sagt Kesselhut: „Wir haben in vielen Gesprächen mit unseren Kunden gesehen, dass die aktuelle Situation von den Investoren viel sachlicher bewertet wurde als noch in den Jahren 2007 und 2008, da Investoren heutzutage besser und umfassender informiert sind.“
Interessant ist in diesem Zusammenhang auch, dass der Experte von reger Nachfrage nach Banken am Zertifikate-Markt berichtet: „Bei den Einzeltiteln, die als Basiswerte gewählt werden, sind Banken ganz vorne dabei. Hier sind Discount-Zertifikaten (also mit Abschlag, Anm.) sehr beliebt.“
Deutschlands Comeback
Wobei Kesselhut überhaupt eine starke Nachfrage nach deutschen Aktien sieht, z. B. aus dem Chemie- und Telekom-Sektor. Was Indizes als Basiswerte betrifft, so spielen die üblichen Verdächtigen Dax, Dow Jones und Nasdaq die erste Geige. Dann folgen Investments in Gold sowie Euro/US-Dollar. Der Spezialist fügt hinzu: „Im Technologie-Segment agieren die Anleger noch immer etwas verhalten, auch wenn die Nachfrage zuletzt etwas angezogen hat. NVIDIA hat Tesla als beliebteste Technologie-Aktie abgelöst.“
Wenden wir aber den Blick noch nach Asien: Das Reich der Mitte hat bekanntlich eine sehr überraschende 180-Grad-Kehrtwende von seiner umstrittenen Null-Toleranz-Politik zu Corona vollzogen. Zu einem „Booster“ hat das unter Anlegern allerdings nicht geführt. Kesselhut dazu: „Bei China-Indizes hat sich dies in der Nachfrage bislang nicht niedergeschlagen, unter den Einzeltiteln ragt der Internet-Riese Alibaba heraus.“
Und wie steht es um spezielle Anlagethemen? Die Société Générale gibt ja in relativ kurzen Abständen immer wieder neue Zertifikate zu interessanten Investmentthemen heraus. Kesselhut: „Unser CO2-Tracker (ISIN: DE000CU3RPS9) wird von Anlegern sehr gut angenommen. Auch im ESG-Bereich steigt die Nachfrage konstant, wenn auch von einem zunächst niedrigeren Niveau.“ Einen richtigen Boom oder gar Hype, wie man das anhand der breiten Diskussion um Klimawandel und Energietransformation viel-leicht vermuten würde, beobachtet der Experte bei Nachhaltigkeits-Zertifikaten allerdings noch nicht.
Gold weiter erste Wahl
Wie sehen die Entwicklungen im Rohstoffbereich aus? Wie bereits erwähnt, bleibt auch im Zertifikate-Universum Gold sozusagen ein Evergreen. „Auch Produkte zu Palladium oder Kupfer zeigen Umsätze, aber im Vergleich zu Gold handelt es sich dabei immer noch um Nischen. Das Edelmetall bleibt nach wie vor die erste Wahl am Parkett“, so der Fachmann.
Weitere interessante Themen, die von der Société Générale mit Zertifikaten abgedeckt werden, sind ohne Anspruch auf Vollständigkeit: Waste Management (DE000SQ7VXM7), Global Security (WKN: SV4C6D), der europäische Green Deal (DE000SR7YGD4) oder Erneuerbare Energien (DE000SQ0DKD6).
Foto: Société Générale
Grüne Rendite auf der Schiene
Stabile Erträge und ökologische Nachhaltigkeit sind die Pluspunkte der Eisenbahnunternehmen.
Stefan Riedel, München. Die Eisenbahn war einer der großen Gewinner der Coronapandemie. Während der Lkw-Transport wegen krankheitsbedingter Ausfälle häufig nicht reibungslos funktionierte, rollten die Züge mit Hunderten von Containern rund um die Uhr. Dazu verbessert sich die Klimabilanz der Züge kontinuierlich. „Vor allem auf Strecken von 300 bis 600 km, wo sie zeitlich mit einem Kurz- oder Mittelstreckenflug konkurrieren können, sind sie die bessere Alternative“, meint Ivo Weinöhrl, Fondsmanager bei Pictet Asset Management. „Der Eurostar auf der Strecke Paris-London verursacht 90 % weniger Emissionen als der äquivalente Flug.“
Auch für Anleger bietet die Eisenbahn ein weites grünes Feld mit Renditepotenzial. Christian Zimmermann, Fondsmanager bei Amundi, sieht vor allem drei Bereiche auf der Überholspur. Der Fokus Dekarbonisierung, die Verbesserung der Infrastruktur sowie die Digitalisierung und Automatisierung, um Produktivität und Effektivität zu steigern.
Aktien aus USA bevorzugt
Bahngesellschaften zeigen beim operativen Geschäft eine langfristig gute Visibilität. Die von Wachstum, Bewertung und geografischer Reichweite aussichtsreichsten Konzerne sind auf dem nordamerikanischen Kontinent angesiedelt. Dort werden die Bahnbetreiber in Zukunft von der Ausweitung auf einen kombinierten nordamerikanischen Handelsraum profitieren.
Union Pacific (ISIN: US9078181081) steht hier für operative Topmargen von 40 %. Mehr als 35 Milliarden USD hat das Unternehmen in den vergangenen zehn Jahren in die Modernisierung und Instandhaltung seiner rund 52.000 Gleise investiert. Der US-Konzern schaffte 2022 ein Umsatzplus von 14 % auf fast 25 Milliarden USD. 45 % des Konzerngewinns werden an die Aktionäre ausgeschüttet. Mittelfristig sollen den meisten Dieselloks ausrangiert und durch Elektroloks ersetzt werden.
Für Canadian Pacific Railway (CA13645T1003) sollte sich dagegen eine Akquisition bezahlt machen. Mit der Übernahme der Kansas City Southern Railway Company (KCS) erweitert sich das Streckennetz beträchtlich. Es erstreckt sich jetzt entlang der nordamerikanischen Küste bis zu einem Tiefseehafen in Mexiko.
Zughersteller leiden
Schwieriger ist das Geschäft der Zughersteller. Für Weinöhrl gibt es eine Vielzahl von Gründen, hier außen vor zu bleiben: „Bei vermeintlichen Nutznießer wie Siemens, Alstom oder Stadler Rail haben sich steigende Auftragseingänge leider bisher nie in signifikante Profitabilität überführen lassen. Aufgrund der hohen Konkurrenz besteht wenig Preissetzungsmacht und die Ausschreibungsverfahren sind langwierig, weil die Auftraggeber hauptsächlich aus dem öffentlichen Sektor kommen.“
Spannend sind dagegen Zulieferer, die in Marktsegmenten top sind. Gut unterwegs sind hier der in Börsen-Kurier 13/2023 vorgestellte Signaltechnik- und Weichenspezialist Vossloh (DE0007667107) und Knorr-Bremse (DE000KBX1006) aus München. Digitale Wachstumsmärkte adressieren Unternehmen, die Software und Hardware für die Betriebssteuerung, die Ticketzahlungen und Fahrgastinformationen entwickeln. Init Innovation (DE0005759807) und IVU Traffic (DE0007448508) sind hier die deutschen Nischenplayer mit den aus Anlegersicht besten Renditechancen.
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Die Degrowth-Debatte: Wachstum verlangsamen!
Ein Kommentar von Dieter Wermuth, Economist und Partner Wermuth Asset Management.
(13.04.) Wie lässt sich vermeiden, dass es auf der Erde immer wärmer wird und es am Ende zu einer Klimakatastrophe kommt? Die Antwort besteht bisher vor allem aus technischen Lösungen, Elektroautos und Wärmepumpen zu subventionieren, Windräder aufzustellen, freie Flächen mit Solarpaneelen zu bedecken, die Speichertechnik zu fördern, neue Hochspannungs-leitungen zu bauen. Mir kommt dabei ein Zitat von Einstein in den Sinn: Probleme kann man niemals mit derselben Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind. Außerdem wird in die Nachfragestruktur eingegriffen, indem die Emission von CO2 verteuert und CO2-intensiver Konsum und CO2-intensive Produktion verboten oder erschwert wird.
Ich will im Folgenden drei andere, fundamentalere Ansätze vorstellen. Sie nehmen die Nachfrage nach Rohstoffen und Ressourcen im Allgemeinen ins Visier und kommen zu der Empfehlung, einfach bescheidener zu leben, nicht so viel zu arbeiten (Keynes), oder sie sehen die langfristige Lösung in einem langsameren Wachstum der Weltbevölkerung, gefolgt von einem Rückgang, sowie einer bewusst herbeigeführten Umkehr des Wirtschaftswachstums (Degrowth).
Im Jahr 1930, also vor fast einem Jahrhundert, hatte Keynes in einem Essay mit dem Titel „Economic Possibilities for our Grandchildren“ eine Zukunft beschrieben, in der infolge des Produktivitätsfortschritts und des Wunders des Zinseszinses die Grundbedürfnisse der Menschen – aller Menschen (!) – befriedigt sein würden, vorausgesetzt das Wachstum der Bevölkerung könne begrenzt und Kriege vermieden werden, und dass den Erkenntnissen der Wissenschaft gefolgt und ein genügend großer Teil des Einkommens in den Kapitalstock investiert würde.
Der Zweite Weltkrieg war auf dem Weg in die glückliche Zukunft, die er sich vorgestellt hatte, bekanntlich dazwischengekommen, aber seit 1945 herrscht zumindest in Europa und in Amerika Frieden, und es hat bisher keinen weiteren Weltkrieg gegeben. Dazwischen gekommen ist allerdings zudem ein für ihn wohl nicht erwarteter starker Anstieg der Weltbevölkerung, von 2 Milliarden im Jahr 1929 auf aktuell mehr als acht Milliarden. Dass es durch das exponentielle Wachstum des globalen Sozialprodukts und der Bevölkerung am Ende Probleme mit dem Klima und den Lebensbedingungen auf diesem Planeten geben könnte, war Keynes damals nicht eingefallen.
Er hatte sich vorgestellt, dass sich die Menschen, vor die Wahl gestellt, zunehmend für mehr Freizeit statt mehr Geld auf dem Konto entscheiden würden, nachdem sie sich keine Sorgen mehr über ein Dach über dem Kopf und die sonstigen Grundbedürfnisse machen müssten. Nachdem der Kampf um’s Überleben gewonnen sei – in 100 Jahren, also heute -, könnte der typische Arbeitstag auf drei Stunden, die typische Arbeitswoche auf 15 Stunden begrenzt werden. Denn arbeiten muss der Mensch noch für einige Zeit, weil es der alte Adam so will – sonst käme er auf dumme Gedanken. Die Frauen der reichen Engländer und Amerikaner, die in Haus und Hof keine Aufgaben mehr hätten, seien ein abschreckendes Beispiel dafür, wohin Müßiggang führt, wenn jemand keine Aufgaben mehr hat.
Im friedlichen Westeuropa sind wir in der Tat fast da angekommen, wo wir nach den Zinseszinsrechnungen von Keynes jetzt sein sollten. Die Menschen haben im Durchschnitt so viel Geld, dass sie sich immer mehr Freizeit leisten könnten. Tun sie das auch?
Die Antwort ist ein klares Ja, aber nicht in dem Maße, wie Keynes es sich vorgestellt hat. Alte Gewohnheiten lassen sich nicht so leicht abschütteln, der Wunsch nach immer mehr Konsumgütern ist nach wie vor stark, nach zusätzlichen und größeren Autos, nach zusätzlichen und größeren Wohnungen und einem aufwendigen Lebensstil. Man will die Nachbarn beeindrucken – keep up with the Joneses! Es geht daher nur langsam voran mit der Zunahme der Freizeit. In Deutschland ist die Jahresarbeitszeit eines durchschnittlichen Erwerbstätigen in den vergangenen 50 Jahren immerhin um etwa 30 Prozent zurück-gegangen, in Japan um 27 Prozent, in Frankreich um 24 Prozent. Keynes hatte eher einen Rückgang um 70 Prozent erwartet. Die Zahlen sollten allerdings nicht zum Nennwert genommen werden: Sie sind nicht so positiv, wie sie auf den ersten Blick erscheinen: Zu einem großen Teil reflektieren sie die Tatsache, dass sich immer mehr Frauen in den vergangenen Jahrzehnten am Erwerbsleben beteiligt haben – und die haben aus nachvollziehbaren Gründen eine Vorliebe für Teilzeitjobs. So groß ist also der tatsächliche Fortschritt selbst in Deutschland oder Japan nicht.
In den USA, dem reichsten der großen OECD-Länder, betrug der Rückgang der Arbeitszeit dagegen nur 7 Prozent. Einer der Gründe ist vermutlich, dass die staatliche und betriebliche Alterssicherung unterentwickelt ist und die Menschen im Allgemeinen fürchten, dass sie im Alter finanziell nicht zurechtkommen könnten. Mehr als zwei Wochen im Jahr Urlaub zu nehmen, gilt beinahe schon als asozial. Nicht zuletzt deswegen sind die Vereinigten Staaten auf pro-Kopf-Basis aber auch der größte Zerstörer der Umwelt. Daran wird sich wohl nur etwas ändern, wenn aus dem Land eines Tages ein Sozial- und Mehrparteienstaat nach europäischem Vorbild wird. Das klingt leider sehr nach Wunschdenken.
Der Club of Rome hatte 1972 in seinem Bericht über die Grenzen des Wachstums unter anderem den naheliegenden Vorschlag gemacht, das Bevölkerungswachstum zu bremsen, etwa indem jeder Frau, die in ihrem Leben nur ein Kind zur Welt bringt, eine attraktive Geldprämie gezahlt wird. Weniger Menschen, weniger Ressourcenverbrauch, eine bessere Umwelt. Es dürfte aber auch ohne solch drastische Maßnahmen bei der Weltbevölkerung in den nächsten Jahrzehnten zu einer Trendwende kommen, vor allem weil die Anzahl der Geburten negativ korreliert ist mit dem Pro-Kopf-Einkommen – das aller Voraussicht global weiter kräftig zunimmt (wenn auch nur im Durchschnitt).
Zurzeit liegt die Fruchtbarkeitsrate der Welt bei 2,31; vor 50 Jahren betrug sie noch 4,55. Erst wenn sie weiter bis auf unter 2,1 sinkt, den Wert, bei dem die Bevölkerung stagniert, endet auch das Bevölkerungswachstum der Welt. Nach den aktuellen Prognosen der UN Population Division wird die Weltbevölkerung um das Jahr 2080 einen Höchststand von 10,5 Milliarden erreichen und dann langsam sinken. Das ist angesichts der Dringlichkeit des Klimaproblems ein viel zu langer Zeitraum.
Vielleicht sollte die Politik doch versuchen, aktiv auf die Geburtenraten einzuwirken, und zwar mit Anreizen statt Verboten. Es muss ja nicht so sein wie bis vor Kurzem in China. Den bei weitem größten Handlungsbedarf gibt es in Afrika: In Nigeria und Äthiopien, den beiden bevölkerungsreichsten Länder des Kontinents, bringen Frauen aktuell im Durchschnitt zwischen vier und fünf Kinder zur Welt, und höchstwahrscheinlich nicht, weil sie sich das so wünschen. In Indien beträgt die Reproduktionsrate zurzeit 2,0, in China nur 1,2 (obwohl die Frauen dort inzwischen drei Kinder haben dürfen). Fortschritt ist also möglich. Jede Kosten-Nutzen-Analyse kommt in den armen Ländern zu dem Ergebnis, dass eine Kontrolle des Bevölkerungswachstums das Gebot der Stunde ist.
Zum Schluss einige Anmerkung zu den Vertretern des Degrowth-Ansatzes. Es ist mehr oder weniger eine Banalität, dass der Verbrauch von Ressourcen zurückgeht, wenn die Wirtschaft, gemessen am realen Bruttoinlandsprodukt, schrumpft. Dann würde auch die Umwelt weniger belastet. Dieser Vorschlag wird von den meisten Volkswirten, fast allen Unternehmen und der breiten Bevölkerung als Hirngespinst abgetan: Er führe zu einem Anstieg der Arbeitslosigkeit und einem Rückgang des allgemeinen Wohlstands. Wie das Beispiel Japan zeigt, muss das nicht so sein: In den dreißig Jahren bis 1990 war das reale BIP dort im Durchschnitt um 6,4 % gestiegen, in den 31 Jahren seitdem nur um 0,7 Prozent. Wenn das nicht Degrowth ist! Von sozialen Unruhen wurde bisher noch nicht berichtet, und die Arbeitslosenquote beträgt nur 2,6 Prozent. Es ist also machbar.
Wichtig scheint mir, dass es in Japan einen starken gesellschaftlichen Zusammenhalt und gelebte Solidarität gibt. In Deutschland bewegen wir uns im Übrigen beim Wachstumstrend ebenfalls in Richtung Null, ohne dass es dadurch bisher zu Aufständen gekommen ist. Nach der Methode der Genfer ILO (International Labour Organisation) liegt die Arbeitslosigkeit bei rekordniedrigen 2,9 Prozent (Ich frage mich allerdings, ob die Beispiele Japans und Deutschlands als Degrowth durchgehen können – es gibt ja immerhin noch etwas Wachstum. Außerdem kann die Degrowth-Empfehlung ja wohl nur für Länder gelten, die bereits wohlhabend sind.)
Wenn der Lebensstandard nur hoch genug ist, ist weiteres materielles Wachstum offenbar nicht mehr so wichtig. Je reicher ein Land, desto unwichtiger und tendenziell umso geringer das Wirtschaftswachstum – und umso besser für die Umwelt. Die Degrowther sind keine Spinner.
Das Hauptproblem besteht darin, dass Länder wie die USA, China oder Russland mit einer solchen Strategie nichts zu tun haben wollen und weiter voll auf wirtschaftliche Expansion und Aufrüstung setzen. Was machen da die Degrowth-Länder? Wieder kommt mir ein Spruch in den Sinn, diesmal von Schiller: Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt. Eine (umweltfreundliche) Degrowth-Strategie in Isolation kann sehr gefährlich sein und wird erst dann ernsthaft in Erwägung gezogen werden können, wenn irgendwann einmal allseits Frieden herrscht. Eigentlich schade.
Edelmetalle und Co. zur Absicherung
Handfeste Investments als Antwort auf Spannungen im Finanzsystem.
Michael Kordovsky. Die letzte Hyperinflation in unseren Breiten liegt bereits 100 Jahre zurück, und exakt 100 Jahre später befinden wir uns in der hartnäckigsten Hochinflationsphase seit Bestehen des Euro. Mit jüngsten Bankenschieflagen stiegen zwischenzeitlich die Spannungen im Finanzsystem. Wer auf mehrere Jahrzehnte vorsorgt, sollte dies in werthaltigen Veranlagungen tun, die selbst im Falle eines Versagens des heutigen Fiat-Währungssystems danach noch immer über einen entsprechenden Tauschwert verfügen.
Gold und Silber als Basisinvestments
Beispielsweise konnte ein reicher Römer im alten Rom für eine Unze Gold eine Toga samt Gürtel und Lederschuhe kaufen. Heute deckt eine Unze im Wert auf jeden Fall einen Designer-Anzug samt Gürtel und Schuhe ab.
In den vergangenen 20 Jahren (per 14.4.) erzielte der Goldpreis in Euro eine Performance von 9,38 % p.a., und charttechnisch ist der Preis in Dollar dabei, die nächste Hürde zu nehmen. Was dabei zählt, ist der physische Besitz von Bulliongold, das in Form von Barren und einschlägigen Münzen, wie Philharmoniker, Maple Leaf oder Krugerrand, in regelmäßigen Zeitabständen erworben werden sollte. Die Vorteile: Mischpreis statt Markttiming, Entfall der Umsatzsteuer, überschaubare Handelsspannen und die Sicherheit eines bereits seit Jahrtausenden funktionierenden Zahlungsmittels. Dazu Edelmetall-Experte Helmut Horeth gegenüber dem Börsen-Kurier: „Fakt ist, Gold ist und bleibt ein sicherer Hafen in Zeiten großer geopolitischer Unsicherheiten und Turbulenzen auf den Finanzmärkten, denn nicht der Preis ist entscheidend, sondern der Besitz.“
Gemeinsam mit Gold ist zuletzt auch Silber im Aufwind, das zwecks Einsparung der Umsatzsteuer in Zollfreilagern angespart werden sollte. In diesem Zusammenhang bietet sich auch das Ansparen wichtiger Seltener Erden an, das sein Unternehmen Golden Gates Edelmetalle ab 50 Euro pro Monat anbietet.
Silber gilt als Geldanlage und Verbrauchsgut, insbesondere im Zeitalter der E-Autos. „Pro Elektroauto werden in etwa drei Unzen Silber verbaut, das Dreifache eines mit Benzin betriebenen Autos. Durch die Energiewende und den Ausbau der Elektromobilität, KI und auch Photovoltaik steigt der Bedarf um ein Vielfaches und ich kann mir einen Anstieg auf über 30 Dollar die Unze in den nächsten drei Jahren durchaus vorstellen“, so Horeth.
Ergänzend können auch die bereits genannten Seltenen Erden angespart werden. Hier dominiert China den Markt, denn in der restlichen Welt ist aktiver Abbau rar. Entsprechende Metalle, die für die Umstellung auf eine klimaneutrale Wirtschaft benötigt werden, sind dabei Ruthenium (z. B. für Erzeugung synthetischer Kraftstoffe), Iridium (Bestandteil von Katalysatoren zur Wasserstoffgewinnung), Dysprosium (Hochleistungsmagneten: wichtig bei Herstellung von Windkraftanlagen), Praseodym (Verwendung in modernsten Hybrid- und Elektromotoren), Neodym (Bestandteil von Supermagneten für E-Fahrzeuge und Windkraft) und Terbium (Supermagnete für Wind- und Wasserkraft sowie E-Autos). „Experten erwarten in den nächsten fünf Jahren eine Verzehnfachung der heutigen Preise“, so Horeth.
Rohstoffaktienfonds 60 % der Vorsorge können im aktuellen Umfeld physische (Edel-) Metalle sein. Wobei 25 % Gold, 20 % Silber und 15 % Seltene Erden eine ausgewogene Verteilung darstellt. 40 % hingegen sollten in Rohstoffaktienfonds investiert werden. Der Vorteil: Über höhere Unternehmensgewinne und Kursanstiege der einzelnen Gesellschaften profitieren Anleger von steigenden Rohstoffpreisen häufig mit einer Hebelwirkung. Es fallen – im Gegensatz zur Nachbildung von Rohstoff-Futures – keine Rollverluste an und auch die Diskussionen über Kontrahentenrisiken, wie im Falle von ETFs, die mittels Swaps das Portfolio replizieren, bleiben erspart.
Interessante breit gestreute Rohstoffaktienfonds sind z.B. der „Amundi Aktien Rohstoffe“ (ISIN: DE0009779884) oder der „Ninety One Global Strategy Fund-Global Natural Resources Fund“ (LU0345780950) mit einer 10-Jahres-Performance von jeweils 7,14 bzw. 6,88 % p.a. Ein ausgewogener Klassiker ist der „BlackRock Global Funds – Natural Resources Growth & Income Fund Class A4G USD“ (LU0654597011), der mit knapp 40 % den Mining-Sektor, rund 36 % den Energiesektor und ca. 21 % den Agrarsektor abdeckt und es in den vergangenen zehn Jahren auf eine Performance von 6,55 % p.a. brachte. Zu den Top-Positionen zählen unter anderem Shell, Glencore, Exxon Mobil, Vale und BP.
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Inflationsschutz fürs Portfolio
Veranlagungen, die sich als probates Mittel anbieten.
Michael Kordovsky. Derzeit weisen sowohl Staats- als auch Unternehmensanleihen weitgehend noch negative Realrenditen auf. Das Zinsniveau ist noch nicht hoch genug, dass auch inflationsindexierte Anleihen attraktiv wären und bei weiteren Renditeanstiegen herrschen auch dort Durationsrisiken (Zinshebel!). Somit beschränkt sich das Spektrum primär auf Sachwerte.
Bei den Aktien sieht es sehr langfristig betrachtet schon wesentlich besser aus: Laut einer bekannten Analyse der britischen Wirtschaftsprofessoren Elroy Dimson, Paul Marsh und Mike Staunton brachten es Aktien weltweit von 1900 bis ins Jahr 2020 auf eine Realrendite von 5,2 % p.a. (in Industrieländern 5,4 % und in Schwellenländern 3,9 % p.a.). Dabei konnten US-Aktien zur Inflation sogar um 6,6 % p.a. an Mehrwert generieren. Somit sind Aktien zumindest ein Mittel, um die Inflation langfristig zu schlagen. Hingegen mehr unmittelbaren Inflationsschutz bieten Erdöl- bzw. Erdgas-Aktien, sprich Anteile integrierter Öl- und Gas-Konzerne oder von Explorationsunternehmen und Explorationsausstattern wie Schlumberger und Halliburton.
Aber auch börsennotierte Infrastrukturaktien können einen gewissen Inflationsschutz bieten. Infrastruktur-Betreiber können gestiegene Kosten in der Regel an ihre Kunden weitergeben, wobei es je nach Regulatorik Verzögerungen von mehreren Quartalen geben kann. Attraktiv sind hier Betreiber von Mautstraßen und Stromnetzen. Generell interessant erscheinen die Infrastrukturwerte des GLIO (Global Listed Infrastructure Organisation)-Index, der Firmen aus Bereichen mit hohen Eintrittsbarrieren inklusive natürlicher Monopole enthält und in den vergangenen 20 Jahren bis 2022 eine Performance von 12,1 % p.a. erzielte.
Gold und Farbedelsteine
Jenseits der Wertpapiere zumindest Wertebeständigkeit unabhängig vom Geldsystem bieten Gold und Farbedelsteine. Betrachtet man eine Untersuchung von Rothschild & Co über den Zeitraum 1971 bis 2021, so zeigte sich der Inflationsschutz von Gold ab Inflationsraten von 6 %. In Jahren mit sechs bis 8 und mehr als 8 % US-Inflation liegt die reale Wertentwicklung im Schnitt bei 17,8 bzw. 22,0 %, hingegen. In Jahren mit null bis zwei Prozent bei minus 1,1 %. Allerdings liegen die Jahre mit 6 % Inflation und darüber in der Periode 1973 bis 1982 (USA), und diese war geprägt von einer Aufholjagd nach jahrzehntelangem Fixpreis (Bretton Woods System). In der aktuellen Inflationsphase liegt der Goldpreis seit Anfang 2022 bereits 9,7 % im Plus (per 14.4.).
Bei den Farbedelsteinen lohnt sich eine Fokussierung auf Rubine als in der Natur am seltensten vorkommende. Thomas Schröck quantifiziert deren Performance in den vergangenen 20 Jahren mit 8 % p.a. verglichen mit je 6 bzw. 5 % p.a. bei Blausaphir und Smaragd. Mit einem Mindestinvestment von 3.000 Euro ist man dabei, so der Edelstein-Experte gegenüber dem Börsen-Kurier.
Immobilienpreise leiden unter Zinsanstiegen
Zwar sind bei Immobilien die Mieterträge an den Verbraucherpreisindex gebunden, doch ansonsten konkurrieren Immobilien mit Anleihen als defensive Anlage. Mit Renditeanstiegen am Bondmarkt wurden zuletzt wieder die Anleihen vergleichsweise attraktiver, zumal die Mietrenditen nach einem langjährigen Höhenflug in Österreich nur noch zwischen 1 und 4 % liegen. Laut Wohnimmobilienpreisindex für ganz Österreich (veröffentlicht von der OeNB) lag der Anstieg von 2000 bis 2022 bei 4,7 % p.a. (also über der Inflationsrate). Das klingt zwar auf ersten Blick gut, doch Vorsicht: Untersuchungen der EZB zeigen, dass Hypothekarkreditzinsanstiege binnen zwei Jahren an den Häusermärkten im Euroraum ihre volle Wirkung zeigen, und zwar umso stärker je niedriger das Ausgangsniveau ist. Mittlerweile sind die Preise bereits wieder beim Abbröckeln. In 15 EU-Mitgliedstaaten sanken die Hauspreise vom dritten auf das vierte Quartal 2022. Am höchsten war dabei das Minus in Dänemark (-6,5 %), Deutschland (-5,0 %) und Zypern (-4,0 %).
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Wenn Aktien ihre Kraft verlieren
Ein Blick auf einen Sonderfall im Aktiengesetz.
Barbara Ottawa. Bei uns zu Hause hängt die „Konsum-Aktie“ auf der Toilette. Dieser Anteilsschein an der Genossenschaft, die Mitte der 1990er-Jahre Insolvenz angemeldet hat, fällt natürlich nicht unter das Aktiengesetz. Aber genauso wie dieses ehemalige Wertpapier können auch Aktien ihre Gültigkeit verlieren bzw. für kraftlos erklärt werden.
Des Öfteren geschieht dies im Rahmen einer Kapitalherabsetzung. Diese Reduktion des Grundkapitals hilft zum Beispiel entstandene Verluste zu beseitigen. Je nach auf der Hauptversammlung beschlossener Vorgehensweise können hierbei Aktien zum Beispiel kraftlos erklärt werden.
Eines der bekanntesten Beispiele an der Wiener Börse in der jüngsten Vergangenheit war die 2002 von der Börse genommene Libro AG. Im Zuge der Insolvenz hatte das Unternehmen im November 2001 noch eine Kapitalherabsetzung vorgenommen. Dabei wurden alle Aktionäre aufgefordert, alten Aktien zum Umtausch im Verhältnis 134 zu 1 zu hinterlegen. Alle nach einem Stichtag nicht hinterlegten Aktien wurden für kraftlos erklärt.
Gesetzesänderung
Einen ganzen Schwall an kraftlosen Aktien erzeugte in Österreich eine im Jahr 2011 beschlossene Gesetzesänderung. Mit Inkrafttreten des Gesellschaftsrechts-Änderungsgesetzes 2011 („GesRÄG 2011“) mussten sämtliche noch als „effektive Stücke“, also einzelverbriefte Papierurkunden, ausgegebene Aktien vieler an der Wiener Börse notierter Unternehmen in Sammelurkunden verbrieft werden. Besitzer physischer Papieraktien mussten damals ein Depot anlegen und ihre effektiven Stücke gegen Sammelurkunden eintauschen.
Betroffen waren unter vielen anderen die Aktionäre der Andritz AG. Nach einem rechtlich vorgeschriebenen handelsgerichtlichen Kraftloserklärungsverfahren gefolgt von einem Vorstandsbeschluss wurden 21 Aktien der Andritz AG mit Wirkung zum 2. November 2012 als kraftlos erklärt.
Auch etwa der Verbund, der Flughafen Wien und die Lenzing AG mussten damals auf Sammelurkunden umstellen. Letztere hielt 2012 in einer Aussendung fest, dass Besitzer kraftlos erklärter Aktien „Aktionäre der Gesellschaft bleiben“. Sie konnten „jederzeit auch nach Kraftloserklärung bei der Einreichstelle unter Einreichung der für kraftlos erklärten effektiven Stücke die Buchung einer Gutschrift auf ein (…) Wertpapierdepot verlangen“. Danach konnten sie auch wieder Dividenden beziehen und an Hauptversammlungen teilnehmen.
Unter dem Hammer
Manchmal gelangen für kraftlos erklärte Aktien auch zur Versteigerung. Einerseits können das physische Aktien oft älteren Datums sein, die zu Sammlerstücken geworden sind. Oder aber auch die Wertpapiere des Lieblingssportclubs, die in Fan-Sammlungen nicht fehlen dürfen.
Laut Aktiengesetz (§ 179 AktG) müssen „die an Stelle der für kraftlos erklärten Aktien auszugebenden neuen Aktien“ über einen Börsenmakler verkauft werden. Beim Fehlen eines Börsenpreises, etwa durch erfolgtes Delisting, hat eine öffentliche Versteigerung stattzufinden.
Und so kann es im Sonderfall „kraftlose Aktien“ zu einem besonderen Sonderfall kommen: Ende März 2023 wurden 40.183 Aktien einer 2016 von der Börse genommenen AG in Wien versteigert. Es waren dies Anteile an der ehemaligen Nexxchange AG, die seit 2016 nicht mehr börsennotiert ist, aber als GmbH weiterbesteht. Aktionäre, die ihren Aktienbesitz gegenüber der Gesellschaft offengelegt haben, wurden Gesellschafter in der GmbH. Ein Anteil im Firmenbuch in der Höhe von 1 Euro pro nicht reklamierter Aktie blieb frei. Mit der Versteigerung der kraftlosen Aktien en bloc wurde dieser Anteilsposten gefüllt.
Nexxchange war der von 2013 bis 2016 gültige neue Name der ehemaligen IPO Board Net AG. Das Delisting erfolgte laut Auskunft des Gründers Michael Briem gegenüber dem Börsen-Kurier aufgrund von „geringem Interesse der Aktionäre und zu kleine Marktkapitalisierung bzw. zu hohen Kosten“.
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Signifikanter Mehrwert durch ESG
Wie das Chancen-Risiko-Verhältnis bei Geldanlagen verbessert werden kann.
Michael Kordovsky. Weltweit sollte das nach ESG(Umwelt-, Sozial- und Governance)-Kriterien verwaltete Vermögen laut Bloomberg Intelligence (Februar 2021) bis 2025 auf rund 48,6 Billionen Euro wachsen und somit über ein Drittel des verwalteten Gesamtvermögens ausmachen. Mittlerweile sind durch Offenlegungs- und Taxonomie-Verordnung in der EU Anlageberater und Investoren dazu gezwungen, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Wachsende Kapitalbeträge fließen in nachhaltige Investments und bereits seit mehreren Dekaden schneiden nachhaltige Firmen wirtschaftlich tendenziell besser ab.
Dazu Josef Obergantschnig, ESG-Berater und Präsident von „Ethico – Verein für Wirtschaft und Ethik“ gegenüber dem Börsen-Kurier: „Die Metastudie von Friede, Busch, Bassen zeigte schon 2015 auf, dass Nachhaltigkeit vor allem in den Emerging Markets einen positiven Performance-Beitrag erwarten lässt.“ Konkrete Resultate aus der Betrachtung von mehr als 2.000 empirischen Studien seit den frühen 1970er-Jahren: Rund 90 % aller Studien zeigten keine negative Wirkung auf die finanzielle Performance von Unternehmen. Mit 65,4 % am höchsten sind die positiven Nachhaltigkeitseffekte in den Schwellenländern, verglichen mit 42,7 % in Nordamerika und 26,1 % in Europa.
„Begründet kann das damit werden, dass europäische, japanische und auch US-amerikanische Unternehmen flächendeckend gewisse nachhaltige Aspekte umsetzen, vor allem was den Governance-Bereich betrifft. In den Emerging-Markets-Ländern sind wesentliche rechtliche Unsicherheiten vorhanden und es ist deutlich mehr ‚Luft nach oben‘ als in den entwickelten Ländern. Das könnte zur Folge haben, dass ESG als Risikomanagement-Tool tatsächlich zu einem signifikanten Mehrwert führt“, erklärt Obergantschnig.
Fakt ist, dass Unternehmen, die soziale, ökologische und Governance-bezogene Aspekte berücksichtigen, deutlich weniger wahrscheinlich in Schieflage geraten bzw. Skandale verursachen. Häufig vernachlässigen ESG-Analysen aber das G-Element. „Das Verständnis von Governance-Risiken und -Chancen bei der Entscheidungsfindung ist jedoch von entscheidender Bedeutung, da schlechte Corporate-Governance-Praktiken den Kern einiger der größten Unternehmensskandale bildeten. Der Skandal um die Abgastests von Volkswagen, der Missbrauch von Daten durch Facebook und andere Vorfälle der letzten Zeit haben diesen Unternehmen erheblichen finanziellen Schaden zugefügt“, erklärt Obergantschnig und ergänzt: „Untersuchungen von S&P Global zu Governance-Faktoren haben gezeigt, dass Unternehmen, die in Bezug auf Good-Governance-Merkmale weit unter dem Durchschnitt liegen, besonders anfällig für Missmanagement sind und ihre Fähigkeit, Geschäftschancen zu nutzen, langfristig gefährden. So war zum Beispiel der Governance-Score von Wirecard bei vielen Research-Agenturen bereits lange vor dem Skandal relativ schwach, da diverse Vorwürfe in Richtung Transparenz und Bilanzierung schon lange vorher bekannt waren.“
Klimafreundlich, sozial und transparent geführt zu sein lohnt sich auch in puncto Börsenwert. Dazu Obergantschnig: „Der Kapitalmarkt gewährt Unternehmen mit besseren Nachhaltigkeitsbewertungen deutlich höhere Multiplikatoren. So ergab eine EY-Analyse für Unternehmen mit exzellentem Nachhaltigkeitsrating einen Bewertungsaufschlag von 2,0 Mal ihres Ebitda gegenüber solchen mit einer schwachen Nachhaltigkeitsperformance.“
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Mit Algorithmen zu Blockbustern
Wie KI für die Medikamenten-Entwicklung immer wichtiger wird und Investoren davon profitieren können.
Samuel Croset. Künstliche Intelligenz (KI) und maschinelles Lernen mithilfe von Algorithmen sind in der Medikamentenentwicklung in zweierlei Hinsicht eine disruptive Technologie. Zum einen sind sie ein Vehikel, um Moleküle für die klinische Entwicklung zeit- und kostensparender zu identifizieren. Zum anderen lassen sich klinische Studien dank der Vielzahl der zur Verfügung stehenden Daten so aufsetzen und Patienten so auswählen, dass sich Kosten, Zeitraum und vor allem das Risiko von Fehlschlägen deutlich reduzieren.
Auf der anderen Seite eröffnet künstliche Intelligenz die Chance für Biotechinvestoren, die Tiefe der Due-Diligence-Prüfung im Rahmen der Titelauswahl durch eine breitere Datenbasis zu verbessern. Die Arbeit der Portfoliomanager selbst wird künstliche Intelligenz nicht ersetzen. De facto soll sie aber zusätzliche Informationen für die Fundamentalanalyse stellen, um die Titelauswahl innerhalb des Investment-Universums wesentlich zu erleichtern.
BB Biotech hat in den letzten Jahren eine Vielzahl an Datensätzen mit unterschiedlichsten Arten von Informationen in ihre IT-Infrastruktur integriert. Dieser Datenpool enthält patientenbasierte Daten, Versicherungsansprüche, grundlegende Informationen über Präparate, Nachrichten, veröffentlichte Studien und Berichte, wissenschaftliche Literatur und die Informationen aus dem internationalen Netzwerk des Portfolio Management Teams. So vielfältig wie die Quellen sind auch die Erkenntnisse, die sich aus der Datenanalyse ableiten lassen. Ein Beispiel ist die Beschaffenheit des kommerziellen Potenzials, das sich aus dem Wirkprofil, dem Wettbewerb und der Quantifizierung der Epidemiologie und des unbefriedigten medizinischen Bedarfs der Patienten ergibt. Daneben sollen die Daten Aufschluss über die Patientenreise und den Weg durch das Gesundheitssystem bieten, indem Erstattungsmuster von Versicherungsgesellschaften untersucht werden, die letztlich für die Kosten der vermarkteten Therapien aufkommmen.
Konkret helfen moderne Analysen etwa bei der Behandlung schwerer Depressionen dabei, folgende komplexe Fragen zu verstehen: Wie viele Patienten sprechen auf eine Therapie nicht an und haben von einer Behandlung in eine neue Therapie gewechselt? Nach welcher Zeit und aus welchen Gründen? Was sind die vorgegebenen medizinischen Fortschritte für die aktuell zugelassenen Arzneien? Wie oft müssen die zugelassenen Arzneien eingenommen werden und wie – patientenfreundlich als Tablette oder etwa per Injektion – werden sie verabreicht?
Fokus auf Onkologie
Wir sind davon überzeugt, dass sich mit modernen Analysen in Zukunft vor allem in Indikationen wie Onkologie signifikante Fortschritte erzielen lassen. Hier sind große Mengen an Patienten- und allgemeinen globalen Daten verfügbar, mit denen sich Produkte mit dem besten Wirkprofil und Patienten, die besonders gut auf einen Wirkstoff ansprechen, identifizieren lassen. So entsteht ein Produkt, das ein besonders großes Potenzial für die Kommerzialisierung verspricht. Zahlreiche Unternehmen entwickeln neue Arzneimittelkandidaten nicht nur für die Onkologie, sondern für sämtliche Therapiebereiche, insbesondere Neurologie/Psychiatrie und Autoimmunerkrankungen, um heterogene Patientenpopulationen mithilfe von Biomarkern und Arzneimittelzielen, die durch KI entdeckt wurden, besser zu segmentieren.
Zugleich greifen Biotechs selbst in ihrer Forschung und Entwicklung auf algorithmenbasierte Tools zurück. Eine seit etwa 2015 wachsende Zahl an Firmen, von denen sich die meisten noch über Wagniskapital finanzieren, setzt ganz auf Computational Biotech, also die Kombination von künstlicher Intelligenz und maschinellem Lernen. Die Mehrheit dieser Unternehmen forscht und entwickelt in der Neurologie und der Krebsmedizin. Bei den Medikamentengattungen zeigt sich, dass traditionelle niedermolekulare Substanzen, gefolgt von Biologika (Antikörper und Peptide), eindeutig überwiegen. Niedermolekulare Substanzen sind besonders attraktiv, weil sich die Moleküle einfacher in großen Mengen entwickeln und weil es bei ihnen mehr KI-Instrumente und Forschungsdaten gibt.
Wie vielversprechend KI-basierte Medikamentenkandidaten tatsächlich sind, darüber könnten die nächsten Jahre wichtige Rückschlüsse bringen. Bei einer wachsenden Zahl dieser Produkte beginnen die Wirksamkeitsstudien in der klinischen Phase II, die Mehrheit der mit Hilfe künstlicher Intelligenz entwickelten Produkte (42 %) befinden sich allerdings noch im präklinischen Stadium.
Autor Samuel Croset ist Data Scientist von BB Biotech bei Bellevue Asset Management
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Strategien für Seitwärtsbewegungen
Discount- und Bonuszertifikate in Aktienindizes oder defensiven Werten.
Michael Kordovsky. Für den Fall, dass im Kräftespiel Inflationsbekämpfung versus Bankenstabilisierung an den Aktienmärkten eine mittelfristige Seitwärtsbewegung stattfindet, sorgen Discount-Zertifikate auf solide Blue-Chip-Indizes wie den EuroStoxx50 für Gewinnchancen. Sie ermöglichen den Einstieg in einen Basiswert mit einem Abschlag, wodurch Anleger am Ende der Laufzeit vor leichten Kursverlusten des Basiswerts geschützt sind. Der Preis dafür liegt in einer Begrenzung der Gewinnchancen durch einen festgelegten Höchstbetrag (Cap). Je höher der Cap gewählt wird, desto geringer fällt der Discount aus und umgekehrt.
Derzeit interessant ist beispiels-weise das von der DZ Bank emittierte Discount-Zertifikat auf den EuroStoxx50 mit der ISIN DE000DDZ3Q40 und einer Restlauzeit von 532 Tagen (Bewertungstag 20. 9.2024). Per 6. April 2023 (um 15.20 Uhr) lag der EuroStoxx50 bei knapp 4.304 Punkten. Der Discount lag bei 11,8 % des aktuellen Indexstands. Der Puffer ist erst bei einem Kursrückgang um 11,8 % auf 3.796,1 Punkte (Break Even) aufgebraucht. Darunter beginnen die Verluste. Im Falle eines völlig unveränderten Indexstands am Bewertungstag läge die sogenannte „Seitwärtsrendite“ bei 13,38 % bzw. 8,99 % p.a. Der Cap liegt jedoch bei 4.400 Punkten. Bis zu dieser Obergrenze kann ausgehend vom tatsächlichen Einstiegsniveau (Break Even) eine Maximalrendite von 15,91 bzw. 10,65 % p.a. erzielt werden.
Analog das gleiche Schema gilt beim von HSBC emittierten Discountzertifikat auf den Konsumgüterhersteller Unilever mit Bewertungstag 21.6.2024 und der ISIN DE000HG8KJZ4, das am 6. April (um 16.43 Uhr) laut Onvista eine Seitwärts- und Maximalrendite von 7,6 % p.a. aufweist. Hintergrund: Der Aktienkurs liegt über dem Cap.
Der größte Vorteil von Discount-Zertifikaten liegt darin, dass Gewinne selbst bei moderat rückläufigen Kursen möglich sind und die Gewinnwahrscheinlichkeiten gesteigert werden können. Im Falle eines starken Aufwärtstrends sind die Kursgewinne hingegen beschnitten.
Capped-Bonuszertifikate als Alternative
Eine Alternative für Seitwärtsbewegungen sind Capped-Bonuszertifikate. Bewegt sich der Kurs während der Laufzeit innerhalb der im Voraus festgelegten Bandbreite (zwischen Barriere unten und Cap oben), dann entspricht die Rückzahlung am Laufzeitende mindestens dem Bonuslevel, da der Cap (maximaler Auszahlungsbetrag) mindestens auf Höhe des Bonus-Levels angesetzt wird. Somit bieten Bonuszertifikate bei Seitwärtsbewegungen zusätzliche Ertragschancen. Im Falle von Kursrückgängen bei denen der Basiswert während der Laufzeit die Barriere berührt oder unterschreitet, nehmen Anleger hingegen an den vollständigen Kursverlusten der zugrundeliegenden Aktie teil. Allerdings kann sich der Aktienkurs wieder erholen, wovon Anleger bis zur Höhe des Cap profitieren können. Steigt hingegen während der Laufzeit der Kurs des Basiswerts über den Höchstbetrag (Cap), ohne die Barriere zu berühren, so wird dieser am Ende der Laufzeit zurückgezahlt. Der direkte Kauf der Aktie wäre in diesem Fall besser gewesen.
Wichtige Regel
Je höher das Bonus-Level ist, desto kleiner ist der Abstand zwischen dem anfänglichen Kurs-Level und der Barriere – und umgekehrt. Auch ist bei ansonsten gleichen Parametern die gesamte Bonusrendite umso höher, je länger die Laufzeit ist, denn mit Länge der Laufzeit wächst auch das Risiko einer Unterschreitung der Barriere. Aus diesem Grund sollte der Abstand zur Barriere idealerweise zumin-dest einer Jahresvolatilität des Basiswerts entsprechen
Ein Beispiel
Die Jahresvola im Dax liegt bei rund 19 %. Das von Goldman Sachs emittierte Bonus-Cap-Zertifikat auf den Dax (DE000GZ1WGH6) weist bei einem Indexstand von 15.597,89 Punkten (am 6. April um 17.55 Uhr) auf 343 Tage Restlaufzeit (Bewertungstag 15. 3.2024) eine Bonusrendite von 10,25 % auf. Die Barriere liegt bei 11.000 Punkten bzw. 29,48 % unter aktuellem Indexstand (mehr Puffer als eine Jahresvolatilität). Bonuslevel und Cap betragen jeweils 23.200 Punkte. Bei einem Bezugsverhältnis von 0,01 liegt der Briefkurs bei 210,43 E. Bis zum Bonuslevel wäre es ein Anstieg um 10,25 %.
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Die Zukunft der Growth-Investitionen
Im Gespräch mit Christophe Braun, Equity Investment Director bei Capital Group.
(28.03.) 2022 war ein schwaches Jahr für „Growth“-Aktien. Kein Wunder: Die niedrigen Zinssätze der letzten Jahre hatten zuvor zu vielen Exzessen geführt, darunter auch zu hochbewerteten Aktien, die nicht über die entsprechenden Erträge verfügten. Doch die Zeiten ändern sich. Christophe Braun, Equity Investment Director bei Capital Group, teilt seine Ansichten darüber, wie sich „Growth“-Investitionen entwickeln werden, wo sie nach Möglichkeiten suchen und wie Growth-Unternehmen sich auf den nächsten Bullenmarkt vorbereiten.
Die Aktionäre hätten im letzten Jahr vor allem Tech- und Konsumaktien abgestraft, weiß Braun. In vielen Fällen sei das gerechtfertigt gewesen, in manchen aber auch nicht. Die Frage sei, in welche Richtung sich Growth-Aktien von hier aus entwickeln werden. „Der Markt übersieht möglicherweise die anhaltende Stärke einiger gut aufgestellter Unternehmen“, so Braun.
Darüber hinaus nehme das Innovationstempo weltweit zu. „Ich habe mich mit mehreren Kollegen mit Unternehmen und Risikokapitalfirmen im Silicon Valley getroffen und ich bin zu der Überzeugung gelangt, dass wir bei der Künstlichen Intelligenz (KI) an einem Wendepunkt angelangt sind“, sagt Braun. Der Experte ist der Meinung, dass Geduld, Erfahrung und eine langfristige Perspektive die Schlüssel zur Bewältigung volatiler Märkte seien. „Derzeit stellen sich viele Fragen zu Inflation, Fed und Rezession”, sagt Braun. „Aber wenn wir über den Horizont hinausblicken und uns auf langfristige Anlagethemen konzentrieren, dann sehe ich viele Möglichkeiten vor uns.“
KI sorgt für Dynamik
Die breitere Einführung der KI-Technologie werde eine enorme Rechenleistung erfordern, so Braun. Das stärke die Nachfrage nach Cloud-Diensten und in der Halbleiterindustrie. Seine wichtigste Erkenntnis sei, dass wir uns in einem sehr frühen Stadium der Entwicklung dieser Technologie befinden. Im Moment gebe es einen großen Hype um KI und Fragen zur Genauigkeit von Chatbots. „Trotz des schwierigen Umfelds bin ich von den langfristigen Investitionsmöglichkeiten sehr angetan“, so Braun.
Unternehmen wie Microsoft würden KI-Technologie nutzen, um ihre Angebote zu differenzieren und die Produktivität ihrer Kunden zu steigern. So veröffentlichte das Unternehmen eine Testversion seiner Bing-Suchmaschine, die ChatGPT, einen in Zusammenarbeit mit OpenAI entwickelten Chatbot, nutzt. Microsoft hat auch Pläne bekannt gegeben, die Technologie in seine weit verbreitete Office-Softwaresuite, seine Teams-Plattform und seinen Code-Entwicklungsdienst GitHub zu integrieren. ChatGPT erreichte nach nur fünf Tagen eine Million Nutzer und ist damit der Online-Service, der diese Marke am schnellsten erreicht hat.
„Hacken und Schaufeln” ermöglichen Wachstum in allen Branchen
Eine Lektion, die Braun in seiner Investmentkarriere gelernt hat, ist die Kapitalflüsse und -dürren genau zu beobachten. Wenn Kapital in einen Sektor ströme, führe das in der Regel zu erhöhten Investitionen, die wiederum zu Chancen für die Zulieferer in dieser Branche führen könnten. „Diese Firmen bezeichne ich als Hacken und Schaufel-Unternehmen”, so Braun. Investoren würden solche Firmen manchmal vergessen, obwohl sie oft stabilere Cashflows und ein geringeres Risikoprofil im Vergleich zu den Unternehmen hätten, die sie bedienen.
Während der Pandemie sei beispielsweise besonders viel Geld in die Forschung und Entwicklung im Gesundheitswesen geflossen. Pharmaunternehmen, wie Pfizer und Moderna, die erfolgreich Corona-Impfstoffe und antivirale Behandlungen entwickelt haben, hätten viel Geld in die Hand genommen. Davon würden auch „Hacken und Schaufel“-Unternehmen wie Danaher und Thermo Fisher Scientific profitieren. Diesen versorgen Arzneimittelhersteller mit Testgeräten, Reagenzien und Diagnostika.
Im Gegensatz dazu hätten wir im Energiesektor eine jahrelange Kapitaldürre gesehen, als die Energiepreise nahe Null lagen. Sobald das Angebot knapp geworden und die Preise gestiegen seien, sei das Kapital zurückgekommen. Der rekordverdächtige Cashflow der letzten 12 Monate habe dazu geführt, dass die Bilanzen der Ölproduzenten zu den stärksten der Geschichte gehören.
Auch wenn der Energiesektor kein Wachstumssektor sei, glaubt Braun, dass es in diesem Bereich Wachstumschancen gebe. Wenn Energieunternehmen Gewinne machen, würden sie in der Regel die Produktion ausweiten, was mehr Maschinen und Dienstleistungen erfordere. Das könne eine Quelle des Wachstums für Unternehmen sein, die Technologien, Produkte und Dienstleistungen für die Branche anbieten.
Globale Champions werden stärker, wenn der Dollar schwächer wird
Braun glaubt, dass die US Notenbank Federal Reserve irgendwann die Zinsen auch wieder senken muss. Wenn das passiert, würde der Dollar weiter schwächeln. Unabhängig davon, ob es den Volkswirtschaften in Europa und Asien gut gehe, würde das für Unternehmen dort gute Geschäftsaussichten schaffen. „Meiner Meinung nach gibt es heute einige Unternehmen außerhalb der USA, die ihre Chancen auf globaler Ebene erkannt haben. Sie konzentrieren sich darauf, in einer Zeit, die für ihre Währung viel vorteilhafter ist, Werte für ihre Aktionäre zu schaffen“, so der Experte.
Als Beispiel nennt er das niederländische Unternehmen ASML, den weltweit führenden Anbieter von Fertigungsanlagen für die modernsten Halbleiter. ASML hat eine einzigartige Technologie für die Herstellung fortschrittlicher Chips entwickelt. Als sein Marktanteil gewachsen sei, habe das Unternehmen aggressiv in den Ausbau seines technologischen Vorsprungs investiert, meint Braun. Derzeit seien viele Chip-Aktien im Minus, und die Branche habe mit einem Überangebot zu kämpfen. Aber auf Sicht von mehreren Jahren sei die Branche gut positioniert für eine starke zyklische Erholung.
Mischfondskonzepte, die funktioniert haben
Beispiele für Sachwert-orientierte Mischprodukte mit Aktienfokus und starker Performance.
Michael Kordovsky. Die richtige Aktienauswahl, manchmal ein paar Edelmetalle und/oder Alternative-Investments sowie Zurückhaltung bei langlaufenden Anleihen – so könnte man bisher erfolgreiche Strategien kurz zusammenfassen.
Ein Klassiker
Seit Auflage am 2. Mai 2011 ist der „DWS Concept Kaldemorgen“ von Klaus Kaldemorgen mit 4,75 % p.a. im Plus (Stichtag 24. März). Dem zugrunde liegt ein Multi-Asset-Fonds mit integriertem Risikomanagement. Durch flexible Allokation von Aktien und Anleihen in Verbindung mit dem Einsatz von Währungs- und Absicherungsstrategien soll die risikoadjustierte Rendite langfristig maximiert werden. Per 28.2. stehen 45,2 % Aktien, 24,7 % Anleihen und 8 % Waren/Rohstoffe gegenüber. Zu den Top-Aktien des Fonds mit der ISIN LU0599947198 zählen AXA SA, E.ON SE, Microsoft, Bayer und Alphabet.
Gold als Absicherung
Eine Tranche des „Flossbach von Storch Mutiple Opportunities Fund“ mit der ISIN LU0952573482 ist auch in Österreich erhältlich. Besonderheit: Eine Kombination aus Qualitätsaktien von Unternehmen mit robustem Geschäftsmodell, niedriger Verschuldung und guter Unternehmensführung und Edelmetallen. Via eines ETC ist der Fonds mit knapp 10 % in Gold. Dem Fondsmanagement geht es dabei um eine „Zusatzversicherung“ für den Fall, dass die Notenbanken die Inflation nicht unter Kontrolle bekommen. Per 28.2. liegt die Aktienquote bei 65,6 %, wobei die Top-Positionen Berkshire Hathaway, Deutsche Börse, Mercedes-Benz Group, Nestle und Microsoft sind. Die 15-Jahres-Performance der deutschen „Ur-Tranche“ liegt bei 7,84 % p.a.
Positive Realrendite als Ziel
Der „BL-Global Fexible EUR A“ (LU0211339816) liegt auf zehn Jahre 4,25 % p.a. im Plus und ist in diesem Zeitraum mit nur 7,9 % p.a. an Volatilität noch relativ sicher. Die Aktienquote bewegt sich zwischen 25 und 100 % und liegt per 23.3. bei 61,8 %. Da das mittelfristige Performance-Ziel in einer positiven Realrendite liegt, sehen auch die Top-Anteilspositionen entsprechend aus: Neben dem Roche-Holding-AG-Genussschein findet man noch Aktien der Minengesellschaften Franco Nevada, Wheaton Precious Metals und Royal Gold.
Die Dividendenstrategie
Dem „PCI-Diversified Equity Income Fund“ liegt eine Selektion von soliden Dividendentitel in der Core-Strategie, die per 28. Feber mit 62 % gewichtet ist. Generell lässt sich das entsprechende Portfolio in drei Kategorien segmentieren: Aktien, die eine langjährige Dividendenhistorie, Dividendensicherheit sowie Dividendenwachstum aufweisen.
Das Satellitenportfolio des Investmentfonds mit der ISIN AT0000ARCUS3 hat einen Anteil von bis zu rund 25 % (derzeit 5,6 %) und dient dazu, auf der mittelfristigen Zeitebene angelaufene positive Marktentwicklungen zu realisieren. 15 % macht das Special-Situations-Portfolio aus, das kurzfristige Investments (derzeit 0 %) enthält. Dafür liegt die Cashquote des Fonds bei über 32 %. Der Wertzuwachs auf fünf Jahre liegt noch immer bei 3,9 % p.a.
Mit einer noch relativ kurzen Historie vielversprechend ist auch der „Incrementum All Seasons Fund“ (LI0477123637), der auf drei Jahre mit 123 % im Plus liegt. Die Aktienquote von 64,3 % (per 28.2. 2023) deckt unter anderem Energie-Werte, Minentitel und Schifffahrts-Aktien ab, während mehr als 12 % auf Edelmetall-ETCs fallen. Die Fondsmanagement-Entscheidungen basieren unter anderem auf Makroanalysen.
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Forschen für die Neuausrichtung
F&E wird in Zeiten multipler Veränderungen immer existenzieller.
Christian Sec. Im Jahr 2021 wurden in Österreich rund 13 Milliarden Euro für Forschung und Entwicklung (F&E) ausgegeben, was rund 3,2 % des BIPs entspricht. Laut Statista sind die wichtigsten Financiers dabei mit etwa 6,2 Milliarden Euro Unternehmen. Allein die Voestalpine budgetiert für das laufende Geschäftsjahr fast 200 Millionen Euro für Ausgaben im F&E-Bereich. Rund um das zentrale „Greentec-steel“-Projekt des Konzerns, das die Reduktion der CO2-Emissionen bei der Stahlproduktion von 30 % ab 2027 zum Ziel hat (1,5 Milliarden Euro werden in die Errichtung zweier Grünstrom-Hochöfen investiert), wird großflächig Forschung betrieben. Damit einher geht zum Beispiel ein Forschungsschwerpunkt auf dem Gebiet der Werkstofftechnik, um künftig sicherzustellen, dass auch mit einem geänderten Rohstoffmix hochwertige Stahlqualität erzeugt werden kann. Weiters forscht der Konzern an Prozessen und digitalen Methoden, die die Transformation der Stahlproduktion vorbereiten und unterstützen. So werden die Potenziale der Rückführung von Nebenprodukten in den Produktionsprozess erhoben und die Technologien für eine Kreislaufwirtschaft entwickelt.
Spezialisten sind knapp
Der Leiterplattenhersteller AT&S investierte im abgelaufenen Geschäftsjahr rund 181,5 Millionen Euro in F&E. Das entspricht einem Anstieg von 10 % gegenüber dem Jahr zuvor. Das größte Projekt ist der Bau des neuen F&E-Zentrums in Leoben. Am Standort werden bis 2025 etwa 500 Millionen Euro investiert. Der Löwenanteil fällt dabei auf das F&E-Zentrum selbst. Die F&E-Projekte sollen sowohl dem Ausbau der Technologieführerschaft in bestehenden Geschäftsfeldern dienen als auch die Erschließung neuer Tätigkeitsbereiche ermöglichen, erklärt Hannes Voraberger, Forschungsleiter von AT&S, gegenüber dem Börsen-Kurier. Dazu zählt auf der einen Seite die Miniaturisierung der Leiterplatten, andererseits versucht man neue Technologien für Hochfrequenzsysteme zu entwickeln, die beispielsweise in kommenden Generationen von Mobilfunknetzen eine entscheidende Rolle spielen könnten. Die größte Herausforderung bei F&E-Projekten ist es, die richtigen Kompetenzen zur rechten Zeit verfügbar zu haben, erklärt Voraberger. „Spezialisten auf unserem Gebiet gibt es nicht viele, weshalb die Konkurrenz um die besten Talente sehr hoch ist.“
Die größte Challenge für den Baustoffhersteller Wienerberger, F&E-Investitionen auf die Straße zu bringen, sind die Verzögerungen der Lieferanten aufgrund von langen Lieferzeiten, Nichteinhaltung von Zusagen oder gar keinen Zusagen, erklärt uns Claudia Hajdinyak, Sprecherin von Wienerberger. „Daher ist es wichtig, eigene erfahrene Teams zu haben und manchmal eine Investition besser nicht zu starten.“ Ein wesentlicher Schwerpunkt der F&E-Ambitionen von Wienerberger liegt im Bereich der Dekarbonisierung und der Produktion bzw. Prozesstechnik sowie im Wassermanagement.
Mut zum Neuen
Beim Ölfeld-Equipment-Hersteller Schoeller-Bleckmann (SBO) lag das F&E-Budget 2022 bei 7 Millionen Euro. Das Budget wird dabei nicht nur verwendet, um in den jeweiligen Nischen Weltmarktführer zu bleiben, sondern auch, um Kompetenzen und Produktangebot auszubauen, erklärt Schoeller-Bleckmann auf Anfrage. In der „Strategie 2030“ sieht SBO als wesentliches Element den Aufbau des New-Energy-Segments, außerhalb des aktuellen Kerngeschäfts, vor, das langfristig rund 50 % des Konzernumsatzes, vorwiegend in nachhaltigen Energietechnologien, generieren soll. „Mit unserer Strategie 2030 haben wir uns für die wichtigsten Entwicklungen der Energiezukunft positioniert und werden sie mit technologischen Innovationen mitgestalten“, erklärt SBO-CEO Gerald Grohmann.
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Katastrophenhilfe ist für Unternehmen voll absetzbar
Heimische Firmen leisten oft Katastrophenhilfe, ohne mitunter vom speziellen „Steuerbonus“ dafür zu wissen.
Red. Nach dem verheerenden Erdbeben in der Türkei und Syrien im vergangenen Februar war die Solidarität der Österreicher mit den Opfern wieder beeindruckend. Nicht nur viele Privatpersonen haben rasch gespendet, sondern auch zahlreiche Unternehmen. Was es Hilfsorganisationen wie Jugend Eine Welt ermöglicht, obdachlos gewordenen Menschen in den Katastrophengebieten gemeinsam mit seinen Partnern vor Ort mit Unterkünften, Nahrungsmittel und bei Bedarf mit Medikamenten zu helfen.
Bei derartigen Katastrophen steht bei Spendern der Wunsch menschliches Leid lindern zu helfen im Vordergrund. Gedanken darüber, ob und wie diese finanzielle Unterstützung steuerlich geltend gemacht werden kann, verschwenden zunächst wohl die Wenigsten, erklärt Reinhard Heiserer, Geschäftsführer von Jugend Eine Welt, im Gespräch mit dem Börsen-Kurier. Vielen spendenfreudigen Unternehmern sei gar nicht bekannt, dass sie für die Katastrophenhilfe sogar einen „Steuerbonus“ erhalten. Wie Firmen in den Genuss der unbegrenzten steuerlichen Abzugsfähigkeit kommen, dazu gibt der Chef der österreichischen Hilfsorganisation eine kleine Orientierungshilfe.
Börsen-Kurier: Herr Heiserer, wann können Unternehmen für humanitäre Hilfsleistungen besondere steuerliche Vorteile lukrieren?
Reinhard Heiserer: Wir reden hier von Spenden für eine spezielle Art der Hilfe, nämlich der akuten Katastrophenhilfe. Nur in diesem Bereich gibt‘s einen speziellen Steuerbonus, sprich die 100 %ige Absetzung der Spende als Betriebsausgabe. Andere Spenden wie etwa an unsere Bildungsprojekte für benachteiligte Kinder und Jugendliche weltweit sind gemein-hin nur bis zum Höchstbetrag von 10 % des Gewinns eines Unternehmens steuerlich absetzbar.
Börsen-Kurier: Was fällt denn unter Katastrophenhilfe?
Heiserer: Im Einkommenssteuergesetz sowie in den Richtlinien ist die Rede von einem außergewöhnlichen Schadensereignis. Konkret aufgelistet werden Hochwasser-, Erdrutsch-, Vermurungs- und Lawinenschäden, Sturmschäden, Schäden durch Flächenbrand, Strahleneinwirkung, Erdbeben, Felssturz sowie Brand- und Explosionskatastrophen, Terroranschläge oder humanitäre Katastrophen wie Seuchen, Hungersnöte, Flüchtlingsströme und natürlich kriegerische Konflikte. Egal ist, ob die Hilfe im In- oder im Ausland geleistet wird.
Börsen-Kurier: Also nicht nur Naturkatastrophen, sondern auch Konflikte wie aktuell der Ukraine-Krieg?
Heiserer: Ja, genau. Da hat das Finanzministerium letztes Jahr sogar im Zusammenhang mit der Unterstützung von Flüchtlingen aus der Ukraine nochmals klargestellt, dass dies Katastrophenhilfe ist. Jugend Eine Welt hilft seit über einem Jahr mit seinen Partnern vor Ort den vom Krieg betroffenen Menschen, eine Reihe heimischer Unternehmen sind da mit und über uns engagiert. Dafür erhalten diese – wenn sie wollen – eine größere steuerliche Entlastung als normal. Eine akute Notlage, bei der Jugend Eine Welt ebenfalls hilft, ist beispielsweise die Hungersnot in der äthiopischen Region Tigray, deren Auslöser auch ein kriegerischer Konflikt ist.
Börsen-Kurier: Was bedeutet betraglich nicht begrenzte Absetzbarkeit?
Heiserer: Anders als bei der „normalen“ Spende gibt es bei der Katastrophenhilfe keine Höchstbetragsgrenze. Das heißt, die volle Spendensumme, also 100 %, können als Betriebsausgabe geltend gemacht werden. Übrigens, es zählen Geld- wie auch Sachleistungen, darunter fallen etwa medizinische Geräte oder Produkte aus eigener Produktion, die Menschen in Not helfen.
Börsen-Kurier: Und was hat es mit der Werbewirksamkeit der Katastrophen-Spende auf sich?
Heiserer: Da müssen Unternehmen einen alten Spruch etwas abgewandelt beherzigen: Tu Gutes und rede unbedingt öffentlich darüber! Im Gesetz steht geschrieben, dass Geld- oder Sachaufwendungen bei Katastrophenfällen als Betriebsausgaben gelten, „wenn sie der Werbung dienen“.
Börsen-Kurier: Das heißt, ich muss als Unternehmer auch noch eine große Werbekampagne aufsetzen?
Heiserer (lachend): Nein, nein, das ist nicht nötig, die Anforderungen dafür sind eher bescheiden. Würde ich jetzt bei diesem Interview die Katastrophen-Spende eines Unternehmens an Jugend Eine Welt namentlich verkünden, also etwa dessen Hilfe für syrische Erdbebenopfer, und das wird hier im Börsen-Kurier abgedruckt, dann haben wir schon einen ausreichend werbewirksamen Medienbericht.
Es reichen selbst Spenden-Hinweise in Kunden- und Klientenschreiben, auf der firmeneigenen Homepage oder auf für die Kunden des Unternehmens sichtbar angebrachten Plakaten, Aufklebern und Ähnlichem im Geschäft. Oder im Rahmen der sonst üblichen Eigenwerbung der Firma.
Börsen-Kurier: Die Spende ist so also gar keine Spende, sondern eine Werbeaufwendung?
Heiserer: Richtig. Steuerlich gesehen ist in Österreich die Katastrophenhilfe von Unternehmen eine Werbeaufwendung, die in voller Höhe als Betriebsausgabe anerkannt wird.
Börsen-Kurier: Ob das so ist, entscheidet das Finanzamt?
Heiserer: Letztlich muss dies das jeweils zuständige Finanzamt tun. Also quasi kontrollieren, ob die Spende tatsächlich Katastrophenhilfe war und so zur Betriebsausgabe wurde und es sich nicht um eine andere Form der Unterstützung gehandelt hat.
Börsen-Kurier: Kann das auch eine spendende Privatperson versuchen?
Heiserer: Nein, für Privatpersonen gilt diese Steuerregelung eben nicht. Egal ob Katastrophenhilfe oder sonstige Spende, Private können Geldspenden – keine Sachspenden – lediglich bis zu 10 % ihrer Jahreseinkünfte geltend machen.
Zur Person
Reinhard Heiserer (58), ist Mitgründer und langjähriger Geschäftsführer von „Jugend Eine Welt – Don Bosco Entwicklungszusammenarbeit“ mit Sitz in Wien-Hietzing. Die Hilfsorganisation wurde 1997 gegründet und engagiert sich unter dem Motto „Bildung überwindet Armut” vor allem für benachteiligte Kinder und Jugendliche im Globalen Süden.
In den letzten Jahren hat die von Jugend Eine Welt geleistete Not- bzw. Katastrophenhilfe stark zugenommen: sei es nach den großen Erdbebenkatastrophen in Haiti, Nepal, Ecuador und nun in Syrien, nach einem heftigen Taifun auf den Philippinen, den Überschwemmungen in Indien, bis zur Hunger- und Flüchtlingshilfe in afrikanischen Ländern und den Auswirkungen der Corona-Pandemie in vielen Ländern des Globalen Südens sowie mit der Ukraine-Hilfe.
Foto: Jugend Eine Welt
Vorsorgen mit Sachwerten
Edelmetalle, Immo-Fonds, Farbedelsteine und werthaltige Aktien.
Michael Kordovsky. Mit 40 % Edelmetallen und je 25 % defensiven Aktien und offenen Immobilienfonds sowie 10 % Farbedelsteinen sollte ein realer Werterhalt in den kommenden Jahren bis 2030 gelingen. Bei Aktien erfordert dies ein Screening wetterfester produzierender Gesellschaften mit hoher Eigenkapitalquote und immer benötigten Produkten. Als Pharmaunternehmen mit einer Eigenkapitalquote von 59 % und kontinuierlichem Gewinnwachstum fällt in diese Kategorie etwa Sanofi (ISIN: FR0000120578). Oder Red-Bull-Konkurrent Monster Beverage Corp (US61174X1090) ist faktisch schuldenfrei und der Hersteller verpackter Lebensmittel, Hormel Foods (US4404521001) wiederum überzeugt mit einer Eigenkapitalquote von 57 % und einer Steigerung des Gewinns/Aktie von 6,9 % p.a. im Zeitraum 2012 bis 2022.
Beiersdorf (DE0005200000), bekannt für Nivea und Hansaplast, verfügt indessen über eine Eigenkapitalquote von 63 % und konnte den Gewinn/Aktie von 2013 bis 2022 um 3,9 % p.a. steigern.
Stabilität ins Portfolio bringen offene Immobilienfonds mit Wohnimmobilien-Schwerpunkt in Österreich und Deutschland wie zum Beispiel der „Real Invest Austria“ (AT0000634365), der nur in heimische Objekte und zu 80 % in Wohnen und Infrastruktur investiert und es in den vergangenen fünf Jahren auf eine Performance von 2,72 % p.a. brachte.
Edelmetalle und Farbedelsteine sind ein langfristiger Schutz vor Störungen im Finanzsystem. Da die Förderung von Gold, Silber und gewissen Farbedelsteinen immer schwieriger wird, resultiert daraus infolge der Angebotsverknappung eine Outperformance der Inflationsraten.
In den kritischen vergangenen fünf Jahren stieg der Goldpreis in USD um knapp 51 % (per 17.3.). Dazu Andrea Lang, Director Marketing and Sales, Münze Österreich: „Die aktuelle geopolitische Krise hat spürbare Einflüsse auf den Goldmarkt. Die meisten Gold-Rallyes wurden von einem starken Anstieg der Energiepreise begleitet.“ Von Vorteil sind regelmäßige Gold-Sparpläne zur Glättung des Einstandskurses. Dazu Lang gegenüber dem Börsen-Kurier: „Wir bieten entweder den regelmäßigen Ankauf eines physischen Goldproduktes – Barren oder Wiener Philharmoniker in Form eines Goldsparplans an oder offerieren mit der GoldReserve die Möglichkeit, durch kleine regelmäßige Geldbeträge zu einem Goldanleger zu werden. Der Kunde überweist monatlich einen Betrag, den wir in Gold umwandeln. Sobald sich der jeweilige Betrag auf eine Unze Gold summiert (31,104 g = ein Wiener Philharmoniker), wird die Münze nach Hause gesendet oder in das GoldDepot eingelagert.“ Silber hingegen sollte wegen der anfallenden Mehrwertsteuer von 20 % nur in Sondersituationen, wie massiven Abverkäufen, akkumuliert werden, wobei bei der Veranlagung das Wertverhältnis Gold zu Silber bei 3:1 liegen sollte (30 % Gold und 10 % Silber).
Bei den Farbedelsteinen lohnt sich eine Fokussierung auf Rubine. Dazu Edelstein-Experte Thomas Schröck zum Börsen-Kurier: „Rubin ist der in der Natur am seltensten vorkommende der berühmten Farbedelsteine. Außerdem erfährt er weltweit die größte Nachfrage.“ Die Wertsteigerung lag in den vergangenen 20 Jahren bei 8 % p.a. verglichen mit je 6 bzw. 5 % p.a. bei Blausaphir und Smaragd. Mit einem Mindestinvestment von 3.000 E ist man dabei. Wichtig ist ein seriöses Zertifikat: „Das weltweit am höchsten geachtete ist jenes der ‚Schweizer Stiftung Edelsteinforschung‘ in Basel, gefolgt von Gübelin in Luzern“, so Schröck.
Foto: AdobeStock / tadamichi
Der Schwenk zu den Schwellenländern
Günstige Bewertungen und Chinas Lockdown-Ende: All dies bietet Experten zufolge Chancen.
Raja Korinek. Die globale Zinswende zieht immer weitere Kreise. So musste etwa die Silicon Valley Bank (SVB) Anleihen mit hohen Verlusten verkaufen, als zahlreiche Anleger ihre Einlagen abziehen wollten. Die Bank wurde letztendlich geschlossen.
Ob die Turbulenzen im Bankensektor auf die Schwellenländer überschwappen könnten? „Die direkten Auswirkungen der SVB-Pleite auf die Emerging Markets beschränkten sich auf eine Reihe chinesischer und indischer Start-ups, die mit der SVB zusammenarbeiteten“, betont Jürgen Maier, Fondsmanager im Team „Aktien, CEE & Global Emerging Markets“ in der Raiffeisen KAG.
SVB: Keine Ansteckungsgefahr
Finanzunternehmen in den entwickelten Ländern seien jedoch deutlich stärker von Kursabschlägen betroffen als jene aus den Schwellenländern. „Wir sehen derzeit keine Anzeichen einer Ansteckungsgefahr auf breiter Ebene für Emerging-Markets-Finanzunternehmen“, konstatiert Maier. Einzig bei der Erste AM verweist Alexander Lechner, Leiter Multi Asset Management, auf einen weiteren Aspekt: „Mittelfristig könnten gestiegene Kapitalkosten bei den Banken ein restriktiveres Kreditumfeld bedeuten. Dies wäre auch für die Schwellenländer wachstumsdämpfend.“
Doch insgesamt dürften Emerging Market-Aktien inzwischen wieder interessante Chancen bieten, meinen Experten. Die Märkte hinkten jenen der Industrienationen in den vergangenen Jahren hinten nach, nicht zuletzt, da Chinas Lockdown auf der Entwicklung lastete.
Ihre Zuversicht untermauern die Marktkenner mit handfesten Zahlen. Maier sagt, Emerging Markets-Aktien handeln mit einem erwarteten Kurs-/Gewinnverhältnis (KGV) von 10,3 für dieses Jahr. „Dies ist ein mehr als 30 %iger Abschlag zum KGV vom MSCI World, der derzeit bei 15,8 liegt. Auch beim Preis-/Buch-Verhältnis (PBV) sind die Emerging Markets mit 1,44 deutlich attraktiver bewertet als der MSCI World mit 2,72.“ Aktien aus den Emerging Markets seien derzeit im historischen Vergleich günstig bis fair bewertet relativ zu den entwickelten Märkten, ergänzt Erste AM-Experte Lechner.
China und Indien bleiben Zugpferde
Die Frage bleibt, wie wichtig Chinas Wiedereröffnung für die Schwellenländer ist. Maier sagt: „Das Reich der Mitte ist heuer neben Indien wieder das wirtschaftliche Zugpferd innerhalb der Emerging Markets. Chinas Wirtschaft sollte um mehr als 5 % wachsen, jene in Indien um mehr als 6 %.“ Allein in China gebe es große Nachholeffekte beim Konsum. Vieles war angesichts der Null-Covid-Politik nämlich stark eingeschränkt gewesen.
Ein Fonds, der sich mit einer Performance von rund 25 % auf fünf Jahre gut behaupten konnte, ist der „BSF Emerging Markets Equity Strategies Fund“ (ISIN: LU1289970086) von BlackRock. Chinesische Aktien nehmen darin fast ein Drittel ein, gefolgt von Südkorea und Brasilien. Größte Branchengewichtung entfällt auf den IT-Sektor, gefolgt von Finanz- und Konsumtiteln. Abgedeckt wird dies etwa mit Samsung Electronics (KR7005930003) und Alibaba (US01609W1027).
Auch der „JPMorgan Funds – Emerging Markets Dividend Fund“ (LU0862449690) konnte sich auf fünf Jahre mit einer Wertentwicklung von zuletzt rund 21 % gut halten. China ist auch hier beinahe zum einen Drittel gewichtet, gefolgt von Taiwan. Der Finanzsektor nimmt die größte Branchengewichtung ein, gefolgt von IT-Titeln. Dazu zählen etwa TSMC (US8740391003) und Ping An Insurance (CNE1000003X6).
Jedoch sind auch Verluste bei beiden Produkten möglich, das müssen Anleger ebenso beachten.
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„Provisionsverbot wäre Ende für unabhängige Beratung“
Im Gespräch mit Rudolf Mittendorfer, dem Obmann Stellvertreter des Fachverbands der Versicherungsmakler.
Klaus Schweinegger. Sehr gespannt blickt die Finanzbranche nach Brüssel: EU-Finanzkommissarin Mairead McGuinness will im Mai im Rahmen ihrer „Kleinanlegerstrategie“ auch ein Provisionsverbot für Versicherungs- und Finanzprodukte vorschlagen und dann binnen eines Jahres auf den Weg bringen. Das hätte natürlich massive Konsequenzen (siehe dazu auch BK8 vom 23.2.2023). Viele sehen die unabhängige Finanzberatung in Gefahr. Entsprechend groß ist die Kritik in den Mitgliedstaaten.
Wir sprachen dazu mit dem langjährigen Versicherungsmakler Rudolf Mittendorfer. Er ist stellvertretender Fachverbandsobmann der Versicherungsmakler in der Wirtschaftskammer und deren Konsumentensprecher sowie Gesellschafter der Verag Gmbh und Vortragender in der IDD-Akademie.
Börsen-Kurier: Vorab zur Klarstellung: Das angedachte Provisionsverbot in der EU beträfe welche Produkte?
Rudolf Mittendorfer: Es ist noch unklar, ob es „nur“ um die Kapitalanlageprodukte geht, oder ob auch die Sachversicherungen betroffen wären. Aber: Wenn es bspw. nur bei den Kapitalanlageprodukten bliebe, dann stellt sich erst recht noch die Frage, wie deren Definition aussieht. Das ist ja sehr komplex. Unter dem Begriff Lebens- oder Kapitalversicherung gibt es eine Reihe von Produkten, deren Zuordnung zu klären wäre. Ich weiß nicht, ob ihr die Vielzahl der Fragen und die Fülle der Auswirkungen bekannt sind. Faktum jedenfalls ist, dass es bereits zahlreiche gewichtige Reaktionen gegen dieses Vorhaben gegeben hat – unter anderem von Finanzminister Magnus Brunner oder auch seinem deutschen Kollegen.
Börsen-Kurier: Bei einer spontanen Straßenumfrage zum Thema „Für und Wider Provisionen“, würde sich wahrscheinlich eine Mehrheit gegen das Zahlen von Provisionen aussprechen. Doch auch wenn ein Verbot zunächst für Kunden attraktiv klingen mag: Welche Konsequenzen hätte es für die unabhängige Anlageberatung?
Mittendorfer: Mit dem Ergebnis wäre ich mir gar nicht so sicher. Das hängt wohl auch stark davon ab, wie suggestiv die Fragestellung wäre. Wenn die Menschen aber den nötigen Stundensatz kennen (plus Umsatzsteuer), wenn ihnen bewusst wäre, dass die Zeit, die der Berater „mit ihnen“ verbringt, nur ein Teil der Arbeit ist, und auch die Aus- und Weiterbildung, die Bürokosten, die Versicherung und erst recht die Abarbeitung aller Maklerpflichten enthalten sein müssten, dann schaut es sicher anders aus.
Vor allem geht es aber auch darum, ob dieses Verbot für alle Vertriebswege gelten würde, oder nur für die „unabhängige Beratung“. Im letzteren Fall wäre das der Tod derselbigen; ob den Menschen die Konsequenzen klar wären, bezweifle ich allerdings. Festzuhalten ist auch, dass in Österreich der Konsumentenschutz keinesfalls ein Provisionsverbot fordert.
Börsen-Kurier: Und Sie glauben nicht, dass Kunden, vor allem bei beratungsintensiven Produkten – von der Pflege über die BU bis hin zur Industrieversicherung – oder auch für ein Altersvorsorgekonzept bereit wären, wie beim Handwerker oder Rechtsanwalt einen Stundensatz zu bezahlen?
Mittendorfer: Nein, das glaube ich nicht. Es sei denn, es kostet die Stunde nur 39 Euro, wie Untersuchungen in Deutschland zeigen.
Was ein qualifizierter Berater oder Makler alles können muss, und welche Kosten es im Hintergrund gibt, das weiß der Konsument schlicht nicht. Dass der Installateur oder Mechaniker 100 bis 150 Euro die Stunde kostet, Steuerberater das Doppelte, und Rechtsanwälte oft ein Mehrfaches – das ist hingegen klar.
Was Finanzdienstleistungen anlangt, gibt es leider die Erwartung, dass sie nichts kostet. Und dass die in den Produkten enthaltene Provision der getätigten Geschäfte die Aufwendungen derer ohne Abschluss mittragen, wird auch nicht berücksichtigt.
Leider wird diese Debatte auch nur in unserer Branche geführt, wiewohl die negativen Folgen eines Provisionsverbotes längst bekannt sind. Großbritannien ist ja ein Beweis dafür, was passiert. Da hat das Verbot dazu geführt, dass unter 100.000 Pfund schlicht keine Beratung stattfindet. Es gibt keine unabhängige Beratung mehr; das Geschäft ist zu den Banken gewandert. In den Niederlanden ist durch das Verbot der Lebensversicherungsmarkt um 80 % eingebrochen. In Schweden haben alle ausländischen Anbieter den Markt verlassen, weil sie ohne Provision natürlich keine Verkäufer finden. Ein absoluter Nachteil für die Konsumenten – ein Vorteil für die Finanzindustrie, die ohne Wettbewerb die Preise erhöhen kann.
Börsen-Kurier: Und was spricht aus Ihrer Sicht gegen eine Wahlfreiheit der Systeme?
Mittendorfer: Grundsätzlich gibt es diese Wahlfreiheit ja, aber mangels Angebots nicht bei allen Produkten. Problematisch ist auch eine Art von „umgekehrtem Rosinenpicken“. Wenn ich eine Reisekrankenversicherung als besonderes Negativbeispiel nehme, dann kostet sie im Schnitt 100 Euro. Davon bekommt man maximal 10 % Provision. Selbst bei 50 % wären das 50 Euro – für ein bis zwei Stunden Arbeit. Der Kunde will ja wissen, welche Leistungen er von seiner Pflichtversicherung bekäme, und dann die Deckungen seiner Kreditkarten, und dann noch einen Vergleich von mehreren Anbietern. Kein Mensch würde akzeptieren, für die Nettopolizze ein Fünffaches als Honorar zu bezahlen.
In Wirklichkeit ist es ja auch so, dass die großen Verträge und Geschäfte die kleinen subventionieren. Man erbringt unbezahlte Serviceleistungen für gute Kunden oder für Menschen, von denen man erhofft, dass sie es werden. Viele plündern sich selbst aus, und es gibt ja auch viel „Beratungsdiebstahl“.
Es ist eine Tatsache, dass die Gewinne der Versicherungen – die werden ja zumindest bei den börsennotierten Gesellschaften veröffentlicht – deutlich gestiegen sind. Die Beraterzunft hat aber leider gegenteilige Entwicklungen erfahren. Massive Kosten in IT, Personal etc. stehen kaum „Rationalisierungsgewinnen“ entgegen – weil eben die Beratungszeit und vor allem die Auflagen für Dokumentation gestiegen sind.
Börsen-Kurier: Ein Kritikpunkt am aktuellen System ist, dass die Provisionshöhe nicht ausgewiesen wird. Was entgegnen Sie?
Mittendorfer: Transparenz ist ein beliebtes Zauberwort. Wenn ich weiß, dass ein T-Shirt in Bangladesch 1 Euro kostet – was bringt mir dies, abgesehen natürlich vom Wissen um die Ausbeutung der Menschen? Ich meine damit: Das Produkt muss ja hierher gebracht werden. Dazu kommen Transport, Großhandel, Distribution, Werbung und vieles andere mehr, und schließlich kostet es 10 Euro. Was hätte ich davon, wenn die einzelnen Posten beim Gesamtpreis ausgeschildert würden?
In der Versicherungsbranche geht es um Dienstleistung. Am Anfang steht die Prämie der Versicherung. Deren Aufschlag scheint nicht zu interessieren. Der Letzte in der Kette, der Verkäufer, soll aber die Provisionshöhe ausweisen. Und welche Höhe ist das? Nehmen wir eine Lebensversicherung – das gleiche Produkt, die gleiche Gesellschaft: Der Angestellte bei der Bank bekommt gar keine Provision. Er müsste also keine ausweisen. Und der Angestellte der Versicherung bekommt eine kleinere Provision als ein Agent oder ein Makler, weil er auch ein Gehalt bezieht, der Dienstgeber die Nebenkosten zahlt, es 14 oder mehr Gehälter gibt. Aber wie soll der Kunde dies fair vergleichen können. Auf den ersten Blick wäre dann wohl die Bank „am günstigsten“, der Makler – der noch dazu alle Produkte vergleicht und „Best Advice“ zu erbringen hat, der Teuerste.
Börsen-Kurier: Glauben Sie abschließend, dass es bei einer Neuregelung zu einem massiven Exodus in der Branche kommt?
Mittendorfer: Ein Provisionsverbot führt zu Beratungsnotstand für die Kunden, und ein Provisionsverbot führt logischerweise zu einem Exodus. Und noch schlimmer, es führt zu einem Exitus für unabhängige Versicherungsberatung.
Foto: Rudolf Mittendorfer
Multinationale Unternehmen können in schwierigen Zeiten florieren
Im Gespräch mit Jody Jonsson, Equity Portfolio Managerin bei Capital Group.
(14.03.) Zunehmende Spannungen zwischen den USA und China, der Krieg in der Ukraine, weltweite Handelsbeschränkungen und unterbrochene Lieferketten: Sind multinationale Unternehmen angesichts dieser Turbulenzen nicht am meisten gefährdet? Nein, findet Jody Jonsson, Equity Portfolio Managerin bei Capital Group, das Gegenteil sei der Fall. Es seien verschiedene Gründe, warum multinationale Unternehmen auch in schwierigen Zeiten erfolgreich sein könnten.
Multinationale Unternehmen können sich an die Spannungen zwischen den USA und China anpassen
Die wirtschaftspolitischen Entwicklungen geben Anlass zur Sorge: Die USA und China belegen sich gegenseitig mit belastenden Zöllen und anderen Handelsbeschränkungen. Auch die Streitigkeiten über den Diebstahl geistigen Eigentums und die hohen Subventionen für Chinas Staatsunternehmen sorgen für Streit zwischen den beiden größten Volkswirtschaften der Welt. Welchen Einfluss hat dies auf Unternehmen, die in der ganzen Welt aktiv sind? Jonsson ist hier zuversichtlich, denn global tätige Unternehmen würden nun das tun, was sie am besten können: „Sie finden Wege, sich anzupassen und trotz des wachsenden Gegenwinds erfolgreich zu sein.“
In der Computerchip-Industrie beispielsweise würden sowohl die Taiwan Semiconductor Manufacturing Company (TSMC) als auch der Chipausrüster ASML ihre Aktivitäten weltweit ausbauen. TSMC baue neue Produktionsanlagen in Arizona und Japan, während das niederländische Unternehmen ASML eher im Stillen investiere, um seine Betriebe in Deutschland, Connecticut und Kalifornien zu stärken. Das seien Beispiele für die Art von Unternehmen, die Jonsson gerne als „Global Champions‘ bezeichnet. „Sie können sicherlich schwierige Zeiten überstehen, aber sie können sich auch neu positionieren, um erfolgreich zu sein, wenn sich die Lage wieder bessert,“ sagt die Expertin.
Erfahrene Managementteams können Herausforderungen meistern
Laut Jonsson gibt es einen Grund dafür, dass multinationale Unternehmen die Weltwirtschaft und die Finanzmärkte dominieren: Sie würden größtenteils von klugen, tüchtigen und erfahrenen Managern geführt. Sie hätten alle Arten von Handelsumgebungen erlebt, günstige und ungünstige. „Meiner Meinung nach sind diese kampferprobten Unternehmen gut positioniert, um in einem feindlichen Umfeld zu überleben und sogar zu gedeihen“, sagt Jonsson.
Nestlé sei ein gutes Beispiel dafür, wie ein multinationales Unternehmen Hightech-Lösungen nutzen könne, um seine Lieferkettenabläufe zu optimieren. In den letzten Jahren habe der Lebensmittelriese zunehmend die Blockchain-Technologie genutzt, um eine schnellere, transparentere und kostengünstigere Lieferung von Produkten zu ermöglichen. Die öffentlich zugänglichen Blockchain-Daten hätten es dem Unternehmen nicht nur ermöglicht, die Beschaffung in seiner Lieferkette effizienter zu verfolgen, sondern gebe auch die genaue Herkunft der Produkte preis.
Reshoring von Lieferketten als Vorteil für Unternehmen
Für multinationale Unternehmen werde es immer wichtiger, dort zu produzieren, wo sie verkaufen, so Jonsson. Um erfolgreich zu sein, müssten sie in der Lage sein, schnell zu handeln und effizient auf den lokalen Wettbewerb zu reagieren. Viele globale Unternehmen würden das Konzept überdenken, Lieferketten aus nur einem Land aufzubauen. Zuverlässigkeit und Robustheit seien von größerer Bedeutung als Kosten und Effizienz. Deshalb würden sie einen Teil der Produktion in ihr Heimatland zurückholen (Reshoring) und einen anderen Teil in andere Länder wie Indien, Vietnam oder Mexiko verlagern.
Der Sportbekleidungsriese Nike optimiere diesen Ansatz mit seinen hyperlokalen Verkaufsinitiativen. So habe das Unternehmen datengesteuerte Einzelhandelsgeschäfte eingerichtet, die Schuhe entsprechend den Online-Kauftrends in der Umgebung anbieten. In Europa habe Nike außerdem eine Initiative für eine schnelle Lieferkette ins Leben gerufen, die es dem Unternehmen ermögliche, Farben und Materialien auf der Grundlage individueller Kundenpräferenzen in jeder Stadt, in der es tätig ist, anzupassen.
Die Unternehmen, welche die Corona-Pandemie erfolgreich gemeistert haben, seien in der Lage gewesen, ihr Online-Angebot schnell zu erweitern, ihre Beschaffung zu lokalisieren, näher am Ort des Verkaufs zu produzieren und auf mehrere Lieferanten in der ganzen Welt zurückzugreifen. Das unvorhersehbare Umfeld habe deshalb den multinationalen Unternehmen in die Hände gespielt, die über das Fachwissen, die Ressourcen und das Geld verfügen, um sich in kürzester Zeit anzupassen.
Globale Champions gedeihen in Schwellenländern
In vielerlei Hinsicht entscheidend sei eine multilokale Strategie für Unternehmen aus den USA, Europa und Japan, die relevant bleiben oder in schneller wachsende Schwellenländer expandieren wollen, so Jonsson. Viele dieser Länder wiederum würden ihre eigenen Wettbewerber hervorbringen und nicht darauf warten, dass die traditionellen Global Player aufholen.
Ein erhebliches Risiko für einige große multinationale Unternehmen bestehe darin, dass sie von kleineren Konkurrenten überholt werden könnten, die mehr Kontakt zu den lokalen Märkten haben. „Meiner Meinung nach stellt diese Dynamik eine größere Bedrohung dar als alle geopolitischen oder handelsbezogenen Fragen“, sagt die Expertin.
Die Verbraucher in den Schwellenländern würden nach Marken suchen, denen sie vertrauen können, und nach Unternehmen, die den lokalen Markt kennen. Große multinationale Unternehmen, die selbst lokal denken, schnell handeln und Produkte schnell auf den Markt bringen könnten, würden so einen großen Vorteil erlangen.
„Für Anleger besteht die Herausforderung jetzt darin, zu erkennen, welche Unternehmen sich an diese Umstände anpassen können und welche nicht“, resümiert Jonsson. Wenn man bereit sei, kurzfristige Unannehmlichkeiten in Kauf zu nehmen, um langfristig davon zu profitieren, sei jetzt eine großartige Zeit für aktive Anleger.
Neue Dimensionen
Die Möglichkeiten der Quanten-Computer.
Harald Kolerus. Noch schneller kalkulieren, noch effizienter Lösungen finden, und zwar bei praktisch unbegrenzter Rechnerleistung – das versprechen sogenannte „Quanten-Computer“ (QC). Wir wollen die sehr komplexen technischen Details hier nicht näher behandeln.
Wesentlich ist, dass es ihre quantenmechanischen Eigenschaften den QC ermöglichen, parallele Rechnungen in Windeseile auszuführen. Selbst sehr fortgeschrittene herkömmliche Rechner schaffen es hingegen bisher nur, einen (Rechen-)Schritt nach dem anderen zu tätigen. Einige Vorteile: Verkehrs- und Logistik-Ströme lassen sich mit der neuen Technologie optimieren und damit erhebliche Ressourcen wie Energie und Zeit einsparen. Weiters können bereits heute QC (obwohl sie in der Tat noch gar nicht ausgereift sind) Stromnetze effizienter gestalten, was in Hinblick auf Smart Grids und die große „grüne Energietransformation“ eine Notwendigkeit ist.
Die Zukunft handeln
Bei Vontobel glaubt man die Zeichen der Zeit erkannt zu haben und hat ein Open-Ende-Partizipationszertifikat auf den „Solactive Quantum Computing Index“ aufgelegt (ISIN: DE000VP4XD45). Aber ist es vielleicht nicht noch etwas zu früh, um als Investor in den Bereich QC einzusteigen? Denn immerhin steckt man hier noch ein wenig in den Kinderschuhen, so gibt es etwa noch keine automatisierten Fertigungsprozesse, die auf dieser Technologie basieren.
Heiko Geiger, Zertifikate-Spezialist bei Vontobel, erklärt im Gespräch mit dem Börsen-Kurier: „Beim Thema Quanten-Computing investiert man in die Zukunft, man handelt also mit Fantasie. Wenn eine Technologie einmal etabliert ist, ist das größte Wachstum bereits vorbei bzw. eingepreist. So auch bei Quanten-Computing: Die Idee ist es, nicht in der Konsolidierungsphase, sondern während der Periode starken Wachstums dabei zu sein.“
Wobei der Experte hinzufügt, dass es sich beim Quanten-Computing-Zertifikat um ein Produkt für risikofreudigere Anleger handelt: „Im Gegensatz zu großen Indizes wie dem EuroStoxx oder der S&P 500 steigt die Volatilität, wenn man von der Breite in die Spitze geht. Dieses Risikos sollten sich Investoren bewusst sein.“ Allerdings ist das Zertifikat nicht nur auf die Technologie-Branche beschränkt: „In vielen Wirtschaftszweigen ist heute eine enorm hohe Rechnerkapazität notwendig, Unternehmen wollen sich in diesem Gebiet nicht nur auf Zulieferer verlassen und stecken deshalb sehr viel Kapital in Forschung und Entwicklung, auch was Quanten-Computing betrifft.“ Das trifft auf große Namen wie z. B. Toyota, Shell, Roche oder Airbus zu, die sich folgerichtig im Zertifikat finden.
Intelligent investieren
Wem das noch immer zu speziell ist, könnte auch das breitere Thema Künstliche Intelligenz (Artificial Intelligence, AI) ins Auge fassen. Hierzu gibt es beispielsweise eine schöne Auswahl an ETFs, etwa den „Xtrackers AI and Big Data“ (IE00BGV5VN51), den „Amundi STOXX Global AI“ (LU186113284), den „WisdomTree AI“ (IE00BDVPNG13), den „iShares Robotics and AI Multisector“ (US46435U5561) oder den „L&G AI“ (IE00BK5BCD43).
„Endlose Liste“
Welche Sektoren und Unternehmen jetzt am stärksten von AI profitieren könnten, ist lauf Chris Gannatti, Globaler Research-Leiter bei WisdomTree, schwer zu sagen. Auf Anfrage des Börsen-Kurier meint er: „Es ist natürlich, an die großen Technologieunternehmen zu denken – Amazon, Apple, Meta, Alphabet, Microsoft, um nur einige zu nennen.
Aber auch Pharmaunternehmen könnten in der Wirkstoffforschung, Versicherungsunternehmen wiederum von besseren Vorhersagen profitieren – die Liste ist endlos.“
Foto: AdobeStock / Nmedia
Die Zukunft der HV
Christian Temmel von DLA Piper über mögliche HV-Formate.
Rudolf Preyer. „Ich habe die Freude gehabt, bei der allerersten virtuellen Hauptversammlung im deutschsprachigen Raum dabei zu sein“, erklärt Christian Temmel (Foto), das war jene der Schoeller Bleckmann Oilfield Equipment AG am 23. April 2020. Die wenigsten wissen, so der bei DLA Piper tätige Jurist, dass in Österreich früher als in Deutschland HVs auf dem Laptop stattfinden konnten bzw. mussten. Temmel hat an die 40 virtuelle HVs als Stimmrechtsvertreter begleitet.
Ursprünglich galt das Gesellschaftsrechtliche Covid-19-Gesetz nur bis Ende 2020, dann auch in den Jahren 2021 und 2022, zuletzt wurde es bis 30. Juni dieses Jahres verlängert.
Redebeiträge und Fragen können vor und auch während einer virtuellen Hauptversammlung seitens der Online-Teilnehmer eingebracht werden. In Deutschland hingegen war zwei Tage vor der HV quasi „Einsendeschluss“ (somit konnten auch keine Rückfragen gestellt werden). Etwa ab vergangenem Sommer, so erklärt der Lektor für Wertpapier- und Kapitalmarktrecht an der Universität Wien, habe sich die Kritik am virtuellen Format gemehrt. Erinnert sei in diesem Zusammenhang an die Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage der Staller Investments GmbH gegen die Hauptversammlung der Vienna Insurance Group AG vom 20. Mai 2022.
Denkbare zukünftige Hauptversammlungs-Modelle
Eine „Hybrid-Lösung“, so wie sie etwa die Raiffeisen Bank International AG durchgeführt hat – also eine Präsenz-plus-virtuelle-HV – sei jedenfalls die teuerste Variante. Kleinere Emittenten wären hier mit hohen Kosten belastet. Hier stelle sich zudem die Frage: „Sind jene bevorzugt, die in Präsenz anwesend sind – oder sind die benachteiligt, die ‚nur‘ übers Internet teilnehmen können?“ Eine künftige ausschließliche hybride Lösung fände er insgesamt „nicht so gut“, Temmel spricht sich für ein klares „Entweder-Oder“ aus. „Warum sollte es denn nicht möglich sein, so eine Entscheidung in die Verantwortung der Verwaltungsorgane zu legen?“
Für Österreich strebe das Justizministerium jedenfalls pro futuro eine „breitere Lösung“ an, die neben Kapital- und Personengesellschaften auch (ins Innenministerium ressortierende) Vereine mitadressiere. Das erscheint sinnvoll, sind ja etwa Vereine auch aktuell bereits von der Gesellschaftsrechtlichen Covid-19-Verordnung erfasst.
Ein Vorschlag, der dem Börse- und Kapitalmarktrecht an der Donau-Universität Krems unterrichtenden Lektor gefallen würde, wäre, dass man in der HV darüber abstimmen lässt, ob der Vorstand und der Aufsichtsrat im nächsten Jahr/in den nächsten Jahren selber entscheiden können, eine Präsenz-Veranstaltung bzw. eine virtuelle HV abzuhalten (dafür käme beispielsweise ein 75-%-Quorum in Frage). Auch sollte etwa vorgeschlagen werden können, die HV in einem Jahr virtuell und im Jahr darauf verpflichtend wieder physisch abzuhalten, quasi ein „alternierendes Modell“ (dafür reichten dann wohl schon 50 % Zustimmung auf der HV). Auch denkbar: Jeder Aktionär kann sich während einer virtuellen Abhaltung mit Bild und Ton dazuschalten.
Mitbestimmung der Aktionäre über die Abhaltung
Temmel abschließend: „Diese Modelle wären sehr charmant, weil die Aktionäre mitbestimmen könnten, wie die HVs abgehalten werden sollen.“
Er geht jedenfalls nicht davon aus, dass die virtuelle Hauptversammlung, so wie sie in den vergangenen drei Jahren stattgefunden hat, ins Dauerrecht übertragen wird, aber dass es im Dauerrecht eine neue Lösung für virtuelle Versammlungen geben wird.
Kurzum: Die Entwicklung der HV bleibt auch nach dem 30.6. spannend.
Foto: DLA Piper
Hunger nach Rendite
Die Lebensmittelbranche bietet viele Chancen.
Harald Kolerus. In den vergangenen Wochen und Monaten häuften sich positive Analysen zu Investments in den Ernährungssektor. Hat das nur mit dem „trendigen“ Thema Veganismus zu tun? Mitnichten. Denn die Entwicklung ist logisch: Um eine global schnell wachsende Bevölkerung zu versorgen, muss mehr Essen auf den Tisch kommen – und das bei begrenzten Ressourcen. Weiters hat Corona die Anfälligkeit des globalen Lebensmittelsystems deutlich gemacht, der Krieg in der Ukraine verschärft die Problematik. Zu schlechter Letzt stößt der Klimawandel hinzu, der den Anbau erschwert.
Multi-Billionen-Markt
Die Zahlen, die hinter der Ernährungs-Thematik stehen, sind enorm: Allein der weltweite Fleischmarkt wird aktuell auf 2 BioUSD geschätzt. Dabei verschlingen Weideflächen und der Futtermittelanbau gewaltige Ressourcen. Alternativen werden dringend gesucht. In einem Kommentar von Conor Walsh, Lead Portfolio-Manager bei Lombard Odier, heißt es: „Der Übergang zu neuen Lebensmittelsystemen wird bestehende Gewinnquellen zerstören und neue schaffen. Es wird erwartet, dass der daraus resultierende Markt bis 2030 weltweit jährliche Einnahmen von 1,5 BioUSD generieren wird.“
Wobei einige Lösungsansätze durchaus problematisch erscheinen: Der Einsatz von „Grüner Gentechnik“ oder die Produktion von „Kunstfleisch“ aus der Retorte verdirbt vielen Konsumenten sowie auch Investoren den Appetit. Es geht aber auch anders. Ignace de Coene, Fondsmanager bei DPAM, in einer Analyse: „Der Vorstoß in Richtung Nachhaltigkeit hat in den vergangenen zehn Jahren zu spannenden Entwicklungen geführt, ausgelöst durch technologische Innovationen. Ein Beispiel ist die seit kurzem angewandte Präzisionslandwirtschaft.“ Dank dieser Technologie können Farmer mittels GPS bei Bepflanzung, Bewässerung und Düngung präziser sein. „Das führt zu einem geringeren Wasser- und Düngemitteleinsatz und zu weniger Bodenerosion“, so der Experte.
Breite Palette
Es ist also zu wenig, Investments in den Ernährungssektor auf den veganen Bereich zu reduzieren, auch wenn dieser natürlich wichtig ist. Das betont Florian Berberich, Associate Director DACH bei Rize ETF, im Interview mit dem Börsen-Kurier: „Wir sprechen hier von Lebensmittelsystemen, die sich in Teilsektoren unterteilen lassen: Zum Beispiel Wassertechnologie, Agrarwissenschaften, Lieferketten, Verpackungen oder Präzisionslandwirtschaft. Ich möchte hierbei keinen einzelnen Bereich als Wachstumstreiber hervorheben. Nachhaltigkeit lautet das übergeordnete Thema, denn rund ein Drittel des globalen Treibhausgas-Ausstoßes erfolgt durch den Lebensmittel-Komplex.“
Der Experte findet jedenfalls im breiten Anlageuniversum mannigfaltige Investmentmöglichkeiten, ein Beispiel ist die Schweizer SIG Combibloc (ISIN: CH0435377954): „Das Unternehmen ist auf nach-haltige Verpackungen spezialisiert, ein Markt, der bereits im Jahr 2019 an die 180 Mrd Euro schwer war. Bis 2025 soll er auf 250MrdE anwachsen.“ Der Titel ist im ETF „Rize Sustainable Future of Food“ (IE00BLRPQH3) enthalten, die österreichische Mayr-Melnhof Karton übrigens nicht, da das durchschnittliche Handelsvolumen der Aktie zu klein ist. Aber würde sich das theoretisch ändern, wäre das Unternehmen ein Kandidat für den nachhaltigen Verpackungssektor des ETF.
Aus dem Sektor Präzisionslandwirtschaft erscheint wiederum John Deere interessant: „Das gewachsene Unternehmen mit einer rund 180-jährigen Geschichte geht immer mehr als Marktführer in diesem Bereich hervor. Das Spektrum reicht von Automatisierung und Effizienzsteigerung über Umweltschonung bis zur Emissionsvermeidung“, so Berberich.
ETF-Lösungen
Natürlich ist es schwierig, das komplexe Thema mit ein paar Aktien abzudecken, dafür gibt es ETFs zur breiten Streuung. Z.B.: „Global X Agtech & Food Innovation“ (IE000EBFYWX3) oder „VanEck Sustainable Future of Food“ (IE0005B8WVT6).
Foto: Pixabay / lumix2004
Vier Trends, die eine Renaissance der Industriewerte entfachen könnten
Eine Analyse Julie Dickson, Portfoliomanagerin des Capital Group Global Allocation Fund.
(07.03.) Während der digitale Sektor in der Pandemie florierte, steckten Unternehmen, die reale Güter produzieren, in einer veritablen Krise. Gründe waren: Lockdowns, drastisch steigende Kosten und Lieferkettenprobleme. Aus Sicht von Julie Dickson, Portfoliomanagerin des Capital Group Global Allocation Fund, hat sich die Situation jedoch grundlegend geändert. „Heute bieten Industriewerte Anlegern spannende Gelegenheiten – auch vor dem Hintergrund einer möglichen Rezession“, erläutert die Expertin. Sie sieht vier langfristige Trends, die die Volkswirtschaften und Märkte der Welt neu prägen und dadurch gut positionierten Industrieunternehmen Chancen eröffnen könnten.
Trend Nr. 1: Energiewende in den USA
2022 hätten erneuerbare Energien in den USA Kohle als Energiequelle übertroffen, wobei Wind, Sonne und Wasserkraft 22 Prozent des Stroms des Landes erzeugen würden, so Dickson. Mit dem Inflation Reduction Act von 2022 und dem 2021 verabschiedeten Infrastructure and Investment Jobs Act habe die US-Regierung steuerliche Anreize und Subventionen in Höhe von Hunderten Milliarden Dollar für die Infrastruktur und den Ausbau einer Industrie für erneuerbare Energien in den USA bereitgestellt. Die Finanzmittel flössen in die Modernisierung des Stromnetzes, den Bau von Hochspannungsleitungen und die Förderung seltener Mineralien, die zur Herstellung von Batterien für die Speicherung variabler Energiequellen benötigt werden. „Diese Schritte schaffen eine potenzielle Nachfrage für Hersteller von Elektrogeräten und Industriekonglomeraten, die eine breite Palette an Dienstleistungen anbieten, sowie für Entwickler von fortschrittlichen Batterieenergiespeichersystemen“, führt die Portfoliomanagerin aus.
„Hinzu kommt: Sobald die Infrastruktur für erneuerbare Energien voll ausgebaut ist, sind nur noch geringe Wartungskosten damit verbunden“, sagt Dickson. „Dies könnte zu einem faktischen Einbruch des Strompreises in den USA führen und einem breiten Spektrum von Herstellern einen großen Wettbewerbsvorteil verschaffen.“ Die Folge könne ein gewaltiger Produktivitätssprung sein, was sich wiederum positiv auf das Wachstum des US-Bruttoinlandsprodukts auswirken würde. „Strom ist der Fixkostenfaktor Nummer eins in der Industrie, bei der Öl- und Gasförderung sowie im Metall- und Bergbau“, erklärt die Expertin. „Wenn Unternehmen potenziell 90 Prozent weniger Stromkosten zahlen, können sie massive Produktivitäts- und Margensteigerungen erzielen, die wiederum in höhere Löhne und höhere Kapitalinvestitionen einfließen können.“
Trend Nr. 2: Energiesicherheit in Europa
Der Krieg in der Ukraine und der faktische Stopp der russischen Öl- und Gaslieferungen nach Europa hätten die Region vor die Herausforderung gestellt, ihre Energieversorgung zu sichern. „Viele Länder haben inzwischen erkannt, dass ihre nationale Sicherheit von stabilen Energieströmen abhängt“, sagt Dickson. „Das wird gewaltige Auswirkungen auf den Energiesektor und die Industrieunternehmen haben, die für den Aufbau der Infrastruktur benötigt werden.“ Als Beispiel nennt Dickson unter anderem das Unternehmen Caterpillar, das beispielsweise Rohrverleger und andere Gerätschaften herstellt, die beim Transport von Erdgas von der Quelle bis zu einer Anlage und schließlich zur Verschiffung verwendet werden. Auch Produzenten von Flüssigerdgas könnten von dem grundlegenden Wandel in Europa profitieren, darunter insbesondere in den USA ansässige Unternehmen für Flüssigerdgas (LNG), die zu den Produzenten mit den weltweit niedrigsten Kosten gehören.
Trend Nr. 3: Neuordnung von Lieferketten
Gleichzeitig würden viele Unternehmen versuchen, die Sicherheit ihrer Lieferketten zu verbessern, indem sie diese wieder näher an ihre heimischen Standorte und an die Endmärkte zurückführen. Jahrzehntelange Globalisierung zur Maximierung der Effizienz und Minimierung der Kosten hätten dazu geführt, dass viele Unternehmen durch Corona-bedingte Lockdowns und zunehmende geopolitische Spannungen zwischen den USA und China mit gestörten Lieferketten zu kämpfen hätten. „Unternehmen wurden sich während der Pandemie der Bedeutung von stärker lokal angesiedelten Zulieferern bewusst und haben erkannt, wie klug es ist, zugunsten einer gewissen Redundanz auf maximale Effizienz zu verzichten“, sagt Dickson. „Viele Hersteller haben erkannt, dass sie eine bessere Resilienz benötigen, sprich, mehr Transparenz in ihrer Lieferkette, Flexibilität bei der Umstellung der Produktionsart und Fernüberwachung.“
Wenn Unternehmen neue Fabriken bauen, würden sie versuchen, einen Teil dieser Kosten durch den Einsatz der neuesten und effizientesten Technologie zu kompensieren. Unternehmen, die diese Technologie bereitstellen, dürften davon profitieren. Als Beispiel nennt Dickson das japanische Industrieunternehmen Keyence, das unter anderem Automatisierungssensoren, Bildverarbeitungssysteme und Messgeräte für eine Reihe von Fertigungsvorgänge produziert.
Trend Nr. 4: Steigende Verteidigungsausgaben
Geopolitische Spannungen hätten zudem zu einem Anstieg der Verteidigungsausgaben weltweit geführt. Einige bedeutende Industrieländer, darunter Deutschland, Japan und andere, hätten Pläne für eine deutliche Aufstockung ihrer Verteidigungsbudgets bekanntgegeben. Gut geführte Rüstungsunternehmen seien daher gefragt. Allerdings würden nicht alle Titel des Sektors gleichermaßen von diesem Trend profitieren. Es sei entscheidend, zu verstehen, welche Unternehmen über die effektivsten Innovationen verfügten und am besten positioniert seien, um ihre Geschäftspläne umzusetzen und Herausforderungen wie Lieferkettenprobleme zu bewältigen.
Fazit: Eine Flut steigender Investitionsausgaben könnte vielen „Schiffen“ neuen Auftrieb geben.
Julie Dickson ist überzeugt: Flexible Unternehmen aus den Bereichen Stromerzeugung, Metalle und Bergbau, Energie und Fertigung, die die richtigen Investitionen tätigen, könnten von einem nachhaltigen Wachstumszyklus profitieren. „Seit mehr als einem Jahrzehnt, in dem sich Anleger auf Technologie- und digitale Konsumgüterunternehmen konzentrierten, haben Unternehmen große Investitionsinitiativen oft als negativ angesehen. Aber ohne traditionelle Industrien kann man die New Economy nicht aufbauen“, betont die Expertin. „Viele unterschätzen vielleicht das Potenzial umfangreicher Investitionsausgaben, die heute getätigt werden, um für kommende Jahre ein Gewinnwachstum zu generieren.“
Spekulationen um Index-Aufsteiger
Privatanleger können oft profitieren, wenn sich die Zusammensetzung von Indizes ändert.
Roman Steinbauer. Am 20. März ist es wieder so weit: Nach der Wiederaufnahme der Commerzbank (ISIN: DE000CBK1001) in den deutschen Spitzenindex Dax am 27. Feber (ersetzte die Linde AG) entschied die Gruppe Deutsche Börse nach Börsenschluss vom vergangenen Freitag über weitere Umbesetzungen in der Dax-Familie.
Das seit einem Jahr in die Politik vorgedrungene Thema Rüstung findet nun auch im Dax seinen Niederschlag. Ab der dritten Woche dieses Monats notieren darin die Aktien der Rheinmetall (DE0007030009), nachdem die Titel seit zwölf Monaten gut
70 % zulegten. Im selben Zug steigt Fresenius Medical Care (FMCDE0005785802) in den MDax ab. Die Rüstungsbranche sorgt zudem für zusätzliche Bewegung in den Rängen dahinter: Hensoldt (DE000HAG0005; ehemals Teil der Airbus Defense) steigt für Verbio (DE000A0JL9W6; Bio-Energie) in die zweite Börsenliga auf. Des Weiteren löst Jenoptik (DE000A2NB601) die Software AG (DE000A2GS401) im MDax ab. Bereits Ende Feber rückte der Windkraftanlagenbauer Nordex (DE000A0D6554) in das mittlere Börsensegment auf, dafür zog die Deutsche Beteiligungs AG (DE000A1TNUT7) in den SDax nach.
Rechtzeitig auf die Welle aufspringen
Der Austausch in den deutschen Börsenindizes löste gerade in der aktuellen Phase Umschichtungen mit beträchtlichem Handelsvolumina aus. Da Fondsgesellschaften und ETF-Anbieter Aktien der mit mehr als 167 Mrd Euro kapitalisierten Linde AG (notiert künftig nur noch an der NYSE) veräußerten oder noch abzugeben gedenken und die Commerzbank mit einem Gewicht von
14,6 Mrd Euro nicht einmal ein Zehntel davon in die Waagschale wirft, profitieren übrige Dax-Werte (durch eine höhere Anteilgewichtung) stärker von Zukäufen institutioneller Investoren. Generell versuchen Investmenthäuser bereits möglichst vor den Wechsel-Terminen der Kandidaten frühzeitig Wertpapiere der Auf- und Absteiger zuzukaufen oder abzustoßen, um im Zuge der gestiegenen Nachfrage bzw. eines erhöhten Angebots nicht ungünstigeren Notizen nachzulaufen. Für Privatanleger lohnt es sich daher oft, frühzeitig voraussichtliche Wechselkandidaten in den jeweiligen Hauptindizes aufzuspüren bzw. die Vorgänge zu beobachten, um auf dieser Welle „mitzuschwimmen“. Das Wissen um die Kriterien, die für die Deutsche Börse als Berechnungsbasis dient, ist daher bedeutsam. So sind die Höhe des täglichen Börsenumsatzes, die Marktkapitalisierung und der Anteil des Streubesitzes ausschlaggebend. Nicht einsichtig ist für Privatanleger aber, inwieweit Investmentbanken und weitere Finanzinstitute den Umschichtungsprozess bereits abgeschlossen haben. Daher bleibt spekulativ als Anhaltspunkt bloß die Wahl, das tägliche Handelsvolumen zu beobachten und einen möglichst idealen Zeitabschnitt zu wählen, um in diesem Prozess Profite zu erzielen.
Keineswegs der sichere Wegweiser
Vor Risiken ist aber auch diese Anlagetaktik keineswegs gefeit. Besonders, falls zu diesem Strategieansatz gehebelte Zertifikate-Varianten bzw. Optionsscheine eingesetzt werden. Schließlich ist ein Auf- oder Abstieg in ein Börsensegment erst mit der Verkündung der Besetzung durch den Börsenbetreiber besiegelt. Kommt es doch anders, geht der Schuss meist durch schlagartig Rückführungen der Orders nach hinten los.
Linde-Aktien aufgrund des Abgangs aus dem Dax zu veräußern oder gar auf fallende Notizen zu setzen, erwies sich als herber Fehltritt. Auch durch die verkündete Anhebung der Quartalsdividende um 9 % auf 1,275 USD/Aktie (1,199 Euro) klettert der Wert gerade an der NYSE auf einen neuen historischen Höchststand.
Foto: AdobeStock / Pavel Ignatov
Was der neue Mobilfunk kann
Der 5G-Ausbau bringt Unternehmen und Anlegern gleichermaßen Chancen.
Raja Korinek. Die Welt der Technologietitel ist 2022 in Turbulenzen geraten. Grund sind die steigenden Zinsen, aufgrund dessen sich die künftigen Ertragserwartungen bei vielen solcher Branchenunternehmen kräftig eintrübten. Die Folgen waren teils heftige Kursrücksetzer. Doch es gibt Trends, die sich trotz der Korrektur langfristig durchsetzen dürften.
So kann sich etwa der Blick auf den Mobilfunksektor lohnen. Die wachsende Vernetzung im Internet schreitet zügig voran und findet zunehmend über den modernen Mobilfunk statt. Die Kommunikation kann zwischen Mensch und Maschine erfolgen, so etwa mit Haushaltsgeräten, aber auch zwischen Geräten, die untereinander praktisch in Echtzeit kommunizieren. Dazu zählt als Beispiel das autonome Fahren, bei dem das Auto unter anderem mit Navigationssystemen „Rücksprache“ hält. Auch die künstliche Intelligenz (KI) erfordert eine hohe Kapazität bei der Verarbeitung und dem Weiterleiten großer Datenmengen.
Schnelles Internet für alle
Die Rede bei all solchen virtuellen Vorgängen ist freilich vom Internet of Things, kurz IoT. Damit die Verständigung bei der wachsenden Datenmenge jedoch tatsächlich rasch genug erfolgt, wird ein besonders leistungsfähiger Standard bei der Datenübertragung benötigt. Die Zukunft dazu wird in 5G gesehen, das Internet der fünften Generation. Die Mobilfunkwellen sind kürzer, dafür schneller. Dies benötigt zugleich mehr Funkmasten, die in kürzeren Abständen aufgestellt werden.
Die Wachstumsaussichten sind laut Prognosen aussichtsreich. Der schwedische Technologiekonzern Ericsson schätzt in seinem „Mobility Report“ vom vergangenen November, dass die Zahl der 5G-Verträge weltweit bis Ende 2028 auf 5 Mrd steigen dürfte. Ende des vergangen Jahres waren es rund 1 Mrd. „Inzwischen sind kommerzielle 5G-Dienste bereits in rund 2.000 Städten in mehr als 70 Ländern weltweit bereitgestellt“, ergänzt Thomas Rappold, Investment Advisor der Bank Vontobel.
Indexzertifikate mit interessanten Chancen
Doch wie sehen die Investmentchancen aus? Die Bank Vontobel bietet zum Beispiel ein Indexzertifikat auf den „Solactive 5G Technology Performance-Index“ (ISIN: DE000VA9H372) an. Im zugrundeliegenden Index sind insgesamt 20 Titel enthalten, wobei geografisch rund 38 % auf die USA entfallen, gefolgt von China und Spanien. Größte Einzelgewichtung entfällt auf ZTE Corporation (CNE1000004Y2), dem chinesischen Telekommunikationsausrüster. Die spanische Telefonica (ES0178430E18) sowie Telecom Italia (IT0003497168) zählen ebenfalls zu den größten Indexschwergewichten.
Weil vom Ausbau des globalen 5G-Netzwerkes auch die KI profitieren dürfte, kann sich der Blick auf Investmentchancen in diesem Bereich ebenfalls lohnen. So gibt es das künstliche Intelligenz Indexzertifikat von Alphabeta Access Products (DE000DA0ABW6). Im Index enthalten sind Unternehmen, die so eine Technik einsetzen oder an der Entwicklung arbeiten. Dazu zählt beispielsweise der Grafikkartenhersteller Nvidia (US67066G1040), anhand dessen Produkte weitaus größere Datenmengen von der KI verarbeitet werden können. Auch Salesforce (US79466L3024) ist eines der größten Indexschwergewichte. Das Unternehmen bietet Cloud-Computing-Lösungen an, für die auch die KI eingesetzt wird.
Trotz der langfristig positiven Aussichten müssen Anleger jedoch auch beachten, dass größere Kursverluste und Währungsschwankungen bei solchen Investments möglich sind.
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Aufbruchsstimmung in der Privatwirtschaft
Die Einkaufsmanager-Indizes zeigen eine Stimmungsaufhellung.
Michael Kordovsky. Die Lieferketten sind mit dem Ende der Pandemiemaßnehmen Chinas wieder intakt. Bereits seit Dezember 2022 haben sich die Seefrachtraten für Trockengüter des Baltic Dry Index auf ein historisch günstiges Niveau bis Mitte Feber gedrittelt, ehe sie sich binnen zwei Wochen wieder verdoppelten, denn die Konjunktur springt an.
Weltweit verbesserten sich das Aktivitätsniveau und die Stimmung privatwirtschaftlicher Unternehmen. Die umfragebasierenden Einkaufsmanager-Indizes signalisieren reihenweise eine Erholung ausgehend vom Kontraktionsbereich. Dieses allgemeine globale Stimmungsbild macht Mut. Doch wie sieht die Privatwirtschaft in den einzelnen Regionen aus?
USA mit noch schwächelnder Industrie
Abgesehen von der Pandemie durchläuft der Produktionsbereich in den USA den hartnäckigsten Abschwung seit 2009. Kunden- und Auslandsnachfrage bleiben schwach und sorgen für weitere Umsatzrückgänge, da Firmen ihre Ausgaben anpassen und Lagerbestände abbauen. Niedrigere Input-Nachfrage führt zu einer zunehmenden Entspannung der Lieferketten. Zwar hat sich die Kontraktion im verarbeitenden Gewerbe verlangsamt, doch der finale „S&P Global US Manufacturing Purchasing Managers Index™“ stieg zwar von Jänner auf Feber von 46,9 auf 47,3 Punkte, lag aber unter der Schnellschätzung von 47,8 Punkte. Zumindest in der Vorabschätzung auf ein Acht-Monats-Hoch in den Expansionsbereich stieg der Aktivitätsindex des US-Service-Sektors.
Auch das ISM (Institute for Suppy Management) berichtet für Feber im verarbeitenden Gewerbe lediglich von einer minimalen Verringerung der Kontraktion. Was allerdings auffällt, ist eine Belebung der Auftragseingänge im Inland.
Die große Gefahr liegt in den USA in höheren Inflationsraten als erwartet und weiteren zu starken Leitzinserhöhungen. Ähnliches gilt auch für Europa, wo es derzeit nach einer Vermeidung einer Rezession aussieht.
Eurozone – erneute Wachstumsimpulse
Eine ungewöhnlich warme Witterung im Feber, deutlich verkürzte Lieferzeiten in der Industrie infolge der Wiedereröffnung der chinesischen Wirtschaft und nachlassende Input-Inflation (Gesamtteuerung auf Zweijahrestief) in Kombination mit einem starken Servicesektor, der sich noch immer im Erholungsmodus befindet, trugen im Feber in der Eurozone zum stärksten Wachstum der Privatwirtschaft im Euroraum seit Juni 2022 bei. Der finale „Eurozone Composite PMI®“ stieg auf ein Acht-Monats-Hoch von 52,0 Punkten (nach 50,3 Punkte im Jänner). Das ist bereits der zweite Wachstumsmonat in Folge.
Der gesamte privatwirtschaftliche Auftragseingang verzeichnete erstmals seit Mai 2022 wieder ein Plus, wobei erneuten Einbußen in der Industrie ein Neun-Monats-Hoch der Neuaufträge bei den Servicefirmen gegenüberstehen. Auch die Geschäftsaussichten binnen Jahresfrist haben sich verbessert und ein Jahreshoch erreicht, liegen allerdings noch unter dem Level vor dem Ukrainekrieg.
Restart in China
In China stieg der Einkaufsmanagerindex der Industrie (PMI) von Jänner auf Feber von 50,1 auf 52,6 Punkte. Das ist der höchste Wert seit April 2012. Analysten rechneten nur mit 50,5 Punkten. Der „Caixin China General Manufacturing PMI™“ stieg von 49,2 auf 51,6 Punkte – die erste Verbesserung seit sieben Monaten und der zweithöchste Stand seit Mai 2021. Besondere Stärke zeigt der Dienstleistungssektor, der sich von der Pandemie erholt. Ein entsprechender Indikator dafür stieg auf den höchsten Wert seit knapp zwei Jahren. Der IWF rechnet in diesem Jahr für China mit einem BIP-Wachstum von 5,2 nach 3 % im Jahr 2022.
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Gold: Hier muss die Charttechnik entscheiden
Eine Analyse von Marktexperte Ronald Gehrt vom Online-Broker LYNX.
(27.02.) „Wir sehen, dass Gold aktuell auf die eher leichte Supportlinie bei 1.808 US-Dollar zurückgesetzt hat. Massiver wäre aber die Auffangzone 1.780/1.787 US-Dollar, da diese noch durch die 200-Tage-Linie verstärkt wird. Sollte diese Zone fallen, könnte die Abwärtsbewegung erneut Rückenwind erhalten und der Kurs durchaus in die Region 1.726/1.730 US-Dollar durchgereicht werden.“
Drei Monate lang stieg der Goldpreis recht stetig und näherte sich der runden 2.000 US-Dollar-Marke. Doch Anfang Februar brach der Kurs weg und fällt seither weiter. Jetzt nähert er sich sogar von oben der 200-Tage-Linie. Man könnte Argumente dafür konstruieren, aber zwingend ist davon nichts, wie Marktexperte Ronald Gehrt in einer aktuellen Analyse für den Online-Broker LYNX schreibt.
„Natürlich war es auffällig, dass die Verkäufe direkt nach den Entscheidungen von US-Notenbank und EZB begannen und zunächst hohe Dynamik aufwiesen, während man am Aktienmarkt zugleich kräftig zugriff. Daraus könnte man das Argument ‚basteln‘, dass die Erwartung, dass die Phase der Leitzinsanhebungen zu Ende geht, die Inflation schnell und effektiv gestoppt wird und eine rezessive Phase leicht und kurz sein wird, Gold als Investment obsolet macht. Käme es so, wäre ein ‚sicherer Hafen‘ überflüssig, dann müsste man kräftig in Wachstum investieren“, so Gehrt.
Doch für ihn ist das kein Argument, auf das man bauen sollte, denn sowohl die Fed als auch die EZB geben keinen Anlass zur Hoffnung, dass sich die Situation sich in absehbarer Zeit ändert. Dass Gold seine argumentative Basis nachhaltig verloren hat, kann man also schwerlich behaupten. Daher wäre für den Experten ein Comeback des Edelmetalls grundsätzlich denkbar. Dabei hält er es für sinnvoll, sich konsequent anhand charttechnischer Vorgaben zu bewegen.
„Da sehen wir, dass Gold aktuell auf die eher leichte Supportlinie bei 1.808 US-Dollar zurückgesetzt hat. Massiver wäre aber die Auffangzone 1.780/1.787 US-Dollar, da diese noch durch die 200-Tage-Linie verstärkt wird. Sollte diese Zone fallen, könnte die Abwärtsbewegung erneut Rückenwind erhalten und der Kurs durchaus in die Region 1.726/1.730 US-Dollar durchgereicht werden. Auf der Oberseite wäre dann ein bullisches Signal vorhanden, wenn es gelingt, den Kurs durch die jetzt wieder als Widerstand fungierende Zone 1.878/1.890 US-Dollar nach oben hinaus zu bekommen. Innerhalb dieser beiden Chartzonen bleibt die kommende Tendenz völlig offen, daher wäre die beste Lösung, sich erst wieder nennenswert zu engagieren, wenn die Charttechnik eine entsprechende Wegweisung präsentiert.“
Die Zukunft der Hauptversammlung
Florian Beckermann vom IVA über das Seelen(k)leid heimischer Aktionäre.
Rudolf Preyer. Wenn Simmering gegen Kapfenberg Helmut Qualtinger zufolge die wahre Brutalität ist, ist „Präsenz- versus Virtuelle Hauptversammlung“ mit Florian Beckermann auch kein „Lercherl“. Bis zum Beginn der Hauptversammlungssaison im April werden wir uns hier in loser Folge mit dem „Stand der Dinge“ beschäftigen.
Zum Grundsätzlichen: Ein „Nebeneffekt“ der Corona-Pandemie war bekanntermaßen die gesellschaftsrechtliche Covid-19-Verordnung: In den vergangenen zweieinhalb Jahren konnten AGs ihre HV virtuell abhalten. Davon abzugrenzen ist eine hybride Hauptversammlung – vonseiten der Industrie wird darunter sowohl eine Präsenz- als auch gleichzeitig eine virtuelle Veranstaltung verstanden: und zwar dann auch mit den doppelten Kosten. Plus, die Hybridisierung bedeutet auch, dass man den Aktionär so stellt, als ob er quasi auf der HV physisch präsent wäre, und auch digital ad hoc abstimmt.
Dazu Beckermann vom Interessenverband für Anleger (IVA): „Das macht das Narrativ der ‚Hybriden‘ in Österreich teuer – und unerwünscht.“ Denn tatsächlich war der Unmut unter Österreichs Aktionären über virtuelle Formate groß, sehr groß sogar – immer und immer wieder ventilierten sie ihren Ärger und befassten Vorstände und Aufsichtsräte sämtlicher Virtuell-Austräger mit dem Wunsch zur Rückkehr zur Präsenz-HV.
Die „gute, alte Präsenz-HV“ sei schließlich rechtssicher – sie nimmt „alle Aktionäre im Grundsatz mit“, so der geschäftsführende Vorstand des IVA, und ist auch die kostengünstigste Variante.
HV als soziales Phänomen
Der IVA hat schon frühzeitig – in Zusammenarbeit mit dem Börsen-Kurier – eine Umfrage unter Österreichs Aktionären durchgeführt: Damals, also noch mitten im Pandemiegeschehen, kam heraus, dass mehr als 70 % der Befragten die sofortige Rückkehr zur Präsenz-HV haben wollten.
Im Zuge der Virtualisierung haben sich zahlreiche „unerfreuliche Elemente“ eingeschlichen. So ist die aktive Beteiligung des Aktionariats zuletzt massiv gefallen. Überdies finde ja, so Beckermann, eigentlich keine Diskussion mehr statt. Bei virtuellen HVs werden Fragen zwar verlesen, es gibt aber cum grano salis keine Redebeiträge mehr. Auch haben wir in der Corona-Zeit gemerkt, „wie ermüdend solche Veranstaltungen“ sein können. Hinzu käme, dass sich Aktionäre während einer virtuellen HV nicht mehr untereinander beraten können; kurzum: die soziale Interaktion fehle völlig.
Die HV ist tatsächlich das höchste Organ einer Aktiengesellschaft, dem sowohl Aufsichtsrat als auch Vorstand rechenschaftspflichtig sind. „Wie kann denn das sein, dass die Art der Zusammenkunft durch den Vorstand bestimmt wird?“ Abgesehen davon spiele natürlich auch die Thematik „digitale Diskriminierung“ herein (nicht jeder Aktionär ist letztlich „computerfit“).
Freiheit auf Basis der Präsenz
Beckermann plädiert für eine „österreichische Lösung, die bestimmt auch im internationalen Markt sehr attraktiv sein wird“: Auf Basis der Präsenz-HV möchte er digitale Elemente hinzunehmen, die rechtssicher und kostengünstig sind. „Auf dieser Basis werden wieder alle Aktionäre adressiert.“
Kurzum: Der Interessenverband für Anleger will die Freiheit für den Aktionär, dass dieser entscheiden kann, ob er persönlich kommt oder nicht – oder eben virtuell teilnimmt. Der Merksatz hierzu lautet: „Nicht das Unternehmen, der Aktionär hat das zu entscheiden.“
In der Planung für die Hauptversammlungssaison sei dem IVA aktuell bisher keine einzige virtuelle HV bekannt, so Beckermann abschließend: „Ein positives Signal!“
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Totgesagte leben länger
Emerging Markets feiern ihr Comeback, meint man bei BNP Paribas.
Harald Kolerus. 2022 war ein überaus schwieriges Jahr für Schwellenländer, das betraf gleichermaßen Aktien als auch Fixed Income. Dafür war nicht zuletzt China verantwortlich, das mit seiner strikten Null-Toleranz-Politik gegenüber Covid für beträchtliche Disruptionen sorgte. Bekanntlich lösten sogar vereinzelte Corona-Fälle die Quarantäne ganzer Stadtviertel und das Herunterfahren von Betrieben aus. Produktionsverzögerungen und Lieferengpässe waren die Folge, was wiederum die Wachstumsaussichten der Volkswirtschaft schmälerte. Hinzu kamen unübersehbare Probleme am Immobilienmarkt Chinas, die Spitze bildete die Schieflage des Real-Estate-Riesen Evergrande Group, zweitgrößtes Immo-Unternehmen des Landes. All das strahlte negativ auf Gesamt-Asien aus, das wiederum für Anleihen aus Emerging Markets (EM) von federführender Bedeutung ist.
Positiver Ausblick
Aber jetzt zur guten Nachricht: „Die Stimmung hat sich aufgehellt“, so Jean Charles Sambor, Head of Emerging Market Fixed Income bei BNP Paribas Asset Management. Der Experte wusste bei einem Vortrag in Wien zu berichten, dass Schwellenländer im Vorjahr ein „schrecklicher Platz“ für Anleger waren. Mittlerweile sind allerdings einige Game-Changer zu nennen, im Fokus steht wieder einmal das Reich der Mitte: „Die Abkehr Pekings von seiner Null-Covid-Toleranz hat viele Marktbeobachter überrascht, zuvor war oft die Meinung zu hören, die restriktive Corona-Politik würde nie enden. Der Markt hat sich hier absolut geirrt. Ich meine, dass sich im Zuge des Re-Openings das Bild Chinas positiv verändern wird.“ Die Öffnung werde jedenfalls die globale und vor allem die EM-Wirtschaft unterstützen: „Und China wird stärker wachsen als viele angenommen haben.“
China im Portfolio
Sambor selbst war gemäß seines Contrarian-Ansatzes bereits 2022 optimistisch für China gestimmt: „Wenn die Schlagzeilen besonders negativ sind und die anderen Anleger nicht hinsehen, ergeben sich gute Chancen.“ Die sieht er jetzt bei chinesischen Staatsanleihen: „Bei US-Treasuries lag der Anteil ausländischer Anleger im Höchststand bei rund 60 %. Auch z. B. bei deutschen Staatsanleihen sehen wir eine extrem hohe Quote ausländischer Investments. In China liegt der Anteil hingegen nur bei 9 %.“ Das werde nicht so bleiben und spreche für Aufholpotenzial. „China-onshore-Bonds“ (Staatsanleihen) sollten somit in jedes Portfolio gehören: „Denn China ist zu groß, um ignoriert werden zu können.“
Aber natürlich besteht die Assetklasse der EM-Anleihen nicht nur aus dem Reich der Mitte: Alleine BNP verwaltet in den Schwellenländern an die 108 MrdUSD, davon rund 64 MrdUSD im riesigen Segment der EM-Bonds. Sambor: „Dieses breite Universum bietet sehr viele Gelegenheiten zur Diversifikation. Natürlich bildet Asien das Schwergewicht, aber wir gehen bei unseren Investments sehr gezielt vor.“ Nur als Beispiel gefallen dem Experten ausgesuchte Märkte in Lateinamerika, wie etwa Argentinien. Im Vergleich zwischen Investment Grade- und High-Yield-Anleihen gibt er letzteren derzeit den Vorzug.
Sambor abschließend: „Gerade wenn man nicht super-bullish für die Entwicklung der Weltwirtschaft ist, muss man als Anleger in EM dabei sein.“ Das erklärt er durch die Wachstumsdifferenz zwischen den EM und den hochentwickelten Industriestaaten, sprich: Die Konjunktur der Schwellenländer sollte heuer deutlich besser ausfallen als in den USA und Eu-ropa, wo ja Rezessionsängste herumspuken. Ein Fonds, der zum EM-Thema passt, ist etwa der „BNP Paribas Funds Emerging Bond Opportunities“ (ISIN: LU082 3390272), der auch in lokale Währungen investieren kann.
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Wie es mit Gold weitergeht
Experten zeigen auf, wann eine Erholung in Sicht ist.
Raja Korinek. Die Verunsicherung der Goldinvestoren ist groß. Martin Krieger, Head of Group Business Development bei Philoro, meint, das Jahr sei zwar noch jung. Dennoch habe der Preis bereits eine wahre Achterbahnfahrt zurückgelegt. Und das nicht nur auf USD-Basis. Schließlich wird das gelbe Edelmetall in der US-amerikanischen Währung gehandelt. Auch Euro-Anleger mussten starke Nerven bewahren. „Der Kurs schwankte zuletzt zwischen rund 1.784 und 1.703 Euro je Feinunze.“ Schuld an den Turbulenzen sind die zügigen Zinsanhebungen der FED. „Sie übten großen Druck auf den Goldpreis aus.“
Doch worum geht es? „Gold ist eine zinslose Anlage, womit seine Attraktivität wesentlich von den globalen Zinsaussichten, insbesondere für die der USA, dem wichtigsten Kapitalmarkt, bestimmt wird“, präzisiert Thu Lan Nguyen, Analystin bei der Commerzbank. Tatsächlich wird eine Veranlagung in US-Anleihen, die nunmehr eine höhere Verzinsung bieten, eine zunehmende Alternative.
Konjunktur dürfte sich abschwächen
Mittelfristig zeigen sich Experten jedoch zuversichtlicher. „Mit einer sich zur zweiten Jahreshälfte deutlich abschwächenden Wirtschaftsdynamik und einer nachlassenden Inflation dürfte sich der Fokus des Marktes recht schnell auf mögliche Zinssenkungen richten, die Gold relativ gesehen wieder attraktiver erscheinen lassen sollten“, sagt Nguyen. Bereits zu Jahresbeginn 2024 rechnen die Commerzbank-Ökonomen mit der ersten Zinssenkung.
All solche Entwicklungen dürften auch den Goldpreis allmählich wieder stützen. Philoro-Experte Krieger meint, Gold sei dabei ohnedies ein Langfristinvestment. Anleger sollten sich von aktuellen Kursschwankungen nicht verunsichern lassen. Eine genaue Preisprognose sei natürlich nicht möglich: „Jedoch könnte der Goldpreis in diesem Jahr wieder an der 2.000- USD-Marke kratzen.“
Verschiedene Investmentchancen
Anleger haben dabei unterschiedliche Anlagemöglichkeiten, so etwa den Kauf physischen Goldes. Somit hat man sein Investment in der Hand und kann stets darauf zugreifen. Krieger fügt außerdem hinzu: „Bei Liquiditätsengpässen kann man es rasch und unkompliziert verkaufen, im Gegensatz zu Papiergold oder anderen Assetklassen.“ Auch rät der Experte zu Produkten, die mit der LBMA-Zertifizierung versehen sind. „So können Anleger sicher sein, dass die Gold- oder Silberbarren den höchsten Qualitäts- und Sicherheitsstandards entsprechen. Zu-dem sollte man sich beim Kauf eines Barrens ein Zertifikat ausfolgen lassen, das Echtheit, Herkunft und Qualität garantiert.“
Doch auch Zertfikate haben ihre Vorteile. Anleger müssen sich nicht um die Lagerung kümmern. Zudem ist die Spanne zwischen An- und Verkaufskurs meist sehr gering. Auch gibt es die Möglichkeit, auf die weitere Wertentwicklung des Goldpreises währungsgesichert zu setzen, so etwa mit dem Indexzertifikat der UniCredit (DE000HW3KLU2). Investoren sollten aber bei solchen Papieren grundsätzlich das Emittentenrisiko beachten.
Wer sich ein noch größeres Risiko zutraut, kann etwa mit Goldminenaktien gehebelt auf die Preisentwicklung des gelben Edelmetalls setzen. Denn die Kurse solcher Aktien schwanken in der Regel stärker. Besonders gut kann sich der „Bakersteel Global Funds SICAV – Precious Metals Fund“ (LU0357130854) halten. Er setzt zu rund 70 % auf Minenaktien aus der Goldförderung. Auch der Silber- und Platinsektor wird abgedeckt.
Immer bedenken: Bei allen Investments sind jedoch auch größere Verluste möglich.
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Verschnaufpause für den Wachstumschampion?
Indien hat 2022 mit einer starken Börsenperformance weltweit für Aufsehen gesorgt.
Patrick Baldia. Während die großen Weltbörsen im Vorjahr angesichts zahlreicher Gegenwinde strauchelten, zeigte sich in Indien ein völlig anderes Bild: Die beiden größten und wichtigsten Indizes, BSE Sensex und NIFTY 50, legten um rund 4 % zu und erreichten sogar neue Allzeithochs. Dabei gingen Experten davon aus, dass die Mischung aus Ukraine-Krieg-bedingten volatilen Rohölpreisen, schwacher indischer Rupie, Lieferkettenschwierigkeiten und hoher Inflation nichts Gutes verheißen würde. Die große Frage ist jetzt: Kann der indische Aktienmarkt dem schwierigen Umfeld auch 2023 trotzen?
Nicht wenige Beobachter erwarten, dass es heuer ruhiger zur Sache gehen wird. Darauf deutet auch das zarte Kursplus des BSE Sensex, der die 30 größten an der Bombay Stock Exchange gehandelten Unternehmen zusammenfasst, von rund 0,80 %. Ebenso wie die hohen Bewertungsniveaus (KGVe 2023: 22x). Allerdings sind die Bewertungen in Indien, einem Land mit starkem Wirtschaftswachstum und Transformationsprozessen (das BIP-Wachstum der vergangenen fünf Jahre lag im Schnitt bei 5 %; Prognose für die nächsten 5 Jahre: 6 %, Anm.) traditionell höher. Das durchschnittliche KGV der letzten 25 Jahre liegt bei 20x.
Es gibt aber auch optimistischere Prognosen. Die Experten von Goldman Sachs glauben, dass der BSE Sensex bis Ende Dezember 2023 die 80.000-Punkte-Grenze berühren könnte. Derzeit notiert der Index bei rund 61.000 Punkten. Bei Morgan Stanley wird wiederum bis Ende 2023 von einem Niveau von rund 68.500 Punkten ausgegangen. Optimistisch stimmen die Analysten weniger volatile Rohstoffpreise, ein stabiler Inlandskonsum sowie hohe Infrastrukturausgaben der Regierung. Nicht von der Hand zu weisen sind aller-dings auch Risiken, wie die sich ausweitende Handelsbilanz Indiens, die volatile Währungsentwicklung sowie eingeschränkte Liquidität. Ganz zu schweigen vom schwierigen globalen Umfeld.
BSE Sensex: +81 % in 5 Jahren
Auf Sicht der letzten drei bzw. fünf Jahre steht beim BSE Sensex jedenfalls ein Plus von knapp 50 bzw. 81 % zu Buche. Zum Vergleich: Der Dax hat auf Ein-Jahres-Sicht eine Performance von +1,4 % vorzuweisen. In den vergangenen drei bzw. fünf Jahren stieg der deutsche Leitindex um +12,3 bzw. +25 %. Auch der ATX schaut im direkten Vergleich reichlich blass aus: In den letzten zwölf Monaten hat er um 10 % verloren. Auf Drei- bzw. Fünf-Jahres-Sicht hat der heimische Leitindex ein Plus von rund 9 bzw. 2,5 % vorzuweisen.
Zu den interessanten Anlagethemen in Indien für 2023 zählen Analysten Kapitalgüter, Infrastruktur, Chemie und Pharma sowie Wohnen und Banken. Für Erik Lueth, Global Emerging Market Economist beim Assetmanager LGIM, gehört zur „Indien-Story“ der starke Inlandskonsum, die junge und zahlenstarke Erwerbsbevölkerung sowie starker Konjunkturoptimismus. Dazu kommen ein dynamischer IT- und Dienstleistungssektor sowie ein politisches System, das dem Westen um einiges ähnlicher ist als etwa das chinesische.
Lueth glaubt allerdings nicht, dass der Dienstleistungssektor Indien einen ähnlichen Schub geben kann, wie es die Produktion in China getan hat.
Er verweist darauf, dass das verarbeitende Gewerbe, das immanent für die langfristigen Wachstumsaussichten eines Landes sei, es in Indien schwer habe. „Sein Anteil am BIP ist nicht nur niedriger als in anderen Ländern mit vergleichbarem Entwicklungsstand, sondern er schrumpft sogar“ hält Lueth fest.
Laut dem Experten ist sich die indische Regierung dessen bewusst. Schließlich habe sie 2014 die „Make in India“-Kampagne gestartet mit dem Ziel, den Anteil des verarbeitenden Gewerbes am BIP bis 2025 auf 25 % zu erhöhen. Im April 2020 habe die Regierung von Premier Narendra Modi nachgelegt und mit dem „Production Linked Incentive (PLI)“-Programm begonnen. Dieses wirbt um ausländische Unternehmen und soll die Produktion in Indien in 14 Schlüsseltechnologien fördern.
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Die Folgen der Honorarberatung
Die EU will Provisionen abschaffen. Das hätte Konsequenzen.
Klaus Schweinegger. Die Aufregung in der Finanzberaterbranche ist groß. Die Europäische Union in Person von Finanzkommissarin Mairead McGuinness will das klassische Provisionssystem für die Vermittlung von Finanzprodukten noch heuer kippen. Was zunächst sehr konsumentenfreundlich klingt, hätte aber weitreichende Auswirkungen.
Der Börsen-Kurier sprach zu diesem Thema mit Christian Nuschele, er ist Head of Distribution and Marketing für Deutschland und Österreich beim Lebensversicherer Standard Life.
Börsen-Kurier: Herr Nuschele, Ihr Unternehmen stammt ursprünglich aus Großbritannien. Vor zehn Jahren hat man dort das Provisionsverbot eingeführt. Welche Auswirkungen hatte das auf die Finanzberatungsbranche und vor allem die Qualität der Beratung auf der Insel?
Christian Nuschele: Die Einführung des Provisionsverbotes hatte in Großbritannien sehr ambivalente Auswirkungen. Positiv zu beurteilen ist, dass die Qualifizierung und Professionalisierung der britischen Berater deutlich zugenommen hat und damit auch die Qualität der Beratung gestiegen ist. Auch die Transparenz hat sich noch einmal erhöht. Negativ ist demgegenüber, dass eine Beratungslücke („advice gap“) entstanden ist. Der Großteil der Bevölkerung kann oder will sich die Honorarberatung nicht leisten. Laut den letzten Berechnungen werden aktuell gerade einmal acht Prozent von unabhängigen Beratern beraten.
Börsen-Kurier: Das heißt aber, dass das Gros der Bevölkerung von professioneller Beratung inklusive Best-Advice-Prinzip ausgeschlossen wäre und sich auf Produkte der Hausbank oder kostenlose Tipps aus dem Internet bei komplexen Themen wie der persönlichen Vorsorge und Geldanlage verlassen müsste.
Nuschele: Für mehr als 90 % der britischen Bevölkerung muss man das leider bestätigen. Wobei man gleichzeitig sagen muss, dass es vor Einführung des Provisionsverbotes nur 13 % der Bevölkerung waren, die sich aktiv Beratung gesucht haben.
Fakt ist, dass sich die unabhängigen Berater in Großbritannien auf vermögende Kundinnen und Kunden fokussieren. Die übrigen Kunden schließen zum einen direkt online ab, was meistens ohne Beratung geschieht, weil sich auch in Großbritannien das Thema „Robo Advice“ noch nicht durchgesetzt hat. Eine zweite Möglichkeit ist die betriebliche Altersvorsorge. In Großbritannien wurde eine verpflichtende betriebliche Altersvorsorge mit Opt-out-Möglichkeit eingeführt, die gerade von Menschen mit geringeren Einkommen sehr oft genutzt wird.
Börsen-Kurier: Aber was spricht aus Ihrer Sicht gegen die Wahlfreiheit des Kunden, wie sie auch der Fachverband vorschlägt?
Nuschele: Gar nichts. Ich teile diese Auffassung zu 100 %. Wichtig ist mir aber in diesem Zusammenhang zu erwähnen, dass es aus meiner Sicht auch keinen Grund für ein Provisionsverbot gibt. Die häufig genannten Argumente von Fehlanreizen durch Provisionen oder gar Provisionsexzessen kann ich in der breiten Masse nicht erkennen. Unabhängige Berater leisten mit ihrer qualitativ hochwertigen Beratung eine sehr wichtige Tätigkeit, die auch entsprechend vergütet werden sollte – ob in Form einer Provision oder eines Honorars ist aus meiner Sicht von der jeweiligen Situation abhängig.
Börsen-Kurier: Sowohl der deutsche Bundesfinanzminister Christian Lindner wie auch sein österreichischer Amtskollege Magnus Brunner sollen sich dem Vernehmen nach in einem Brief gegen das Provisionsverbot ausgesprochen haben. Was ist Ihre Einschätzung, wie die Diskussion ausgehen wird?
Nuschele: Das ist aktuell nur sehr schwer zu beurteilen. Dass sich inzwischen auch Frankreich gegen ein Provisionsverbot ausgesprochen hat, macht Hoffnung, dass es zu keinem Provisionsverbot kommen wird. Die Diskussion wird aber intensiv weitergehen. Selbst wenn es zu einem EU-Beschluss kommen wird, bleibt immer noch die Frage, inwieweit dies überhaupt mit nationalem Recht oder Europarecht vereinbar ist. Es wird also spannend bleiben.
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Zinsperspektiven bis zum Jahresende
Welchen Leitzins preisen die Märkte ein? Was erscheint plausibel?
Michael Kordovsky. Die Mainstream-Prognosen gehen davon aus, dass eine Entspannung an der Inflationsfront zu einem baldigen Ende der Anhebungen in den USA und auch Europa führen sollte und ab 2024 winken dann Leitzinssenkungen. Das klingt zu schön, um wahr zu sein und steht auch in einem strikten Gegensatz zu historischen Erfahrungswerten, die in der heutigen oberflächlichen „Schönwetter-Berichterstattung“ gerne übersehen werden.
Historie spricht für weit höhere Leitzinsen
Definiert man nachhaltige Hochinflationsphasen als Phasen, in denen die Inflationsrate mindestens zwölf Monate in Folge um mindestens 5 % anstieg, so gab es seit 1916 in den USA sieben derartige Phasen, die zwischen 13 Monate (Dezember 1950 bis Dezember 1951) und 70 Monate (Jänner 1977 bis Oktober 1982; zweiter Ölpreisschock) anhielten. Im Schnitt dauerte so eine Phase 37 Monate.
Daran müssen also die Notenbanken länger gearbeitet haben, was auch zutrifft. So haben die Analysten von HedgeGo in der Publikation „Treasury Scout“ vom 10. November 2022 unter Leitung des Analysten Gerhard Massenbauer die letzten acht Zinserhöhungszyklen in den USA (seit 1971) untersucht. Sie kamen zu folgender Erkenntnis: Die durchschnittliche Anzahl an Zinserhöhungen lag bei 15 (per 17. Feber 2023 waren es erst acht) und die durchschnittliche Gesamt-Leitzinserhöhung über den Zyklus hindurchgehend lag bei 5,64 %-Punkten (aktuell: 4,50 %-Punkte). Der Zinserhöhungszyklus in den USA ist dabei erst elf Monate alt. Allerdings dauerte ein Zinserhöhungszyklus im Schnitt 32 Monate. Allerdings schreiben die Analysten in diesem Zusammenhang von durchschnittlichen Szenarien.
In den hochinflationären 1970er Jahren benötigte die Fed 20 bzw. 34 Zinsschritte zur Erreichung ihres Zieles. Selbst unter durchschnittlichen Rahmenbedingungen müssten die US-Leitzinsen noch auf 5,50 bis 5,75 % (aktuell: 4,50 bis 4,75 %) klettern, was entweder vier Zinsschritte zu 0,25 %-Punkten oder einen um 0,50 und zwei um 0,25 %-Punkte bedeuten könnte. Im Falle eines erneuten Inflationsschubs wären dann sogar 6 bis 6,25 % in den USA und 4,25 bis 4,50 % im Euroraum denkbar, während die Bank of England ihre Bankrate bereits in zehn Schritten auf 4 % anhob.
Noch moderate Lohnsteigerungen
Wir befinden uns in einer Zwischenphase, in der drei Faktoren kurzfristig rückläufige (Headline-)Inflationsraten bewirken: Einer der wärmsten Jänner seit 1881 in Deutschland und quer durch Europa durchaus milde Temperaturen seit Beginn der Heizperiode führten zu einer Schonung der Erdöl- und Erdgasvorräte und im Einklang mit der Erwartung eines schwachen Konjunkturverlaufs weltweit zu einem Rückgang der Erdöl- und Erdgaspreise – zumal russisches Erdgas wieder verstärkt unsere Breiten erreicht. Gleichzeitig führte die durch Corona-Maßnahmen bedingte Konjunkturdelle in China zu einer schwächeren Industriemetallnachfrage mit entsprechenden Preisrückgängen. Aufgrund der konjunkturellen Schwäche hielten sich vor allem in den USA die Lohnsteigerungen (Stundenlöhne Privatwirtschaft ex Agrar) noch in engen Grenzen (Jänner: +4,4 %).
Von Juni bis Dezember 2022 war in den USA die Inflationsrate von 9,1 auf 6,5 % (November: 7,1 %) rückläufig. Der Anstieg des Index persönlicher Konsumausgaben ex Nahrungsmittel und Energie verlangsamte sich von November auf Dezember von 4,7 auf 4,4 % – das war die niedrigste Steigerung seit Oktober 2021. Im Euroraum ging die Inflationsrate von 10,6 % im Oktober 2022 auf 8,5 % im Jänner 2023 zurück. Allerdings verharrte die Kerninflation (HVPI ex Energie, Nahrungsmittel, Alkohol und Tabak) auf einem Hoch von 5,2 %.
Für erste Irritationen sorgte die US-Inflation für Jänner 2023, die mit 6,4 % über den Erwartungen von 6,2 % lag. Auch die Kerninflation ist nur noch von 5,7 auf 5,6 % enttäuschend schwach zurückgegangen und es gibt Gründe, die für eine zweite Teuerungswelle sprechen.
Das spricht für stärkere Leitzinsanhebungen
In den USA liegt im Jänner die Arbeitslosenquote mit 3,4 % auf einem 53-Jahres-Tief. Im Kampf um Mitarbeiter steigt die Lohnzahlungsbereitschaft der Unternehmen und je hartnäckiger die Inflation auf erhöhtem Niveau bleibt, desto höher werden in den USA die Lohnforderungen der Arbeitnehmer.
Auch führt die Wiedereröffnung der chinesischen Wirtschaft dazu, dass die Erdöl-/Erdgas- und Rohstoffnachfrage steigt und somit entsprechend die Preise nach oben treibt. Dem steht zwar durch Wiederherstellung von Lieferketten eine disinflationäre Wirkung entgegen, doch per Saldo sollte der Rohstoffpreisschub überwiegen und in der Lage sein, dass zumindest im Euroraum die Inflationsrate wieder knapp zweistellige Größenordnungen erreichen kann.
Bereits am 2. Feber 2023 kündigte die EZB für März eine weitere Leitzinsanhebung im Ausmaß von 0,5 %-Punkten an und auch in der Fed werden Stimmen für einen 0,5-%-Punkte-Schritt laut. Und was preisen dann die Märkte ein?
Abgeleitet aus den Fed-Fund-Futures-Preisen ermittelt das CME-Fedwatch-Tool Wahrscheinlichkeiten für bestimmte Zinsentscheidungen. Die Futures-Preise vom 17. Feber signalisieren, dass bis zur Fed-Sitzung am 14. Juni die Leitzinsen auf 5,25 bis 5,50 % steigen werden, und zwar mit einer Wahrscheinlichkeit von 52,9 %. Bis zur Sitzung am 26. Juli 2023 liegt die Wahrscheinlichkeit für 5,25 bis 5,50 % bei 49,2 %, und darüber bei 20,5 %. Konkret bedeutet dies die Einpreisung des Leitzins-Hochs für Juni oder Juli 2023, und zwar bei 5,25 bis 5,50 %. Angesichts des historisch abgeleiteten Potenzials ist die Enttäuschungsgefahr groß.
Ähnliches gilt auch für den Euroraum, wo der ein- und zweijährige Euro-Swapsatz mit je 3,547 bzw. 3,497 % ein voraussichtliches Leitzinshoch von 3,50 % einpreist (aktueller Stand: 3,00 % im Hauptrefinanzierungssatz), während der 30-Jahres-Swapsatz nur noch bei 2,457 % liegt.
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In China stehen die Zeichen wieder auf Wachstum
Ein Kommentar von Tilmann Galler, Kapitalmarktstratege bei J.P. Morgan Asset Management.
(14.02.) Der Einbruch der chinesischen Wirtschaft im Zuge der anhaltenden Lockdowns bis in den Spätherbst, gefolgt vom massiven Infektionsanstieg im Dezember, ließ die ohnehin gebeutelten Aktienkurse in Fernost weiter leiden. Pünktlich zum kürzlich begonnenen „Jahr des Hasen“, das für Ruhe, Besinnlichkeit und Langlebigkeit stehen soll, stehen die Zeichen in China nun wieder auf Wachstum. „Wir erwarten für 2023 eine konjunkturelle Erholung in China“, erklärt Tilmann Galler, Kapitalmarktstratege bei J.P. Morgan Asset Management. Vor allem der Dienstleistungs- und Tourismussektor dürfte davon in den nächsten Monaten profitieren. Das Wirtschaftswachstum und damit die Gewinnaussichten der Unternehmen der Region haben laut dem Ökonomen das Potenzial, die Erwartungen an den Märkten zu übertreffen. Dies dürfte Aktien der gesamten Asien-Pazifik-Region beflügeln und damit einen Abschwung in den USA oder in Europa kompensieren.
Wirtschaft erholt sich nach überstandener erster Infektionswelle
Wie stark sich Lockdowns und Masseninfektionen auf die Wirtschaft Chinas ausgewirkt haben, zeigt der Blick auf das Bruttoinlandsprodukt (BIP): 2022 fiel das BIP gegenüber dem Vorjahr um 2,9 Prozent. Chinas Schwäche belastete die Exportdynamik der ganzen Region: Ab Mitte 2022 waren die Exporte der asiatischen Handelspartner nach China im Jahresvergleich rückläufig.
Inzwischen deutet aber Vieles darauf hin, dass die meisten Provinzen und Städte die Post-Öffnungs-Infektionswelle überstanden haben und sich die Wirtschaftstätigkeit zu erholen beginnt. So haben sich bis Mitte Januar die Passagierströme in den U-Bahnen in Peking und Shanghai auf 60 bis 70 Prozent gegenüber dem Niveau vor COVID erholt. In Shenzhen wurde sogar das Niveau vor der Pandemie überschritten.
Für die anziehende chinesische Konjunktur sieht Tilmann Galler vor allem eine Ursache: „Vergleichbar mit den USA und Europa vor 18 Monaten besteht heute in China ein erheblicher Nachholbedarf in der Konsumnachfrage“, stellt der Marktexperte fest. Einschränkungen und Bedenken hinsichtlich der wirtschaftlichen Aussichten führten zu einem Anstieg der Sparquote in China, die zwischen 2020 und 2022 durchschnittlich 33 Prozent betrug, mehr als 4 Prozentpunkte höher als der Durchschnitt zwischen 2015 und 2019. Diese Mittel stünden nun für Ausgaben zur Verfügung.
Dienstleistungen und Tourismus dürften am stärksten profitieren
Der Aufholeffekt dürfte laut Tilmann Galler vor allem Dienstleistungen zugutekommen: Insbesondere der Tourismus sollte zu den großen Nutznießern der Öffnung gehören. Bereits vor der Pandemie im Jahr 2019 reisten mehr als 150 Millionen Chinesen ins Ausland und gaben insgesamt 255 Milliarden US-Dollar aus. Dies machte insgesamt rund 17 Prozent des weltweiten Marktes für Auslandsreisen aus. „Wenn nun die chinesischen Touristen zurückkehren, wird dies zunächst vor allem in Asien sein. Hongkong und Thailand könnten davon am stärksten profitieren – die chinesischen Touristenausgaben entsprachen im Jahr 2019 bereits 5,6 beziehungsweise 3,2 Prozent ihrer jeweiligen Wirtschaftsleistung. Seit Ende November ist die Zahl der internationalen Flüge aus China bereits wieder um mehr als 20 Prozent angestiegen“, betont Tilmann Galler.
Die Verkäufe von Konsumgütern könnten aufgrund des zunehmenden Verbrauchervertrauens ebenfalls anziehen. Daten der nationalen Steuerbehörde zeigten, dass die Chinesen im Januar die neue Freiheit für ausgiebiges Shopping genutzt haben. „Der Wachstumsimpuls durch die aufgestaute Nachfrage dürfte deshalb nicht nur die chinesische Wirtschaft, sondern die asiatischen Volkswirtschaften insgesamt beleben und damit die negativen Effekte einer abschwächenden europäischen und US-Wirtschaft mindestens zum Teil kompensieren können“, erklärt Ökonom Tilmann Galler.
Asiatische Aktien bieten eine gute Diversifikation für das Portfolio
Auch nach der jüngsten Rally beurteilt der Experte die weiteren Entwicklungen bei chinesischen und asiatischen Aktien als „konstruktiv“. Der wirtschaftliche Aufwärtstrend dürfte sich nach dem chinesischen Neujahrsfest fortsetzen, wenn auch mit einer möglichen Sektor-Rotation. „Sobald die Erwartungen auf eine Erholung des Konsums eingepreist sind, könnten Investorinnen und Investoren zurück in langfristige Themen wie die Green Economy und das Wachstum von fortschrittlicheren herstellenden Gewerbezweigen rotieren. Diese strategischen Sektoren werden bei der langfristigen Restrukturierung der chinesischen Wirtschaft eine wichtige Rolle spielen und von einer zunehmend entgegenkommenden politischen Umgebung profitieren“, führt Galler aus.
In Europa und den USA hingegen erscheint aus seiner Sicht ein erwartetes Gewinnwachstum von 2 Prozent für das Kalenderjahr 2023 vor dem Hintergrund einer drohenden Rezession dagegen immer noch zu hoch. In Asien sind die Erwartungen bereits kräftig gefallen. Wir stehen da eher vor der Situation, dass die Erwartungen eventuell zu niedrig sind und sich das schnelle Ende von Zero-COVID noch nicht in verbesserten Gewinnerwartungen niedergeschlagen hat. „Asiatische Aktien bieten somit eine gute Diversifikation gegen die Rezessionsrisiken in den USA und Europa“, fasst Tilmann Galler zusammen.
Kein Strohfeuer bei Europa-Aktien
Experten sehen gute Chancen und haben auch Wienerberger am Radar.
Harald Kolerus. Viele Investoren hat es überrascht, dass die europäischen Börsen seit Oktober 2022 ihre US-amerikanischen Pendants deutlich überrunden konnten. Zu sehen ist das etwa an der Wertentwicklung des EuroStoxx 50, der seither mehr als 25 % zulegte, der S&P 500 hingegen nur rund 10 %. Jetzt stellt sich natürlich die Frage, ob es sich dabei um ein kurzes Aufflackern oder eine fundamental getriebene, längerfristige Rallye handelt. Letzteres dürfte der Fall sein.
Positives Bild
Das ist die Conclusio von Stéphanie Bobtcheff (Fondsmanagerin für europäische Small und Mid Caps, LFDE) und Niall Gallagher (Director Europa-Aktien, GAM), die in einem Live-Chat Rede und Antwort standen. Wobei Bobtcheff auf kurze Sicht zu gewisser Vorsicht warnt: „Bei der gegenwärtigen Börsen-Bewegung könnte es sich um einen ‚short spike‘ (also einen kurzfristige Ausschlag nach oben, Anm.) handeln. Außerdem ist ein Ende des Ukraine-Krieges nicht in Sicht; in der gegenwärtigen Situation sind Wirtschaftsprognosen schwierig.“
Langfristig ist die Expertin für europäische Aktien aber positiv gestimmt: „Die Märkte sind lange Zeit weniger Risiko eingegangen, was sich wieder geändert hat und europäische Small und Mid Caps unterstützen sollte.“ Zuvor sind stark kapitalisierte Titel im Mittelpunkt gestanden, weil sie in Risk-Off-Phasen als sicherer gelten. Blue Chips hatten die mittleren
und kleinen Aktien – um rund 20 % – outperformt. Weiters geht die Fondsmanagerin in ihrem Szenario von einer Stabilisierung der Zinsen und dem Höhepunkt der Inflation aus: „Beide Faktoren sind gut für Small und Midcaps.“ Sie rät vor allem auf den „Schlüsselfaktor“ Gewinnwachstum der Unternehmen zu achten, die Auswahl der Sektoren erachtet sie als weniger wichtig.
Lob für Wienerberger
In ihrem Vortrag erwähnte Bobtcheff auch einen österreichischen Titel positiv: Wienerberger. Der Börsen-Kurier wollte natürlich wissen, was der Expertin an dem Unternehmen gefällt? Sie sprach von einem günstigen Kurs, langfristig guten Perspektiven und dem Vorteil eines sinkenden Gaspreises: „Wenn die Rezession nicht so hart ausfällt, sollte sich das positiv auf Bautätigkeit und Renovierungen auswirken, man denke auch an das Thema Energieeffizienz. Vom Risiko-Ertrags-Verhältnis ist Wienerberger sehr attraktiv und für positive Überraschungen gut.“
Günstige Titel
Gallagher zeigte sich ebenfalls optimistisch für europäische Aktien: „Sie sind historisch gesehen, aber auch im Vergleich zu anderen Asset-Klassen, günstig bewertet. Die Stimmung in den Unternehmen selbst hat sich verbessert. Weiters spielt in die Hände, dass die Energiekrise nicht so schlimm ausgefallen ist wie ursprünglich befürchtet. Die Energiepreise sind heute nicht mehr so hoch wie im vergangenen Sommer.“ Der Experte führte außerdem ins Treffen, dass europäische Unternehmen einen großen Teil ihrer Erträge (rund 60 %) außerhalb des eigenen Kontinents erwirtschaften. „Somit sollten Europa-Aktien auch von der US-Wirtschaft profitieren, die sich recht stark zeigt, und natürlich von der Öffnung Chinas nach Beendigung der Null-Covid-Politik.“
Gallagher praktiziert Bottom-Up-Research und Stock-Picking, dennoch wies er auf Megatrends wie Digitalisierung und die Transformation in Richtung einer nachhaltigen Wirtschaft hin. Dekarbonisierungs-Bestrebungen würden zu einem enormen Investment-Boom führen. In allen genannten Bereichen seien interessante Aktien aus Europa zu finden.
Der Aufstieg der chinesischen Mittelklasse sei wiederum für Luxus-Marken positiv. Die meisten davon finden sich – erraten! – in Europa.
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Das Pariser Klimaabkommen im Portfolio
„Paris-Aligned Benchmarks“ beleben die ESG-Szene – was steckt dahinter?
Harald Kolerus. Die Idee ist naheliegend: Analog zu den Klimazielen von Paris sind Indizes und Investmentprodukte entstanden, die der etwas sperrige Name „Paris-Aligned Benchmarks“ (PAB) ziert. Sie sind somit also an der Pariser Messlatte ausgerichtet, den CO2-Ausstoß zu verringern und die Erderwärmung auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen (wenn möglich, darf es auch ein bisschen weniger sein.)
Der Weg ist das Ziel
So weit, so klar. Stutzig macht den kritischen Beobachter allerdings, dass sich in den PAB auch Titel finden, die nicht gerade als umweltfördernd gelten: Zum Beispiel Aktien von Fluggesellschaften. Wie passt das zusammen? Die Erklärung: Im Unterschied zu reinen Ökologie-Fonds und Benchmarks, die als „nachhaltig“ oder „ESG-bezogen“ bezeichnet werden, ist bei den PAB der Weg ebenso wichtig wie das Ziel. „Sie bilden den breiten Markt ab, inklusive einiger Branchen mit höheren Kohlenstoff-Emissionen, um langfristig den Umbau der Wirtschaft zu unterstützen“, so Olivier Souliac, ETF-Experte der DWS, in einem Kommentar.
Also handelt es sich um kein Greenwashing im Pariser Deckmantel: Clemens Klein, Fondsmanager und Nachhaltigkeits-Experte bei der Erste Asset Management, sieht im Gespräch mit dem Börsen-Kurier PAB „überhaupt nicht negativ“. Denn an Produkten, in denen Erdöl oder andere nicht umweltfreundliche Rohstoffe enthalten sind, kommen wir praktisch nicht vorbei. Auch der Ausstieg aus dem Automobil wird nicht so schnell gelingen. Der Experte: „Für einen reinen Umweltfonds kommt es natürlich nicht in Frage, in ökologisch bedenkliche Branchen zu investieren, aber es wäre auf breiterer Basis realitätsfremd, diese Sektoren völlig auszuklammern. Auch ist es für institutionelle Investoren nicht möglich, ihre gesamtes Volumen ausschließlich in Erneuerbare Energien zu veranlagen.“
Die Guten ins Depot
Als vertretbare Lösung kommt also der Best-In-Class-Ansatz ins Spiel: „Manche Unternehmen agieren eben umweltfreundlicher als andere, die können anhand des PAB-Ansatzes herausgefiltert werden. So wird Kapital zu diesen Unternehmen kanalisiert, das ist positiv zu sehen. Auch sollte nicht vergessen werden: In Branchen, die den größten CO2-Ausstoß tätigen, herrscht auch das meiste Einsparungspotenzial“, so Klein.
Nehmen wir etwa die wichtige Benchmark MSCI World als Beispiel: In der PAB-Version werden die gleichen Sektoren abgebildet, aber durch gezielte Auswahl wird der CO2-Ausstoß um 50 % gedrosselt.
Wobei es noch weitere Kriterien gibt: Will ein Unternehmen im Index enthalten bleiben, muss es seine CO2-Emissionen um 7 % jährlich weiter drosseln. Das bedeutet: Unternehmen, die ohnedies be-reits auf einem guten Weg sind, werden noch besser. Und wer in den Index rein will, muss sich anstrengen und ehrgeiziger werden.
Strenge Kriterien
Zusätzliche PAB-Vorgaben sind übrigens, dass der Index nur zu einem Prozentpunkt in den Kohlekomplex investiert sein darf, bei Erdöl liegt die Schwelle bei 10 %. Weiters kommen Ausschlusskriterien wie etwa bei Waffen und Tabak hinzu. Dass PAB dem Greenwashing Vorschub leisten würde, glaubt der Erste-AM-Spezialist somit nicht: „Dafür sorgen auch strenge Transparenz- und Reporting-Richtlinien.“ Wobei Klein gleichzeitig hervorhebt, dass PAB für den Erste WWF Stock Environment kein Thema ist, „denn wir halten uns an viel strengere Kriterien und verfolgen in dem Fonds reine Impact-Investments nach Artikel 9“.
Das PAB-Thema wird hingegen von Index- bzw. ETF-Anbietern bespielt (Nur z. B. Amundi, DWS oder iShares). Ebenfalls interessant: Den Anbietern obliegt es, noch strengere Kriterien als von PAB vorgegeben zu installieren. Möglich ist eine Reduktion der CO2-Emissionen von 60 statt 50 % oder eine zusätzliche jährliche Verringerung von 10 statt 7 %.
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Technologieanbieter würden von Rezession profitieren
Die US-Zinserhöhungen wirkten sich negativ auf die Performance des Nasdaq-Index im vergangenen Jahr aus. Könnte das aktuelle Niveau der US-Zinsen die Wachstumsaussichten der am höchsten verschuldeten Technologieunternehmen negativ beeinträchtigen? Welche anderen Variablen außer der Zinsdynamik könnten die Entwicklung des Index im Jahr 2023 beeinflussen?
(06.02.) Jonathan Curtis, Portfoliomanager bei Franklin Templeton, kommentiert: „Der Technologiesektor reagiert aufgrund seines überdurchschnittlichen Wachstumsprofils und der längeren Dauer der Zahlungsströme empfindlich auf Zinsbewegungen. Um die Inflation zu bekämpfen, haben neben der FED weitere Zentralbanken im vergangenen Jahr aggressive Zinserhöhungen vorgenommen, die unserer Meinung nach der Hauptgrund für den Rückgang des Nasdaq um 35 % vom Höchststand im November 2021 bis Ende 2022 waren. Die Inflation ist seit ihrem Höchststand im September zurückgegangen, und wir glauben, dass eine sich abschwächende Wirtschaft einen weiteren Rückgang der Inflation unterstützen könnte. Folglich haben sich die Bewertungen des Technologiesektors in den letzten Wochen stabilisiert. Wir können zwar nicht vorhersagen, wie die Zentralbanken in den kommenden Monaten reagieren werden, halten es aber für wahrscheinlich, dass wir uns dem Ende der Zinserhöhungen nähern, was für wachstumsstarke Technologieaktien positiv wäre.
Mit den Aussichten auf eine Beruhigung der Zinssätze verlagert sich der Fokus der Anleger auf ein mögliche Rezession in diesem Jahr. Als Technologieanleger würden wir eine Rezession positiv sehen, da sie die Zentralbanken wahrscheinlich dazu zwingen würde, die Zinsen zumindest nicht mehr zu erhöhen oder möglicherweise sogar zu senken. Auch wenn wir nicht von diesem Ergebnis ausgehen, schätzen wir, dass ein Rückgang des risikofreien Zinssatzes um 100 Basispunkte den Endwert des Technologieindex um +20 % erhöhen würde. Darüber hinaus würde ein rezessives Umfeld die relativen Stärken des Technologiesektors hervorheben. Erstens verfügen die weltweit größten Technologieunternehmen über starke Bilanzen mit Nettobargeldpositionen. Im Gegensatz zu Unternehmen mit Nettoverschuldung in anderen Sektoren müssen gut kapitalisierte Technologieunternehmen keine teuren Kredite aufnehmen, um den Betrieb aufrechtzuerhalten. Dies versetzt Technologieführer auch in die Lage, Anteile von kleineren, unterkapitalisierten Konkurrenten zu gewinnen oder diese zu attraktiven Bewertungen zu übernehmen, was ihre Position weiter stärkt. Zweitens investieren Unternehmen in Technologie, vor allem in Software, um die Produktivität zu steigern, was in einem Abschwung noch wichtiger ist. Natürlich gibt es innerhalb der Technologie zyklischere Bereiche, die bei sinkenden Verbraucherausgaben Probleme bekommen könnten, wie z. B. PCs/Handys, eCommerce und digitale Werbung. Viele Aktien in diesen Teilsektoren haben bereits begonnen, Schwächen einzupreisen, was zu attraktiven Bewertungen für Anleger mit einem längeren Zeithorizont führt. Abgesehen von den Risiken einer kurzfristigen Rezession glauben wir, dass die digitale Transformation noch viele Jahre lang ein starker säkularer Wachstumstreiber für den Sektor sein wird. In Verbindung mit verbesserten Bewertungen und der Möglichkeit eines günstigeren Zinsumfelds bietet dies unserer Meinung nach Chancen für Anleger im Jahr 2023 und darüber hinaus.
Folgt auf „Winter“ Tauwetter am Kryptomarkt?
Für Experten stehen die Chancen nicht schlecht, dass sich Kryptowährungen 2023 positiv entwickeln.
Patrick Baldia. Nach dem rabenschwarzen Jahr 2022 scheint für Kryptoanleger wieder die Sonne zu scheinen. Seit Jahresbeginn hat etwa der Bitcoin, die größte und bekannteste digitale Währung, ein Kursplus von 39 % (Stand: 6.2. 2023) verzeichnet. Die zweitgrößte, Ether, hat um rund 36 % zugelegt. Demgegenüber steht auf Jahresfrist eine negative Performance von -48 bzw. -46 % zu Buche. „Am Kryptomarkt scheint der Winter dem Tauwetter zu weichen“, sagt Manuel Schleifer, Finanzmarktstratege bei Raiffeisen Research, zum Börsen-Kurier. Zumindest würden die Kursgewinne hoffnungsvoll stimmen, dass Bitcoin und Co. den Bärenmarkt nun endgültig hinter sich lassen könnten.
„Die Geschwindigkeit und Stärke der Kursanstiege seit Jahresbeginn waren schon überraschend, aber durchaus auch ermutigend“, meint Bernhard Wenger, Head of Northern Europe bei 21Shares, im Gespräch mit dem Börsen-Kurier. 2022 habe jedoch gezeigt, dass Kryptowährungen eine Assetklasse wären, die vom aktuellen Umfeld bzw. Makrofaktoren beeinflusst werde. „Das heißt: Rückschläge können nicht ausgeschlossen werden“, warnt der Experte. In die gleiche Kerbe schlägt auch Schleifer. Dennoch würden die Chancen gutstehen, dass Bitcoin & Co. auf Jahressicht 2023 ein erfreuliches Kursplus ausweisen.
Dass 2022 eindrucksvoll aufgezeigt habe, dass sich Krypto-Assets nicht von fundamentalen Entwicklungen abkoppeln können, räumt auch Schleifer ein. „Lange Zeit wurden die Preisbewegungen rein mit der Nachrichtenlage rund um Bitcoin & Co. erklärt“, hält er fest. So habe der Renditeanstieg am Anleihemarkt den größten Gegenwind für Risky Assets rund um den Globus dargestellt. „Davon waren nicht nur zinssensitive Growth-Aktien betroffen, sondern eben auch Kryptowährungen.“
Bei Raiffeisen Research geht man jedenfalls davon aus, dass sowohl in den USA als auch in Europa der Zinsanhebungszyklus im ersten Halbjahr 2023 sein Ende finden bzw. bei der Zinskurve der größte Aufwärtsdruck hinter uns liegen sollte. „Wenn der Risikofaktor Geldpolitik schrittweise abnimmt und sich die Konjunkturdynamik in der Eurozone in 2023, wie von uns erwartet, langsam erholt, so stellt das eine gute Ausgangslage für Risky Assets bzw. den Markt für Kryptowährungen dar“, so Schleifer. Nachsatz: „Sofern sich der Kryptomarkt nicht wieder mit hausgemachten Problemen selbst im Weg steht.“
Stichwort: Hausgemachte Probleme. Die Pleite der US-Krypto-Handelsplattform FTX im vergangenen November hat bekanntlich die größte Krise in der noch jungen Geschichte der Kryptowährungen ausgelöst. Seit dem Allzeithoch am Kryptomarkt im Jahr 2021 wurden insgesamt nicht weniger als 2 BioUSD vernichtet. Für Wenger, der das Umfeld für Kryptowährungen mittel- und langfristig weiterhin als positiv einschätzt, hat nicht zuletzt der Fall FTX gezeigt, dass die Regulierung des Kryptomarktes schneller erfolgen wird. „Nur bei entsprechenden Regulierungsschritten wird die institutionelle Adaption der Kryptowährungen weitergehen“, sagt er. Nur ein Beispiel – der Börsen-Kurier berichtete – ist die EU-Verordnung über Märkte für Kryptowährungen (MiCA), die voraussichtlich 2024 in Kraft treten wird. „Die so oft gelobte Stärke des Kryptomarktes, nämlich, dass er kaum reguliert ist, ist im Grunde auch seine größte Schwäche“, bringt es Schleifer auf den Punkt.
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Eine Karte gegen den Fachkräftemangel
Die neue Rot-Weiß-Rot-Karte bringt viele Verbesserungen – ein Rundruf.
Christian Sec. Die ab 1. Oktober gültigen neuen Regeln für die Rot-Weiß-Rot-Karte sollen das Recruiting von dringend benötigten Facharbeitern in der Wirtschaft erleichtern. Es wurden niedrigere Schwellenwerte bei den Mindestgehältern eingeführt (44.395 Euro brutto pro Jahr). Die Anerkennung von Ausbildungen und Sprachqualifikationen wurden erleichtert. Bei IT-Kräften ist z. B. kein Studium mehr erforderlich, wenn eine adäquate Berufserfahrung nachweisbar ist.
Die ATX-Unternehmen benötigen in unterschiedlichem Ausmaß die RWR-Karte. Der Leiterplattenhersteller AT&S hat im vergangenen Jahr 113 RWR-Karten erfolgreich beantragt. Der Einsatz erfolgt zumeist in den Bereichen Technologie, Prozesse, Management. Die RWR-Antragsteller kommen dabei vor allem aus den Philippinen, Indien, China und Malaysia.
Auch für den Maschinenbauer Andritz hat die Karte eine „sehr große Bedeutung, da die Anzahl an Spezialisten in Österreich derzeit sehr gering ist“. Im Durchschnitt beantragt der Maschinenbauhersteller Andritz zwischen 30 und 50 Karten pro Jahr, vor allem im Bereich IT, Vertrieb und Automatisierung. Die bedeutendsten Herkunftsländer sind Brasilien, Chile und USA. „Vor allem die Beantragung der RWR-Karte für Familienangehörige ist sehr positiv zu bewerten“, erklärt Michael Buchbinder, Pressesprecher von Andritz.
Bei Wienerberger waren es im vergangenen Jahr lediglich zehn RWR-Karten. Haupteinsatzgebiete waren hauptsächlich auch die IT-Bereiche aber auch Finanz und Controlling. Das Unternehmen hebt hervor, dass vor allem die Gewichtung von Englischkenntnissen, die erleichterte Berücksichtigung von tätigkeitsbezogener Berufserfahrung und die neuen Gehaltsgrenzen zu Erleichterungen geführt haben.
Auch bei Uniqa muss der Such-Radius für bestimmte Positionen über die Grenzen Österreichs hinaus ausgeweitet werden. Die Bewerber kommen meist aus den europäischen Drittstaaten. Vor allem die Lockerungen in Bezug auf Sprachkenntnisse wirken sich positiv auf den Recruiting-Prozess aus, wie das Unternehmen mitteilt.
Verbesserungspotential gegeben
Für die OMV hat die RWR-Karte eine eingeschränkte Bedeutung, da die Arbeitnehmer in der Regel die Kriterien für die sogenannte „Blaue“ EU-Karte erfüllen und diese daher bevorzugt beantragt wird. Gründe dafür sind, dass bei der „Blauen Karte“ keine Deutschkenntnisse der Familienangehörigen vor Zuzug nach Österreich erforderlich sind, es kein Punktesystem und auch kein Ersatzkräfteverfahren gibt und daher der Abwicklungsprozess schneller ist, erklärt die OMV auf Anfrage.
Für den Baukonzern Porr hilft die RWR-Karte in der derzeitigen Form nur begrenzt. „Wir suchen sehr viel gewerbliches Personal für unsere Baustellen. Der Erwerb der RWR-Karte ist jedoch an Bildungsstand und Sprachkenntnisse geknüpft. Viele für uns interessante Arbeitskräfte können diese Kriterien nicht erfüllen“, so Porr in einer Stellungnahme. Hier wünscht sich der Baukonzern Nachbesserungen.
Auch für Wienerberger gibt es Verbesserungspotenzial vor allem beim Prozess der Beantragung. Dieser sei noch immer zu komplex und ineffizient und würde teilweise noch mehrere Monate dauern. „Eine Verbesserung dieses Prozesses würde nicht nur Kosten sparen, sondern den Standort Österreich auch für hochqualifizierte Fach- und Schlüsselkräfte attraktiver machen“, so die Stellungnahme des Weltkonzerns.
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Es gibt Aufholpotenzial
Auf welche Trends und Themen Anleger mit Zertifikaten jetzt setzen können.
Raja Korinek. Das neue Börsenjahr bringt neue Trends: Die Inflation sinkt, die globale Wirtschaft kühlt sich ab. All solche Themen wurden am fünften Stammtisch des „Zertifikate Forums Austria“ diskutiert sowie Investmentchancen aufgezeigt. Philipp Arnold, Leiter Zertifikatevertrieb und Marketing bei Raiffeisen Zertifikate, geht auf die Prognosen von Raiffeisen Research ein: Heuer dürfte das BIP in der Eurozone um 0,3 % wachsen. Die Inflation dürfte von 8,5 % für 2022 auf 6 % im laufenden Jahr sinken und dem rückläufigen Trend in den USA folgen.
Arnold spannt den Bogen zum Zertifikatemarkt und verweist da-bei auf das „Europa Inflations Bonus & Sicherheit 15 Zertifikat“ (ISIN: AT0000A32513). Das Produkt bezieht sich auf den Euro Stoxx 50. Anleger erhalten jährlich 2,3 % zuzüglich der Euroraum-Inflationsrate. Getilgt wird am 16.2.2026 zu 100 % des Nominalbetrags, wenn der tägliche Schlusskurs des Euro Stoxx 50 während der Laufzeit über der Barriere von 49 % des Startwerts (Schlusskurs des Index vom 14.2.2026) notiert. Wird die Barriere berührt oder unterschritten, erfolgt die Auszahlung entsprechend der Wertentwicklung des Basiswerts. Über den Startwert hinaus nehmen Anleger nicht teil.
Euro Stoxx 50 im Fokus
Aus aktueller Sicht dürften die Chancen für den Euro Stoxx 50 nicht schlecht stehen, verweist Frank Weingarts, Head of Private Investor Products Austria im Team Onemarkets der UniCredit, auf die Einschätzungen aus seinem Haus: So könnte der Euro Stoxx 50 bis Jahresende die Marke von 4.200 Punkte erreichen, der Dax könnte sich bei rund 15.500 Punkten stabilisieren. Die Lieferkettenprobleme entspannten sich, die Energiepreise seien gesunken.
Dabei hatte 2022 Europas Telekomsektor stark verloren. „Wir sehen Nachholbedarf.“ Darauf können Anleger mit dem „HVB Top Zertifikat auf den Stoxx Europe 600 Telecommunications (Price) Index“ setzen (DE000HVB7DS4). Liegt am 8.2.2029 der Index auf oder über dem Startwert – Indexstand vom 6.2.2023 – erhalten Anleger den Höchstbetrag von 1.770 Euro je Zertifikat. Notiert der Index unter dem Startwert, erfolgt die Rückzahlung so: Das Nominale wird mit dem Index am finalen Beobachtungstag multipliziert und durch den Startwert dividiert.
Steigt der Euro?
Uwe Kolar, Head of Retail & Sparkassen Sales bei der Erste Group, meint zudem, dass man in seinem Haus mit einem etwas stärkeren Euro rechne. Damit vergünstigt sich der Import von Rohstoffen, die in US-Dollar gehandelt werden. Von den Sektoren her gefallen Kolar Gesundheit und Finanzen. Er räumt deshalb dem ATX gute Chancen ein, wo große Gewichtungen auf Banken und Versicherungen entfallen. Beide Bereiche profitieren von höheren Zinsen. Die Erste Group bietet etwa ein Indexzertifikat auf den ATX an (AT0000A034J2).
Vontobel-Zertifikateexperte David Hartmann mahnt aber, die Risiken einer Rezession zu unterschätzen. „Auch der Wachstumsmotor China ist ins Stocken geraten.“ Hartmann verweist dabei auf den geringen Zinssenkungsspielraum der EZB, um solchen Entwicklungen gegenzusteuern. Er sieht die USA aufgrund ihres höheren Zinsniveaus im Vorteil. Hartmann rechnet 2023 mit zumindest „stabilen Lebensmittel- und Energiepreisen“, bei denen eine weitere Steigerung „nicht vorstellbar“ sei. Dennoch bleibt die effiziente, umweltschonende Nahrung im Fokus. Auf den Trend können Anleger etwa mit dem „Smart Farming & FoodTech Indexzertifikat“ von Vontobel setzen (DE000VA8HXD6), das 31 Aktien aus dem Sektor umfasst.
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Mailand ringt London die Finanzelite ab
Die norditalienische Metropole etabliert sich als europäisches Finanzzentrum.
Roman Steinbauer. Laut Erhebungen der European Banking Authority (EBA) führt die Abwanderung hochbezahlter Angestellter der Londoner Bankenbranche zu einer Konzentration in anderen EU-Finanzmetropolen.
So soll 2022 der Rekordwert von 1.957 Mitarbeitern im gesamten EU-Raum erreicht worden sein, die in dieser Berufsgattung ein jährliches Einkommen von mehr als 1 Mio Euro bezog.
Nachzug vieler Investmentbanken
Nach Angaben der Nachrichtenagentur Bloomberg entpuppt sich durch den Zuzug des Finanzsektors vor allem das innovative Luxussegment der Wohnimmobilien in Mailand als Profiteur. Repatriierten nach dem Brexit zuerst die Mediobanca und UniCredit deren Mitarbeiter, lenkten unterdessen bereits internationale Mitbewerber wie Goldman Sachs, Andera Partners oder Eisler Capital Personal in die lombardische Hauptstadt um. Damit einhergehend: Während sich der Immobilienmarkt in London und Frankfurt spürbar abkühlte, heizt sich dieser in der italienischen Finanzmetropole an. Unterstützt wird die Nachfrage-Verschiebung zu Gunsten Mailands durch finanzielle Anreize eines im Jahr 2017 verabschiedeten Programms der italienischen Regierung zur Repatriierung vermögender Privatleute („high net-worth individuals“). Der Reiz erlassener Steuervergünstigungen besteht vor allem darin, bis zu 70 % der Einkünfte der vergangenen fünf Jahre nicht versteuern zu müssen oder diese mit 100.000 Euro pauschal abgelten zu können.
Italiens fruchtbare Region der Finanzwirtschaft
Mit Wohlwollen sollen sich in London tätige Banker zusehends der Alpensüdseite zuwenden. Mailand biete niedrigere Lebenshaltungskosten und gewagte, moderne Wohnentwicklungsprojekte. Seit dem Brexit ziehe es zudem zunehmend Private-Equity-Investoren von der Themse in die zweitgrößte Stadt Italiens. Mitarbeiter des Finanzsegments stünden bereits für ein Fünftel der Immobilienkundschaft. Nördliche Viertel Mailands erlebten in den vergangenen Jahren durch Revitalisierungsprojekte eine Renaissance bzw. entwickelten sich zu urbanen, zeitgenössischen Arealen, in denen Wohnobjekte der oberen Preisklasse als auch Geschäftshäuser fließend ineinander übergehen. Als Beispiel sei das Wohnprojekt, der „Vertikale Wald“ (bosco verticale) an der Porta Nuova oder die CityLife-Residenz von Zaha Hadid genannt.
Der italienische Immobilienmarkt erweist sich derzeit (trotz global steigender Zinsen) im Gegensatz zu anderen Regionen resistent, da dieser sich seit der Finanzkrise nur langsam, aber ständig, erholte. Der Immobilienplattform immobiliare.it zufolge, hob sich der Wert der Objekte der Mailänder Luxusklasse alleine zwischen 2019 und 2021 um
25 % auf 5,8 Mrd. Euro. Diese Daten stünden einem landesweiten Durchschnitt von +2 % entgegen. Insider sehen allerdings eine bereits eingetretene Phase, in der nicht mehr durch Mundpropaganda, sondern aus Investmentgedanken- und Empfehlungen zugegriffen werde.
Freizeit- und Erholungswert „vor der Haustüre“
Nicht nur die ausgezeichnete Infrastruktur Mailands (mit Malpensa, Linate und Orio al Serio verfügt die Stadt über drei Flughäfen; Frankfurt ist in einer Stunde erreichbar) regt Finanzdienstleister an, die Personalkapazitäten an der oberen Po-Ebene zu erweitern. Denn die gebotene Vielfalt in unmittelbarer Nähe überzeugt. In knapp über drei Stunden sind die Alpen mit der Bahn bis Zürich überquert, ebenso rasch ist Rom mit den Hochgeschwindigkeitszügen Frecciarossa (Trenitalia) oder dem Privatanbieter „Italo“ zu erreichen. Mit einer geringen Fahrzeit von 40 Minuten befindet man sich mit dem Pkw an den prominenten Seen, um den Lago Maggiore, Como oder Lugano. Nur 70 bis 90 Minuten nimmt es in Anspruch, die Skigebiete um Varese zu erreichen. Innerhalb einer Fahrzeit von etwas mehr als zwei Stunden ist die ligurische Küste zu genießen. Zum hervorragenden Einkaufs-, Kulinarik- und Kulturangebot der 1,4 Mio Einwohner zählenden Stadt (als Metropolregion zählt sie insgesamt 3,3 Mio Einwohner) bedarf es keiner weiteren Aufzählung.
Erwachen aus hinterer Position
Noch wird Mailand als Finanz-Hub bei weitem nicht der Stellenwert Frankfurts oder gar Londons zugesprochen. Im Global Financial Centres Index (Wettbewerb zur Fluktuation des internationalen Finanzkapitals) nehmen die Lombarden noch den 48. Platz (Paris liegt an 10., Frankfurt an der 18., Amsterdam an der 19. Stelle) ein. Das Anwerbe-Begehren südeuropäischer urbaner Metropolen nach den kaufkräftigen City-Bürgern der Finanzinstitute dürfte aber weiter steigen. Denn nach Daten der EBA sind 70 % der vorjährigen Zunahme an hochbezahlten Angestellten in der EU dem Banksektor Frankreichs, Italiens und Spaniens zuzuordnen.
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Großer Durchbruch für die Alzheimerbehandlung
Ein Kommentar von Christian Lach und Lukas Leu, Portfolio Manager des Bellevue Biotech (Lux) Fonds.
Red. Für Alzheimerpatienten ist die Entscheidung der FDA vom 6. Jänner eine erste Schlüsseletappe. Das zuständige Fachgremium der US-Behörde hat sich für die vorläufige Zulassung des Antikörpers Lecanemab ausgesprochen, der unter dem Markennamen Leqembi verkauft wird. Der Zulassungsantrag für Europa ist innerhalb der nächsten Monate zu erwarten. Der von Eisai und BioArctic in Zusammenarbeit mit Biogen entwickelte Antikörper ist nach einer Reihe von klinischen Fehlschlägen ähnlicher Antikörper das erste Medikament, welches den Krankheitsverlauf nachweislich in einer Phase-3-Studie signifikant beeinflusste. Lecanemab beseitigt Amyloid-Beta-Plaques im Gehirn. Diese Eiweißablagerungen gelten als eine der Hauptursachen für das Entstehen und Fortschreiten von Alzheimer. In den zulassungsrelevanten klinischen Studien mit 1.795 Patienten zeigte Lecanemab, dass sich nach der 18-monatigen Testphase der Abbau der kognitiven Fähigkeiten gegenüber der Placebogruppe um 27 % verlangsamte.
Full Approval Ende 2023
Bei der Zulassungsentscheidung handelt es sich um einen Accelerated Approval. Dabei geht es um eine Zulassung, bei der sich die US-Gesundheitsbehörde FDA auf einen Ersatzendpunkt verlässt. Dieses sogenannte „Surrogat“ besitzt selbst keine klinische Relevanz, soll aber den klinischen Nutzen des Medikamentes vorhersagen können, so wie die Fieberkurve bei einer Grippe. Erst nach verbesserter Datenlage erteilt die FDA zu einem späteren Zeitpunkt die uneingeschränkte Zulassung (Full Approval). Der Full Approval ist im Fall der Alzheimerarzneien auch die Voraussetzung dafür, dass die Krankenversicherungen die vollständige Kostenerstattung für die Behandlung der Patienten übernehmen. Die Entscheidung dafür trifft die US-Organisation Centers for Medicare and Medicaid Services (CMS). Aktuell wird erwartet, dass ein Full Approval von Lecanemab für den US-Markt erst Ende 2023 erfolgt.
Ebenfalls noch heuer wird Eli Lilly seine Studienergebnisse für den Amyloid-Beta-Antikörper Donanemab präsentieren. Die Phase-3-Daten sollen bis Mitte 2023 vorliegen. Ein großer zeitlicher Nachteil wird sich für Eli Lilly nicht ergeben, weil die FDA seit 2021 für Donanemab den rollierenden Antrag auf Zulassung (Rolling Submission) anwendet. Dabei werden die für das Zulassungsverfahren relevanten klinischen Daten zeitnah in einzelnen Datenpaketen eingereicht und nicht wie in herkömmlichen Verfahren am Ende der Studien in einem Gesamtdokument. Nach den bislang verfügbaren Informationen soll Donanemab die Amyloid-Beta-Plaques schneller und besser abbauen als Lecanemab. Bei der höchsten verwendeten Dosierung wurden die Eiweißablagerungen zu 93 % abgebaut. Eine wichtige Differenzierung der beiden Antikörper nebst der Wirksamkeit wird das Nebenwirkungsprofil sein. Bestätigen sich die bisherigen Daten, sollte auch Donanemab die beschleunigte Zulassung 2023 erhalten.
Definitiv aus dem Rennen ist Gantenerumab, der von Roche entwickelte Antikörper, nach den enttäuschenden Ergebnissen aus zwei klinischen Studien. Der Abbau der kognitiven Leistungen wurde nicht signifikant verlangsamt und auch der Abbau der Beta-Amyloide fiel geringer aus als erwartet. Darüber hinaus waren die Nebenwirkungen wie Ödeme und Blutungen im Gehirn stärker ausgeprägt als bei Donanemab und Lecanemab.
Mehrere Szenarien
Für die Umsatz- und Gewinnentwicklung von Eisai und Eli Lilly in diesem Jahr werden die beiden Alzheimerarzneien noch keine Rolle spielen. In welcher Größenordnung sich die Spitzenumsätze bewegen werden, hängt vor allem davon ab, in welchem Umfang die Versicherer die Behandlungskosten übernehmen werden und für welche Patientengruppen das Medikament eingesetzt wird. Während konservative Schätzungen von Milliardeneinnahmen im höheren einstelligen Bereich ausgehen, erwarten optimistische Szenarien Spitzenumsätze von 15 bis 20 MtdUSD. Wegen des hohen medizinischen Bedarfs ist die Preissetzungsmacht bei beiden Produkten groß. Eisai will Leqembi für 26.500 USD für die jährliche Behandlung verkaufen. Bei Eli Lilly ist davon auszugehen, dass Donanemab mit einem ähnlichen Preisschild auf den Markt kommen wird.
Neue Therapien
Hinter den beiden Protagonisten füllen neue Generationen von Alzheimertherapien langsam die klinischen Pipelines. Noch fokussieren die meisten Produkte auf Amyloid-Beta-Plaques und Tau-Fibrillen. Neben Pharmakonzernen sind primär einzelne Biotechs tätig, die auch in unseren Fondsportfolios enthalten sind. Dazu zählt die schwedische Firma BioArctic, die Lecanemab entwickelte und auslizenzierte. Alnylam und Ionis wiederum haben Programme im frühen Entwicklungsstadium, die auf das Amyloid-Precursor-Protein (APP) respektive Tau-Protein abzielen. Dabei greifen sie auf ihre selbstentwickelten RNA-Verfahren zurück, welche die für die Produktion des krankheitsauslösenden Proteins verantwortlichen Gensequenzen regulieren.
Ein neuer Ansatzpunkt für die Alzheimerforschung sind die beiden Gene ApoE4 und TREM2. Die Träger der ApoE4-Gens entwickeln über veränderte Proteine teilweise in Nervenzellen Fettablagerungen, die das Absterben von Nervenzellen begünstigen. Ebenfalls noch im Forschungsstadium sind Projekte, welche Plaques als Teil einer Immunantwort des Gehirns auf bakterielle Infektionen untersuchen. Untersucht werden auch Entzündungskomponenten, synaptische Aktivitäten der Nervenzellen und die Auswirkungen des Stoffwechsels auf die Entstehung von Alzheimer. Bei der Identifizierung von neuen Genmarkern für die Alzheimer-Diagnose werden Verfahren erprobt, die auf der Basis von maschinellem Lernen und Künstlicher Intelligenz arbeiten.
Angesichts der demografischen Entwicklung können Anleger in Zukunft am Durchbruch neuer Therapien und Diagnostika profitieren. Bis 2050, so eine aktuelle Schätzung der Weltgesundheitsorganisation (WHO), sollen 139 Mio Menschen weltweit an Demenz leiden, davon rund 70 % an Alzheimer. Nach Jahrzehnten mit Fehlschlägen führt die Aufbruchstimmung nun zu einer Wiederentdeckung des Gebiets.
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Bedarf an Kupfer steigt, während Produktion stagniert
Assetmanager OFI: Energietransition als Game Changer im Metallbereich.
Rudolf Preyer. „Bei Kupfer sind wir am optimistischsten“, erklärte Benjamin Louvet, Head of Commodity Management des in Paris beheimateten OFI Invest Asset Management in einem vorwöchentlichen Outlook-Webinar.
S&P etwa sieht den internationalen Kupferbedarf sich bis 2035 auf 50 Mio t pro Jahr verdoppelt habend, allerdings werde wohl die Produktion ab 2024 abnehmen. Folglich dürfe man aktuell mit Preissteigerungen von bis zu 35 % rechnen, so Louvet.
Bei Nickel gibt es einen exponentiellen (elektrobatteriegetriebenen) Nachfrageanstieg, die Exporteinschränkungen aus Russland kommen hinzu. Nickel werde jedenfalls eine „zentrale Rolle“ in der Energietransition spielen. Die Energiekrise in Europa erkläre jedenfalls den jüngsten Preisverfall bei Aluminium und Zink. Bei diesen drei letzteren Metallen dürfe man einen heurigen Preisanstieg von 10 bis 20 % annehmen. Hingewiesen sei hier etwa auf den umfangreichen „OFI Financial Investment – Energy Strategic Metals Fonds“ (ISIN: FR0014008NN3).
Allgemeine Erholung
Mit 50 % der weltweiten Metallnachfrage ist China ein wichtiger Treiber für den Metallmarkt. China öffnet nun seine Märkte schneller als erwartet. Anzunehmen sei somit eine „nachhaltige Erholung“, so OFI-Fund Manager Marion Balestier, die (bis auf Palladium) Aufwärtsbewegungen für sämtliche Metalle im Jahr 2023 prognostiziert. Für China wird auch ein neuer Rekord punkto Wind- und Solarkapazitäten erwartet.
Die Transformation von fossilen zu erneuerbaren Energieträgern bedeutet generell eine stärkere Nachfrage nach Metallen. China setzte schon im Vorjahr stark auf „Grüne Metalle“, der Einsatz diesbezüglich „Grüner Technologie“ wuchs im Vorjahr schon um 550.000 t, davon allein ging der Kupferbedarf in China um 100.000 t hoch. Wenn die Wirtschaft wieder „komplett offen“ sei, so Balestier, werde sich das nochmals erhöhen.
In Europa hinwiederum ist der Bedarf nach Metallen gleichfalls – trotz multipler Krisensituationen – im Steigen. Die Internationale Energieagentur hat jüngst eine Studie veröffentlicht, die besagt, dass im Jahr 2020 weltweit 130 Gigawatt (GW) Sonnenpaneele verkauft worden waren, im Jahr darauf schon 160 GW, im Vorjahr waren es bereits 180 GW, die Vorhersage für 2027: 275 GW/Jahr. Zwischenfazit: Für die Energietransition werden also noch viel mehr Metalle benötigt werden, gleichzeitig gibt es Einschränkungen in der Versorgung. Die Preise werden also nach oben gehen.
Gold und Silber
Gold sei nach wie vor ein „sicherer Hafen-Investment“, so Louvet, mehrere Zentralbanken haben Gold in letzter Zeit „viel aktiver“ gekauft. Wenn die Fed heuer einen größeren Druck auf den Dollar ausübte, würde dies den Metallen zupasskommen.
Gold habe insgesamt „gute Gründe, laufend nach oben zu gehen“: Für Ende 2023 sagte der Commodity Manager ein neues All-Time-High bei etwa 2.070 USD/Unze voraus.
Zu Silber: Die Silberproduktion bewegt sich im Moment eher seitwärts, weil es an Investments mangelt. Der Silberbedarf im Automobilsektor könnte sich freilich alsbald verdoppeln, in der Fotovoltaik dürfte sich der Silberanteilbedarf um etwa 50 % nach oben schrauben.
Fazit Silber: Gerade in diesem begrenzten Angebotsmarkt vervielfachen sich gegenwärtig neue Anwendungen. Das ist der Gamechanger: Aufgrund der boomenden grünen Technologie werden für diesen Bereich bald schon 40 % der weltweiten Silberproduktion benötigt werden. Mining Companies seien heute allerdings nicht in der Lage, den weltweiten Bedarf zu produzieren. Der Preis werde daher stark nach oben gerissen: „29 USD/Unze werden wir wohl bald sehen“, sagte dazu Louvet.
Fazit
Heuer sollten alle Metalle hochgehen, und zwar um 10 bis 20 %, bei Kupfer werden sogar 35 % gesehen. Die große Ausnahme ist Palladium, hier ist die Faustregel: Weil es mehr Elektroautos geben wird, wird weniger Palladium benötigt werden.
Die Konklusion für Benjamin Louvet: „Es ist Zeit, um zu investieren.“ Und: „Kupfer könnte heuer einer der größten Performer werden.“
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Neuer Dividendenrekord
Dividendenausschüttungen 2023 in Europa: Weiterer leichter Anstieg auf 387 Mrd. Euro.
(26.01.) Anleger in europäischen Aktien können sich auch 2023 auf einen warmen Dividendenregen freuen. Berechnungen von Allianz Global Investors zufolge haben die Unternehmen des breiten europäischen Aktienindex MSCI Europe im vergangenen Jahr rund 382 Mrd. Euro an Anteilseigner ausgeschüttet – ein Rekordwert. Und hierauf werden sie 2023 voraussichtlich einen draufsetzen: Schätzungen von AllianzGI zufolge ist für 2023 mit einem weiteren Anstieg der Dividendensumme um gut 1 Prozent auf 387 Mrd. Euro zu rechnen.
„In einem wirtschaftlich und geopolitisch herausfordernden Jahr 2022 haben sich die Unternehmensgewinne in der Breite gut gehalten“, erläutert Jörg de Vries-Hippen, CIO Equity Europe bei Allianz Global Investors. „Hinzu kommt, dass die Dividendenpolitik vieler Unternehmen auf stetige, mitunter sogar stetig steigende Ausschüttungen abzielt. Daher sind die im MSCI Europe enthaltenen Unternehmen in der Lage, 2023 noch etwas mehr an Dividenden auszuzahlen als im Vorjahr. Wir prognostizieren ein neues Allzeithoch von 387 Mrd. Euro.“
Allianz Global Investors Dividendenstudie 2023
Wie die AllianzGI Dividendenstudie 2023 zeigt, verzeichneten viele europäische Länder 2022 wieder einen Anstieg der Dividendenrendite, nachdem diese in den Vorjahren stetig gesunken war. So erhöhte sich die Dividendenrendite in Deutschland und Frankreich von zuvor jeweils ca. 2 ¼ auf rund 3 ½ bzw. 3 Prozent, in Italien und Spanien von knapp 3 auf 5 bzw. 4 Prozent. Hierbei spielte zwar auch der 2022 auf breiter Front beobachtete Aktienkursrückgang eine Rolle. In allen genannten Ländern übertraf die Dividendenrendite aber weiterhin deutlich die Nominalrenditen 10-jähriger Staatsanleihen.
Für Dr. Hans-Jörg Naumer, Leiter Kapitalmarktanalyse und Autor der Studie, unterstreicht dies den hohen Performance- und Stabilitätsbeitrag von Dividenden zu Aktienportfolien. „Dividenden verleihen vielen Aktiendepots Stabilität, vor allem Jahren mit negativer Kursentwicklung – wie 2022. In derartigen Jahren können Dividendenzahlungen aus Anlegersicht Kursverluste zumindest zum Teil, manchmal sogar in Gänze, auffangen. Unseren Berechnungen zufolge liegt zudem die durchschnittliche Kurs-volatilität von Dividendenzahlern signifikant und systematisch unter der der Nicht-Zahler – für den breiten europäischen Aktienmarkt reden wir hier von mehr als 10 Prozentpunkten Unterschied.“
Der Performance-Beitrag von Dividenden zeigt sich besonders deutlich in einer Langfristbetrachtung. Und er kommt gerade in Europa zum Tragen, wo die Dividendenkultur traditionell stärker als in Nordamerika und Asien ausgeprägt ist. Im 25-Jahres-Zeitraum 1978 bis 2022 waren in Europa fast 35 Prozent der gesamten Aktienerträge auf Dividenden zurückzuführen. In Nordamerika und Asien lagen die entsprechenden Werte bei rund 26 ½ bzw. 30 ½ Prozent.
„Dividenden können zwar nicht jedem Sturm standhalten, was wir etwa während der Pandemie gesehen haben“, fasst Naumer zusammen. „Sie weisen vielfach jedoch ein Maß an Verlässlichkeit auf, das gerade in Zeiten der Disruption und der Unruhe sehr willkommen ist. Damit leisten sie einen großen Beitrag zur Gesamtrendite von Aktienanlagen.“
Sinkende Energiepreise, steigende Einkommen
Ein Kommentar von Dieter Wermuth, Economist und Partner bei Wermuth Asset Management.
(24.01.) So wie der scharfe Anstieg der Energiepreise im vergangenen Jahr zu einem Rückgang der real verfügbaren Einkommen und damit zur Stagnation der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage geführt hatte, vermindert der jüngste Rückgang der börsennotierten Strom- und Gaspreise die Belastung der Haushaltseinkommen und hilft damit der Konjunktur wieder auf die Sprünge. Der Prozess ist erst wenige Monate alt, wird aber einige Quartale anhalten, mit der Folge, dass die Inflationsprognosen nach unten, die Wachstumsprognosen dagegen von nun an nach oben revidiert werden dürften.
Wie sehen die Zahlen aus? Seit dem Höhepunkt im August 2022, als die Gaspreise um 428 Prozent höher waren als ein Jahr zuvor, sind sie um 72 Prozent gefallen und damit niedriger als vor dem Ukrainekrieg. Beim Strom ist aus einem Anstieg um 463 Prozent seit August 2022 ein Rückgang um 77 Prozent geworden – damit übertrifft der Strompreis sein durchschnittliches Preisniveau der fünf Jahre bis 2021 immer noch um etwa 120 Prozent. Beim Gaspreis sind es 200 Prozent. Nebenbei bemerkt sind das natürlich gute Zahlen für das Klima.
Der Effekt der rückläufigen Energiepreise auf die verschiedenen Stufen der Wertschöpfung ist dramatisch, wurde in der Öffentlichkeit aber bisher kaum wahrgenommen, weil die Inflationsraten im Vorjahresvergleich immer noch sehr hoch sind. Am aktuellen Rand spielt die Musik: Im Dreimonatszeitraum bis November 2022 sind die deutschen Einfuhrpreise mit einer annualisierten Rate von 23,3 Prozent gesunken (+14,6 % zum Vorjahr), die Ausfuhrpreise mit einer von 10,7 Prozent (+11,6 %). Auf der Stufe der gewerblichen Erzeugerpreise hat sich das unmittelbar ausgewirkt – annualisiert auf 3-Monatsbasis sind sie bis Dezember um 28,9 Prozent gesunken (+21,6 % zum Vorjahr). Bei den Verbraucherpreisen geht es nicht so rasch, weil dort die Dienstleistungen eine größere Rolle spielen. Aber immerhin: In der nationalen Definition sind sie von September bis Dezember lediglich mit einer annualisierten Rate von 0,3 Prozent gestiegen (+8,5 % zum Vorjahr).
Mit anderen Worten, wenn diese Trends anhalten, kann die Inflationsrate der deutschen Verbraucherpreise im Herbst weniger als 2 Prozent erreichen.
Dafür spricht, dass Nachfrage und Output 2023 sowohl global als auch im Euroland deutlich langsamer zunehmen werden als 2022 – was weiterhin Druck auf die Energiepreise ausübt, wir es in diesem Bereich also mit Deflation zu tun haben. In Deutschland kommt hinzu, dass von der Lohnseite bisher keine Inflationsrisiken drohen: Die Stundenlöhne lagen zuletzt nur um 1,9 Prozent über ihrem Vorjahresniveau.
Während die Marktteilnehmer diese sehr optimistische Prognose teilen und sich bei zehnjährigen Bundesanleihen daher mit einer Rendite von nur 2,15 Prozent zufriedengeben, bleibt die EZB bei ihrer vergleichsweise restriktiven Politik. Klaas Knot, der Gouverneur der niederländischen Zentralbank, hat gerade unmissverständlich klargemacht, dass die Leitzinsen im Februar und März um jeweils 50 Basispunkte angehoben werden, gefolgt von weiteren Schritten im Sommer. Von März an folgt zudem eine Politik des „quantitative tightening“, also der Reduktion des europäischen Zentralbankgelds. Durch diese Normalisierung gewinnt die EZB dringend benötigten Handlungsspielraum und muss sich nicht mehr (oder nicht mehr so sehr) vorwerfen lassen, dass sie durch real stark negative Leitzinsen und Gelddrucken einerseits Blasen auf den Assetmärkten begünstige und andererseits staatliche Schulden durch Gelddrucken finanziere.
Da die europäische Geldpolitik weiter bremst, die Fed dagegen angesichts günstiger Inflationszahlen vor einer Lockerung steht, kann damit gerechnet werden, dass sich der Euro weiter aufwertet und damit zusätzlich zum Rückgang der Inflationsraten beiträgt. Seit Oktober 2022 hat der Euro von 0,98 Dollar auf fast 1,10 Dollar zugelegt.
Insgesamt haben wir es in Europa im Verlauf des Jahres wegen der sinkenden Inflationsraten mit steigenden Realeinkommen zu tun. Stimmung und Lage verbessern sich zusehends – wenn nur nicht dieser mörderische Krieg im Osten weiter eskaliert!
„Das Rezessionsgerede ist zu negativ“
Alois Wögerbauer (li.), Fondsmanager und Geschäftsführer der 3 Banken Generali KAG, im Exklusivinterview.
Marius Perger. „Zu negativ“ sei derzeit der Konjunkturkonsens. Das sagt Alois Wögerbauer, Fondsmanager und Geschäftsführer der 3 Banken Generali KAG, im Gespräch mit Börsen-Kurier-Herausgeber Marius Perger. Er rechnet damit, dass die Rezession in Europa „mild bis sehr mild“ verlaufen werde, das Wirtschaftswachstum also zwischen null und -0,5 % liegen werde. In den USA werde es bei „plus/minus null“ liegen, weltweit sei keine Rezession zu erwarten.
Positiv sei auch, dass der Zinsgipfel in Sicht sei. Dies sei für die Anleihen- und Aktienmärkte emotional extrem wichtig, um eine Verunsicherung zu vermeiden. Den Zinshöhepunkt erwartet Wögerbauer in den USA bei 5 %, im Euroraum bei 3,5 %.
Besonders achten müsse man als Anleger im heurigen Jahr darauf, was die Notenbanken sagen. „Zu Recht geprügelt“ sei die EZB worden, weil sie „zu spät zu wenig“ getan habe. Nun habe er die Sorge, dass ins Gegenteil überzogen werde: Es stelle sich die Frage, ob das System einen Zinssatz von 4 % aushalten würde, so Wögerbauer.
Die weitere geopolitische Entwicklung einzuschätzen, sei sehr schwierig. Eine Eskalation des Konflikts zwischen China und Taiwan wäre sehr negativ, für Wögerbauer ist sie aber „nicht sehr wahrscheinlich“. Ökonomisch weniger Auswirkungen habe der Ukrainekrieg, ein positiver Ausgang hätte aber einen großen positiven Effekt: Ein Friede in der Ukraine werde vom Markt derzeit nicht gepreist.
Anleihen wieder Alternative
Die „spannendste Assetklasse“ seien derzeit Anleihen, so Wögerbauer. Es sei allerdings schwer, das in die Köpfe hineinzubekommen, „weil wir es einfach verlernt haben“. Immerhin gab es seit 2015 Nullzinsen, seit 2017 sogar Negativzinsen: „Die Assetklasse war verloren, jetzt gibt es wieder eine Chance“. Wer heute starte, erhalte für Anleihen bester Bonität mit fünf Jahren Laufzeit Renditen von bis zu 4,5 % – nach vorne gerechnet decke dies zumindest die Inflationsrate ab.
Solche Renditen habe es zuletzt zur Zeit der Finanzkrise 2012 gegeben – heute für Corporate Bonds dieselbe Rendite zu erhalten sei schon deswegen attraktiv, weil die Unternehmensbilanzen wesentlich besser seien als damals. Wer bereit sei, ein Aktien-ähnliches Risiko in Kauf zu nehmen, also Hochzinsanleihen oder Hybridanleihen zu kaufen, könne sogar Renditen von 6 % lukrieren.
Wögerbauers Fazit: „Die Assetklasse ist zurück, es gibt wieder eine Alternative.“
Aktienmärkte unter Druck
Was Aktien betrifft, zeigt sich Wögerbauer weniger optimistisch. Diese würden nämlich für höhere Kurse einen Treiber benötigen – entweder steigende Gewinne oder niedrige Zinsen. Heuer sei aber nur ein geringes Gewinnwachstum zu erwarten, in Europa sogar ein leichter Gewinnrückgang. Dieser Treiber fehle also bis auf Weiteres, auch wenn die Situation bereits 2024 anders sein könnte. Was den zweiten möglichen Treiber betrifft, die Zinslandschaft, sieht Wögerbauer Aktien für das aktuelle Zinsumfeld „fair bewertet“, kurzfristig seien Bonds daher attraktiver. Positiv sei allerdings, dass es bei Aktien derzeit keine Übertreibungen mehr gebe.
Im Auge behalten müsse man auch die Inflationsrate. Historisch zeige sich, dass der US-Aktienmarkt immer dann schlecht laufe, wenn die Inflation unter 1 % (Deflationsgefahr) oder über 5 % (Zinsdruck, Margenprobleme) liege. „Best case“ für Aktien sei eine Inflation von 3 bis 4 %.
Noch zu früh sei es für Wachstumsaktien. Erst wenn die Zinsen sinken, würden die Tech-Riesen wieder stärker in den Vordergrund treten – bis dahin werden sie leiden, glaubt Wögerbauer. „Viele schöne Investments“ gebe es derzeit aber im Bereich „Value“: Banken würden von der Zinswende profitieren, Rohstoffwerte von der Energiewende.
Auf Schwellenländer werde es sich positiv auswirken, dass der Zinsgipfel heuer vermutlich ereicht wird und der US-Dollar etwas schwächer werden dürfte. Zuerst sollte man dabei aber auf Anleihen schauen: Emerging Market Bonds seien mit Renditen von rund sieben Prozent wieder interessanter.
Unter den sogenannten „BRIC-Staaten“ müsse man Russland „abhaken“, Brasilien sei aus Investorensicht nicht sehr interessant, und China sei „unberechenbar“. Einzig Indien laufe derzeit gut.
Was Mittel- und Osteuropa betrifft, gebe es nicht viele liquide, interessante Aktien. Wögerbauer: „Wenn ich für Tschechien optimistisch bin, dann kaufe ich Erste Bank.“
Österreich: 100 % zyklisch
Der Wiener Aktienmarkt zähle immer entweder zu den am besten oder den am schlechtesten performenden Märkten. Das liege daran, dass er „zu 100 % zyklisch“ ist, die allermeisten Unternehmen, seien von der Konjunktur abhängig.
Heimische Aktien seien derzeit günstig bewertet und bieten eine hohe Dividendenrendite. Größtes Risiko sei eine Eskalation in der Ukraine. Käme es wider Erwarten doch zu einer Rezession, so würde Wien zu den am stärksten betroffenen Finanzplätzen zählen. Im Fall einer Entspannung würde man aber stark profitieren, auch weil dann das Auslandskapital wieder zurückkäme: Immerhin stammen
75 % der Investoren der Wiener Börse aus dem Ausland. Entwickle sich die Konjunktur besser als erwartet, besitze Wien den „größten Hebel nach oben“.
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Provisionssystem unter Druck
Die Debatte um „Anreize“ für Finanzberater gewinnt wieder an Fahrt.
Emanuel Lampert. Die Frage ist nicht neu, und sie kehrt regelmäßig wieder: Wie sollen Versicherungsvermittler und Vermögensberater entlohnt werden? In Österreich herrscht das Provisionssystem vor. Speziell Konsumentenschützern stößt dieses aber immer wieder sauer auf, Stichwort: Interessenkonflikt.
Noch Mitte des letzten Jahres schien die politisch heiße Kartoffel etwas abgekühlt zu sein, auch aus offiziellen Brüsseler Kreisen kamen zurückhaltende Töne. Nun ist aber gerade der für März erwartete Entwurf für die EU-Kleinanleger-Strategie im Werden – und im Zuge dessen auch die Debatte wieder aufgeflammt: Es gebe „seit Ende 2022 (wieder) hitzige Diskussionen“, ließ der Fachverband der Versicherungsmakler jüngst wissen: „Leider dürften sich gewichtige Stimmen für – wie auch immer geartete – Verbote bei Versicherungsanlageprodukten aussprechen.“
Gemeint sind Verbote von „Anreizen“. Eine Verordnung der EU-Kommission zum Vertrieb solcher Produkte versteht darunter etwas sperrig „alle Arten von Gebühren, Provisionen oder nichtmonetären Vorteilen, die einem Vermittler oder Unternehmen von einem Dritten – mit Ausnahme des am Geschäft beteiligten Kunden oder einer im Namen des Kunden handelnden Person – oder die einem solchen Dritten vom Vermittler oder Unternehmen“ gezahlt bzw. gewährt werden.
Zugang zu Beratung gefährdet
Insurance Europe, ein Dachverband der Versicherungswirtschaft, ist jedenfalls vor wenigen Wochen ausgerückt, um sich gegen ein Verbot auszusprechen. Bestehende Regulierungen böten bereits eine gute Grundlage. Das Provisionssystem dominiere in Europa und ermögliche den Konsumenten einen niederschwelligen Zugang zur Finanzberatung; ein Verbot würde diesen Zugang einschränken – und so auch noch die Ziele der Kleinanleger-Strategie unterminieren.
Stattdessen plädiert der Verband für einen Maßnahmenmix aus Transparenz, Preis-Leistungs-Prinzipien im Produktdesign und Finanzbildung der Verbraucher, die über ein „grundlegendes Verständnis“ von Finanzdienstleistungen und Märkten verfügen sollen. Dies würde „den Konsumenten greifbarere Vorteile liefern“, so die Argumentation.
Warnung vor „Beratungslücke“
Nahezu zeitgleich haben sieben europäische Interessenverbände des Finanzsektors – unter ihnen Insurance Europe, die European Banking Federation (EBF) und die European Fund and Asset Management Association (EFAMA) – ein gemeinsames Schreiben an die EU-Kommission geschickt. Succus des Papiers: Ein Provisionsverbot wäre den Zielen der Kapitalmarktunion und den Interessen von Kleinanlagern abträglich.
Auch hier wird argumentiert: Zahlreiche Konsumenten würden wohl keine professionelle Beratung mehr in Anspruch nehmen, der Vertrieb nachhaltiger Produkte würde leiden. Viele Anleger seien nicht bereit, für Beratung direkt zu bezahlen. Die Autoren warnen denn auch vor negativen Konsequenzen für die Altersvorsorge, wenn es Beratung nur noch gegen Honorar gäbe.
Im Übrigen hänge die Beratungsqualität nicht von der Art der Vergütung ab, zumal mit der Versicherungsvertriebs- (IDD) und der Finanzmarkt-Richtlinie (MiFID) „starke und umfassende Sicherheitsvorkehrungen auf allen Ebenen eines Produktlebenszyklus“ existierten.
Für Gespräche über allfällige spezifische „Verbesserungen“ des regulatorischen Rahmens zeigen sich die Unterzeichner zwar offen. Sie betonen aber auch: Die Ko-existenz honorar- und provisionsbasierter Beratung „ist eine der Säulen einer erfolgreichen Kleinanlegerstrategie“.
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Feiern die Schwellenländer ein Comeback?
Experten haben sowohl Aktien als auch Anleihen auf der Rechnung.
Patrick Baldia. Es gibt sicher Assetklassen, die Anlegern in den vergangenen Jahren mehr Freude bereiteten als Emerging-Markets-Aktien. Allein 2022 verlor etwa der MSCI Emerging Markets Index 20 % (in USD, Anm.). Zum Vergleich: Der MSCI World ging „nur“ um rund 12 % zurück. Hinter der Underperformance der Schwellenländer steht eine Reihe von „Vätern“: Die an Fahrt verlierende Weltwirtschaft, eskalierende geopolitische Konflikte, die Null-Covid-Politik in China und nicht zuletzt die schnellste Zinsanhebung der vergangenen 30 Jahre.
Nicht wenige Experten sind jedenfalls der Meinung, dass sich das Blatt für die Emerging Markets heuer wenden könnte – und zwar sowohl für Aktien als auch Anleihen. „Wir sind der Meinung, dass die Schwellenländer vor einem Wendepunkt stehen, vor allem, weil sie bei der Anpassung ihrer Geldpolitik den Industrieländern voraus sind“, sagt etwa Nick Eisinger, er ist Portfoliomanager und Emerging-Markets-Spezialist bei Vanguard, im Gespräch mit dem Börsen-Kurier.
Attraktive Aktienbewertungen
„Aufgrund des starken Kursverfalls sanken die Aktienbewertungen auf breiter Front. Nun sehen gerade die Schwellenländeraktien zunehmend attraktiv aus“, meint Tilmann Galler, Kapitalmarktstratege bei J.P. Morgan Asset Management. Damit sich der Bewertungsabschlag schließt, sind seiner Einschätzung nach drei Katalysatoren entscheidend: Eine Pause der Fed, das tatsächliche Ende von Null-Covid in China sowie nachlassende politische Risken.
Etwas vorsichtiger gibt man sich bei Pimco. „Die Bewertungen in den Schwellenländern sind im Allgemeinen historisch günstig, aber vieles hängt von der Fähigkeit der Fed ab, die Inflation zu zähmen, und von der Fähigkeit Chinas, die Wirtschaftstätigkeit zu reaktivieren“, sagt Andrew Balls, globaler Chief Investment Officer für Anleihen, um im selben Atemzug hinzuzufügen: „Die Schwellenländer scheinen bereit zu sein, sich gut zu entwickeln, aber wir bleiben vorsichtig, bis die geldpolitischen Aussichten klarer werden.“
Bei J.P. Morgan glaubt man, dass vor allem Dividendenaktien eine gute Möglichkeit sind, von den Chancen in den Schwellenländern zu profitieren. „Die Gesamtmarktbewegungen erscheinen im Verhältnis zu historischen Niveaus niedrig. Das erwartete KGV der Aktien im Fonds beträgt gerade mal 10, und die Dividendenrendite auf Fondsebene liegt bei knapp unter 5 %“, hält Omar Negyal, Manager des „JPMorgan Funds – Emerging Markets Dividend Fund“ (ISIN: LU0862449773), fest.
Anlageidee: ETFs auf Einzelländer
Die Experten von Franklin Templeton haben wiederum ETFs auf einzelne Emerging Markets auf der Rechnung. „Jedoch bieten nicht alle Schwellenländer das gleiche Aufwärtspotenzial“, warnt Jason Xavier, Head of EMEA ETF Capital Markets. Den „Weg ebnen“ könnte eine Auswahl an Ländern, die als „US-freundlich“ gelten und von innovationsführenden Sektoren wie Technologie und Gesundheitswesen profitieren können. Konkret bevorzugt er Südkorea, Taiwan und Indien gegenüber einer breiten Allokation in Schwellenländern.
Vanguard-Portfoliomanager Eisinger hält wiederum Anleihen von Ländern wie Nigeria, Ägypten, Mexiko, Südafrika, Polen, Tschechien und Ungarn für besonders interessant. „Vor allem Lokalwährungsanleihen sollten vom schwächeren US-Dollar profitieren“, sagt er.
Im Falle eines „Soft Landings“ der US-Wirtschaft könnten Emerging Markets Bonds 2023 durch-aus eine Performance von 15 % erzielen. „Für Schwellenländeranleihen spricht, dass sich die Zinsschritte der Fed dem Ende zuneigen. Positiv wirke sich auch die geringe Emissionstätigkeit aus“, so der Manager des „Vanguard Emerging Market Bond Fund“ (IE00BKLWXP06) Eisinger.
Insgesamt dürfe man vor allem eines nicht vergessen: „Die langfristige Aufhol-Story der Schwellenländer bleibt weiterhin intakt.“
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Absatzniveau sinkt 2022 auf Rekordtief
EU-Neuwagenmarkt im Gesamtjahr 2022 immer noch deutlich (minus 29 %) unter Vorkrisenniveau.
(18.01.). Trotz des kräftigen Wachstums im Dezember, in dem die Zahl der Neuzulassungen EU-weit um 13 Prozent stiegen, sank der Neuwagenabsatz 2022 auf einen neuen Rekord-Tiefstand: Im Vergleich zum bereits sehr schwachen Vorjahr gingen die Neuzulassungen nochmals um fünf Prozent zurück, im Vergleich zum Vorkrisenjahr 2019 ging der Absatz sogar um 29 Prozent zurück.
In Österreich schrumpfte der Neuwagenabsatz im Dezember um 0,3 Prozent, im Gesamtjahr sogar deutlich über dem EU-Schnitt um zehn Prozent.
„Das Jahr 2022 war am Automarkt historisch schwach“, sagt Axel Preiss, Leiter Advanced Manufacturing & Mobility bei EY. Vorrangig begründet der Experte die Entwicklungen mit den Lieferengpässen bei Halbleitern und anderen Vorprodukten: „Die lange andauernde Unterversorgung mit Chips hat zu Produktionsverzögerungen und -ausfällen geführt. Langsam erholt sich die Branche aber davon.“
Gerade im kritischen Punkt der Versorgung habe sich die Situation etwas entspannt. Preiss geht davon aus, dass sich die Lieferfähigkeit der Automobilindustrie im Jahresverlauf weiter verbessern werde – zumindest mit der Verfügbarkeit von Neuwagen soll es in den kommenden Monaten bergauf gehen und auch mit sinkenden Lieferzeiten sei zu rechnen. „Fraglich ist aber, wie groß die Nachfrage von Unternehmen und Privatleuten dann noch ist. Die Konjunktur schwächelt und auch wenn die befürchtete Rezession ausbleiben sollte, werden sowohl Unternehmen als auch Konsument:innen bei Neuwagenbestellungen aktuell eher vorsichtig sein.“ Das derzeitige wirtschaftliche Umfeld könnte dazu führen, dass auch im neuen Jahr die Nachfrage nach Neuwagen deutlich unter dem Vor-Corona-Niveau liegen werde, so Preiss.
Jahresendspurt bei Elektroautos – vor allem in Deutschland
Im Dezember legten die Neuzulassungen reiner Elektroautos in den größten fünf Märkten Westeuropas (Deutschland, Großbritannien, Frankreich, Italien und Spanien) insgesamt um 65 Prozent zu. Der Marktanteil reiner Elektroautos in den Top-5-Märkten stieg im Vergleich zu Dezember 2021 von 16,3 auf 23,0 Prozent – ein neuer Rekordwert.
Der Grund für diese starken Wachstumszahlen ist allerdings in erster Linie die Sondersituation in Deutschland, wo die Reduzierung der Förderung ab Januar 2023 zu einem Last-Minute-Ansturm auf Elektroautos führte. So stiegen die Neuzulassungen von Elektroautos in Deutschland um 115 Prozent, der Marktanteil schnellte auf 33,2 Prozent hoch.
Außerhalb Deutschlands war die Entwicklung deutlich verhaltener: Während in Großbritannien immerhin noch ein Plus von 53 Prozent verzeichnet wurde, kletterte der Absatz von Elektroautos in Österreich nur um 16 Prozent und in Frankreich um acht Prozent. In Italien und Spanien war der Absatz im Dezember sogar rückläufig.
„Vor allem staatliche Subventionen steuern aktuell noch die Dynamik bei der E-Mobilität“, sagt Preiss. „Auch in Österreich gibt es seit 1. Jänner einige Änderungen bei der Förderung von E-Autos, speziell bei betrieblich genutzten Fahrzeugen.“
Ähnlich dynamisch wie die Neuzulassungen von Elektroautos entwickelte sich im Dezember der Absatz von Plug-in-Hybriden – ebenfalls angetrieben von einem 113-prozentigen Wachstum in Deutschland. Die Neuzulassungen dieser Antriebsart stiegen in den Top-5-Märkten im Dezember um 53 Prozent, der Marktanteil im Vergleich zum Vorjahresmonat in den Top-5-Märkten von 10,0 auf 13,2 Prozent. In Spanien, Italien und Frankreich sanken allerdings die Neuzulassungen von Plug-in-Hybriden. In Österreich wurde immerhin noch ein Plus von 23 Prozent verzeichnet.
„Plug-in-Hybride werden eine Nische bleiben – Wachstum wird in dem Segment schwierig werden“, sagt Preiss. „Das liegt auch an den immer strenger werdenden Förderrichtlinien.“
Probegalopp für EU-Lieferkettengesetz
Deutsches Lieferkettengesetz ist organisatorische Herausforderung für österreichische Zulieferer.
Christian Sec. Viele österreichische Unternehmen sind seit diesem Jahr stärker mit Forderungen zur Einhaltung von Menschen- und Umweltrechten konfrontiert. Das deutsche Lieferkettengesetz, das ab Jänner in Kraft getreten ist, verpflichtet deutsche Großunternehmen zu Risikoanalysen und Überprüfung ihrer unmittelbaren Zulieferer in diesen Bereichen. Nachdem den berichtspflichtigen deutschen Unternehmen ab einer Mitarbeiteranzahl von 3.000 (ab 2024: 1.000 Mitarbeiter) bei Verstößen deutliche Bußgelder bis zu 2 % vom Umsatz drohen, ist zu erwarten, dass diese Unternehmen das Risiko an die unmittelbaren Lieferanten weitergeben, z. B. mit Pönalen aus möglichen Strafen für die Kunden, schreibt das österreichische Beratungsunternehmen Supply Chain Partners.
Organisatorische Herausforderung
Das deutsche Lieferkettengesetz wurde bereits 2021 beschlossen und gab auch den österreichischen Unternehmen genügend Zeit sich auf die neue Situation vorzubereiten, wie der Börsen-Kurier bei seiner Umfrage von den Unternehmen erfuhr. Das Lichttechnikunternehmen Zumtobel hat in den vergangenen Monaten „entsprechend seine Prozesse ausgerichtet“, hieß es aus dem Unternehmen. In Vorbereitung auf diese Regelungen wurden die Unterlagen beim Eingliederungsprozess von Lieferanten adaptiert. So wurde der Fragebogen für Lieferanten erweitert und der Verhaltenskodex für Geschäftspartner angepasst. „Da die Erfüllung der neuen Anforderungen verifiziert werden muss, ergeben sich neue Herausforderungen zur Erfüllung der neu entstehenden Verpflichtungen rund um die ökologische und soziale Verantwortung in der Wertschöpfungskette, z. B. durch die Diversität und Vielzahl der Lieferanten“, so Maresa Hoffmann, Sprecherin von Zumtobel.
Auch der Holzfaserproduzent Lenzing erklärt, dass die Abdeckung von „tausenden“ von Lieferanten, also auch von C-Lieferanten, mit einem vertretbaren Aufwand eine organisatorische Herausforderung darstellt. Um dem deutschen Lieferkettengesetz zu genügen, hat sich Lenzing schon lange im Vorfeld auf die Anforderungen vorbereitet. So hat das Unternehmen das nachhaltige Lieferkettenmanagement organisatorisch und prozessual in den letzten Jahren in die Beschaffung eingearbeitet, erklärt Daniel Winkelmeier, Sprecher des Unternehmens.
Tauziehen
Deutschland greift mit seinem Lieferkettengesetz der EU vor, die selbst eine Lieferkettenrichtlinie vorbereitet, die in diesem Jahr verabschiedet werden soll. Dabei könnte es zu einem regelrechten Tauziehen kommen, zwischen dem Rat, der Kommission und dem Europäischen Parlament. Nachdem die Kommission die Richtlinie auf Unternehmen mit mindestens 500 Mitarbeitern und 150 Mio Euro Jahresumsatz beschränken will, hat der Rechtsausschuss des EU-Parlamentes einen Berichtsentwurf vorgelegt, der deutliche Verschärfungen der Richtlinie vorschlägt. So sollte demnach die Grenze bei 250 Mitarbeitern und 40 Mio Euro Umsatz liegen. Der Rat der EU wiederum hat seine Verhandlungsposition für den bevorstehenden Trilog mit dem Parlament und der Kommission festgelegt mit 1.000 Beschäftigten und einem weltweiten Umsatz von 300 Mio Euro.
Wie auch immer die Richtlinie aussehen wird: Das deutsche Lieferkettengesetz gilt für die österreichischen Unternehmen als willkommener Probegalopp. So sieht Pierer Mobility es als kleinen Vorteil für den Standort Österreich, dass das Lieferkettengesetz schon zuvor in Deutschland in Kraft tritt. Ähnlich positiv bewertet auch Kapsch die deutsche Vorreiterrolle für Österreich.
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Agrana-CFO: „In der Wertschöpfung weiter gehen“
Der Konzern erwartet deutlich höhere Ergebnisse und will in Russland bleiben.
Marius Perger. Am Donnerstag der Vorwoche präsentierte Agrana Zahlen zum dritten Quartal (per 30. November 2022) und bestätigte den optimistischen Ausblick. Der Umsatz legte in den ersten drei Quartalen um 26,4 % auf mehr als 2,7 Mrd Euro zu, das operative Ergebnis (ohne Sondereffekte und ohne at equity konsolidierte Beteiligungen) stieg sogar um 77 % auf knapp 122 Mio Euro. Das Konzern-Ebit reduzierte sich gegenüber dem Vorjahreszeitraum allerdings um 33,9 % auf etwas mehr als 50 Mio Euro. Hauptgrund dafür waren außerordentliche Abschreibungen im Segment Frucht aufgrund des Ukraine-Krieges in Höhe von 91,2 Mio Euro, die im zweiten Quartal vorgenommen wurden.
Dennoch erwartet Finanzvorstand Stephan Büttner (Foto) im laufenden Geschäftsjahr einen Anstieg des Ebit um mehr als 50 %, wie er im Exklusivinterview mit dem Börsen-Kurier betonte. Denn im vorigen Geschäftsjahr, das mit 28. Feber 2022 abgeschlossen wurde, waren noch im vierten Quartal Sonderabschreibungen von 75 Mio Euro vorgenommen worden, was das Ebit auf 24,7 Mio Euro gedrückt hatte. Und das Ebit-Ziel von 37 Mio Euro werde man heuer jedenfalls deutlich übertreffen, betont Büttner, zumal das operative Ergebnis „deutlich über dem Vorjahr“ liegen werde.
Positiv wirke sich auch aus, dass Wertberichtigungen für Vorräte und Forderungen in der Ukraine in Höhe von 1,4 Mio Euro zum Teil wieder aufgelöst werden konnten: Der Geschäftsverlauf in der Ukraine und in Russland habe sich positiver dargestellt als ursprünglich erwartet, so Büttner.
Wichtige Märkte Ukraine und Russland
Im Geschäftsjahr 2021/22 hatte Agrana in der Ukraine mit 801 Mitarbeitern einen Umsatz von 40,5 Mio Euro und in Russland mit 289 Mitarbeitern 60 Mio Euro Umsatz erwirtschaftet.
In der Ukraine ist die Agrana dabei in zwei Geschäftsfeldern tätig. Im Bereich der Fruchtsaftkonzentrate sei die Verarbeitungskampagne, die von September bis November läuft, gut verlaufen, so Büttner; als die Energieversorgungsprobleme in der Ukraine durch russische Angriffe begannen, sei man bereits fertig gewesen. Auch die Verbringung der Konzentrate nach Europa habe ohne Probleme funktioniert. Der zweite Bereich, die Fruchtzubereitung, verlaufe in reduziertem Ausmaß, so Büttner. Und er betont, dass es auch im Land weiterhin einen Bedarf nach den Produkten gebe, Hauptabnehmer seien Molkereien. Insgesamt müsse man in der Ukraine zwar signifikante Umsatz- und Ertragseinbußen hinnehmen, das Jahr werde man aber positiv abschließen.
Was Russland betrifft, verstehe sich Agrana als Teil der dortigen kritischen Infrastruktur. Man versorge die Bevölkerung mit Grundnahrungsmitteln, beliefere aber keine staatsnahen Institutionen und halte sich selbstverständlich an alle Sanktionen; das russische Tochterunternehmen sei “auf sich selbst gestellt“. Schließlich habe Agrana auch für die russischen Mitarbeiter Verantwortung. Es sei aber eine Grundsatzfrage, ob man mit so einem Land etwas zu tun haben will: „Wir können nicht sagen, das geht uns nichts an.“ Der Vorstand befinde sich hier in einem Spannungsfeld: Es sei nötig, die beste Entscheidung für das Unternehmen, auch für seine Aktionärinnen und Aktionäre, zu treffen und man dürfe nicht voreilig dem Mainstream nachlaufen. Gleichzeitig sei aber klar, dass man nicht alles akzeptieren kann. Grundsätzlich wolle Agrana in Russland bleiben, verfolge aber die Situation sehr genau.
Geopolitische Risiken
Man müsse zur Kenntnis nehmen, dass man als global tätiges Unternehmen nahezu immer betroffen sei, sagt Büttner. Im Wesentlichen sei man „aber immer negativ betroffen“, denn wenn etwas „super läuft“, so wie derzeit in Mexiko, werde dies als gegeben wahrgenommen. Dabei werde vergessen, dass eine globale Aufstellung auch Vorteile hat: einen breiten Kundenzugang, eine geografische Diversifizierung ohne Klumpenrisiken und viele Opportunitäten, die man allerdings nutzen und managen müsse.
Als konkrete Risiken nennt Büttner die Energieversorgung in Europa, die Corona-Infektionen vor allem in China und Korea sowie den Arbeitsmarkt in den USA. Zwar gebe es augenblicklich eine gewisse Entspannung bei der Energie, es stehe aber die Wettbewerbsfähigkeit Europas auf dem Spiel. Auch die Inflation spiele eine Rolle, seit dem dritten Quartal bemerke man erste Anzeichen für Absatzrückgänge. Von einer Rezession wäre Agrana wahrscheinlich positiv und negativ betroffen: „Essen tun die Leute immer – die Frage ist nur: was?“ Es würde vermutlich zu einer Verschiebung zu günstigeren Produkten kommen, manche Produkte des Konzerns seien aber konsumlastig und würden – wie zum Teil in der Zeit der Corona-Lockdowns – davon profitieren, wenn die Menschen weniger Restaurants besuchen. Und schließlich könnte ein Konflikt zwischen China und Taiwan negative Auswirkungen auf die Weltwirtschaft haben.
Strategie mit Schwerpunkt Nachhaltigkeit
Derzeit sei man noch in der Phase, das bestehende Geschäft zu optimieren, so Büttner. Dabei gehe es um Effizienz, Kundenorientierung und Organisationsstruktur. Wesentlicher Baustein der Strategie sei die Diversifizierung der Geschäftsbereiche, wichtig sei es auch, von den Volatilitäten des Commodity-Geschäfts wegzukommen. Dafür müsse man in der Wertschöpfung weiter gehen, bis hin zum „Lösungsanbieter“, beispielsweise mit integrierten, nicht so leicht austauschbaren Produkten.
Ein Schwerpunkt sei Nachhaltigkeit, betont Büttner. Derzeit betrage der „Fußabdruck“ des Konzerns 5 Mio Tonnen CO2, 80 % davon seien allerdings Scope 3 (Emissionen in der Lieferkette) zuzurechnen und würdenvor allem aus landwirtschaftlichen Rohstoffen stammen; nötig sei deshalb ein Zusammenwirken mit der Landwirtschaft für mehr Nachhaltigkeit. Auch für Scope 1 und Scope 2 (direkte und indirekte Emissionen des Unternehmens) gebe es eine „klare road map“: Geplant seien bis 2040 mehr als 400 Mio Euro Investitionen, um das Ziel „zero emission“ zu erreichen. Ein Treiber für die Nachhaltigkeitsbestrebungen sei auch die financial community, à la longue werde man ansonsten keine Finanzierungen mehr bekommen, ist Büttner überzeugt. Aller-dings handle es sich dabei durch-aus um einen Balanceakt, denn die Wettbewerbsfähigkeit leide und irgendwer müsse das alles auch bezahlen.
Foto: Agrana
Starke Zugpferde im Chemiesektor
In jeder Ausgabe des Börsen-Kurier analysieren wir die Aktien einer Branche.
Roman Steinbauer. Eine mögliche Rezession und hohe Energiekosten gelten aktuell besonders für die Chemiebranche als Belastungsfaktoren. Dennoch profitierten bereits an den ersten Handelstagen Titel namhafter Vertreter des Sektors durch aufkeimende Fantasie.
Groß kapitalisierte Flaggschiffe voran
Nachdem am 9. Jänner durch die US-Investorengruppe Inclusive Capital der Erwerb von 0,8 % an der Bayer AG (ISIN: DE000BAY0017) bekannt wurde, meldete wenige Tage darauf die Nachrichtenagentur Bloomberg den Einstieg des britischen Hedgefonds Bluebell Capital (die Höhe der nun gehaltenen Anteile ist noch nicht bekannt) bei den Leverkusenern. Erhöhte Umsatzprognosen für die Pharmasparte sowie Gerüchte unter Investoren um eine Abspaltung des Agrarbereichs heizten die Kauflaune an. Für das Prostatakrebs-Medikament Nubeqa, die Kerendia-Arznei (Herz) sowie das Präparat Asundexian (gegen Schlaganfälle) wurden unterdessen die Gewinnperspektiven angehoben. Ende der Vorwoche stand die Bayer-Aktie beachtliche 14 % höher als zum Jahreswechsel. Analysten hoben die Kursperspektiven bis Ende des Jahres unterdessen auf bis zu 80 Euro (Barclays) an.
Mit einem Auftrieb der Anteile von +12 bzw. +11 % erfreuten sich Aktionäre des Branchenriesen BASF (DE000BASF111) und des Spezial-Chemie-Produzenten Evonik (DE000EVNK013), wie auch jene der belgischen Solvay (BE0003470755), die ihre Position um 10 % wachsen sahen.
Besonders sticht die Entwicklung der Papiere des Chemiedistributors Brenntag (DE000A1DAHH0) hervor. Seit 1. Jänner zog der Titel um 13 % auf 67 Euro an. Als strategische Holding fungierend, operiert Brenntag als Bindeglied zwischen Chemieproduzenten und der weiterverarbeitenden Industrie. Die Gesellschaft bezieht hohe Volumina und gibt diese dann zeitlich bedarfsgerecht in beanspruchten Größen an Kunden der Nahrungsmittel-, Mineralölindustrie, Pharma- oder Körperpflegefabrikanten weiter.
Einzelne träge Nachzügler
Die Performance des robusten Dividendenbringers Henkel (DE0006048408; die mediane Schätzung der Rendite der Ausschüttung liegt auf Basis des heurigen Geschäftsjahres bei 3,09 %) hält indes bisher nicht mit. Der Rückzug aus den Aktivitäten in Russland und Weißrussland ist entschieden, gestaltet sich dennoch holprig. Im neuen Jahr steht der Titel 2 % im Plus. Seit dem Jahr 2017 gab die Aktie bereits 45 % ab. Mit einem aktuellen KGV von 22 ist diese keineswegs günstig. Allerdings dürfte sich langfristig wieder der Wachstumskurs etablieren und die Eigenkapital-Quote von 57 % dient als starke Basis. Mit mageren +3 % hängen Valoren der Schweizer Clariant (CH0012142631) den deutschen Pendants hinterher.
Foto: Pixabay / analogicus
Acht Wegweiser, die Anleger 2023 im Blick behalten sollten
Ein Kommentar von David Dowsett, Global Head of Investments bei GAM.
(10.01.2023). Für Anleger war 2022 ein äußerst brutales Jahr. Der Krieg in der Ukraine, auf den zunächst ein Zinsschock und dann ein Inflationsschock folgte, hat viele bisher bestehende Annahmen über die natürliche Investitionsordnung völlig auf den Kopf gestellt. Aufgrund der Tatsache, dass die Zentralbanken ihre Nullzinspolitik und quantitativen Lockerungsexperimente der letzten 15 Jahre hastig aufgegeben haben, erlitten praktisch alle Anlageklassen herbe Verluste.
Wir betrachten viele Veränderungen im Anlageumfeld als strukturell. Das Umfeld aus niedriger Inflation, niedrigen Zinsen und geringer Volatilität, das nach dem Jahr 2008 bestand, gehört nun endgültig der Vergangenheit an. Anstatt auf die frühere Orthodoxie, das Kapital und die Effizienz zu unterstützen, konzentriert sich die Regierungspolitik nun auf die Honorierung des inländischen Arbeitsmarkts und das Erzielen von Resilienz. Dies wird wahrscheinlich die vorherrschende Doktrin für den Rest des Jahrzehnts sein – eine Ära anhaltender globaler Unsicherheit.
Aber auch innerhalb dieser strukturellen Realität kann es zyklische Gelegenheiten geben. Nachfolgend heben wir acht Themen hervor, die unserer Ansicht nach als gute Wegweiser für die Entwicklungsrichtung der Märkte im Jahr 2023 dienen werden.
1. Könnte die Geldmenge tatsächlich schrumpfen?
Milton Friedman sagte einst: „Inflation ist immer und überall ein monetäres Phänomen.“ Trotz der durch die Covid-Pandemie bedingten Versorgungsengpässe und explodierenden Energiepreise könnte sich diese Aussage auch im Jahr 2023 bewahrheiten. Das Wachstum der Geldmenge M2 ist im März 2021, als die USA ihre Covid-Lockdowns bereits beendeten, mehr als doppelt so schnell gewachsen als in jedem anderen Zeitraum in den vergangenen 60 Jahren. Der fiskalische Stimulus im März 2021 in Höhe von USD 1,9 Billionen erwies sich als äußerst inflationär. Der Konsens zu Beginn des Jahres 2023 lautet, dass sich die Inflation als hartnäckig erweisen wird. Die Angebotsengpässe auf den Energie- und Arbeitsmärkten bleiben bestehen. Wird Friedmans Diktum dennoch weiterhin zutreffen? Genauso, wie wir noch nie ein Wachstum der Geldmenge in einem solchen Tempo wie im Jahre 2021 erlebt haben, haben wir auch nie eine tatsächliche Schrumpfung der Geldmenge erlebt. Trotzdem scheint dies eine realistische Aussicht für den Beginn des Jahres 2023 zu sein.
2. Die Form der Renditekurve des US-Finanzministeriums gibt Aufschluss darüber, ob die USA in eine Rezession eintreten könnten.
Der Ökonom Paul Samuelson sagte einst scherzhaft: „Der US-Aktienmarkt hat neun der letzten fünf Rezessionen richtig vorhergesagt.“ Die Renditekurve des US-Finanzministeriums weist hier eine wesentlich bessere Prognosebilanz auf. Jedes Mal seit dem Jahr 1970, wenn die Renditen der zehnjährigen Anleihen unter das Niveau der Renditen der zweijährigen Anleihen fielen, folgte eine Rezession. Eine daraus resultierende erneut steiler werdende Renditekurve tritt tendenziell genau zu Beginn der Rezession auf, wenn das Federal Reserve Board Lockerungen einleitet. US-Aktien beginnen ihren nächsten Bullenmarkt historisch gesehen innerhalb von drei Monaten, nachdem die Renditen der zweijährigen Anleihen ihren jeweiligen Höchststand erreicht haben. Zu Beginn des Jahres 2023 herrscht Einigkeit über eine flache US-Rezession. Der IWF prognostiziert für 2023 ein globales Wachstum von 2,7 %. Dies wäre das schwächste Wachstum seit 2001, wenn man die globale Finanzkrise und die Covid-Pandemie außer Acht lässt. Da in Bezug auf diese Ergebnisse erhebliche Unsicherheiten bestehen, sind wir davon überzeugt, dass eine genaue Beobachtung der Form der Renditekurve des US-Finanzministeriums eine solide Orientierungshilfe geben wird.
3. Die Welt ist mit einem massiven Energiepreisschock konfrontiert
Der Konflikt zwischen Russland und der Ukraine hat frühere Orthodoxien in Bezug auf die europäische Sicherheit und das geopolitische Gleichgewicht erschüttert. Europa steht vor einer langen Phase der Neubewertung seiner Verteidigungsfähigkeit, seiner wirtschaftlichen Schwachstellen und seiner Sicherheitsstrukturen. Und nirgendwo tritt dies offensichtlicher zutage als im Energiebereich. Es handelt es sich dabei tatsächlich um ein globales Phänomen, für das Europa besonders anfällig ist. Die im Westen weitgehend selbstverständliche Energieversorgungssicherheit mit ihrer daraus resultierenden Unterinvestition wird nun zu einem Schwerpunkt der Regierungspolitik. Alle Versuche, den weiteren Verlauf dieses Krieges vorherzusagen, werden sich wahrscheinlich als ebenso unzutreffend erweisen wie die meisten früheren Versuche. Gleichzeitig dürfen wir die anhaltende Bedeutung dieses Konflikts für die Energie- und Nahrungsmittelversorgung der Welt nicht außer Acht lassen. Wichtig ist, dass eine verstärkte Hoffnung auf eine Beilegung des Konflikts unmittelbare Auswirkungen auf die Aussichten für das globale Wachstum hätte.
4. Durch seine Wahrnehmung als „sicherer Hafen“ gewann der US-Dollar zunehmend an Stärke.
Auf lange Sicht lassen sich überzeugende Argumente für eine Schwäche des US-Dollars ausmachen, die sich auf Zwillingsdefizite und wachsende Bedenken hinsichtlich nichtdiskretionärer Haushaltsausgaben zurückführen lässt. Der jüngste Einsatz des US-Dollars als Waffe im Rahmen von finanziellen Sanktionen wird auch andere Länder dazu ermutigen, ihre finanzielle Anfälligkeit zu verringern. Kurzfristig wurde die jüngste Stärke des US-Dollars dadurch angetrieben, dass er sowohl als sicherer Hafen als auch als eine Währung mit hoher Belastungsfähigkeit wahrgenommen wurde. Wenn sich diese Wahrnehmung im Jahr 2023 jedoch zumindest etwas umkehrt, wird sich dies erheblich auf die Wertentwicklung von Vermögenswerten außerhalb der USA auswirken. Ebenso würde eine stärkere Wertentwicklung der Lokalwährungen die inländischen Befürchtungen über das Durchbrechen der Inflation und das Risiko der Rückzahlung von Hartwährungen mindern – zwei Faktoren, die die Wertentwicklung der Schwellenmärkte (EM) und der asiatischen Vermögenswerte im Jahr 2022 erheblich belastet haben. Eine Welt, die weniger Angst vor einer anhaltenden Stärke des US-Dollars hat, ist finanziell weniger bedrohlich.
5. Die Kreditqualität verschlechtert sich, wobei der Anteil der stark fremdfinanzierten Transaktionen seit dem Höhepunkt der Pandemie zugenommen hat.
Unabhängig davon, welche Entwicklungen uns im Jahr 2023 erwarten, können wir jedoch sicher sein, dass es keine Rückkehr zur Nullzinspolitik geben wird. Dieses Kapitel der Finanzmarktgeschichte ist endgültig abgeschlossen. Aufgrund der Tatsache, dass die globale Liquiditätsflut zurückgeht, sollten wir wachsam bleiben und auf weitere Anlagebeispiele achten, deren bisheriger Erfolg nicht aus vermeintlich cleveren Strategien, sondern allein aus dem Bullenmarkt herrührt. Im Jahr 2022 waren die Kernschmelze der Kryptowährungen, die LDI-Implosion und der SPAC-Crash drei Beispiele für eine Fehlbewertung der Vermögenspreise, die auf der Erwartung ewig niedriger Zinssätze beruhten. Obwohl sich diese „Liquiditäts-Landminen“ nur schwer im Voraus erkennen lassen, möchten wir dennoch hervorheben, dass die meisten finanziellen Probleme im letzten Jahr nur im öffentlichen Marktsegment aufgetreten sind. Obwohl die Übertragung von Vermögenswerten an private Märkte aus strategischer und betriebswirtschaftlicher Sicht durchaus sinnvoll sein kann, muss die preisliche Inkongruenz zwischen diesen beiden Perspektiven letztlich gelöst werden. Die Neubewertung der globalen Zinssätze deutet, wie oben gezeigt, zusammen mit der sich verschlechternden Qualität der fremdkapitallastigen Kreditvergabe auf eine bevorstehende Korrektur hin. Privatmarktfirmen haben prognostiziert, dass sie weiterhin eine beträchtliche Menge an hochliquiden marktgängigen Wertpapieren („trockenes Pulver“) einsetzen müssen. Letztlich führt jedoch kein Weg daran vorbei, die Validierung von Geschäften durch einen Ausstieg zu Marktpreisen zu erreichen. Die Folgefrage lautet natürlich, ob unvorhersehbare Marktereignisse schnell zu systemischen Risiken führen. Angesichts der starken Vorsorge der Banken und des relativ lockeren Rückzahlungsplans für Hochzinsanleihen im Jahr 2023 scheinen die Chancen dafür relativ gering zu sein. Obwohl die Liquiditätsereignisse in diesem Jahr – wie schon im vergangenen Jahr – für diejenigen, die direkt exponiert sind, äußerst schmerzhaft sein werden, sollte der daraus resultierende Schaden lokal begrenzt bleiben.
6. Was geschieht mit China?
Natürlich sind Liquiditätsereignisse nicht dasselbe wie Liquiditätsrisiken. Da die Zentralbanken ihre Bilanzen weiterhin verkleinern, können sie möglicherweise die Volatilität auf den Kernmärkten für Staatsanleihen und damit auch auf allen anderen riskanteren Anlageklassen erhöhen. Diese Verringerung der Liquiditätsbereitstellung durch die Zentralbank erfolgt, während sich die Märkte noch an die Verringerung der Market-Making-Fähigkeiten der Investmentbanken anpassen, die sich aus regulatorischen Änderungen sowie dem Wachstum sowohl der traditionellen Käuferseite als auch der Schattenbanken ergeben. Dies wird wahrscheinlich zu anhaltenden Spannungen im Zusammenhang mit der Risikoübertragung und der daraus resultierenden Marktpreisbildung führen. Achten Sie im Jahr 2023 auf entsprechende Wiederholungen.
Und während es bei den Aussichten für das Jahr 2023 schon in den entwickelten Märkten viele Unsicherheiten gibt, verblassen diese aber möglicherweise im Vergleich zu den Unsicherheiten, die mit China in Verbindung gebracht werden.
Wird die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt endlich aus ihrem Covid-Winterschlaf erwachen? Kann sich dies positiv auf das globale Wachstum auswirken und tatsächlich als Gegengewicht zum westlichen Rezessionsrisiko dienen? Kann die neuerliche Exportleistung aus China den Druck auf die Lieferkette mildern, der insbesondere in den USA als Inflationstreiber gewirkt hat? Diese Fragen unterliegen immer noch einem erheblichen politischen Risiko. Zudem bekommen wir erst jetzt eine erste Vorstellung davon, wie Xi seine innenpolitischen Prioritäten ordnen wird, nachdem er die unangefochtene Macht erlangt hat. Es ist jedoch wahrscheinlich, dass die Art und Weise, wie China mit seiner Immobilienblase fertig wird, der entscheidende Faktor für das Binnenwachstum sein wird.
7) Der Wohnungsmarkt ist eine wichtige wirtschaftliche Variable, die es in China zu beobachten gilt.
China hat sich dafür entschieden, die Preise aufrechtzuerhalten und den Neubau von Häusern zu stoppen. Obwohl diese Entscheidung vor kurzfristigen finanziellen Ausstrahlungseffekten schützt, wird sich das Fehlen eines Marktreinigungsmechanismus jedoch sicherlich nachteilig auf das Verbrauchervertrauen und den Konsum auswirken und die Investitionen dämpfen. Die chinesischen Behörden glauben, dass die Urbanisierung den überschüssigen Wohnungsbestand letztlich abbauen wird. Dies ist jedoch ein langfristiger Prozess. Die Entwicklungen auf dem Wohnungsmarkt könnten in China im Jahr 2023 immer noch die wichtigste wirtschaftliche Variable sein, die es zu beobachten gilt.
Aus politischer Sicht war die Erkenntnis, dass China und die USA nun in eine Phase des strategischen Wettbewerbs eingetreten sind, der wichtigste Faktor, um das Ende der Ära der Globalisierung zu beschleunigen. Es ist bemerkenswert, dass sich der grundlegende Wandel der Einstellungen am dramatischsten im Westen vollzog. Die folgende Grafik 5 zeigt die Anzahl der Gesetzentwürfe im US-Kongress, die sich alle mit der Rivalität mit China befassen.
8. Das Klima der Beziehungen zwischen den USA und China
Es gibt eine dramatische Abkehr von der Haltung des konstruktiven Engagements aller US-Präsidenten in der Zeit von Nixon bis Obama. Das schwankende Klima in den Beziehungen zwischen den USA und China wird der wichtigste geopolitische Wegweiser für 2023 bleiben. Obwohl zwischen Washington und Peking beim strategischen Denken über Taiwan und die Einflusssphären im südchinesischen Meer nach wie vor eine große Kluft herrscht, stehen beide Länder immer noch vor vielen Herausforderungen, die einen gemeinsamen Ansatz erfordern. Der Klimawandel sowie die Ernährungs- und Gesundheitssicherheit erfordern auch in einer stärker regionalisierten und lokalisierten Welt globale Lösungen. Da der persönliche Dialog zwischen den weltweiten Staats- und Regierungschefs wieder aufgenommen wird und Präsident Xi erneut zu Auslandsreisen aufbricht, besteht Hoffnung auf eine Verbesserung der Beziehungen. Dies vermag diejenigen überraschen, die sich gerade für einen neuen Kalten Krieg positionieren.
Der verhinderte Aufschwung
Hausgemachte Krisen stören den Erholungsmodus.
Michael Kordovsky. Eine inverse Zinskurve in den USA signalisiert „Rezession voraus“. Was sagen diverse Früh- und Stimmungsindikatoren und was macht die globale Leitwirtschaft China? Es gibt drei sehr einfache Konjunkturindikatoren, die gewisse Anhaltspunkte liefern: die Preise für Kupfer und Erdöl in Kombination mit dem Baltic-Dry-Index, der die Seefrachtraten für Trockengüter anzeigt. Letzterer hat sich nach einer (fast) Verfünffachung im Jahr 2021 wieder beruhigt und fiel auf sein Ausgangsniveau zurück.
Der Ölpreis (WTI), der kurz nach dem Kriegsausbruch in der Ukraine auf umgerechnet mehr als 120 Euro anstieg, ist mittlerweile auf 75 Euro rückläufig. Auf Drei-Monats-Sicht liegt das Minus bei 11,5 %, während der Kupferpreis auf Jahressicht bereits 14,9 % im Minus liegt.
In der Halbleiterbranche wuchs 2022 der Weltmarkt hingegen voraussichtlich noch um rund 7 % auf umgerechnet 603 Mrd Euro. Die Digitalisierung wäre weiterhin ein positiver Konjunkturfaktor, genauso wie (Konsum-)Nachholeffekte nach den zahlreichen Lockdowns.
Hausgemachter Abschwung und mögliche Corona-„Neuauflage“
Nicht die klassischen herkömmlichen Konjunkturzyklen sind diesmal das Problem, sondern eine Mischung aus Krieg in Europa, hoher Inflation infolge von Energieknappheit und unterbrochener Lieferketten sowie das starke Wiederaufkeimen von Corona in China. Dieses führt dazu, dass der Wirtschaftsriese als Nachfragefaktor ausfällt, was vor allem auf die Rohstoffpreise drückt und in den USA und Europa die Exportpotenziale einschränkt.
Überraschend stark (um 10,6 %) brachen Chinas Importe im November 2022 ein, während die Exporte um 8,7 % schrumpften. Letzteres war die schlechteste Entwicklung seit Feber 2020. Bereits im Oktober waren die Exporte um 0,3 % rückläufig. Einerseits wirkten sich die strengen Corona-Maßnahmen Chinas negativ aus, ander-erseits schwächte sich die globale Nachfrage ab. Nach dem Ende der Corona-Maßnahmen explodierte die Durchseuchung Chinas. Im Dezember war von rund 248 Mio Fälle die Rede.
Der auf der Befragung von 430 privaten chinesischen Industrieunternehmen basierende „Caixin China General Manufacturing PMI™“ entwickelt sich bis Dezember bereits fünf Monate in Folge rückläufig und erreichte im Dezember den niedrigsten Stand seit September. Allerdings war damals noch das Sentiment auf einem Zehn-Monatshoch, da nach den umstrittenen Eindämmungsmaßnahmen der Regierung in Peking eine weitgehende Öffnung der Wirtschaft erwartet wurde. Das könnte sich mit der raschen Ausbreitung von Corona nun ändern. Abwassermonitoring in Flugzeugen und Testpflicht für Einreisende aus China in EU-Länder könnte somit erst der Anfang sein. Sollten im Abwasser neue Corona-Mutationen entdeckt werden, sind selbst erneute Lockdowns außerhalb Chinas nicht mehr auszuschließen.
Durchwachsen: „Einkaufsmanager-Befragungen“
In Europa schwächt sich zwar die Talfahrt der Privatwirtschaft (Produktion und Dienstleistung) ab und der finale „Eurozone Composite PMI®“ von S&P Global stieg im Dezember auf ein Fünf-Monatshoch, was rohstoffseitig auf einen nachlassenden Preisdruck zurückzuführen ist. Doch der wichtige Frühindikator „Auftragseingänge“ ist auf Talfahrt. Aufgrund der generellen Nachfrageflaute in der Privatwirtschaft wies der Auftragseingang im Dezember bereits sechs Monate in Folge ein Minus aus. Besonders hart trifft es die Industrie infolge von Lagerabbau und Stornierungen.
Die Daten des „S&P Global Flash US Composite PMI®“ deuten im Dezember hingegen auf einen stärkeren Abschwung hin. Der „Flash US Manufacturing PMI“, der Auftragseingänge, Output, Beschäftigung, Lieferzeiten der Lieferanten und Lagerbestände kombiniert, fiel im Dezember auf ein 31-Monats-Tief.
Ein guter Konjunkturindikator ist auch die Verfassung der deutschen Werkzeugmaschinenindustrie, deren Auslandsaufträge in den ersten drei Quartalen 2022 noch um 26 % wuchsen, da Betriebe derzeit modernisieren und auch in Kapazitätserweiterungen investieren.
Stimmungsverbesserung
Gleichzeitig erholt sich im Euroraum, ausgehend von einem niedrigen Niveau bis Dezember 2022, das Konsumentenvertrauen. Positiv ist, dass sich laut Ifo Institut die Stimmung in der deutschen Wirtschaft im Dezember merklich aufhellte. Erstmals nach sechs Rückgängen in Folge ist der Lage-Indikator wieder gestiegen. Konkret bedeutet dies, dass Unternehmen ihre aktuelle Lage wieder optimistischer beurteilen und auch die Zukunftserwartungen haben sich verbessert.
In den USA verbesserte sich im Dezember, laut The Conference Board, das Verbrauchervertrauen. Auch die Erwartungen für die kommenden sechs Monate betreffend Einkommen, Geschäftsentwicklung und Arbeitsmarktsituation haben sich von November auf Dezember deutlich verbessert, wenn auch ausgehend von einem „Rezessionsniveau“.
Fazit
Angebotsverknappung durch Corona-Maßnahmen und Ukrainekrieg sind die Inflationstreiber und somit „hausgemacht“. Doch als Reaktion darauf versucht die Fed mit allen Mitteln in einer Erholungsphase von der Pandemie die Konjunktur abzuwürgen, um die Inflation auf diese Weise in den Griff zu bekommen.
Nun droht sich – ausgehend von China, die Corona-Krise in einer gewissen Form zu wiederholen. Diese Konstellation deutet auf einen hausgemachten globalen Abschwung hin.
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Was tun bei deutschen Bundesanleihen?
Nach den historisch einmaligen Kursverlusten sehen Experten Kaufchancen.
Raja Korinek. Das vergangene Börsenjahr war von einem seltenen Ereignis geprägt: So sanken die Kurse von Aktien und von Anleihen kräftig. Letztere Anlageklasse bot Anlegern in einem breit gestreuten Portfolio damit praktisch keinen sicheren Hafen mehr.
Wie kräftig die Rücksetzer erfolgten, lässt sich beispielsweise anhand des „Euro Bund-Future“ nachvollziehen. Dabei handelt es sich um ein Derivat, das die künftige Kursentwicklung einer fiktiven 10jährigen deutschen Staatsanleihe mit einem Kupon von 6 % abbildet. Noch 2019 erreichte der „Euro Bund-Future“ ein Rekordhoch von knapp 180 Punkten und notierte danach in einem breiten Seitwärtstrend. Grund für den extremen Kursanstieg waren freilich sinkende Zinsen und das umfangreiche Anleihekaufprogramm der EZB. Die damit erzeugte Nachfrage verteuerte die Bondkurse weiter.
Hohe Kursverluste
Doch mit der steigenden Inflation und der damit eingeläuteten Zinswende drehte sich das Blatt schlagartig. Notierte der „Euro Bund-Future“ zu Jahresbeginn 2022 noch bei rund 174 Punkten, sind es inzwischen nur noch gut 137 Punkte.
Demgegenüber stiegen die Renditen kräftig an. 10Jährige deutsche Bundesanleihen etwa rentieren derzeit bei rund 2,2 %. Zum Vergleich: Im Jänner 2022 lag die Rendite bei knapp 0,014 %. „Eine Aufwärtsbewegung in diesem Ausmaß ist in den vergangenen 30 Jahre beispiellos. Mithin hat 2022 selbst den Crash von 1994 in den Schatten gestellt“, konstatiert Elmar Völker, leitender Zinsanalyst bei der LBBW.
Sinkende Inflation als Trendwende
Dennoch gab es zuletzt anscheinend erste Lichtblicke. Denn das Tempo, in dem die Inflationsrate in den vergangenen Monaten zulegte, nahm ein wenig ab. Dies zeigte sich etwa im Monat Dezember. Aufgrund gesunkener Energiepreise hat sich der Inflationsanstieg in der Eurozone merklich verlangsamt, unterstreicht Ulrike Kastens, Europa-Volkswirtin bei der DWS. Sie meint, „insgesamt kletterten die Preise nur noch um 9,2 % im Jahresvergleich nach oben, nach 10,1 % im November.“ Auch in Deutschland sank die Jahresrate auf 8,6 %.
Die Folgen all solcher Entwicklungen waren in der Kursentwicklung deutscher Bundesanleihen zu sehen, deren Kurse gewannen zuletzt ein wenig an Wert. LBBW-Experte Völker stimmt dies positiv. „Der rentenfreundliche Start könnte ein gutes Omen für 2023 bilden. Die Dezember-Inflationsdaten lassen die Wahrscheinlichkeit erheblich steigen, dass der Inflationsgipfel im Euroraum überschritten wurde.“
Chancen gehebelt nutzen
Er meint auch, dass heuer ein sinkender Preisdruck zu einem der bestimmenden Themen wird und den Weg zum Auslaufen der geldpolitischen Straffung ebnen könnte. „Somit sinkt die Gefahr, dass der Euro-Staatsanleihemarkt am Beginn eines dritten Negativjahres in Folge steht.“
Anleger, die sich das Risiko zutrauen, können mittels Turbo-Longzertifikate gehebelt auf einen möglichen Kursanstieg des „Euro Bund-Futures“ setzen. Ein solches Produkt bietet etwa die BNP Paribas an (ISIN: NL0000807071). Der aktuelle Hebel liegt bei rund 2,1. Um diesen verändert sich der Kurs des Zertifikats im Verhältnis zu jenem des Basiswerts. Berührt oder unterschreitet der Kurs des Basiswerts jedoch die Marke von 73,30 Punkten, verfällt das Zertifikat.
Etwas mehr Chancen bietet das Turbo-Long-Zertifikat der Société Générale (DE000SQ38FE4). Hier liegt der aktuelle Hebel bei rund 5. Doch damit ist auch das Risiko größer. Wird die Marke von 110 Punkten berührt oder unterschritten, verfällt das Produkt.
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Zirkular statt linear
Die Industrie entwickelt immer neue Systeme zur Erhöhung der Recyclingrate.
Christian Sec. Die europäische Wirtschaft ist noch stark linear geprägt. Nur 12 % der verwendeten Roh- und Sekundärstoffe kommen wieder in den Wirtschaftskreislauf. Nun will aber die Industrie ihre Schlagzahl im Bereich der Kreislaufwirtschaft erhöhen. Die Lenzing Gruppe und Renewcell, ein Textil-Recycling-Pionier aus Schweden, haben im Dezember eine mehrjährige Liefervereinbarung unterzeichnet. Die Vereinbarung beinhaltet den Verkauf von 80.000 bis 100.000 Tonnen des zu 100 % recyceltem Circulose-Textilzellstoffs an Lenzing in den nächsten fünf Jahren. Der recycelte Zellstoff wird in der Produktion von Lenzing Cellulosefasern für Bekleidung und andere textile Anwendungen verwendet. „Wir wissen, dass der Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft von entscheidender Bedeutung ist, um das Problem der enormen Mengen an Textilabfällen zu bewältigen“, so Christian Skilich, Chief Pulp Officer der Lenzing Gruppe.
Innovation beim Recycling
Der Erdölkonzern OMV hat mit ReOil eine Technologie entwickelt, der den Kreislaufgedanken in vier unterschiedlichen Dimensionen denkt. Dabei spielt neben der klassischen Wiederverwendung, das mechanische und chemische Recycling von Kunststoff-Abfällen eine zentrale Rolle. Hierfür baut die OMV in der Raffinerie Schwechat gerade eine Anlage mit einer Kapazität von 16.000 Tonnen pro Jahr. Die Anlage soll dieses Jahr in Betrieb gehen. Bis Ende 2026 soll die Verarbeitungskapazität auf bis zu 200.000 Tonnen pro Jahr ausgebaut werden. Die OMV nutzt auch das durch Pflanzen gespeicherte CO2, z. B. in Form von gebrauchtem Speiseöl als nachhaltigen Treibstoff und als Rohstoff für die chemische Industrie. So produziert der Konzern seit März dieses Jahres nachhaltigen Flugzeugtreibstoff. Der größte Kreislauf, den die OMV etablieren will, der jedoch erst in der Entwicklungsphase ist, ist die direkte Nutzung von emittiertem CO2, das bei industriellen Produktionsprozessen freigesetzt wird.
Gemeinsam mit einem niederländischen Urban-Mining-Spezialisten hat der Ziegelhersteller Wienerberger den kreislauforientierten Vormauerziegel im Vorjahr auf den Markt gebracht. Für die Produktion greift Wienerberger auf Ton zurück und verarbeitet dabei 20 % keramische Restmaterialien, die aus Abbruchhäusern gewonnen werden, diese werden gemahlen und dem Basisrohstoff Ton beigemischt.
Beim Anlagenbauer Andritz werden bereits rund zwei Drittel des Abfalls recycelt. Ziel des Unternehmens ist es, im Bereich der Zellstofffabriken keinen Abfall mehr zu produzieren. Der Geschäftsbereich Pulp & Paper bietet Second-Hand-Anlagen an, um Ressourcen zu schonen. „Durch das Refurbishing können so Lieferengpässe ausgeglichen werden“, erklärt Michael Buchbinder, Head of Group Finance, Sprecher von Andritz.
Reparatur statt Ersatzteile
Die Versicherungsindustrie gilt als Hebel zur Förderung der Kreislaufwirtschaft. Vor allem im Kfz-Bereich werden Anstrengungen gesetzt, um die Reparaturquote bei versicherten Schäden zu erhöhen. „Würde man in Deutschland die Reparaturquote nur um 2 %-Punkte erhöhen, ließen sich rund 5.000 Tonnen CO2 einsparen, das entspricht dem jährlichen Energieverbrauch von 860 Haushalten“, sagte Christoph Lauterwasser, Geschäftsführer vom Allianz Zentrum für Technik, während des Allianz-Autotages. Das Problem sei jedoch: Während die Reparatur bei einigen Autoteilen erlaubt ist, wird die Instandsetzung bei anderen Teilen von den Autoherstellern nicht zugelassen, was den Kunden finanziell belastet und die Umwelt schädigt, so Lauterwasser.
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Kater nach dem Höhenflug
EY-Start-up-Barometer 2022: Finanzierungen brechen nach Rekordstart im zweiten Halbjahr stark ein.
(30.12.) Nachdem 2021 weltweit alle Rekorde in Hinblick auf Start-up-Finanzierungen geknackt wurden, haben steigende Zinsen, wirtschaftliche Unsicherheiten, Inflation und eine drohende Rezession das Marktumfeld stark eingetrübt. Die Kombination dieser Faktoren und die wirtschaftliche Lage veranlassen Risikokapital-Finanzierer weltweit zu mehr Zurückhaltung und sorgen für ein deutliches Abbremsen am Finanzierungsmarkt für Start-ups und Scale-ups.
Besonders betroffen sind börsennotierte Tech-Unternehmen sowie hoch bewertete Scale-ups oder Unicorns mit Fokus auf ein starkes, schnelles Wachstum. Aufgrund des schwierigen Marktumfelds zögern Venture Capitalists weltweit trotz geschätzt rund 500 Milliarden Dollar in der Kasse mit weiteren Finanzierungsrunden und richten den Fokus stärker auf das Management ihres eigenen Portfolios. Aufgrund der deutlich nach unten korrigierten Wachstumsprognosen gab es in den vergangenen Monaten bereits größere Entlassungswellen bei Scale-up-Unternehmen. Auch Österreichs Start-ups und Scale-ups stellen sich aktuell auf längere Phasen bis zur nächsten Finanzierungsrunde, geringere Bewertungen und Volumina sowie weniger ambitionierte Wachstumsziele ein.
In den Zahlen für 2022 lässt sich diese deutliche Eintrübung des Finanzierungsmarkts für österreichische Start-ups eindeutig im zweiten Halbjahr ablesen. Nach einem sehr starken ersten Halbjahr mit insgesamt 881 Millionen Euro Investments – einer neuen Rekordmarke – ist der Markt im zweiten Halbjahr 2022 deutlich eingebrochen: In den vergangenen sechs Monaten wurden nur noch 125 Millionen Euro investiert – das sind um 83 Prozent weniger als im Vorjahreszeitraum. Damit liegt das Volumen auf dem Niveau der beiden 2020er-Halbjahre, nachdem es zuvor drei Halbjahre in Folge gestiegen war und – insbesondere aufgrund von Mega-Deals – Werte jenseits der 500-Millionen-Euro-Marke erreicht hatte. Die Zahl der registrierten Abschlüsse übertraf hingegen im siebten Halbjahr in Folge die Marke von 50. Gegenüber dem ersten Halbjahr 2022, das mit 79 Finanzierungsrunden das anzahlmäßig abschlussstärkste Halbjahr im Untersuchungszeitraum war, ging die Zahl der Deals im zweiten Halbjahr allerdings deutlich zurück – um 17 Deals auf 62.
Das sind Ergebnisse des Start-up-Barometers Österreich der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft EY. Berücksichtigt wurden Unternehmen mit Hauptsitz in Österreich, deren Gründung höchstens zehn Jahre zurückliegt.
Zurückhaltung am Finanzierungsmarkt – Fokus auf Profitabilität und Anreize für Investitionen wichtig
„Weltweit ist die Goldgräberstimmung des Boom-Jahres 2021 der Ernüchterung gewichen. Viele Geldgeber sind nervös, die Risikobereitschaft sinkt, ebenso wie die Bereitschaft zu investieren. Viele Scale-ups und Unicorns haben von Hypergrowth auf Überlebensmodus geschaltet, in vielen stark gefundeten Wachstumsunternehmen gibt es aktuell Entlassungen. Das Stimmungsbild hat sich innerhalb weniger Monate komplett gedreht – allerdings ist auch das eine Momentaufnahme. Wie nachhaltig der Krisenmodus ist, hängt von unterschiedlichen Faktoren ab, insbesondere der Zinspolitik, der Höhe der Inflation und dem Ausmaß der drohenden Rezession“, sagt Florian Haas, Head of Start-up bei EY Österreich.
In Österreich gab es 2022 einen Rückgang der Finanzierungssumme um 18 Prozent von 1,23 auf 1,0 Milliarden Euro. Das ist immer noch das zweithöchste Investmentvolumen, das je innerhalb eines Jahres in österreichische Start-ups investiert wurde. Allerdings vereinigten die zwei großen Finanzierungsrunden von GoStudent mit 300 Millionen Euro sowie TTTech Auto mit 250 Millionen Euro rund 55 Prozent des gesamten Investitionskapitals auf sich. Auch die weiteren Top-Investments des Jahres fanden im ersten Halbjahr statt: Die Top-5 nach Volumen komplettieren Waterdrop und PlanRadar mit je 60 Millionen Euro sowie der Logistik-Spezialist byrd mit 53 Millionen Euro.
„In Österreich hat der Start-up-Höhenflug des Vorjahres im stürmischen Umfeld insbesondere im zweiten Halbjahr deutlich abgebremst. Die bereits seit einigen Monaten weltweit zu beobachtende starke Zurückhaltung der Investoren in Hinblick auf Wachstumsfinanzierungen und Kapitalspritzen außerhalb des eigenen Portfolios lässt sich mit leichter Verzögerung auch an den Zahlen ablesen. Nachdem es im ersten Halbjahr noch dank einiger Millionenrunden, die noch 2021 verhandelt wurden, einen neuen Finanzierungsrekord gab, ist der Markt im zweiten Halbjahr deutlich ruhiger geworden. Gerade bei der Wachstumsfinanzierung, die in Österreich fast ausschließlich durch internationale Investorengruppen getätigt wird, wird sich die bereits in der zweiten Jahreshälfte zu beobachtende starke Zurückhaltung von Risikokapitalgebern auch in den nächsten Monaten niederschlagen“, so Haas.
Für Start-ups sei es jetzt besonders wichtig, sich auf die herausfordernden Monate vorzubereiten: „Start-ups und Scale-ups, die nicht durch glückliches Timing in den letzten zwölf Monaten eine Finanzierungsrunde gemacht haben, müssen sich darauf einstellen, länger als geplant mit ihren finanziellen Mitteln auskommen zu müssen und aufgrund sinkender Bewertungen weniger Geld als geplant einzunehmen. Nach dem Boom-Jahr 2021 ist wieder deutlich mehr Realismus bei den Bewertungen eingekehrt, was zu einer gewissen Marktkonsolidierung führen wird und den Fokus verstärkt auf Start-ups mit funktionierenden Geschäftsmodellen und erfolgreichen Marktaktivitäten lenkt. Investorengruppen verlagern ihren Fokus daher auch von Potenzial auf Profitabilität. Anstelle eines möglichst ambitionierten Wachstumsziels rücken für Investoren Themen wie Effizienz und Performance ganz nach oben auf die Checkliste bei der Due Diligence. Für Start-up ist es daher umso wichtiger nachzuweisen, dass ihr Geschäftsmodell einen Markt und zahlende Kundinnen und Kunden hat“, so Haas.
„Gerade für Start-ups und Scale-ups, die sich erfolgreich auf dem Markt etabliert haben und jetzt den nächsten Wachstumsschritt gehen wollen, ist die Zurückhaltung von Investorinnen und Investoren ein großes Risiko. Eine liquiditätsbedingte Vollbremsung von zukünftigen ‚Global Champions made in Austria‘ hätte auch für den Wirtschaftsstandort und das österreichische Start-up-Ökosystem sehr negative Folgen. Es braucht dringend staatlich gesteuerte Anreize, um Investitionen in Start-ups für institutionelle und private Geldgebern attraktiver zu machen, beispielsweise durch einen Dach-Fonds oder steuerliche Anreize wie einen Beteiligungsfreibetrag. Damit könnte die Lücke durch fehlende VC-Fond-Investitionen gefüllt und gleichzeitig in Zeiten hoher Inflation eine attraktive Asset-Klasse gestärkt werden. Die Reife und Professionalität des Start-up-Ökosystems in Österreich ist auch durch die aktuelle Krise nicht revidierbar“, sagt Haas.
Anzahl großer Runden für Österreichs Start-ups gestiegen
Die Anzahl der Finanzierungsrunden für österreichische Start-ups ist 2022 um rund 16 Prozent von 122 auf 141 gestiegen. Das durchschnittliche Volumen der Deals, bei denen eine Summe veröffentlicht wurde, ist aufgrund der gestiegenen Anzahl an Deals und dem Rückgang beim Volumen deutlich um rund 25 Prozent von rund zwölf Millionen Euro auf 8,92 Millionen Euro gesunken. 2020 wurden durchschnittlich pro Finanzierungsrunde nur 4,5 Millionen Euro investiert – rund die Hälfte von 2022.
Der Trend zu größeren Finanzierungsrunden in Österreich hielt auch 2022 an, allerdings mit einem leichten Rückgang im Vergleich zum Rekordjahr 2021: Die Anzahl an großen Deals mit Volumina von mehr als 10 Millionen Euro ging von 16 auf zehn zurück. Die Deals mit mehr als einer Million Euro Volumen blieben mit jeweils 45 in 2022 und 2021 gleich. Bei den Finanzierungsrunden unter einer Million Euro gab es einen Anstieg von 61 auf 80.
„Aufgrund des Einbruchs von Tech-Aktien an den Börsen stehen insbesondere Scale-ups und Unicorns knapp vor einem Börsengang enorm unter Druck und brauchen Finanzierungsspritzen, die sie im aktuellen Umfeld oft nur deutlich unter der Unternehmensbewertung der letzten Finanzierungsrunde bekommen. Dementsprechend ist die Krisenstimmung auf dem globalen Risikokapitalmarkt vor allem in einem deutlichen Rückgang von Megarunden mit mehr als 100 Millionen Euro sichtbar. Diese Runden sind in Österreich nach wie vor die Ausnahme und die starken potenziellen heimischen Unicorns haben fast alle in den letzten 18 Monaten eine Finanzierungsrunde abgeschlossen. Natürlich wird sich das eingetrübte Marktumfeld in allen Phasen zeigen, speziell in der Frühphase und bei der ersten Wachstumsfinanzierung werden die Auswirkungen zumindest kurzfristig weniger spürbar sein“, so Haas.
Software- und Technologiebranche verzeichnet die meisten Deals
Die meisten Finanzierungsrunden wurden 2022 im Softwarebereich abgeschlossen. Mit SaaS, Artificial Intelligence, Virtual Reality, Blockchain, Cloud, Cyber Security sowie Data Analytics umfasst dieser Bereich Start-ups mit neuen Technologien. Hier wurden mit 39 Finanzierungsrunden sogar acht mehr gezählt als im Vorjahr. Die Bereiche E-Commerce, Health und Mobility verzeichneten mit 19 bzw. 15 bzw. zwölf Finanzierungsrunden jeweils die gleiche Anzahl an Deals wie im Vorjahr. Nachdem 2021 aufgrund der Corona-Pandemie der Gesundheitsbereich deutlich zulegte, rangieren wieder eindeutig Tech-Unternehmen ganz oben in der Gunst der Investorengruppen.
Gleich fünf Branchen verzeichneten Zuströme an Risikokapital in Höhe von jeweils mehr als 50 Millionen Euro. Das meiste Kapital erhielten Start-ups aus dem Bereich Mobility: In zwölf Finanzierungsrunden konnten sie 333 Millionen Euro einwerben, darunter auch der zweitgrößte Deal des Jahres (TTTech Auto, 250 Mio. Euro).
Der Bereich Education brachte es in drei Finanzierungsrunden auf 302 Millionen Euro; allein 300 Mio. Euro entfielen dabei allerdings auf den Top-Deal des Jahres (GoStudent).
Auf den Rängen drei und vier folgen die Sektoren Software & Analytics und E-Commerce, deren Start-ups es auf 136 bzw. 74 Millionen Euro brachten.
Den größten absoluten Zuwachs gegenüber dem Vorjahr verzeichnete der Bereich Mobility (plus 311 Mio. Euro), das größte Minus der Bereich FinTech / InsurTech (minus 372 Mio. Euro).
Wien bleibt Start-up-Hotspot
Erneut gab es in Wien besonders viele Investitionen, die Hauptstadt konnte ihren Vorsprung als Start-up-Hotspot gegenüber den anderen Bundesländern wieder klar behaupten: Mit 81 Finanzierungsrunden (2021: 73) vereinigten die Hauptstadt-Jungfirmen 57 Prozent der hierzulande gezählten Finanzierungsrunden auf sich (2021: 60 %). Auf Rang zwei folgt Oberösterreich, wo 21 Finanzierungsrunden gezählt wurden (2021: 18), vor der Steiermark, deren Start-ups es auf 15 Finanzierungsrunden (2021: 14) brachten.
Fünf Bundesländer verzeichneten 2022 mehr Finanzierungsrunden als im Vorjahr; nur in Vorarlberg wurde mit einem Deal ein Abschluss weniger als im Vorjahr gezählt. In Salzburg blieb die Zahl der Finanzierungsrunden konstant. In Kärnten und dem Burgenland gab es wie schon im Vorjahr keine Finanzierungsrunde.
Das mit weitem Abstand meiste Kapital konnten erneut Wiener Start-ups einwerben: Mehr als drei von vier hierzulande in Start-ups investierte Euro wurden 2022 in Wiener Jungunternehmen investiert. Sieben der zehn größten Finanzierungsrunden betrafen Start-ups, die in Wien ansässig sind. Der Standort Steiermark belegt mit einem Marktanteil von rund neun Prozent Rang zwei vor Oberösterreich, das es 2022 auf einen Marktanteil von rund sechs Prozent bringt.
Nachhaltigkeit rückt stärker in den Fokus
Für Investorengruppen liegt der Fokus bei Investments in Start-ups eindeutig auf den Themen Digitalisierung und neue Technologien. Als zweiter wesentlicher Bereich hat Nachhaltigkeit in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen.
2022 wurden 17 Finanzierungsrunden verzeichnet, die einen Sustainability-Bezug aufweisen. Damit hatte rund jede achte Finanzierungsrunde einen Bezug zum Querschnittsthema Sustainability. Insgesamt wurden im vergangenen Jahr 31 Millionen Euro in österreichische Start-ups mit Sustainability-Fokus investiert, das entspricht einem Anteil von rund drei Prozent an der insgesamt investierten Summe von 1,0 Milliarden Euro.
„Nachhaltigkeit und Digitalisierung sind die bestimmenden Themen der nächsten Jahre für alle Unternehmen. Start-ups können hier als Innovationstreiber eine essenzielle Funktion einnehmen. In Österreich will nach eigenen Angaben knapp ein Drittel der Start-ups Lösungen für die ökologische Transformation, den Kampf gegen den Klimawandel, für die Dekarbonisierung oder für die Kreislaufwirtschaft bieten. Der Nährboden in Österreich für Green-Innovation-Start-ups ist sehr gut. Investorengruppen werden in diesem Bereich in den nächsten Jahren deutlich öfter und mehr investieren. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis es das erste österreichische Green Unicorn gibt“, so Haas.
2023 – zwischen Resilienz und Rezession
Die Kapitalmarktausblick: Selten zuvor gab es so viele Risikofaktoren.
Rudolf Preyer. Alle Jahre wieder blicken Kapitalgesellschaften und deren Expertinnen und Experten in di Zukunft. Wir haben wir einige Prognosen zusammengefasst.
In medias res: Marc Schattenberg, Volkswirt bei Deutsche Bank Research, blickt in seinem Kapitalmarktausblick 2023 „verhalten optimistisch“ auf das kommende Jahr: Die zu erwartende Rezession in den USA und Europa dürfte moderat ausfallen. Die Inflation werde zwar unter anderem aufgrund der Energiepreise voraussichtlich zunächst hoch bleiben; die Leitzinsen sollten jedoch im Sommer ihren Höchststand erreichen. Anleiherenditen in den USA dürften bereits im ersten Halbjahr ihren maximalen Wert erzielen. Die Deutsche Bank erwartet, dass der Renditeanstieg in der Eurozone in der zweiten Jahreshälfte ausläuft. „Aktien bleiben aufgrund niedriger Bewertungen bei stabilen Unternehmensgewinnen eine interessante Anlageoption“, so Schattenberg.
Die Gretchenfrage Aktien
Was Aktien betrifft, empfiehlt Benjamin Melman, Global CIO bei Edmond de Rothschild Asset Management, den Healthcare-Bereich, „da der attraktiv bewertete Sektor vom strukturellen Wachstum profitiert“. Weiterhin „hervorragende Chancen“ bieten auch Unternehmen, die die Big-Data-Revolution vorantreiben.
Konkret wird auch Marcus Poppe, Portfolio Manager Global Equities bei DWS: Die Energiekrise biete „langfristig Rückenwind“ für Energie-Effizienz-Ermöglicher. Im Hause setze man auf den „Ausgleich zwischen kurzfristigen Chancen und strukturellen Trends“. Europa sei punkto Aktien die „taktisch präferierte Region“.
François Rimeu, Senior Strategist bei La Française AM, hingegen geht davon aus, dass Investment-Grade-Securities 2023 „relativ attraktive Renditen“ bieten könnten. Bei Aktien sei man vorsichtig, ebenso gegenüber dem risikoreicheren Teil des High-Yield-Marktes. Die Inflation sei „schwer abzuschätzen“, so frage sich etwa: Wird sich China wieder öffnen und seine Null-Covid-Politik beenden?
Rückschlaggefahren bei Rezession
Laut Erste Asset Management-Chef Heinz Bednar könnte die globale Konjunktur einer erwarteten Rezession entkommen. Nach den Marktkorrekturen sieht er im Jahr 2023 „Potenzial für Fonds“, die Inflation könnte ihren Wendepunkt erreichen, und Anleihen-Renditen – insbesondere die von Unternehmensanleihen – seien „so attraktiv wie schon lange nicht mehr“. Angesichts der „Rückschlaggefahren bei einer Rezession“ seien Investitionen über Fondssparpläne, „wo man sich den Einstiegskurs glättet, eine gute Variante“. Bezahlt machen könnte sich auch eine Anlage in Mischfonds. Wenn der Dollar an Gewinn abgebe, könnte 2023 Gold glänzen.
Clemens Lengauer, Vermögensverwalter Private Banking der Volksbank Vorarlberg, rät bei Aktiengeschäften „in Tranchen“ einzusteigen, weil: „Den perfekten Zeitpunkt erwischt man ohnedies nicht.“ Er beobachte, dass Kunden immer öfter die „Kombination von Dividendenaristokraten und nachhaltiger Veranlagung“ nachfragen.
Milde Rezession in Österreich
Abschließend seien die wichtigsten Erkenntnisse der Oesterreichischen Nationalbank (OeNB) referiert, die noch im alten Jahr die „Gesamtwirtschaftliche Prognose“ für Österreich 2022 bis 2025 präsentierte. „Wenn die deutsche Wirtschaft einen Husten hat, hat die österreichische eine Verkühlung“ – gelte schon lange nicht mehr, so der Leiter des Konjunkturreferats, Gerhard Fenz, in der Pressekonferenz. Der Abschwung werde hierzulande schwächer ausfallen als bei unserem nördlichen Nachbarn, zumal dieser viel stärker vom Wohl und Wehe der chinesischen Wirtschaftsmacht abhängig sei.
Für Österreich erwartet Gouverneur Robert Holzmann einen robusten Arbeitsmarkt und sinkende Strompreise (freilich befeuert durch staatliche Zuschüsse), die Weltwirtschaft werde sich wohl ab übernächstem Jahr wieder erholen.
Konkrete Zahlen: Das heimische Wirtschaftswachstum werde 2023 mit 0,6 % nur schwach positiv ausfallen. An Negativa seien zu vermelden: Im Wohnbau gehe ein langer, ausgeprägter Zyklus mit zuletzt hohen Zuwachsraten zu Ende, und das Wachstum der Wohnbauinvestitionen drehe ins Minus.
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Ausblick 2023: Die wichtigsten Trends für die Aktienmärkte
(22.12.) Eine Auswahl an GAM-Fondsmanagern gibt eine aktuelle Einschätzung zum Ausblick für 2023 für ihre jeweiligen Anlageklassen.
Europäische Aktien: Neues Umfeld hat begonnen von Niall Gallagher, Investment Director, European Equities
2022 war ein turbulentes Jahr, in dem die Energiepreise in Europa nach dem Einmarsch Russlands in der Ukraine ein noch nie dagewesenes Niveau erreichten und in dem die Inflation nach einer längeren Pause zurückkehrte. Auch wenn diese zwei Faktoren noch nicht vollständig überwunden sind, sind wir der Ansicht, dass sich die Aktienmärkte bereits weitgehend angepasst haben. Europa wird mittlerweile mit dem 11-fachen der zukünftigen Gewinne bewertet, gegenüber einem langfristigen Durchschnitt von 14. Diese drastische Herabstufung des Marktes in Verbindung mit dem bereits deutlichen Anstieg der Anleiherenditen und den Währungsanpassungen deuten darauf hin, dass ein Großteil der erforderlichen Anpassungen bereits erfolgt sein könnte.
Unseres Erachtens sind die Märkte in ein neues Umfeld eingetreten, in dem sowohl der Inflationsdruck – und damit die Zinsen – als auch die Energiepreise, insbesondere in Europa, weiterhin auf hohem Niveau verharren werden. Allerdings wurde die Widerstandsfähigkeit der Gewinne europäischer Unternehmen in der Berichterstattung des Jahres 2022 deutlich. Und obwohl wir für 2023 einige Schwachpunkte erwarten, betrachten wir diese Widerstandsfähigkeit insgesamt weiterhin als gegeben, was überwiegend auf den Erfolg europäischer Unternehmen auf den internationalen Märkten zurückzuführen ist. Mehr als 50 % der Erträge werden außerhalb Europas erzielt. Der Finanzsektor bleibt für uns ein Schlüsselsektor, da sich höhere Zinsen in einer verbesserten Rentabilität niederschlagen. Eine Mischung aus gut kapitalisierten Bilanzen, die von der Regulierung nach der globalen Finanzkrise profitieren, und geringer verschuldeten Verbrauchern bedeutet zudem, dass wir insgesamt nur mit einem geringen Abschmelzen der Kreditbestände rechnen. Der Energiesektor bleibt ebenfalls ein Schwerpunkt, da wir von mittelfristig höheren Energiepreisen ausgehen und die Unternehmen, die sich von fossilen Brennstoffen auf alternative Energiequellen umstellen, als Schlüsselfaktoren für die weitere Entwicklung der Energiewirtschaft betrachten.
Der technologische Wandel setzt sich fort; wir suchen ständig nach Unternehmen, die von den strukturellen Verschiebungen profitieren. Dazu zählt der Wechsel von Offline zu Online, der sowohl für ausgewählte Einzelhändler, die diese schockartige Umstellung erfolgreich gemeistert haben, als auch für den Fintech-Sektor positiv ist. Digital 4.0 wird weiterhin das Wachstum in den Bereichen Cloud Computing, Internet der Dinge, 5G und digitale Produktion vorantreiben, und Halbleiter werden weiterhin im Mittelpunkt dieses Wachstums stehen, in dem europäische Unternehmen weltweit führend sind.
Und schließlich scheint Asien endlich die strengen Covid-«Lockdowns» hinter sich zu lassen, was erneut eine kontinuierliche Ausdehnung der Mittelschicht ermöglichen dürfte, die bis zum Jahr 2030 zwei Drittel der weltweiten Mittelschicht ausmachen wird. Wir gehen davon aus, dass dieser Trend am besten durch die erfolgreichsten Luxusunternehmen mit Hauptsitz in Europa abgebildet werden kann.
Disruptive Trends: Digital 4.0 und Cybersicherheit im Fokus Von Mark Hawtin, Investment Director, Disruptive Growth Equities
Wir beobachten seit geraumer Zeit, dass Wachstumsaktien in Zeiten von Zinserhöhungen eine relativ gute Wertentwicklung zeigen, jedoch in Zeiten erhöhter Unsicherheit bezüglich der Zinsentwicklung und des geeigneten Ausstiegs aus dem Zinsmarkt tendenziell schlecht abschneiden. Dies hat sich für den überwiegenden Teil des Jahres 2022 bestätigt. In diesem Zeitraum konzentrierten wir uns darauf, Risiken zu mindern, indem wir das Muster der Marktaktivität analysierten und die Kapitalbindungszeit verkürzten. Die Anpassung des Marktes an das neue Zinsumfeld in Verbindung mit einer verbesserten Transparenz der Entwicklung und der Höhe der US-Zinssätze sollte es den Marktteilnehmern nun ermöglichen, sich wieder auf die Fundamentaldaten zu konzentrieren. Die Aussichten für disruptive Entwicklungen und die Ausbreitung einer immer stärker digitalisierten Welt bleiben äußerst positiv. Dies wird wie immer die Kluft zwischen Gewinnern und Verlierern verstärken und somit die Alpha-Generierung sowohl durch die Suche nach den Gewinnern als auch durch die Vermeidung von Verlierern mit unterdurchschnittlicher Performance erhöhen.
Auch im Jahr 2023 werden wir uns auf die vielversprechenden Chancen konzentrieren, die Technologiewerte bei der Herausforderung etablierter Unternehmen bieten, wie beispielsweise im Bereich Digital 4.0, der für uns ein Schlüsselthema bleibt. Im Teilsektor Konnektivität haben Bedenken über eine nachlassende Nachfrage in der Branche und ein Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage zu einer starken Abwärtsspirale bei hoher Volatilität in der Halbleiterindustrie geführt. Wir sehen jedoch erhebliches Aufwärtspotenzial für einige Titel, sobald sich dieses Ungleichgewicht stabilisiert.
Das Metaverse und seine Einführung wurde zu einem wichtigen Diskussionspunkt, da es sich noch in den Kinderschuhen befindet. Wir sehen die Einführung als längerfristiges Thema, gehen aber davon aus, dass die Cashflow-Generierung der Infrastrukturtechnologien des Metaverse, wie ARVR und Blockchain, ein kurzfristiger Vorteil sein wird, der unsere langfristige positive Haltung insgesamt untermauert, während wir kurzfristige Stimmungsschwankungen im Auge behalten. Darüber hinaus bleibt Cybersicherheit ein aktives Anlagethema, da die Verbraucherbedürfnisse nach Schutz ihrer Online-Privatsphäre, ihres Heimnetzwerks sowie ihrer Geräte das Wachstum vorantreiben. Wir suchen nach Unternehmen, die gut positioniert sind und über Cross-Selling-Möglichkeiten verfügen, um die Online-Vernetzung zu erhöhen.
China erlebte ein schwieriges Jahr, bleibt jedoch ein Anlageschwerpunkt. Wir haben in der Vergangenheit in China erhebliches Alpha generiert und stufen die aktuellen Makrotrends als unterstützend für die Aktienmärkte ein, deren Bewertungen unverändert weit unter den historischen Vergleichsniveaus liegen. Wir bevorzugen qualitativ hochwertige Internetunternehmen mit attraktiven Bewertungen und nachvollziehbarer Gewinnentwicklung, da die führenden E-Commerce-Anbieter ihre Marktdurchdringung ausbauen und die Rentabilität erneut in den Vordergrund stellen.
Schwellenländer: START-Aktien sollten FAANG übertreffen Von Tim Love, Investment Director, Emerging Markets Equities
Nach einem Kursrückgang um ein Drittel und einem 21 Monate andauernden unruhigen Abwärtstrend haben wir Anfang des dritten Quartals 2022 unser Engagement in Schwellenländern (EM) wieder erhöht. Sowohl qualitative als auch quantitative Gesichtspunkte haben stark darauf hingedeutet, dass EM-Aktien einen antizyklischen Kaufzeitpunkt erreicht hatten. Obwohl wir auf relativer Basis zu den Aktien der entwickelten Märkte (DM) richtig gelegen zu haben schienen, war erst Mitte November 2022 ersichtlich, dass sich ein absoluter Preisanstieg bei EM-Aktien einstellt.
Die Logik für die Realisierung eines erheblichen Aufwärtspotenzials bei den Bewertungen der Schwellenländeraktien liegt in einer Reihe von Schlüsselkatalysatoren, die der Anordnung in einer Spiralfeder gleichen. Die Katalysatoren: Ein Höchststand des US-Dollars sowie neue politische Unterstützung in China, insbesondere für Immobilien und Banken, in Kombination mit einer zumindest teilweisen Aufhebung der Covid-Beschränkungen in China nach dem Nationalkongress der Kommunistischen Partei Chinas im November 2022 (NCCCP). Eines dieser Ereignisse würde unserer Meinung nach den Aufwärtstrend der EM-Aktien im Jahr 2023 erheblich vorantreiben, unterstützt durch robuste und reformierte EM-Aktiengewinne, die zu einem starken Gewinnwachstum pro Aktie (EPS) im Jahr 2023 führen würden, in Kombination mit einer massiven potenziellen Ausweitung der EM-Aktienbewertungen.
Das Ertragspotenzial: 15 Jahre unruhige Seitwärtsentwicklung sind vergleichbar mit dem Zusammendrücken einer gespannten Feder. Es herrschen mittlerweile eine Reihe positiver Risiko-/Ertragschancen (Marktabschwung, Covid, Ölpreisschock), die sich mit der Situation der Jahre 2003 bis 2008 (nach den Asienkrisen, SARS) decken. Relative und absolute Renditen ermutigen dazu, diesen vielversprechenden zyklischen und säkularen Einstiegspunkt erneut zu prüfen. Geringe Liquidität, geringe Positionierung und negative Stimmung könnten unserer Ansicht nach 2023 ein attraktives Risiko-/Ertragsverhältnis für EM-Aktien schaffen. Abschottung ist das Motto von gestern.
Grüne Bausteine für die Zukunft
Infrastruktur und ESG passen gut zusammen, meint man bei Franklin Templeton.
Harald Kolerus. Wir leben in höchst unsicheren, schwierigen Zeiten – das muss nicht viel weiter ausgeführt werden. Ruhe ins Chaos können hingegen Infrastruktur-Investments bringen, die außerdem Nachhaltigkeits-Effekte ausspielen. Das meint Karl Banyai, Sales Director Franklin Templeton Austria. Der Börsen-Kurier hat den Experten zum Gespräch gebeten.
Der Stabilisator
Banyai sagt: „Geopolitische Unsicherheiten, hohe Inflation und die Energiekrise, bzw. Angst vor dem ersten Winter ohne russisches Gas bestimmen die Lage.“ Zwar scheinen die Gasspeicher in Österreich und Europa dem Vernehmen nach mittlerweile gut gefüllt, Hochstimmung will allerdings unter Investoren logischerweise nicht aufkommen. „Die Anleger sind ob Ukraine-Krieg und dessen Auswirkungen natürlich verunsichert“, so der Experte. Aktien erfreuen sich zwar immer wieder gewisser Zwischen-Spurts, ob das der erhoffte Aufwärtstrend ist, bleibt aber fraglich. Jedenfalls bestimmt Volatilität die Märkte, woran sich so schnell nichts ändern wird. Ban-yai sieht in diesem Umfeld Infrastruktur als stabilisierende und gleichzeitig nachhaltige Anlageklasse mit Potenzial: „Infrastruktur-Unternehmen können höhere Preise weitergeben und somit als Inflations-Hedge und außerdem der Diversifikation dienen.“
Breite Streuung
Diese Vorteile nützen kann man aus dem Hause Franklin Templeton mit dem „Legg Mason ClearBridge Infrastructure Value Fund“ (ISIN: IE00BDR6ZR32). Banyai stellt das Produkt vor: „Um Risken zu minimieren veranlagt der Fonds in keine Infrastruktur-Projekte, sondern in ausgesuchte börsennotierte Unternehmen rund um den Globus, was für breite Streuung sorgt. Ebenfalls der Diversifikation dienlich ist das Investment in unterschiedliche Sektoren wie Gas-, Strom- und Wasserversorger, Mautstraßen, Flughäfen, Eisenbahn, Erneuerbare Energien, 5G und Kommunikation. In der Regel finden sich 30 bis 60 Aktien im Portfolio.“ Der Fonds kann zu einem geringeren Anteil auch in Derivate investieren, um Risiko und Kosten zu verringern, oder um zusätzliches Wachstum bzw. Erträge zu erwirtschaften.
Im Portfolio finden sich also nicht nur klassische Branchen wie Straße oder Schiene, sondern sozusagen Vertreter der Next Generation im Infrastrukturbereich. Der Spezialist erklärt: „Energie-Transformation stellt einen unglaublichen Trend dar, von den Regierungen werden etwa in den USA und Europa milliardenschwere Investments in den Umbau des Energiesystems in Richtung Nachhaltigkeit beschlossen. Weitere Mega-Trends sind 5G und Digitalisierung, klar dass wir uns hier an führenden Unternehmen beteiligen.“
Spannende Aktien
Welche Titel landen nun im Portfolio? Die drei größten Positionen sind derzeit NextEra Energy, American Tower und Transurban Group. Banyai: „Man sieht, dass hier Unternehmen mit an Bord sind, die vielleicht nicht jeder Anleger so gut kennt, was aber nichts an deren Attraktivität einbüßt.“
NextEra aus den USA ist beispielsweise der weltweit größte Produzent von Wind- und Solarenergie. Zudem gehört der Konzern zu den Marktführern bei der Energiespeicherung – mit mehr Kapazitäten als jedes andere US-Unternehmen. So trägt es zu einer effizienteren Energienutzung bei. „Darüber hinaus ist NextEra ein ‚klassischer‘ Versorger – das bringt die Stabilität des regulierten Vertragsgeschäfts“, so der Experte.
Ein weiterer „Klassiker“ aus dem Portfolio ist Union Pacific, eine der größten US-Eisenbahngesellschaften mit mehr als 32.000 Meilen an Gleisen in 23 Bundesstaaten. In diesem Sinne könnte man sagen: Bei Infrastruktur-Investments läuft alles auf Schiene.
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Schweiz – Fels in der Brandung
Ein Kommentar von Birgitte Olsen, der Leiterin des Bellevue Entrepreneur Teams.
Red. Im Vergleich zur Eurozone ist die Lage in der Schweiz mit einem relativ moderaten Inflationsniveau von 3 % weitaus weniger problematisch. Ein rigoroses Entgegenwirken der SNB nach dem aktuellen Zinsschritt auf 1 % ist somit wahrscheinlich nicht erforderlich. Das Wirtschaftswachstum für 2023 wird sich von rund 2 % in 2022 erstmal abschwächen und sich in einer Spanne von 0,5 bis 0,8 % bewegen. Ein Rezessionsszenario dürfte vermieden werden.
Größte Treiber der eidgenössischen Wirtschaft ist der Dienstleistungssektor, und dieser verhält sich durchaus respektabel. So befindet sich der Dienstleister-Einkaufsmanagerindex in November mit einem Niveau von 53,5 immer noch im Expansionsmodus und weit über den 48,5 Punkten im Euroraum. Der Arbeitsmarkt bleibt stark und fast jedes dritte Unternehmen verzeichnet offene Stellen. Private Haushalte sollten nach der Post-Covid-Aufholjagd von 2022 im nächsten Jahr ihre Ausgaben etwas mäßigen, der Konsumtrend bleibt jedoch positiv. Der Lackmustest dazu erfolgt im 1. Quartal 2023, wenn die Haushalte ihre, wohl angekündigten, erhöhten Stromrechnungen zu Augen bekommen.
Nichtsdestoweniger sind die Schweizer Unternehmen als Europas „Werkbank“ der europäischen und insbesondere der deutschen Konjunktur ausgesetzt. Die externe Nachfrage wird 2023 schwächeln und der Industriesektor könnte dies zu spüren bekommen.
Auftragsbücher auf Rekord hohem Niveau
Eine Besonderheit bilden die extrem vollen Auftragsbücher der Industrieunternehmen. Störungen entlang der Logistik- und Lieferketten haben in den letzten zwei bis drei Jahren eine reibungslose Produktion verunmöglicht. Zuerst durch Covid und die Lockdowns, dann durch den Krieg in der Ukraine kam es zu einer zunehmenden Diskrepanz zwischen Angebot und der boomenden Nachfrage. Auch Schweizer Unternehmen berichten, wie die Organisation der Produktion zur täglichen Herausforderung geworden ist. In der Folge konnte seit mehreren Quartalen nicht das geliefert werden, was ursprünglich bestellt worden ist. Aktuell beträgt z.B. der Auftragsbestand im deutschen verarbeitenden Gewerbe laut IFO fast fünf Monate, dies verglichen mit ei-nem historischen Durchschnitt von 2,9. Das bedeutet, dass das Aktivitätsniveau hoch bleiben kann, auch wenn der kommende Bestelleingang sich normalisiert und einen gewissen Schutz vor der sich verlangsamenden Wirtschaft bietet.
Innovation schützt
Zum 12. Mal in Folge belegte die Schweiz den ersten Rang im Global Innovation Index, welcher jährlich von der Weltorganisation für geistiges Eigentum (WIPO) veröffentlicht wird. Innovation, Agilität sowie eine stabile politische und wirtschaftliche Lage schaffen ein bestmögliches Umfeld für den nachhaltigen Erfolg von Schweizer Unternehmen. Um trotz der starken Währung und den höheren lokalen Kosten kompetitiv zu bleiben, haben Schweizer Unternehmen es verstanden, auf Innovation zu setzen, denn diese verleiht Preissetzungsmacht, mehr Wachstum und eine höhere Profitabilität. Insbesondere kleinkapitalisierte und eigentümergeführte Unternehmen stehen in ihrer Nische häufig an der Spitze des internationalen Wettbewerbs. Starke Bilanzen, ein hohes Kostenbewusstsein, langfristige Perspektive und effiziente Managementstrukturen zeichnen dieses Segment aus.
Stock Picking
Die diesjährige Marktkorrektur ist vorwiegend auf eine Anpassung des Kurs-Gewinn-Verhältnisses (KGV) nach unten aufgrund des höheren Zinsniveaus zurückzuführen. Dieser „Reset“ war durch-aus notwendig, da die Zinslandschaft der letzten zehn Jahre für stark expandierende KGVs gesorgt hatte. Die Inflation bzw. die langfristigen Zinsen scheinen sich auf aktuellem Level zu stabilisieren und werden in der nahen Zukunft nicht mehr als Treiber der Bewertung dienen. Einzig der Erfolg der unternehmerischen Strategien und die Gewinn- und Cashflow-Entwicklung wird zum Katalysator der Aktienperformance.
Zu unseren bevorzugten Megatrends zählt der globale Infrastruktur-Investitionszyklus. Die nächste Dekade bringt einen Umbruch mit sich. Nach Jahren der Globalisierung findet ein Umdenken statt. Die neuen Themen sind: Deglobalisierung, „Reshoring“, Vereinfachung der Lieferketten und mehr Kontrolle über die Wertschöpfung. Das alles bringt einen enormen Bedarf nach Digitalisierung und Automatisierung mit sich. Sehr spannend bleiben ebenfalls die Themen Energiewende und
-sicherheit sowie Elektrifizierung. Der Staat mischt auch kräftig mit und möchte die Energie (Selbst-) Versorgung zukünftig besser sicherstellen. Unternehmen, die dafür Lösungen sowie innovative Dienstleistungen und Technologien anbieten, werden auch in Form von höherer Preissetzungsmacht und weniger Anfälligkeit gegenüber Inflationsrisiken profitieren können. Zu den Schweizer Unternehmen, die in diesem Zusammenhang gut positioniert sind, zählen unter anderen Burckhardt Compression, Huber+Suhner, Gurit, LEM, Infineon, VAT und U-blox.
Peak Inflation und FED Pivot? Mittelfristig Investieren!
Wie steht es nun mit der Inflation? Frachtraten, Metallpreise und Energiekosten sind zwar von ihren Höchstwerten deutlich zurückgekommen, trotzdem braucht es noch Zeit, bis diese Entwicklung Unternehmen wie auch Konsumenten erreicht. Darüber hinaus bekommen die Unternehmen langsam die steigenden Lohnkosten zu spüren, dies jedoch ist viel weniger ein Problem für die Schweizer Wirtschaft, denn hier ist die Lohninflation strukturell tiefer.
Fakt ist, dass Inflation und Leitzinsen in den USA wie auch in Europa etwas weniger schnell steigen. Jerome Powell, der Chef der US-Notenbank, hat sich zuletzt dahingehend geäußert, dass jetzt kleinere Zinsschritte adäquat sind, jedoch sei es verfrüht, an eine Kehrtwende zu glauben. Peak Inflation in den USA könnte somit hinter uns liegen. So bringt jede Krise sein neues Vokabular. 2022 lernen wir „Peak Inflation“ und „FED Pivot“. Das Beobachten und Interpretieren jeder Notenbank Aussage und monatlichen Inflationsdatenpunkten mutiert zur Obsession. Jede kleine Bewegung in die gewünschte Richtung wird von den Märkten gefeiert, jedoch sind das meistens nur kurzfristige technische Reaktionen. Es wird getradet nicht investiert. Angesichts der trüben Nachrichtenlage braucht es etwas Mut mittelfristig zu investieren, aber auf eine zweijahres Perspektive sind viele aktuelle Bewertungen sehr attraktiv für einen selektiven Neueinstieg – auch in der Schweiz.
Bellevue Entrepreneur Swiss Small & Mid
Aktien, die in unsere Fondsportfolios aufgenommen werden, müssen bei den Qualitätsfaktoren – solide Unternehmensfinanzierung, gutes Management und intakte Wachstumsperspektiven – Topwerte liefern. Unser Bellevue Entrepreneur Swiss Small & Mid Fonds positioniert sich klar in dieser Kategorie. Das Portfolio, welches rund 40 Positionen umfasst, zeigt folgende qualitative Eigenschaften: Tiefe Verschuldung (Net Debt/Ebitda 0.1x), hohe Ebitda-Marge von 21 % und attraktiver Return on Equity (ROE) von 21 %.
Foto: Bellevue
Unternehmen und ihre soziale Ader
Konzerne sind längst nicht mehr nur profitorientiert.
Christian Sec. Für Unternehmen ist soziales Engagement und Spenden nicht mehr nur auf die Adventzeit beschränkt. Etwa für Firmen, die eine starke Präsenz in der Ukraine haben, besteht gerade in diesen Zeiten ein starker Fokus, in dieser Region zu helfen.
Wie beispielsweise die Vienna Insurance Group (VIG), die mit drei Gesellschaften und rund 1.400 Mitarbeitenden in der Ukraine vertreten ist. Bereits unmittelbar nach Kriegsausbruch haben die Gesellschaften der VIG Wohnungen für Mitarbeiter und deren Familienangehörige organisiert und ausgestattet. Mehr als 600 Menschen konnten so, laut Unternehmen, untergebracht werden. Auch ein Hilfsfonds, der „VIG Family Fund“, für die Ukraine mit einer Dotation von 5 Mio Euro wurde eingerichtet. Aufgrund von Einzahlungen durch Gesellschaften des Konzerns und Mitarbeitern ist das Fondsvolumen auf mittlerweile 7 Mio Euro angewachsen. Mit dem Geld wird betroffenen Familien der ukrainischen Gesellschaften beim Wiederaufbau ihrer zerstörten Wohnungen und Häuser sowie bei kriegsbedingten persönlichen Härtefällen geholfen. So wurde eine Auszahlung für einen Mitarbeiter geleistet, der durch einen Bombenangriff schwer verletzt wurde und eine Hüftprothese benötigt.
Der Stahlkonzern Voestalpine hat wiederum für diverse Projekte im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg insgesamt 1,25 Mio Euro für Hilfsprojekte gespendet. Unter anderem half die Steel Division des Konzerns, die eine Geschäftsbeziehung mit der ukrainischen Gemeinde „Horischni Plawni“ verbindet, der betroffenen Region mit einer Spende von 250.000 E.
Auch die OMV hat im Zuge der Ukraine-Krise einen beträchtlichen Anteil gespendet. Dabei wurden laut Auskunft NGOs wie z.B. SOS Kinderdorf, Caritas und Rotes Kreuz unterstützt.
Nicht nur Ukraine
Insgesamt fokussiert sich das soziale Engagement der OMV aber auf langfristige Kooperationen wie „Cape 10“, einer Organisation, die Menschen unterstützt, die unverschuldet (z. B. krankheitsbedingt), in Not geraten sind. Ein anderes Projekt, das die OMV unterstützt, ist der Klimaforschungswald, ein Projekt aus Österreich, das sich der Aufforstung von Wäldern widmet. Insgesamt investierte der Ölkonzern im Jahr 2021 18,4 Mio Euro in Community- und Sozialprojekte.
Der Maschinenbauer Andritz organisiert seine sozialen Hilfen dezentral an den weltweiten Standorten mit individuellen Aktivitäten, die zum Teil lokal tätige, zum Teil aber auch global tätige Hilfsorganisationen unterstützen. Spendenbeträge will das Unternehmen jedoch keine nennen.
Für den Baustoffproduzenten Wienerberger ist bereits seit 2012 sicheres und leistbares Wohnen ein wichtiges Anliegen. Das Unternehmen unterstützt diesbezüglich zusammen mit der internationalen Hilfsorganisation „Habitat for Humanity“ Sozialprojekte in verschiedenen Ländern und hilft bei der Umsetzung beim Bau von neuen Wohnungen für in Not geratene Familien.
Bei der Uniqa sind besonders jene Projekte ein Anliegen, bei denen auch persönliche Unterstützung gefragt ist. So packen bei vielen Projekten die eigenen Mitarbeiter an und stellen ihre Zeit zur Verfügung.
Seit 2013 ermöglicht der Versicherer allen Mitarbeitern, den Uniqa-Sozialtag zu nutzen. An einem zusätzlichen freien Tag wechseln dabei die Mitarbeiter die Perspektive und helfen mit bei sozialen Initiativen ihrer Wahl. Unter dem Titel „Soziale Geburt“ unterstützt die Uniqa-Privatstiftung auch das St. Josef Krankenhaus in Wien dabei, sozial bedürftigen Frauen in der Schwangerschaft und bei der Geburt zu helfen. Und last but not least ist die Uniqa auch Hauptsponsor der Special Olympics Österreich.
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Talsohle bei Aktien abwarten
Die Markteinschätzung für 2023 von Sonja Laud, CIO von Legal & General Investment Management.
(12.12.) „Wir sehen das Jahr 2023 als ein Übergangsjahr – es herrscht viel Ungewissheit in Bezug auf den Konjunkturzyklus. Das könnte zu einem Wechsel von einer defensiveren Positionierung zu einem stärkeren Engagement in Risikoanlagen führen.
Wir bleiben bei Aktien und Unternehmensanleihen vorerst untergewichtet. Wir beobachten den Markt aber sehr genau, da wir davon überzeugt sind, dass es irgendwann im Jahr 2023, wenn in den Gewinnrevisionen genügend Negativität eingepreist ist, bessere Einstiegsmöglichkeiten in Aktien geben wird.
Wir glauben, dass die Gewinnrevisionen noch nicht weit genug an eine Rezession angepasst sind. In Anbetracht der Marktschwäche in diesem Jahr wäre es einfach anzunehmen, dass jetzt ein günstiger Zeitpunkt für ein Engagement in Aktien sei, doch dieser Zeitpunkt ist noch nicht gekommen. Wir sind der Meinung, dass die Aktienmärkte die Talsohle erreichen werden, bevor die Wirtschaft ihren Tiefpunkt erreicht, so dass man nicht auf den schwächsten Moment im Wirtschaftszyklus warten sollte, sondern auf den Zeitpunkt, an dem die Gewinnrevisionen nach am niedrigsten sind.
Wir gehen davon aus, dass sich die Risikoaufschläge für Unternehmensanleihen im Durchschnitt noch etwas ausweiten könnten, vor allem wenn es zu einem weiteren Ausverkauf an den Aktienmärkten kommt. Das Risiko so genannter „Fallen Angels“, also Unternehmensanleihen mit Investment Grade Status, die auf High Yield herabgestuft werden, ist unserer Ansicht nach jedoch begrenzt. Der einfache Grund: Die Unternehmen mussten sich bereits während der Corona-Pandemie an ein wirtschaftlich herausforderndes Umfeld anpassen. Das heißt, wir haben es heute mit weitaus widerstandsfähigeren Geschäftsmodellen zu tun, die weniger von Herabstufungen bedroht sind.
Die Inflation war das bestimmende Thema für die Märkte im Jahr 2022. Sie wird auch im Jahr 2023 ein sehr wichtiges Thema bleiben. Die Märkte wollen wissen, wann der höchste Stand der Inflation erreicht ist, um einen Maßstab zu haben, wohin sich die Märkte von da an entwickeln werden.
Wir erwarten eine Rezession in Europa und in den USA. Die Faktoren, die dazu führen, sind jedoch unterschiedlich. Wir denken, dass das Vereinigte Königreich und Kontinental-Europa weiterhin am stärksten unter der Energiekrise leiden werden, auch wenn dies teilweise durch fiskalische Unterstützung seitens der Regierungen ausgeglichen werden wird.“
Droht eine weitere Teuerungswelle?
Nach rückläufigen Inflationsraten könnte es schlagartig mit der Entspannung wieder vorbei sein.
Michael Kordovsky. Dass vergangene Hochinflationsphasen durch- aus über mehrere Jahre anhalten können, hat die Geschichte gezeigt. Derzeit herrscht in der Einschätzung der weiteren Inflationsentwicklung ein Streit zwischen empirischen Betrachtern und Analysten, die im Kontext des aktuellen Wirtschaftsabschwungs von niedrigeren Inflationsraten und in der Folge von einem baldigen Ende der Leitzinsanhebungen der US-Notenbank (Fed) und der Europäischen Zentralbank (EZB) ausgehen. Was erscheint realistisch?
Zumindest kurzfristige Entspannung
Diesbezüglich geben aktuelle Inflationsdaten Auskunft: Fakt ist beispielsweise, dass die Inflationsrate in den USA im Juni mit 9,1 % ihren vorläufigen Höhepunkt erreicht hat und bis Oktober wieder kontinuierlich bis auf 7,7 % zurückgegangen ist. Das war die niedrigste Jahresteuerung seit Jänner des heurigen Jahres. Die Kerninflationsrate ohne die volatilen Komponenten Nahrungsmittel und Energie ging von September auf Oktober von 6,6 auf 6,3 % zurück, nachdem sie im September ein 40-Jahres-Hoch erreicht hatte.
Energie- und Nahrungsmittelpreise waren vor wenigen Monaten noch besonders stark im Aufwind. Erdöl- und Erdgas-Preise waren zuletzt allerdings wieder rückläufig, was eine Entspannung der Headline-Inflation bewirkt, und zwar sowohl in den USA als auch in Europa.
Laut Schnellschätzung von Eurostat ging nämlich im November im Euroraum die Jahresteuerung von 10,6 auf 10 % zurück. Das ist der erste Rückgang seit Juni 2021 (damals von 2,0 auf 1,9 %). Am höchsten ist die Teuerung noch im Baltikum: Lettland verzeichnete 21,7 %, Estland und Litauen je 21,4 %. Höhere Energie- und Lebensmittelpreise belasten.
Hingegen weisen Spanien und Frankreich mit 6,6 bzw. 7,1 % die niedrigsten Inflationsraten im Euroraum auf. Vor allem in Frankreich herrschen bereits jetzt soziale Spannungen. Nun könnte sich die Situation zumindest zwischenzeitlich entspannen. Der Preisauftrieb der bisherigen Preistreiber Energie und unverarbeitete Lebensmittel hat sich gemäßigt. Der Anstieg der im HVPI der Eurozone mit 10,93 % gewichteten Energiepreiskomponente ging von 41,5 % im Oktober auf 34,9 % im November zurück und der Preisanstieg bei unverarbeiteten Lebensmitteln ermäßigte sich von 15,5 auf 13,8 %.
Hingegen verharrte die Kerninflation (HVPI ohne Energie, Lebensmittel, Alkohol und Tabak) auf einem Hochpunkt von 5 % (November 21: 2,6 %), zumal zu-letzt die Preise für Industriegüter ohne Energie anzogen und in den Monaten Oktober und November jeweils um 6,1 % anstiegen. Ein Faktor sind dabei die Lohnkosten, deren stärkerer Anstieg infolge höherer Lohnrunden vor allem ab Jänner ihre Wirkung zeigen wird. Zwischenzeitlich für Entspannung sorgen die Erdölpreise: Brent-Öl ist auf Monatsbasis um 17 % gefallen (per 8.12.) und der Dieselpreis um 21 %, was auf Konjunkturschwäche hindeutet, denn aus China war wegen der Null-Covid-Politik mit keinem Nachfrageschub zu rechnen. Somit hat sich in der Industrie des Euroraums der Preisanstieg von September auf Oktober von 41,9 auf 30,8 % beruhigt. Ohne Energie lag das Plus im Oktober bei 14 % (September 14,5 %).
Erneute Inflationswelle?
Doch das ist bereits Vergangenheit. Die Industriemetallpreise explodieren gerade in Vorwegnahme einer Öffnung Chinas, das auf Druck von Massenprotesten nun die Corona-Politik auflockert. Mit einer kompletten Öffnung wird allgemein für das zweite oder dritte Quartal 2023 gerechnet. Dies sollte der Nachfrage nach Industriemetallen, insbesondere nach Nickel, das in der Batterieherstellung gebraucht wird, einen Schub verleihen. Binnen eines Monats sind die Preise für Zinn und Nickel bereits um 23,5 bzw. 28,7 % gestiegen (per 8.12.). Somit könnte die Entspannung an der Inflationsfront nach wenigen Monaten wieder vorbei sein.
Sollte darüber hinaus eine schnelle Lohn-Preis-Spirale in Gang gesetzt werden, ist ohnehin eine erneute stärkere Teuerungswelle vorprogrammiert. Das würde als Begleiterscheinung auch eine längere und stärkere Leitzins-Anhebungsreihe bedeuten, als ursprünglich erwartet wurde. Lediglich eine sehr strenge Rezession könnte dem noch Einhalt gebieten.
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Eine nachhaltige Welt auch ohne COP27
Der Klimagipfel brachte wenig Ergebnisse, die Energiewende schreitet dennoch voran.
Raja Korinek. Am 20. November ging die Weltklimakonferenz COP27 im ägyptischen Sharm el-Sheikh zu Ende. Für Klimaschützer waren die Ergebnisse enttäuschend. Zwar einigten sich die rund 200 teilnehmenden Staaten auf die Gründung eines Fonds für arme Länder, um die Folgen von Klimakatastrophen abzufedern.
Doch die vielen Kritiker hätten sich verstärkte Bemühungen zur Emissionsbekämpfung erhofft. Michael Lewis, Head of Research ESG bei der DWS, sagt, „der Fokus auf die Reduzierung von Treibhausgasemissionen zur Erreichung des 1,5-Grad-Ziels rückte in den Hintergrund und deutlichere Selbst-verpflichtungen für den Ausstieg aus der Nutzung von Kohle und anderen fossilen Brennstoffen blieben aus.“
Fortschritte auch ohne Klimagipfel
Droht der Kampf gegen den Klimawandel ins Hintertreffen zu geraten? Pauline Grange, Portfoliomanagerin bei Columbia Threadneedle Investments, sieht auch abseits der Konferenz Fortschritte. Sie verweist auf konkrete Beispiele: So deckten zwischen März und September 2022 Kapazitäten aus Wind- und Solarenergie gut 24 % des gesamten Energiebedarfs in der EU ab, der höchste Wert, der je in einem Sechsmonatszeitraum erreicht wurde.
Auch in anderen Regionen sieht die Columbia Threadneedle-Expertin positive Entwicklungen. In Indien etwa hat die Regierung einen neuen Klimaplan abgesegnet und sich verpflichtet, die Emissionsintensität seines Wirtschaftswachstums bis 2030 um 45 % (von zuvor 33 bis 35 %) gegenüber dem Stand von 2005 zu senken. Damit ist aber längst nicht Schluss. Obendrein sollen bis 2030 gut 50 % der Strom-erzeugung aus nicht-fossilen Energieressourcen – zu denen Sonne, Wind, Kernenergie und Wasserkraft zählen – hinzukommen.
US-Gesetz als wichtige Stütze
„Der bedeutendste Meilenstein bei der Unterstützung der Klimapolitik wurde allerdings in den USA mit der Verabschiedung des Inflation Reduction Act (IRA) im vergangenen August erreicht“, konstatiert Grange. Sie meint, aufgrund umfangreicher Steuergutschriften und finanzieller Unterstützung schaffe das Gesetz Anreize für den Ausbau sauberer Energien. Die Dekarbonisierung der US-Wirtschaft werde damit vorangetrieben. Konkret sollen in den kommenden zehn Jahren zumindest 369 MioUSD unter anderem in erneuerbare Energien, Elektrofahrzeuge und effiziente Gebäude investiert werden.
Freilich, IRA sorgt in der EU derzeit auch für reichlich Irritationen und zeigt einmal mehr, dass der Weg in die Nachhaltigkeit nicht immer ganz einfach ist. Der Vorwurf? Das besagte US-Gesetz verzerre den Wettbewerb. Bernd Lange, Chef des Handelsausschusses im EU-Parlament, fordert deshalb, dass die EU Klage gegen die USA bei der Welthandelsorganisation einbringt.
Chancen für Anleger
Dennoch eröffnet die Energiewende Anlegern reichlich Möglichkeiten. Grange verweist in diesem Zusammenhang auf Chancen etwa beim US-Versorger Nextera Energy (ISIN: US65339F1012). Der Konzern ist einer der weltweit größten Produzenten von Wind- und Solarenergie. Und könnte Grange zufolge vom IRA profitieren, da das Gesetz Investitionen in solche Bereiche ankurbeln dürfte.
Solche Energien müssen jedoch auch gespeichert werden, der Bedarf an Speicherkapazitäten werde damit ebenfalls zunehmen. Die Expertin räumt deshalb Batterieherstellern wie dem koreanischen Samsung SDI (US7960542030) gute Chancen ein, etwa um von der wachsenden US-Nachfrage nach stationären Batteriespeichern, aber auch nach Batterien für die Elektromobilität, zu profitieren.
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Zertifikate im Vorteil
Gerade in schwierigen Zeiten reüssieren viele Produkte.
Harald Kolerus. Eines ist klar: Überschäumender Optimismus wurde Anlegern in diesem Jahr großteils ausgetrieben. Ohne viele Worte steht hier natürlich der Ukraine-Konflikt im Vordergrund. Weiters haben die Highflyer der jüngeren Vergangenheit schmerzhaft „bluten“ müssen: Vor allem Technologie-Werte, die praktisch als Selbstläufer an der Börse galten, wurden auf den Boden der Realität zurückgeworfen. Nur ein Beispiel: Meta (früher Facebook) musste auf Sicht eines Jahres ein Minus von rund 65 % einstecken.
Differenzierte Investments
„Dass Aktien nicht immer nur weiter steigen können, diese Ansicht hat sich in jüngerer Vergangenheit wieder durchgesetzt. Es sind aber natürlich nicht alle Titel schlecht gelaufen. Im Gegenteil. Es kommt auf die richtige Auswahl und die passenden Instrumente an“, sagt Anouch Wilhelms (Foto), Zertifikate-Experte bei Société Générale, im Interview mit dem Börsen-Kurier. Wobei Zertifikate gerade in schwierigen Zeiten ihre Vorteile ausspielen, etwa dass auch auf fallende Kurse gesetzt werden kann. Mit Blick in die Zukunft meint Wilhelms: „Anlage-Zertifikate können nächstes Jahr noch deutlich an Bedeutung gewinnen. So machen die steigenden Zinsen kapitalgestützte Produkte wieder interessant. Weiters sehe ich den Trend stärkerer Differenzierung bei Investoren: Anstatt breiter Indizes werden vermehrt Themen-Zertifikate gekauft. Sie werden 2023 voraussichtlich eine große Rolle spielen.“
Weshalb Société Générale fleißig solche Produkte an den Markt gebracht hat und das auch weiter vorhat. Geplant sind Lancierungen im Zweimonats-Takt. Interessant sind hier z. B. die Bereiche Smart Mobility, Neue Energien, Wasser oder Wasserstoff. Und natürlich wurde auf die extreme Teuerung nicht vergessen: Das „Partizipations-Zertifikat auf Inflation“ (ISIN: DE000SN2F892) setzt auf Unternehmen, die bestimmte Kriterien erfüllen, um sich im Umfeld hoher Inflation besser behaupten zu können. Die Titel können etwa aus der Öl- und Gasindustrie, dem Konsumgüterbereich oder dem Sektor Grundstoffe stammen.
Am stärksten nachgefragt wurde laut Wilhelms in jüngerer Vergangenheit aber das „Partizipations-Zertifikat auf CO2“ (DE000SH755G8). Der Hintergrund ist klar: Steigende Meeresspiegel, schmelzende Gletscher und drohende Hitzewellen; der Klimawandel ist eine der größten Herausforderungen des 21. Jahrhunderts. Die Diskussion über die globale Erderwärmung führt dabei immer wieder auf einen Hauptverursacher zurück: CO2. Bei den Bemühungen, den Treibhausgasausstoß zu senken, spielt der Handel mit Emissionsrechten eine zunehmende Rolle, bei genanntem Produkt profitieren Anleger von steigenden CO2-Preisen.
Spielend gewinnen
Gewinnen kann man aber auch auf andere Art und Weise: Nämlich beim Online-Börsenspiel „Trader“ der Société Générale (der Börsen-Kurier berichtete schon mehrfach). Seit 2003 findet es jährlich im September statt, jeder Teilnehmer erhält zum Start zwei Depots á 100.000 E Spielgeld und kann damit acht Wochen unter realen Bedingungen Aktien, Zertifikate und Optionsscheine handeln.
Das Spiel ist kostenlos, die Teilnahme an keine Bedingungen geknüpft. Wer eine Top-Performance erspielt, wird dafür reich belohnt: Mehr als 23.000 Teilnehmer kämpften heuer um den Hauptpreis, einen Jaguar F-Pace. Den Sieger führte nicht zuletzt aktiver Handel mit Öl-Turbos zum Erfolg. Insgesamt wurden in diesem Jahr Gewinne im Wert von mehr als 100.000 Euro vergeben. Wer die Teilnahme verpasst hat, kann sich schon vorbereiten: Das nächste Börsenspiel wird im September 2023 starten. „Unsere Vorbereitungen laufen bereits“, so Wilhelms.
Foto: Société Générale
Weltkonjunktur trotz Abschwächung weiterhin widerstandsfähig
Ein Kommentar von Guy Wagner von der BLI – Banque de Luxembourg Investments.
(05.12.) Obwohl sich die Weltkonjunktur abschwächt, zeigt sie sich weiterhin widerstandsfähig, schreiben CIO Guy Wagner und sein Team in ihrem jüngsten monatlichen Marktbericht „Highlights“.
„In den USA scheint sich der Inlandsverbrauch sogar wieder leicht zu beschleunigen, da die Haushalte weiterhin auf ihre während der Pandemie gebildeten überschüssigen Ersparnisse zurückgreifen. Auch die Unternehmensinvestitionen bleiben robust dank hoher Gewinne, die erst am Anfang einer wahrscheinlichen Abschwungphase stehen“, sagt Guy Wagner, Chief Investment Officer (CIO) von BLI – Banque de Luxembourg Investments. „Im Euroraum stützen die staatlichen Erleichterungen zur Senkung der Energiekosten sowohl den privaten Verbrauch als auch die Industrieproduktion.“ In China hält die Konjunkturschwäche an, da ein Großteil der Wirtschaftstätigkeit nach wie vor durch die Null-Covid-Politik gelähmt wird, die trotz der Einführung einer breiten Palette von Maßnahmen zur Beendigung der anhaltenden Schwäche des Immobiliensektors eine deutliche Verbesserung verhindert. In Japan ging das BIP im dritten Quartal im Quartalsvergleich zurück, was größtenteils auf technische Faktoren zurückzuführen war, die zu einem einmaligen Anstieg der Importe beitrugen. Die meisten BIP-Komponenten, wie der Inlandsverbrauch, die Investitionsausgaben und die Exporte, stiegen hingegen an. „Da zwischen einer geldpolitischen Straffung und ihren Auswirkungen auf die Realwirtschaft in der Regel zwölf bis 18 Monate liegen, dürfte sich die Verlangsamung der Weltkonjunktur im Laufe des kommenden Jahres weiter verschärfen“, glaubt der luxemburgische Ökonom.
Abwärtstrend bei Inflation in den USA
In den USA scheint die Inflation einen Abwärtstrend einzuschreiten, nachdem sie im Juni mit 9,1 Prozent einen Höchststand erreicht hatte. Im Euroraum verlangsamte sich die Inflation zum ersten Mal nach 16 aufeinanderfolgenden Monaten des Anstiegs. Von Oktober bis November ging die Gesamtinflation von 10,6 Prozent auf 10,0 Prozent zurück.
Weitere Erhöhung der Leitzinsen in Europa und den USA erwartet
Sowohl in den USA als auch in Europa haben die US-Notenbank Federal Reserve und die Europäische Zentralbank eine Erhöhung ihres wichtigsten Leitzinses um 50 Basispunkte bei ihrer jeweiligen nächsten Sitzung Mitte Dezember in Aussicht gestellt. Ein solcher Schritt würde im Vergleich zu den vorherigen Erhöhungen um 75 Basispunkte auf beiden Seiten des Atlantiks eine Verlangsamung des Zinsanstiegs bedeuten. Guy Wagner: „Trotz der wahrscheinlichen Verlangsamung des Aufwärtstempos scheint ein Ende des Straffungszyklus der Zentralbanken noch nicht in Sicht zu sein.“
Rückgang der Zinsen an den Anleihemärkten
Die unerwartet niedrige Inflationsrate in den USA löste an den Anleihemärkten einen Rückgang der langfristigen Zinsen aus. Die Anleihemärkte des Euroraums folgten ihrem US-amerikanischen Pendant, wobei der zehnjährige Referenzzinssatz in Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien zurückging.
Weitere Erholung an den Aktienmärkten
Im November setzte sich die Erholung der Aktienmärkte fort, da die rückläufige Inflation die Hoffnung auf eine Verlangsamung des Zinsanstiegs der Zentralbanken und somit auf eine weiche Landung der Weltwirtschaft nährte. So stieg der MSCI All Country World Index Net Total Return in Euro im Laufe des Monats um 3,4 Prozent. Der Anstieg des in Euro ausgedrückten Index wäre weitaus höher ausgefallen, wenn er nicht durch den Aufschwung der europäischen Währung gebremst worden wäre. Der MSCI Emerging Markets Index legte sogar um 14,6 Prozent (in USD) zu, „was auf die Erholung der chinesischen Aktien nach ihrem Debakel im Oktober und die Hoffnung auf eine allmähliche Lockerung der strengen Null-Covid-Politik in China zurückzuführen ist“. Auf Sektorebene legten Materialien und Industrie am stärksten zu, während Energie und Gesundheit die ungünstigsten Entwicklungen verzeichneten.
Lukrative Bond-Renditen
Es lohnt sich, Papiere öffentlicher Emittenten und Unternehmen zu vergleichen.
Roman Steinbauer. In Europa kündigt sich noch keineswegs ein Ende der Zinsschritte der Notenbanken an. Festverzinsliche Anlageprodukte gewinnen laufend an Attraktivität. Die Finanzmärkte preisten unterdessen einen guten Teil weiterer Straffungen ein. Durch umfassend gestiegene Anleiherenditen lohnt es sich, Vergleiche zwischen Papieren öffentlicher Emittenten (wie Bund, Länder, Gemeinden) und dem Unternehmenssektor unter die Lupe zu nehmen. Zudem gewannen Obligationen mit kurzer Restlaufzeit gegenüber Langläufern enorm an Reiz (inverse Zinskurve). Darüber hinaus klafft das Risikoprofil mehrerer Sektoren zu den Konditionen der Schuldscheine weiterer Branchen zunehmend auseinander. Zum Unterschied vergangener Jahre erübrigt es sich, auf Titel diverser Schwellenländer zu schielen, da die Bandbreite der Ertragsmöglichkeiten in Europa größer wurde. Die Unbekannte für Investoren bleibt freilich, inwieweit die Geldentwertung die Erträge schmälert bzw. übertrifft. Doch ist einmal der Höhepunkt der Zinsstraffungen überschritten, winken am Bondsektor zu den Kupon-Zahlungen zusätzlich steigende Anleihen-Notizen.
Herangezogen seien die Renditen von österreichischen Bundesanleihen als Vergleichsparameter: Nimmt die Republik Geld mit einer Laufzeit von 10 Jahren auf, hat diese derzeit Kupons von 2,44 % zu bieten, um die Papiere bei Investoren unterbringen zu können. Abgesehen von niedrigeren Leitzinsen führt die hohe Kreditwürdigkeit der Schweiz dazu, hingegen nur mit einem Aufschlag von 1,05 % konfrontiert zu sein. Kaum ein Zinsrückfluss ist ebenso bei japanischen Staatstiteln (0,25 %) zu ergattern. Deutsche Papiere liefern 1,85 %, jene Schwedens 1,71 %, Frankreichs 2,29 %, Italiens 3,75 % Kanadas 2,78 % oder vergleichbare Australiens 3,35 %. Die Briten sind in der Lage, sich mit 3,15 % zu verschulden, US-Treasuries bieten 3,49 %, Tschechien hat 4,64 %, Polen 6,41 % zu entrichten. Mit höherem Währungs- und Bonitätsrisiko behaftete südafrikanische Staatsanleihen bringen bis zur Tilgung jährlich 10,81 %, russische 10,13 %, brasilianische 12,57 % oder chilenische Bonds 5,33 % ein.
Industrie- und Immo-Papiere
Im Stahlsektor erzielen Zeichner der Thyssenkrupp mit einer Restlaufzeit von nur 14 Monaten (Kupon, 2,875 %, Laufzeit bis 02/2024, ISIN: DE000A2TEDB8) 3,61 % p.a. Papiere der Voestalpine mit einer Tilgung in 23 Monaten (1,375 %, LZ 11/2024, AT0000A1Y3P7) lassen dem Depot p.a. 3,49 % zufließen. Gläubiger global agierender Unternehmen, wie der 3M Corp. (DL-Notes 2019/29, US88579YBJ91) erreichen eine Rendite von 4,75 %. Anleihen der Hochtief AG (1,75 %, LZ 07/2025, DE000A2LQ5M4) erreichen 3,23 %, jene der
CA Immo (Fälligkeit 02/2027, Kupon 0,875 %, Notiz 80 %, XS2099128055) hingegen sogar 6,20 %. Knapp an diese Schwelle kommen ebenso UBM-Valoren (2,75-%-Kupon, LZ 11/2025, AT0000A2AX04) mit 4,98 % heran. Ein Blick auf den im Dax gelisteten Branchenriesen Vonovia zeigt, dass die 5-%-Kupon-Anleihe (2022/30, DE000A30VQB2) des Konzerns unterdessen 4,53 % abwirft.
Ist weiters eine höhere Risikobereitschaft vorhanden, bieten sich durchaus Chancen, der hohen Inflationsrate eine adäquate Auswahl entgegenzusetzen: Mit 6-%-Kupons ausgestattete Bonds der Douglas GmbH (LZ 04/2026, XS2326497802) bringen jährlich 12,6 %. Dieser Satz wird von Scheinen der TUI Cruises mit einer Rendite von 13,04 % (Kupon 6,50 %, LZ 05/2026, XS2342247355) sogar noch übertroffen.
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„Viele stehen an der Seitenlinie“
Vontobel-Spezialist Heiko Geiger beschreibt die Verunsicherung von Investoren.
Harald Kolerus. Im ersten Quartal des heurigen Jahres ist die Zertifikate-Welt noch sehr rund gelaufen, „dann aber haben die Volumen bei Anlage-Zertifikaten deutlich abgenommen“, weiß Heiko Geiger (Foto), Spezialist für derivative Produkte bei Vontobel. Die Ursachen dafür erklärt er im Gespräch mit dem Börsen-Kurier: „Der Ausbruch des Ukraine-Kriegs, hohe Inflation, Energiekrise, zunehmende Volatilität an den Märkten – es sind viele miteinander verwobene Faktoren, von denen manche Investoren am falschen Fuß getroffen wurden.“
Bitte warten
Im Zuge dieser Bewegung beobachtet der Experte einen Wechsel in defensive Werte, nachdem zuvor die Digitalisierungs-Welle en vogue war. „Viele Anleger stehen jetzt auch an der Seitenlinie und beobachten die Situation, sie warten auf eine Bodenbildung und dass das Vertrauen in die Märkte zurückkehrt. Neu-Investments halten sich derzeit noch in Grenzen.“
Was sich in diesem Umfeld jedoch gut entwickelt hat, sind Hebel-Zertifikate, die es ja ermöglichen, long und short zu gehen. „Diese Produktgruppe hat deutlich zugelegt, zur Absicherung des Portfolios haben viele Investoren schon einmal einen Put gekauft“, so Geiger. Klassische Anlage-Zertifikate haben hingegen an Volumen eingebüßt, ein Zeichen für die Verunsicherung der breiten Masse der Marktteilnehmer.
Attraktive Konditionen
Die Distanz der Investoren zu solchen Produkten könnte laut Geiger auf kurze Sicht noch anhalten. Schade eigentlich, denn der Experte beschreibt die Konditionen in diesem Bereich als interessant: „Etwa bei Multi-Aktien-Anleihen, Bonus-Zertifikaten etc. sehen wir Abstände von 40 oder 50 % zur Barriere; gleichzeitig sind Kupons von rund 10 % aufs Jahr gerechnet möglich.“
Für diese attraktiven Bedingungen gibt es tatsächlich gar nicht so wenig Beispiele, auch für ‚patriotische‘ Investoren ist etwas dabei: Die „6,75 % p.a. Aktienanleihe mit Barriere auf Voestalpine AG“ (ISIN DE000VV9VFZ0) aus dem Hause Vontobel bietet eine Verzinsung von 6,75 % pro Jahr; der Abstand zur Barriere beträgt komfortable 40 %.
Gar einen Kupon von 13 % bringt ein neues Vontobel-Zertifikat (Multi- Aktienanleihe mit Barriere mit einer sogenannten „Worst-of-Struktur“ (DE000VV9 96Z5) auf BMW, Mercedes und VW; der Abstand zur Barriere macht hier ebenfalls 40 % aus. Wobei ins Bild passt, dass laut Geiger „exotische“ Titel derzeit nicht so stark gekauft werden. Stattdessen stehen Automobilkonzerne, große Öl-Explorer aber auch die bekannten Namen aus der Technologiebranche (letztere trotz oder gerade wegen starker Kursverluste) vermehrt im Fokus. Auch bei den Indizes werden die Schwergewichte wie Dax, S&P 500 oder Nasdaq von Zertifikate-Anlegern bevorzugt nachgefragt.
Investieren wie Buffett
Und wenn wir schon bei den großen Namen sind: Als besonders erfolgreich hat sich das Open-End- Partizipationszertifikat auf „Solactive Omaha Alpha Index“ (DE000 VP7WBU0) erwiesen, wie Geiger zu berichten weiß: „Das Zertifikat haben wir im August 2020 aufgelegt, seither beträgt die Wertentwicklung rund 45 % plus (Ende November). Seit Beginn des heurigen Jahres liegt die Performance bei ca. 5 %, sie bewegt sich also in den derzeit stürmischen Zeiten im positiven Bereich. Das Produkt wird deshalb auch gerne zur Portfolio-Diversifizierung benutzt.“
Der Clou: Der Index versucht die Strategie von Warren Buffett zu optimieren und bildet 20 Top-Unternehmen aus dem Beteiligungsportfolio von Berkshire Hathaway ab. Die Selektionskriterien basieren auf einem Dreiklang, bestehend aus der Innovationsstärke des Unternehmens, der Strahlkraft der Marke und den handverlesenen Finanzkennziffern des Anlagegroßmeisters. Und warum sollte man sich nicht via Zertifikat „ein wenig Buffett“ ins eigene Portfolio holen?
Foto: Vontobel
Zeitenwende am Aktienmarkt
Ist die Ära der passiven Investments vorbei?
(28.11.) Das turbulente Aktienjahr 2022 hat zu deutlichen Veränderungen in der Anlegereinschätzung geführt. Etablierte Anlagemuster wie Value versus Growth oder passiv versus aktiv stehen auf dem Prüfstand. Es ist daher ein guter Zeitpunkt, um einen Blick auf den einen übergreifenden Parameter zu werfen, der die Preisgestaltungsmacht und die Erträge von Unternehmen tatsächlich bestimmt: Innovation. „Insbesondere wenn die Märkte in Turbulenzen geraten, konzentrieren sich Anleger stärker auf aktiv verwaltete Fonds. Mit unserer Erfahrung im Bereich angewandter Innovationsinvestitionen können wir zeigen, dass innovative Unternehmen gerade unter wirtschaftlich anspruchsvollen Bedingungen eine bessere Ertragsentwicklung aufweisen”, erklärt Evelyne Pflugi, CEO und Mitbegründerin von The Singularity Group (TSG). „Dies führt im Portfolio zu starken Charakteristiken – und zwar über den gesamten Zyklus hinweg. Das ist die Art von langfristigem Wertpotenzial, den passive Vehikel wie Exchange Traded Funds nicht bieten können.” Passive ETFs gewannen aufgrund ihrer hohen Liquidität und Handelbarkeit sowie der Vielfalt der verfügbaren Produkte in der Vergangenheit auch bei institutionellen Anlegern an Beliebtheit. In letzter Zeit haben Fondsmanager jedoch eine Verschiebung der Nachfrage festgestellt. „Anleger nutzen passive ETFs als praktisches Instrument für die Portfoliosteuerung, aber langfristig suchen vor allem institutionelle Investoren nach Qualitätsprodukten zur Ergänzung ihrer Kernportfolios“, sagt Pierre Guillier, CIO von TSG.
Angewandte Innovation sorgt für stabile Erträge Der Investmentansatz von TSG basiert auf der Überzeugung, dass angewandte Innovation der Haupttreiber für ein stabiles Umsatz- und Gewinnwachstum ist. „Die Anleger scheinen die Preisgestaltungsmacht von innovativen Unternehmen komplett zu unterschätzen“, stellt Pflugi fest. „Sie assoziieren Technologie mit Risiko und Volatilität. Angewandte Innovation bietet jedoch das Gegenteil: überdurchschnittliche Erträge – über den gesamten Zyklus hinweg.“ Für den Aufbau aktiver Long-only-Aktienportfolios wendet TSG ein proprietäres Innovations-Scoring-System auf ein globales Aktienuniversum an. Der Schlüssel zum Innovations-Scoring liegt in der engen Zusammenarbeit mit dem Singularity Think Tank, einem Netzwerk von Unternehmern, Führungskräften und Akademikern mit tiefem Einblick in die Wertschöpfungsketten von Innovation. Der resultierende Singularity Score quantifiziert das Engagement eines Unternehmens anhand des Umsatzes in Innovationsbereichen weltweit über alle Marktkapitalisierungen und Branchen hinweg.
Seit ihrer Einführung im Jahr 2017 hat die Singularity-Strategie eine annualisierte Gewinnwachstumsrate von 18 Prozent erzielt, während der Referenzindex MSCI ACWI nur 9 Prozent erreichte. „Interessanterweise gelang es den innovativsten Unternehmen, ihre Gewinne während der Pandemie zu halten oder sogar zu steigern – ein starker Beweis für ihre Widerstandsfähigkeit“, so Guillier.
Inwieweit ist dieses überlegene Wachstumsprofil der Hauptgrund für die vergangene Performance? Wie viel von der künftigen Performance ist bereits eingepreist? Die Antwort liegt in einem detaillierten Blick auf die Entwicklung der Gewinne und des Kurs-Gewinn-Verhältnisses (KGV).
Langfristig ist das Gewinnwachstum der Motor der Performance, während die Ausweitung oder Verringerung von Bewertungsmultiplikatoren einen Frühindikator für die Markterwartungen darstellt und für die kurzfristige Performance verantwortlich ist. „Der Markt hat auf die COVID-Krise mit einer Korrektur der Bewertungsmultiplikatoren reagiert. Er erholte sich dann stark, indem er über die Pandemie hinausschaute, nachdem die Anleger von Regierungen und Zentralbanken beruhigt worden waren“, erklärt Guillier. „Der Markt hat seit Anfang 2021 Gewinnrückgänge erwartet, was sich seither in einem Bewertungsrückgang zeigt. Derzeit preist der MSCI ACWI immer noch mehr Gewinne ein, als er liefern konnte. Der Singularity Index hingegen zeichnet ein anderes Bild: Das innovationsgetriebene Portfolio wurde durch Bewertungsrückgang übermäßig belastet, während die Gewinnentwicklungen der Unternehmen mehr Spielraum nach oben lassen.” Was diese Analyse auch zeigt, ist der Unterschied zwischen der Entwicklung des Gesamtmarktes und einer aktiven Strategie, die auf Innovationserträge setzt: Der Filter trennt die Spreu vom Weizen.
Innovative Unternehmen setzen höhere Preise durch „Insgesamt sind die Fundamentaldaten der Unternehmen im Portfolio trotz des schwierigen Umfelds weiterhin stark. Unser Portfolio besteht nach wie vor aus hochprofitablen Unternehmen mit einem durchschnittlich niedrigen Verschuldungsgrad und einem soliden Wachstumsprofil“, sagt Guillier. „So weist das Portfolio beispielsweise 20 Prozent höhere Margen und Eigenkapitalrenditen auf als der Referenzindex. In Verbindung mit dem überragenden Wachstumspotenzial von Innovationen ist dies ein starker Motor für die Wertschöpfung.“
Angesichts höherer Zinsen, Inflation und möglicherweise einer globalen Rezession können Unternehmen ihre Position in einem selektiven Portfolio nur halten, wenn sie ein Alleinstellungsmerkmal bieten können. „Im aktuellen Marktumfeld ist Preissetzungsmacht von großem Vorteil“, sagt Pflugi. Wer nach Preisgestaltungsmacht sucht, findet diese in angewandter Innovation: „Unternehmen mit echten Innovationen können beständig höhere Preise erzielen“, fügt sie hinzu. „Da die KGVs für unsere Strategie auf einem historischen Tiefstand sind, sehen wir sehr gute Einstiegsmöglichkeiten in ein Portfolio innovativer Unternehmen, die langfristig überdurchschnittliches Wachstum und Renditen zu einem attraktiven Einstiegspreis bieten“, ergänzt Guillier.
Ist die Ära der passiven Anlagen also tatsächlich vorbei? „Aktives und passives Investieren können friedlich koexistieren“, resümiert Pflugi. „Wenn Anleger jedoch starke Portfoliomerkmale schätzen, ist angewandte Innovation der richtige Ort. Und der einzige Ort, an dem man angewandte Innovation finden kann, ist ein aktiv verwaltetes Portfolio.“
Was ist mit China los?
Die Volksrepublik im Würgegriff der eigenen Null-Covid-Politik.
Michael Kordovsky. In den wichtigen Städten Shanghai und Peking löst ein größerer Lockdown den nächsten ab. Dazu gibt es abgeriegelte Häfen und Industrieanlagen mit entsprechenden Auswirkungen auf die Wirtschaft. Wuchs diese im Vorjahr noch um 8,1 %, so erwartet der IWF heuer und 2023 nur noch 3,2 bzw. 4,4 %. Vom ersten auf das zweite Quartal ging Chinas BIP-Wachstum von 4,8 auf 0,4 % und somit auf den niedrigsten Level seit 2020 zurück. Vorübergehendes Tauwetter in der Corona-Bekämpfung und gewisse Nachholeffekte führten im dritten Quartal nochmals zu einem konjunkturellen Aufflackern, und das BIP wuchs um 3,9 %. Auch kursierten zwischenzeitlich Gerüchte, dass die strikten Corona-Maßnahmen bis März gelockert werden sollen bzw. die auch seit zweieinhalb Jahren weitgehend geschlossenen Grenzen wiedergeöffnet werden. Doch ganz im Gegenteil: Es wird strenger.
China weitet wegen steigender Corona-Infektionszahlen die Beschränkungen aus. So wurde beispielsweise in Shanghai der zweite Tag des Autogipfels „China Automotive Overseas Development Summit“ abgesagt und in der Stadt dürfen Einreisende innerhalb von fünf Tagen nach ihrer Ankunft keine Einkaufszentren und Restaurants betreten. Die Quarantänen und Lockdowns erstrecken sich übers ganze Land: Im südchinesischen Guangzhou mit seinen rund 18 Mio Einwohnern befinden sich mehrere Bezirke komplett im Lockdown, und in der Megametropole Chongqing können die Einwohner nur noch in dringenden Fällen und mit einem negativen Corona-Test ausreisen.
Nächste Kontraktionswelle
Die nächste Kontraktionswelle wirft bereits ihre Schatten voraus. So ging der Einzelhandelsumsatz im Oktober im Vorjahresvergleich um 0,5 % zurück, während Volkswirte noch mit einem Zuwachs rechneten. Im September lag das Plus noch bei 2,5 %. Die Steigerung der Industrieproduktion verlangsamte sich von September auf Oktober von 6,3 auf 5,0 %, während Analysten noch mit 5,3 % Plus rechneten. Die Lockdowns waren neben der schwächelnden Weltwirtschaft ein Hauptfaktor, weshalb sich im Oktober auch der Außenhandel rückläufig entwickelte. Im Vergleich zum Vorjahresmonat gingen die Exporte um 0,3 % zurück. Das ist die erste Schrumpfung seit Mai 2020. Indessen schrumpften die Importe um 0,7 %. Gemäß Einkaufsmanager-Index-Daten befanden sich Chinas Industrie und der Dienstleistungssektor im Oktober in der Kontraktion.
In diesem Umfeld leiden Chinas Bauträger an einer rückläufigen Nachfrage und eine größere Pleitewelle ist nicht auszuschließen. Leere Wohnblöcke und halbfertige Bauten prägen das Bild neuer Siedlungen. Im Oktober entwickelten sich in 100 chinesischen Städten die Immobilienpreise den vierten Monat in Folge rückläufig – so die Daten der China Index Academy, die den Rückgang der Immobilienverkäufe im Oktober mit 20 % beziffert. Die chinesische Zentralbank ließ jedoch ihre Leitzinsen erwartungsgemäß unverändert.
Wie geht es weiter?
Es ist eher unwahrscheinlich, dass China das ausgegebene Wachstumsziel der Regierung in Peking von 5,5 % heuer noch erreichen wird. Doch größere Konjunkturprogramme könnten jederzeit starten, zumal es in punkto Seidenstraße im Ausbau der Infrastruktur noch viel zu tun gibt.
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Erreichen nachhaltige Investitionen die Richtigen?
Die Treffsicherheit der EU-Taxonomie lässt zu wünschen übrig.
Andreas Dolezal. Im Rahmen des „Grünen Deals“ sollen Anlagegelder verstärkt in nachhaltige Investitionen umgelenkt werden. Diese orientieren sich an den ESG-Zielen, also Umwelt, Soziales und gute Unternehmensführung. Gut ist im Sinne der EU-Taxonomie (diese verfolgt das Ziel, ein EU-weites Klassifizierungssystem für die Bewertung ökologischer Nachhaltigkeit von wirtschaftlichen Aktivitäten zu etablieren, Anm.), was wenig Treibhausgas-Emissionen freisetzt.
Viele Investoren und Asset Manager meiden daher emissionsintensive Unternehmen. Bräuchten aber nicht genau diese Unternehmen frisches Kapital, um ihre Emissionen zu reduzieren?
Ein Vorwurf, den sich EU-konforme nachhaltige Investments zunehmend gefallen lassen müssen, ist, dass sie ihren Fokus zu sehr auf Umweltaspekte legen und gesellschaftliche Ziele sowie gute Unternehmensführung vernachlässigen. Dies ist der unvollständigen EU-Taxonomie geschuldet, die bis heute nur Umweltziele kennt. Über eine Sozial-Taxonomie, die auch Aspekte der guten Unternehmensführung beinhalten soll, wird auf europäischer Ebene erst diskutiert.
Eingeschränkt
Taxonomie-konform können Asset Manager und Anleger also nur im Hinblick auf Umweltziele investieren. Erschwerend kommt hinzu, dass es aktuell nur für zwei von sechs Umweltzielen Bewertungskriterien gibt, die bestimmen, unter welchen Voraussetzungen eine wirtschaftliche Tätigkeit einen wesentlichen Beitrag zum Erreichen eines Umweltzieles leistet. Die bereits vorhandenen Bewertungskriterien für Klimaschutz und Anpassung an den Klimawandel berücksichtigen zudem nur etwa 100 Wirtschaftstätigkeiten. Selbst das „grünste“ Unternehmen gilt als nicht Taxonomie-konform, wenn es das Pech hat, nicht im Kriterienkatalog vorzukommen.
So gesehen ist der Vorwurf einerseits gerechtfertigt, aber andererseits auch ungerecht. EU-konforme nachhaltige Finanzprodukte können auf Basis der aktuellen Regularien nur Umweltzielen entsprechen. Die EU kennt noch nicht mehr.
Supergrünes Silicon Valley?
Dazu gesellt sich eine weitere Eigenheit der EU-Taxonomie. Das zentrale Bewertungskriterium sind die verursachten Treibhausgas-Emissionen eines Unternehmens. Als besonders „grün“ gelten jene Wirtschaftstätigkeiten, die bereits heute einen geringen Treibhausgas-Ausstoß im Verhältnis zu ihrer Marktkapitalisierung haben. In global investierenden Portfolios, die einen geringen CO2-Fußabdruck ausweisen, finden sich daher oftmals Positionen wie Microsoft, Alphabet und Amazon wieder.
Logisch, denn diese Dienstleister machen enorm große Umsätze, haben aber keine „schmutzige“ (Industrie-)Produktion – und sind daher gemäß EU-Taxonomie „supergrün“. Die Frage, wie sozial sie sind und wie fair ihre Geschäftspraktiken sind, stellt sich nicht, denn dafür kennt die EU noch keine Messgrößen.
Transformation finanzieren versus grün investieren
Eine weitere Kritik, die sich nachhaltige Investments daher gefallen lassen müssen, ist, dass genau jene Unternehmen und Industrien kein frisches Kapital erhalten, die dieses benötigen würden, um durch Investitionen und Innovationen emissionsärmer zu werden. Im Sinne der EU-Taxonomie werden „grüne“ Wirtschaftstätigkeiten mit Geld überschwemmt, anstatt „schmutzige“ bei ihrem Übergang zur Klimaneutralität zu unterstützen. Dies geht so weit, dass sogar Gelder aus Schwellenländern abgezogen wird. Dabei sind gerade diese unverzichtbar für das große Ziel der EU: die Rettung des Weltklimas.
Es gibt Pläne, die EU-Taxonomie um eine „rote“ und „gelbe“ Kategorie zu erweitern. Damit wären auch Wirtschaftstätigkeiten, die ein Umweltziel wesentlich beeinträchtigen, bzw. die kein Umweltziel erheblich beeinträchtigen, zu-gleich aber auch (noch) keinen wesentlichen Beitrag zum Erreichen eines Umweltzieles leisten, Taxonomie-konform. Bleibt am Ende die Frage, ob Anleger Transitionsprozesse finanzieren, oder nicht doch lieber gleich „grün“ investieren.
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Bevölkerung weiter als Politik
Aktienforum-Geschäftsführer Karl Fuchs im Gespräch mit dem Börsen-Kurier.
Klaus Schweinegger. Das „Aktienforum“ ist die Interessenvertretung der börsennotierten Unternehmen und definiert sich als „Plattform zur Förderung des österreichischen Kapitalmarktes“. Auf die Mitglieder entfallen drei Viertel der Marktkapitalisierung der Wiener Börse. Neben den börsennotierten Unternehmen sind Banken und Finanzdienstleister, Finanzberater und andere Interessenvertretungen, die sich für den österreichischen Kapitalmarkt engagieren, Mitglieder des Aktienforums.
Börsen-Kurier: Herr Fuchs, der Aufschrei hält sich hierzulande wieder einmal in Grenzen, aber was sagen Sie zu den Plänen der Regierung bezüglich einer sogenannten „Gewinn-Abschöpfungssteuer“ in Österreich?
Karl Fuchs: Das Aktienforum war immer auf der Seite der Wenigen, die Eingriffe in die freie Marktwirtschaft ablehnen. Durch derlei Eingriffe wird eine ganze Branche, die wichtige Investitionen für die Energiezukunft leistet, in Frage gestellt. Die aktuellen Verwerfungen begreifend haben darüber hinaus bereits einige staatsnahe Unternehmen wie die OMV eine Sonderdividende beschlossen. Das ist eine richtige Maßnahme.
Börsen-Kurier: Die von ihnen genannten Eingriffe in die Marktwirtschaft sind immer brandgefährlich. Wurde das Aktienforum als Interessensgemeinschaft bzw. auch die Industrie von Seiten des Gesetzgebers dazu überhaupt konsultiert?
Fuchs: Der kleine effiziente heimische Kapitalmarkt ist verletzlich. Derlei politische Ideen sollten daher mit den Playern vorab abgestimmt werden. Dies geschah im Frühjahr nicht, als Bundeskanzler Nehammer zum ersten Mal mit der Idee der Abschöpfung medial nach außen ging. Damals war sogar der Finanzminister überrascht.
Börsen-Kurier: Wie steht es um andere Anliegen des Kapitalmarktes? Seit Jahren wird die mangelnde Finanzbildung der heimischen Bevölkerung thematisiert. Und auch seit vielen Jahren hört man in diesem Zusammenhang von Initiativen. Können Sie uns sagen, was diesbezüglich der Stand der Dinge ist?
Fuchs: Im Jahr 2021 wurde die Finanzbildungsstrategie vom damaligen Finanzminister Blümel ins Leben gerufen und institutionalisiert. Seither arbeiten viele Institutionen und Stakeholder an einer Weiterentwicklung dieser Strategie und versuchen auch konkrete Maßnahmen auf den Boden zu bekommen. So wurde eine langjährige Forderung vom Aktienforum in diesem Bereich im Frühjahr 2022 umgesetzt. Das OECD-Financial-Literacy-Pisa-Tool wurde im Zuge des Pisa-Tests erstmalig in Österreich abgefragt. Wiewohl die Ergebnisse bis 2024 auf sich warten lassen werden, sind sie als Bestanderhebung äußerst wichtig und werden uns den Weg weisen, wo genau wir in der Finanzbildung zukünftig ansetzen werden müssen.
Börsen-Kurier: Ein sehr heikles Thema ist auch die im Zuge der Corona-Pandemie aufgekommene Frage, ob Hauptversammlungen überhaupt noch in Präsenz stattfinden sollen. Anlegerverbände wie der IVA (und auch der Börsen-Kurier) hielten diesen Schritt nicht nur für einen massiven Einschnitt in die Rechte der Investoren, sondern er würde auch alle Bestrebungen zur Belebung des Kapitalmarktes konterkarieren. Wie stehen Sie dazu?
Fuchs: Das Aktienforum spricht sich für die Wahlfreiheit der Unternehmen aus, zu entscheiden, ob sie ihre Hauptversammlungen physisch oder virtuell durchführen wollen. Dabei ist uns als Aktienforum die Wahrung der Aktionärsrechte ebenso ein wichtiges Anliegen. Orientieren sollte man sich an zahlreichen internationalen Beispielen, wo virtuelle Formate als Dauerlösung bereits Eingang in den Rechtsbestand gefunden haben. Zuletzt im Sommer in Deutschland. Ein österreichischer Sonderweg wäre nicht zu empfehlen.
Börsen-Kurier: Aber kommen wir abschließend zu etwas Versöhnlicherem: Im Feber hat das Aktienforum gemeinsam mit der Industriellenvereinigung einen „Booster“ für steuerliche Anreize für Vorsorge und Green Investments gefordert. Ist schon Bewegung in dieses Thema gekommen und wo sehen Sie in diesem Zusammenhang die Chancen für ein „Aufblühen“ des österreichischen Kapitalmarktes?
Fuchs: Auf der politischen Ebene tut sich aktuell bei diesen Themen nicht rasend viel. Die Bevölkerung ist da schon viel weiter. So würden rund drei Viertel der österreichischen Bevölkerung eine steuerliche Begünstigung bei den Themen klimafreundliche Investitionen und Altersvorsorge für eine gute Idee halten. Unabhängig vom politischen Maßnahmensetting beweist der heimische Kapitalmarkt seinen stabilisierenden Faktor für die heimische Volkswirtschaft. Unsere aktuelle IWI-Studie zeigt durchwegs ansteigende Indikatoren im Vergleich zur Vorgängerstudie 2019. Die börsennotierten Unternehmen strahlen stark über ihre Unternehmensgrenzen hinaus und schaffen Arbeitsplätze. Dies sollte auch politisch goutiert werden.
Foto: Aktienforum
Diese fünf Innovationen interessieren Anleger besonders
Ein Marktkommentar von Matt Moberg, Portfoliomanager bei Franklin Equity Group:
(22.11.) Trotz Rezessionen, Kriegen, Pandemien und Inflation steigt das Innovationstempo. Auch wenn das Thema Innovation bei Anlegern aus der Mode kommen kann, geht der zugrunde liegende Fortschritt unaufhaltsam weiter. Besonders interessant für die Weiterentwicklung in der Wirtschaft sind derzeit fünf Fortschritte, die genauer unter die Lupe genommen werden sollten.
1. Zulassung von Gentherapien gewinnt an Fahrt
Am 17. August 2022 gab die US-Zulassungsbehörde Food and Drug Administration (FDA) ihrem dritten Gentherapeutikum einstimmig den Zuschlag. Nur acht Tage später genehmigte die Europäische Union (EU) ihr viertes Therapeutikum. In den USA ließ die FDA eine Therapie zur Behandlung der Beta-Thalassämie zu, einer erblichen Blutkrankheit, die zu einem Sauerstoffmangel im Körper führt. Das Medikament wird den Patienten in einer einzigen therapeutischen Dosis verabreicht. Die Wirkung des Mittels ist verblüffend: In einigen Studien gelang es, bei bis zu 91 % der Patienten eine Unabhängigkeit von Bluttransfusionen zu erreichen. Am 25. August genehmigte die EU eine weitere Gentherapie zur Behandlung der Hämophilie, einer Erkrankung, bei der die Blutgerinnung beeinträchtigt ist. Hierbei handelte es sich um die zweite Gentherapie, die die EU in diesem Jahr zugelassen hat. Die Zulassungen in den USA und in der EU dürften die Einführung von Gentherapeutika vorantreiben und die Finanzierung von Forschung und Herstellung in diesem Bereich fördern.
2. Augmented Reality bei Operationen an Patienten im Einsatz
Die Johns Hopkins University führte ihre erste Augmented-Reality-Operation an Patienten durch. Die Chirurgen trugen Headsets, mit denen sie medizinische Scans ihrer Patienten einblenden konnten, um Wirbelsäulenoperationen vorzunehmen. Der operierende Arzt erklärte: „Beim Einsatz von Augmented Reality im Operationssaal ist es so, als hätte man ganz natürlich ein GPS-Navigationsgerät vor den Augen, sodass man nicht auf einen separaten Bildschirm schauen muss, um den CT-Scan des Patienten zu sehen.“ Seitdem haben Ärzte dasselbe System bei über 2.000 Operationen genutzt und damit die hohe Genauigkeit der Augmented-Reality-Unterstützung beim Einsetzen von Schrauben in Wirbelkörper bei gleichzeitiger Reduzierung von Wirbelsäulenschäden bewiesen. Augmented Reality und Virtual Reality können in weitaus größerem Umfang als nur für Videospiele und das Metaversum eingesetzt werden. Diese spezielle medizinische Anwendung kann den Zeitaufwand verringern, die Genauigkeit erhöhen und die Ergebnisse in verschiedenen chirurgischen Szenarien verbessern.
3. Gentechnik fördert die Photosynthese zur Steigerung der Ernteerträge
Wissenschaftler in Indiana haben die Genetik von Pflanzenblättern so verändert, dass sie die Photosynthese optimieren und den Sojaertrag im Durchschnitt um 24,5 % steigern konnten. Diese Technologie könnte auch auf andere mehrschichtige Pflanzen wie Reis, Weizen und Mais angewendet werden. Diese neuen Forschungsergebnisse widersprechen den bisherigen Annahmen, dass eine höhere Nährstoffaufnahme des Bodens die einzige Möglichkeit zur Steigerung der Ernteerträge sei. Dieser Fortschritt veranschaulicht, wie Nutzpflanzen über ihre Schädlings- und Dürretoleranz hinaus optimiert werden können. Neuartiges, gentechnisch verändertes Saatgut kann eine wichtige Lösung für die Ernährung einer größeren Weltbevölkerung bei geringerer Umweltbelastung und reduziertem Wasserverbrauch darstellen.
4. USA verabschieden Inflation Reduction Act (IRA) – ein wichtiger Impuls für grüne Energie
Wirtschaftliche Schocks beschleunigen oftmals die Innovation. Darüber hinaus schaffen hohe Preise, ein großer wirtschaftlicher Bedarf und erhebliche staatliche Unterstützung positive Rahmenbedingungen für Neuerungen. In diesem Sommer sind die Energiepreise in Europa in einigen Regionen im Vergleich zum Vorjahr um mehr als das Fünf- bis Sechsfache gestiegen. Auch in den USA sind die Energiepreise in die Höhe geklettert. Durch den im August unterzeichneten IRA werden in den USA zusätzlich zu den bereits im November 2021 genehmigten 80 Milliarden US-Dollar weitere 369 Milliarden US-Dollar in grüne Energie investiert. Im Streben der Länder nach Energiesicherheit dürften steigende Preise für herkömmliche fossile Brennstoffe in Verbindung mit staatlichen Anreizen für erneuerbare Energien den Ausbau vieler neuer Energiequellen beschleunigen und zu neuen Investitionen in die Netzinfrastruktur und den Transport führen.
5. Streaming-Plattformen überholen Zuschauerzahlen im Kabelfernsehen. Noch schneller als Streaming wächst TikTok
Laut dem Meinungsforschungsinstitut Nielsen haben die US-Zuschauerzahlen beim Streaming zum ersten Mal die Werte beim Kabelfernsehen übertroffen. Streaming-Plattformen wie Netflix, Disney und HBO konnten 34,8 % der gesamten Sehdauer für sich verbuchen, Kabelfernsehen kam auf 34,4 % und Rundfunk-sender erreichten 21,6 %. Gemessen daran, wie schnell TikTok die Medien eroberte, vollzog sich diese Entwicklung stufenweise. Denn im Schnitt braucht ein Streaming-Abonnent 18 Minuten, um sich zu entscheiden, was er anschauen möchte, ein neuer TikTok User streamt hingegen sofort. So konnte TikTok in der Hälfte der Zeit, die Facebook oder YouTube benötigten, eine Milliarde aktive Nutzer gewinnen. Neue Wege, unsere Aufmerksamkeit zu erregen, revolutionieren die Medienwirtschaft – eine Branche, die oft an der Spitze des Wandels steht und die zeigt, wie schnell es manches Mal zu Paradigmenwechsel kommen kann.
Sand im Getriebe der Kryptowährungen
Für Experten ist die Kryptostory weiterhin intakt. Sie mahnen aber zur Vorsicht beim Investieren.
Patrick Baldia. Die Milliarden-Pleite von FTX erschüttert derzeit die Kryptowelt. Die Handelsplattform für Kryptowährungen meldete vor rund zwei Wochen Konkurs an, nachdem Kunden, als bekannt wurde, dass Einlagen in der Höhe von rund 10 MrdUSD verschoben wurden, in großem Stil Gelder abgezogen hatten. Gegen den Gründer und CEO Sam Bankman-Fried wurde mittlerweile eine Sammelklage eingereicht. Der Fall FTX hat jedenfalls die bislang größte Krise in der noch jungen Geschichte der Kryptowährungen ausgelöst. Und Befürchtungen genährt, dass weitere Branchenplayer folgen könnten.
Kritiker sehen sich angesichts der FTX-Pleite in ihrer Ablehnung gegenüber Bitcoin und Konsorten bestärkt. Diese hatten in den vergangenen Wochen allerdings ohnehin Hochkonjunktur. Dahin-ter steht der anhaltende „Krypto-winter“, darunter versteht man eine seit längerem anhaltende Kursflaute von Cyberwährungen. Allein der Bitcoin notierte zuletzt bei rund 17.000 USD. Dabei hatte die größte und bekannteste Kryptowährung erst im vergangenen November den Rekordstand von knapp 69.000 USD erreicht. Und die Prognosen waren überaus optimistisch. So ging JP Morgan bis Ende 2021 von einem Kurs von 130.000 USD aus, die US-Citigroup gar von 318.000 USD.
„Dass vorzeitig das Ende des Bitcoins und anderer Kryptowährungen erklärt wird, ist grundsätzlich nichts Neues“, sagt Manuel Schleifer, Finanzmarktstratege bei Raiffeisen Research, im Gespräch mit dem Börsen-Kurier. Schaue man sich den Zyklus an, so wären extreme Kurseinbrüche nach dem Erreichen neuer Rekordhöchststände nichts Besonderes. Ähnliches sei auch 2018/19 zu beobachten gewesen, als der Bitcoin-Kurs von 18.000 auf 3.000 USD zurückging. „Davon sind wir meilenweit entfernt“, hält Schleifer fest. Nachsatz: „Das Ende der Kryptowährungen sehe ich nicht, sondern vielmehr eine Marktbereinigung.“
Mehrwert im täglichen Leben
Auch für Bernhard Wenger, Head of Northern Europe bei 21Shares, ist die „Kryptostory“ weiterhin intakt. „Die Innovation wird sich weiter durchsetzen und die gesamte Blockchain und Kryptotechnologie zeigt ja bereits in vielen Beispielen des täglichen Lebens ihren Mehrwert“, meint er gegenüber dem Börsen-Kurier. Man dürfe auch nicht vergessen, dass FTX ein zentrales Kryptounternehmen gewesen sei und per se nichts mit Bitcoin und Decentralised Finance zu tun habe.
Wie lange der Kryptowinter noch anhalten wird, ist jedenfalls schwer zu sagen. Für Mark Dowding, CIO bei BlueBay Asset Management, sind weitere deutliche Preisrückgänge der Kryptowährungen in den kommenden Wochen durchaus möglich. Wenger erinnert wiederum darauf hin, dass die beiden letzten Bärenmärkte 2018 und 2019/20 360 bzw. 260 Tage dauerten. Der aktuelle hält jedenfalls bereits seit 370 Tagen an. Viel werde jetzt jedenfalls von der weiteren makroökonomischen Entwicklung, den Zinsen, aber auch vom Ukrainekrieg abhängen.
„Sobald wir eine gewisse Stabilität am Aktienmarkt sehen, dann stehen die Chancen gut, dass wir bei Kryptowährungen eine Erholung erleben werden“, sagt Schleifer und verweist auf die – anders als in der Vergangenheit – auszumachende Korrelation zwischen Kryptowährungen und Aktien – vor allem Techwerten. Optimistisch stimmt ihn jedenfalls, dass viele institutionelle Anleger in Kryptowährungen investiert sind. „Das ist ein Indiz dafür, dass der Markt professioneller geworden ist“, meint er. Weiters glaubt der Analyst, dass sich der Krypto-markt bereits in einer Bodenbildungsphase befindet. Dazu komme, dass Regulierung mehr und mehr zum Thema werde – Stichwort MiCA-Verordnung, die bereits Ende 2022 in allen EU-Mitgliedsstaaten eingeführt werden soll.
Bitcoin-Halving steht bevor
Ein weiterer Grund für ein Krypto-investment: das nächste Halving steht 2024 bevor. Darunter versteht man die Begrenzung des Bitcoin-Angebots ungefähr alle vier Jahre, indem die Belohnung, die die so genannten Miner für das Schürfen der Kryptowährung erhalten, halbiert wird. Bislang sind darauf immer Kursanstiege gefolgt.
Schleifer empfiehlt Interessenten sich auf die zehn größten Kryptowährungen zu konzentrieren. Positiv zu sehen wären solche, die eine realwirtschaftliche Anwendung hätten, wie allen voran Ethereum, aber auch Solana und Cardano. „BTC hat dagegen kaum Anwendungen und hat sich bislang auch nicht als reines Zahlungsmittel etabliert und ist daher als Spekulationsobjekt zu sehen.“
Für Wenger ist es wichtig, zu verstehen, in was man investiert, über Unterschiede und Zusammenhänge zwischen den verschiedenen Kryptoassets Bescheid zu wissen und auch über Risiken im Bilde zu sein. „Auch mit der relativ hohen Volatilität müssen Investoren, die am Upside partizipieren wollen, leben können“, bringt es der 21Shares-Experte auf den Punkt.
„Bei Kryptowährungen muss man zwischen Investieren und Spekulieren unterscheiden“, so Schleifer. Auch ein Vergleich zu einem Kasinobesuch sei nicht weithergeholt: Man gehe dorthin, um zu Spielen und damit zu Spekulieren. Ein Totalausfall ist immer möglich. „Das ist am Aktienmarkt in der Regel völlig anders“, so Schleifer. Stichwort Totalausfall: Dowding erinnert daran, dass Kryptowährungen in ihrer Hochphase eine Marktkapitalisierung von mehr als 3 BioUSD aufgewiesen haben, wovon nun mehr als 2,3 BioUSD verloren wären. Eine Tatsache, die sich Anleger immer vor Augen halten sollten.
Foto: Pixabay / WorldSpectrum
Weshalb sich Mischen wieder lohnt
Nach den schweren Verlusten an den Börsen bieten sich wieder Chancen, breit zu streuen.
Raja Korinek. Das laufende Jahr ist eine Zeit der Extreme an den globalen Märkten. Nicht einmal solide Anleihen eigneten sich dabei als Portfolio-Stabilisator, wie es in der Regel sonst in einem gestreuten Investment der Fall ist, konstatiert Ernst Konrad, er ist Geschäftsführer der Münchner Fondsboutique Eyb & Wallwitz sowie Co-Fondsmanager des „Phaidros Funds – Balanced“ (ISIN: LU0295585748), im Gespräch mit dem Börsen-Kurier. Doch was steckt hinter dieser ungünstigen Entwicklung? Die steigende Inflation sowie die damit einhergehende Zinswende sorgten letztendlich auch an den Bondmärkten für große Kursrücksetzer, und das in einem historisch einmaligen Tempo.
Einzig, jüngste Meldungen aus den USA stimmen so manch einen Anleger wieder vorsichtig optimistisch. So legte die Inflation im Oktober im Jahresvergleich um lediglich 7,7 % zu, nachdem die Teuerung noch im Vormonat 8,2 % erreicht hatte. Auch der jüngste Rückgang bei den Produzentenpreisen jenseits des Atlantiks gab Anlass zu Optimismus. Sie legten um nur 8 % im Vergleich zum Vorjahreswert zu.
Größter Verlierer Technologie
Die Folgen daraus waren vor allem an der US-Technologiebörse Nasdaq deutlich zu sehen, sie legte ein regelrechtes Kursfeuerwerk zurück. Denn insbesondere viele Wachstumswerte hatten unter den steigenden Zinsen gelitten. Die Hoffnung ist nunmehr groß, dass die weiteren Zinsanhebungen weitaus milder ausfallen werden.
Damit könnten sich wieder interessante Einstiegschancen bei Anleihen ergeben, meint Konrad. Er verweist etwa auf US-Staatsanleihen, die aktuell eine Rendite von rund 4 % aufweisen. „Dagegen müssen sich andere Anlageklassen erst noch beweisen.“ Auch in ausgewählte Unternehmensanleihen wird investiert.
Endlich wieder mehr Risiko
Das hält den erfahren Marktexperten jedoch nicht davon ab, erstmals wieder ein wenig mehr Risiko aufzubauen, wie er sagt. Im Phaidros-Fonds entfielen zuletzt dabei rund 25 % auf Anleihen, weitere kleine Anteile auf Cash sowie auf Gold. In Aktien werden nunmehr rund 60 % des Fondsvermögens investiert. Dabei wird in letzterer Position grundsätzlich zu einem Teil auf jene Konzerne gesetzt, die eine starke Marktdominanz haben, oder aber in junge Unternehmen investiert, die bestehende Platzhirsche mit neuen Produkten oder Prozessen erfolgreich herausfordern.
Konrad verweist etwa auf die US-Technologiekonzerne Alphabet (US02079K3059) und Amazon (US0231351067). „Beide starteten vor Jahren als sogenannte ‚Herausforderer‘ und haben mittler-weile quasi eine Monopolstellung in ihren jeweiligen Geschäftsbereichen aufgebaut.“ Damit seien sie auch in der Lage, langfristig höhere Renditen abzuwerfen als der Gesamtmarkt. Die Titel sind im Übrigen beide Teil des Phaidros-Fondsvermögens.
Auch in den Schweizer Pharmatitel Novartis (CH0012005267) wird investiert. Überhaupt nimmt der Gesundheitssektor rund 16 % der Aktienquote ein, gefolgt von der IT-Branche mit einer Gewichtung von rund 15 %.
Digitalisierung als Chance
Doch wie sieht es mit aktuellen Herausforderern aus? Konrad zählt dazu etwa die Mercado Libre (US58733R1023) mit Sitz in Argentinien. „Das Unternehmen ist Lateinamerikas führender E-Kommerzhändler und Online-Zahlungsdienstleister.“ Mercado Libre habe dabei eine Monopolstellung in der Region und profitiere zudem von der wachsenden Digitalisierung. Freilich, da ortet Konrad noch reichlich Aufholpotenzial in Lateinamerika.
Foto: AdobeStock / Felix Pergande
„Es gibt erste attraktive Opportunitäten“
Experte sieht Chancen für Anleger mit hoher Risikotoleranz und längerem Anlagehorizont.
Stefan Riedel, München. Thiemo Volkholz ist Head of German, Austrian and Swiss Accounts bei PGIM Investments. Wir sprachen mit ihm über die vergangenen Monate, mögliche Erfolgsformeln der Fondsmanager, das Spannungsfeld „aktives versus passives Fondsmanagement“ und blicken auch in die Zukunft.
Börsen-Kurier: Wie würden Sie die derzeitige Lage in der Asset-Management-Branche angesichts des sehr herausfordernden Marktumfelds beschreiben?
Thiemo Volkholz: Die letzten Monate waren mit Sicherheit herausfordernd für viele Asset Manager. Die hohe Unsicherheit gepaart mit der starken Volatilität sorgten dafür, dass es kaum interessante Anlageoptionen gab. Mittlerweile ist jedoch ein Silberstreifen am Horizont zu sehen. Es gibt erste attraktive Opportunitäten, etwa auf dem Rentenmarkt, sowohl im Investment Grade als auch bei High-Yield-Anleihen. Und auch der Aktienmarkt bietet erste Einstiegsmöglichkeiten, wenn auch derzeit eher für Anleger mit hoher Risikotoleranz.
Börsen-Kurier: Was ist die Erfolgsformel, wie sich ein Asset Manager heute positionieren sollte?
Volkholz: Wir haben festgestellt, dass die Selektionsprozesse heutzutage spürbar quantitativer getrieben sind, unter anderem da es wesentlich weniger persönliche Treffen gibt. Die zentrale Konsequenz, die wir daraus ziehen ist, dass Asset Manager sich deutlich mehr auf ihre Stärken konzentrieren müssen, also auf jene Strategien, bei denen sie Wettbewerbsvorteile haben. Wer erfolgreich sein will, darf also nicht jedem Trend hinterherlaufen, sondern muss den eigenen Mehrwert in den Vordergrund stellen und konsequent ausbauen.
Börsen-Kurier: Stichwort aktives Management – sehen wir ein Revival oder hält der Druck seitens passiver Produkte unvermindert an?
Volkholz: Der Markt ist breit und tief genug für beide Ansätze, zumal sie jeweils klar definierte Vorteile haben und sich daher für spezielle Anlageziele eignen. Aktives Management bietet sich dabei vor allem bei mittel- und langfristigen strategischen Investitionen an, da man hier einen Fonds auswählen kann, dessen Manager analog zu den eigenen Präferenzen investieren.
Außerdem sollten aktive Produkte gerade in Zeiten hoher Unsicherheit ihre Stärken ausspielen können und durch aktive Risiko-steuerung und flexible Schwerpunktsetzung in der Positionierung einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil erwirtschaften.
Börsen-Kurier: Kosten im Zusammenhang mit aktiven Asset Managern sind ein Dauerthema. Sind diese noch angemessen und wodurch können Asset Managern ihren Kunden bessere Konditionen bieten?
Volkholz: Unserer Erfahrung nach schauen Investoren in erster Linie auf die Rendite und Performance nach Kosten. Es muss also das Ergebnis stimmen und darauf sollte auch der Fokus der Asset Manager liegen.
Börsen-Kurier: Wie positionieren sich derzeit Ihre Kunden bzw. in welchen Assetklassen sehen Sie derzeit die höchste Nachfrage?
Volkholz: In einem Umfeld mit hoher Marktunsicherheit suchen Kunden bevorzugt nach Lösungen, die die Volatilität in den Portfolios reduzieren können. Kurzfristig spüren wir daher gerade ein hohes Interesse an Liquid Alternatives, da diese durch unkorrelierte Renditen auch von fallenden Märkten profitieren können. Gleichzeitig steigt das Interesse an Spread-Produkten am Rentenmarkt, also an Produkten im Bereich High-Yield. Diese haben nicht zuletzt durch die Zinserhöhungen wieder attraktive Renditeniveaus erreicht, wovon Investoren nun profitieren wollen.
Börsen-Kurier: Stichwort antizyklisches Investieren – welche Chancen bieten sich mittelfristig für Anleger?
Volkholz: Kurzfristig kann der Aktienmarkt durchaus noch einmal hohe Volatilität zeigen. Dennoch kann er für Anleger mit hoher Risikotoleranz und einem Investmenthorizont von mehr als drei Jahren möglicherweise bald wieder spannende Einstiegsmöglichkeiten bieten – allem voran in aktiv gemanagten globalen Aktienportfolios.
Börsen-Kurier: Die steigenden Zinsen haben den Anleihemarkt durchgerüttelt. Wo sehen Sie hier aktuell Möglichkeiten?
Volkholz: Anleihen sind nach Jahren niedriger, teilweise sogar negativer Renditen wieder in den Fokus der Anleger gerückt. Besonders im High-Yield-Segment gibt es gerade potenziell sehr attraktive Investmentopportunitäten für langfristig denkende Investoren. Zwar sind aktuell die Renditen noch unter der Inflationsrate, doch wer sich diese im aktuellen Umfeld sichert, kann davon profitieren, sobald die Inflation wieder sinkt. Wir favorisieren hier aktuell US-amerikanische High-Yield-Anleihen mit breiter Sektorenstreuung. Hier sind die Ausfallraten gering und sollten laut externen Prognosen nicht deutlich steigen. Und selbst bei einem Default erwarten wir höhere Recovery Rates, was dem Kunden eine attraktive Rendite sichern sollte.
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Fünf Investmenttrends für die kommenden Monate
Christophe Braun ist Equity Investment Director bei der Capital Group.
(15.11.) Während sich das Jahr langsam dem Ende neigt, bleiben die Märkte konstant in Bewegung. Anleger sehen sich dabei neuen Risiken gegenüber. Laut Christophe Braun, Equity Investment Director bei Capital Group, ist die Beibehaltung eines Allwetterportfolios in dieser Situation unabdingbar.
„Obwohl sich die Welt dramatisch verändert, bieten sich für selektive Anleger zahlreiche Chancen“, erklärt Braun. „Durch einen Bottom-up-Ansatz, der sich auf die Fundamentaldaten konzentriert und Unternehmen identifiziert, die ein starkes Ertragswachstum generieren können, besteht eine gute Chance, dass die Zukunft für langfristige Anleger weiterhin positiv aussieht.“
Laut Braun, gebe es dabei verschiedene Investmentthemen, die für ein langfristiges Portfolio in Betracht gezogen werden sollten:
Preissetzungsmacht
„Die Inflation wird in den nächsten Monaten anhalten“, davon ist Braun überzeugt. „Sie bleibt eines der größten Risiken für Anleger für den Rest des Jahres 2022.“ Daher sollten sich Anleger darauf konzentrieren, Unternehmen mit Preissetzungsmacht zu finden, die ihre Gewinnmargen schützen können, indem sie gestiegene Kosten an die Kunden weitergeben.
Zu den Unternehmen mit Preissetzungsmacht würden potenziell Konsumgüterunternehmen mit starkem Wiedererkennungswert, wie die Getränkehersteller Keurig Dr Pepper und Coca-Cola, gehören. Auch Unternehmen im schnell wachsenden Videospielesegment, wie Microsoft und Tencent, sowie Unternehmen, die wichtige Dienstleistungen anbieten, wie Pfizer und UnitedHealth, könnten in diesem Zusammenhang eine Investition wert sein.
Halbleiter, Cloud Computing und Software
Da Preissetzungsmacht ein Schlüssel zur Inflationsbekämpfung sei, befinde sich die Halbleiterindustrie in einer starken Position, denn ein Ende des weltweiten Appetits auf diese Bauteile sei derzeit nicht abzusehen. „Außerdem sind sie das Fundament der Cloud-Technologie, auf deren Basis viele Unternehmen ihr Geschäft betreiben“, so Braun. „Doch auch hier befinden wir uns noch in den Anfängen der Umstellung, was erhebliches Potenzial bietet.“ Ein dritter Bereich sei ebenfalls interessant: Wenn Chips das Rückgrat der Cloud sind, dann sei die Software das Hirn. Heute treibe Software nicht nur den Fortschritt im elektronischen Handel und im Finanzwesen voran, sondern auch im Gesundheitswesen, im Bildungswesen, im Transportwesen, im Bauwesen und in der Landwirtschaft. Der Spielraum für Technologie sollte nach Einschätzung Brauns nicht übersehen werden.
Comeback der Dividende
„Viele Unternehmen wandeln sich derzeit von Dividenden-Nullen zu Dividenden-Helden“, sagt der Experte. „Besonders in Europa setzten die Unternehmen während der Pandemie aufgrund von politischem oder regulatorischem Druck ihre Dividenden aus. Doch nun verfügen viele von ihnen über überschüssiges Kapital, das sie in Form von regelmäßigen und nachgeholten Dividenden umschichten können.“ Braun konzentriere sich auf Unternehmen mit einem starken zugrunde liegenden Gewinnwachstum, die sich verpflichtet hätten, ihre Ausschüttungen im Laufe der Zeit zu erhöhen.
Innovation im Gesundheitswesen
Angesichts der jüngsten Fortschritte in der Genom- und Proteom-Analyse und der Einführung zahlreicher neuer Arten von Medikamenten glaubt Braun, dass die rasante Geschwindigkeit anhalten werde, mit der lebensverändernde Medikamente zugelassen und entwickelt werden. Heute gebe es neue Therapien, die darauf abzielen, die Art und Weise zu verändern, wie der Körper Krankheiten selbst erkennt und behandelt. Diese Therapien hätten das Potenzial, das Leben zu verlängern und den Unternehmen, die sie erfolgreich entwickeln können, Einnahmen in Milliardenhöhe zu bescheren.
Wandel im Verkehrswesen
„Die Akzeptanzkurve von Elektrofahrzeugen (EVs) ist steiler geworden, vor allem dank staatlicher Anreize und strengerer Emissionsnormen für gasbetriebene Autos, insbesondere in China und Europa“, analysiert Braun. „Obwohl Elektroautos an der Schwelle zur Rentabilität stehen, werden einige wahrscheinlich früher als andere dort ankommen. Tesla ist hierbei klarer Spitzenreiter, der im Jahr 2021 kurzzeitig eine Marktkapitalisierung von einer Billion US-Dollar überschritten hat.“ Unternehmen, die den Strukturwandel schnell angehen und sich rasch anpassen würden, hätten langfristig bessere Chancen auf Erfolg, unabhängig davon, ob es sich um Branchenriesen oder Start-ups handele.
Fazit
Das derzeit schwierige Umfeld führe zu einer erhöhten Marktvolatilität. Die Geschichte habe jedoch gezeigt, dass sich die Märkte in der Vergangenheit von geopolitischen und wirtschaftlichen Marktschocks erholt haben. „Für Anleger ist es deshalb wichtig, sich daran zu erinnern, dass sich die Märkte langfristig als widerstandsfähig erwiesen und viele Herausforderungen gemeistert haben“, resümiert Braun. Jetzt sei es an der Zeit, das eigene Portfolio zu bewerten, sich zu fokussieren und langfristig zu investieren. Themen gebe es genug.
Eine Boeing 747 „in Gold“
Studie belegt ungebrochene Beliebtheit von Gold in Österreich.
Harald Kolerus. 220 Gramm Gold besitzt durchschnittlich gesehen jede Österreicherin und jeder Österreicher in Form von Barren oder Münze (Schmuck also nicht eingerechnet). Das entspricht vom Gewicht her rund einem „Big Mac“ von McDonald‘s, addiert man den Gesamtbestand aber zusammen, ergeben sich beeindruckende 388 Tonnen. Das ist mehr als in den Tresoren der OeNB liegt (280 Tonnen) und übersteigt das Gewicht einer Boeing 747. Zu diesen Ergebnissen kam eine repräsentative Studie der Universität St. Gallen im Auftrag des Goldhändlers Philoro. Die Umfrage fand vom Mai bis September 2022 statt, zum damaligen Zeitpunkt kam der Goldbesitz in Österreich auf den stattlichen Wert von rund 21,4 Mrd Euro.
Gold besonders beliebt
Bei Präsentation der Studie in Wien war für Martin Krieger, Head of Group Business Development von Philoro, klar: „Edelmetalle sind in Österreich die beliebteste Anlageform, also noch beliebter als Immobilien oder Aktien.“ Zwei Drittel der Befragten erachten Edelmetalle laut Umfrage als sinnvolle Investition, falls sie einen größeren Geldbetrag zur Verfügung hätten. Immobilien (53 % Zustimmung), Aktien (24 %) und das Giro- bzw. Sparkonto (21 %) werden dabei auf die Ränge verwiesen. Kryptowährungen werden nur von 11 % genannt.
Studienautor Prof. Sven Reinecke von der Uni St. Gallen kommentierte: „Die Menschen haben erkannt, welche Vorteile Edelmetalle bieten, wenn es um Langfristigkeit, Sicherheit, Stabilität, Inflationsschutz und Krisenvorsorge geht.“ Das sei angesichts der geopolitisch angespannten Lage auch nicht verwunderlich. Etwas überrascht hat den Experten allerdings, dass die Österreicher sogar mehr Gold horten als die Schweizer. Eine mögliche Erklärung dafür: „In der Schweiz wird mehr in Aktien investiert“, so Reinecke.
Wohin steuert der Preis?
Was der Experte nicht einzuschätzen wagt, ist hingegen, wohin sich der Goldkurs in absehbarer Zeit bewegen könnte: „Der allgemeine Trend zu Stabilität hat sich in den letzten Jahren aber als stabil erwiesen, ich sehe keinen Grund, warum sich das ändern sollte.“
Wobei der Goldpreis in der jüngeren Vergangenheit als Reaktion auf Corona zunächst stark angestiegen war, dann aber zurückfiel. Angesichts kaum erlebter Krisen – Ukraine-Krieg, extreme Inflation, Energie-Verunsicherung – könnte das für einige Investoren enttäuschend sein. Der Börsen-Kurier fragte Krieger zu seiner Einschätzung der weiteren Goldpreisentwicklung. „Man muss in Betracht ziehen, dass sich die Zinsen erhöht haben – einige Großinvestoren wandern vermehrt in den Fixed-Income-Bereich ab. Den Goldpreis sehe ich aktuell als stabil an und rechne momentan nicht mit viel Bewegung. Geht man aber von einer Normalisierung und mehr Klarheit bei der Zinssituation aus, glauben wir, dass sich Gold im kommenden Jahr in Richtung von 2.000 USD pro Feinunze bewegen wird. Das ist nicht nur unsere Hausmeinung, sondern auch die von vielen Edelmetall-Analysten“, so Krieger.
Mehr Aufklärung
Was dem Experten noch am Herzen liegt, ist mit einem gewissen Informationsdefizit aufzuräumen. Denn laut der Umfrage besteht im Widerspruch zur Beliebtheit von Gold die Erkenntnis, dass 71,8 % der Österreicher sich weniger bis sehr schlecht über Edelmetalle informiert fühlen. „Die Leute wissen etwa nicht, wo sie Gold seriös kaufen können, woran sie echtes Gold erkennen und welche Anlagemöglichkeiten sie prinzipiell haben. Auch kursieren Falsch-Infos bzw. Mythen, etwa dass Gold nur etwas für Reiche ist. Wir wollen dem Fakten und Aufklärung entgegenstellen“, so Krieger abschließend.
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Öffentliches und privates Kapital notwendig
Im Kampf gegen den Klimawandel hat der Finanzsektor eine Brückenfunkton.
Harald Kolerus. Rund 2,4 Bio USD werden Entwicklungsländer bis 2030 aufwenden müssen, um dem Klimawandel entgegenzuwirken – und das jährlich. Auch in den hochentwickelten Industrienationen sind Billionenbeträge notwendig, damit das 1,5-Grad-Ziel von Paris hoffentlich doch noch verwirklicht wird. Diese und viele andere interessante Zahlen erfuhr man im Seminar „Das Gute Geld – Investieren mit MehrWert“, ins Leben gerufen vom Klimabündnis Oberösterreich und dem Umweltcenter der Raiffeisenbank Gunskirchen.
Schnell die Welt retten
Bereits zum 6. Mal veranstaltet, lautete das Motto heuer: „Wege aus der Energiekrise – Können uns erneuerbare Energien retten?“ Prof. Timo Leukefeld, Energieexperte und Unternehmer, bejahte diese Frage in seiner Keynote: „Eine Rettung aus der Energiekrise ist möglich, es muss sich aber auch finanziell für die Beteiligten rentieren.“ Dazu brauche man neue Konzepte und Geschäftsmodelle, die er als den „ganz großen Hebel“ bezeichnete. Wobei Leukefeld auf die Konzeption emissionsarmer Immobilien mit Schwerpunkt Ein- und Mehrfamilienhäuser spezialisiert ist.
Als neues Geschäftsmodell stellte er eine Flat-Rate-Miete vor und führte aus: „Heute zahlen wir für eine Kaltmiete, für Wärme, Strom und an der Tankstelle. Das ist nicht mehr zeitgemäß. Sinnvoller ist eine Flat-Rate-Miete, die all diese Komponenten vereint und die für fünf Jahre fix ist.“ Der Vermieter könne die gesamten Leistungen bündeln und aus einer Hand anbieten. Laut Leukefeld würde das die Rendite erhöhen und gleichzeitig Wohnen günstiger machen. Voraussetzungen seien dabei Anfangsinvestitionen in ökologischen Wohnbau, inklusive Solaranlagen auf Dächern und Fassaden (letztere sind immer frei von Schnee), Infrarotheizung, hausinterner E-Tankstelle uvm.
Österreich: Gut aufgestellt
Der hauptsächlich in Deutschland unternehmerisch tätige Leukefeld hatte auch durchaus Lob für Österreich parat: „Oft blicke ich neidvoll nach Österreich, wie weit man hier in vielen Gebieten schon ist, das gilt vor allem für den Bereich Gebäude und Energie.“
Die gute Ausgangslage der Alpenrepublik bestätigte Kristina Haselgrübler, Leiterin des Umweltcenters Raiffeisenbank Gunskirchen: „Österreich befindet sich durch die starke Positionierung von Wasserkraft und Biomasse in einer komfortablen Situation.“ Immerhin stammen rund 42 % der Energieproduktion hierzulande aus erneuerbaren Quellen, was allein die Stromerzeugung betrifft, sind es sogar über 80 %. Dennoch sind weitere hohe Investitionen in alternative Energien, Effizienz, Infrastruktur etc. dringend notwendig. „Banken und prinzipiell die
Finanzwirtschaft spielen hier ebenso eine große Rolle wie Bürger und Politik“, war eine mehrmals getätigte Schlüsselaussage der Veranstaltung.
Hohe Investments nötig
Stefan Sengelin, im heimischen Klimaministerium in leitender Position mit nachhaltiger Wirtschaft beschäftigt, bestätigte: „Der Finanzsektor stellt eine Brückenfunktion dar, um Investments in den Bereich erneuerbarer Energien zu erleichtern. Wir benötigen öffentliches und privates Kapital, um aus dem fossilen System auszusteigen.“ Tatsächlich ist der Finanzierungsbedarf enorm: An die 16 Mrd Euro pro Jahr sind in Österreich notwendig, um bis 2030 die Pariser Klimaziele zu erfüllen.
Norbert Rainer, Geschäftsführer Klimabündnis Oberösterreich, fasste zusammen: „Beim Klima denkt man vielleicht nicht gleich ans Investieren, aber gerade als Anleger kann man sehr viel bewirken. Man sollte sich die Frage stellen: Arbeitet mein Geld für Klimaschutz und eine bessere Zukunft, oder hilft es womöglich Atom- und Ölkonzernen oder unterstützt die globalisierte Agrarlobby und die Regenwaldzerstörung?“
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Immobilienverkauf mit Wohnrecht
Leibrente und Immobilien-Teilverkauf sind Möglichkeiten, um an Geld zu kommen.
Patrick Baldia. Man verkauft seine Immobilie und erhält den Kaufpreis nicht wie sonst üblich per Einmalzahlung, sondern in regelmäßigen periodischen Raten. So lässt sich in groben Zügen das Modell der Leibrente bzw. des Immobilien-Teilverkaufs umschreiben, das älteren Menschen angeboten wird. Ganz so einfach wie es erscheint, ist das Ganze freilich auch wieder nicht, gibt es doch vielfältige Ausgestaltungsmöglichkeiten. So kann etwa der Verkäufer weiter in der Immobilie wohnen und dafür eine einmalige Zahlung ausverhandeln. Eine andere Variante ist wiederum die Vereinbarung einer kleineren Anzahlung und Leibrente inklusive Wohnrecht.
„Angesichts steigender Lebenshaltungskosten und immer größerer Hürden für ältere Menschen bei der Kreditvergabe ist der Verkauf einer Immobilie auf Leibrente eine alternative Möglichkeit an Geld zu kommen“, sagt Michael Schmidt, Geschäftsführer der 3SI Immogroup. Mit der Wiener Leibrentenpension hat das Familienunternehmen erst kürzlich ein einschlägiges Produkt vorgestellt, das sich im Übrigen äußerst hoher Nachfrage erfreuen soll, wie der Börsen-Kurier auch aus anderen Quellen in Erfahrung bringen konnte.
Inflationsschutz
Für Schmidt sind mit dem Verkauf auf Leibrente jedenfalls etliche Vorteile verbunden. Allen voran, dass die Verkäufer auf Wunsch weiter in der betreffenden Immobilie wohnen können. Die Instandhaltung des Objekts liege jedoch mit dem Abschluss des Kaufvertrags im Verantwortungsbereich des Käufers. Ein weiterer Vorteil, der gerade im aktuellen Umfeld wichtig ist: Da meist eine Wertsicherungsklausel vereinbart wird, sind die regelmäßigen Einkünfte unabhängig von Inflation und den Preisentwicklungen am Immobilienmarkt. Kurz: die Leibrente dient in diesem Fall auch der Wertsicherung. Sehr oft entscheiden sich ältere Menschen aber auch für einen Verkauf per Leibrente, um in die eigene Immobilie investieren zu können.
Aus reiner Wohltätigkeit handeln die Anbieter natürlich nicht. Der wohl größte Vorteil für sie ist, dass sie einen geringeren Kaufpreis oder regelmäßig wiederkehrende Beträge zahlen müssen. Dem gegenüber steht wiederum die Möglichkeit, dass der Leibrentenbezieher sehr lange lebt und die geleisteten Leibrentenzahlungen den Wert der betreffenden Immobilie übersteigen.
„Seine Immobilie zu veräußern ist immer ein großer Schritt“, bringt es Schmidt auf den Punkt. Vor allem weil Verkäufer und Immobilien immer ihre ganz eigene Geschichte hätten. Daher lege man bei der Wiener Leibrentenpension auch viel Wert auf eine eigenständige und persönliche Begleitung durch den gesamten Prozess sowie auf individuelle und maßgeschneiderte Lösungen. Ein neu entwickelter Online-Rechner ermögliche es Verkaufsinteressenten zudem, in nur wenigen Schritten ein für ihre Immobilie mögliches Leibrentenmodell zu berechnen.
Immer mehr Anbieter – nun auch in Österreich
Neu ist der Immobilien-Teilverkauf bzw. das Leibrenten-Modell freilich nicht, in Österreich ist das Angebot aber überschaubar. Anders die Lage in Ländern wie Deutschland, Großbritannien und Spanien, wo es eine Vielzahl an Anbietern gibt. Nicht von der Hand zu weisen ist allerdings, dass sich mehr und mehr Player mit der Thematik auseinandersetzen, wie auch das Beispiel der Wiener Leibrente zeigt. Erst kürzlich hat auch Engel & Völkers ein einschlägiges Angebot gestartet. Über die neu gegründete EV LiquidHome GmbH in Graz sei der Immobilien-Teilverkauf ab sofort auch hierzulande möglich, war per Aussendung zu erfahren.
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Europa: Konsumiert wird immer
Ein Kommentar von Moritz Rehmann, Fondsmanager des „DJE – Multi Asset & Trends“.
(07.11.) Steigende Lebenshaltungskosten und eine sich eintrübende Verbraucherstimmung führen früher oder später zu sinkenden Einzelhandelsumsätzen. Doch was gerade für kleinere Betriebe zur existenziellen Bedrohung wird, muss nicht zwangsläufig für den gesamten Konsumsektor gelten. Anlegerinnen und Anleger, die auch von dieser Entwicklung profitieren wollen, sind gut darin beraten, einen genaueren Blick auf den Sektor zu werfen, dessen Margen zum Teil erheblich voneinander abweichen.
Wenn Energiepreise explodieren, die Verbraucherstimmung sinkt und Mitarbeiter nur schwer zu bekommen beziehungsweise zu halten sind, ist dies für viele Branchen und Unternehmen ein toxischer Cocktail. Vor allem für den Einzelhandel, der ohnehin schon seit einigen Jahren mit der Abwanderung des Konsums ins Internet zu kämpfen hat, bedeutet das aktuelle Marktumfeld eine gewaltige Herausforderung, wie aktuell in Deutschland das erneute Schutzschirmverfahren der Warenhauskette Galeria zeigt. Hinzu kommt, dass Waren aus dem Dollarraum deutlich teurer geworden sind, wobei der Euro gegenüber dem US-Dollar allein in den letzten zwölf Monaten um etwa 15 Prozent abgewertet hat. Zwar haben viele Betriebe aus der Corona-bedingten Unterbrechung der Lieferketten gelernt, indem sie ihre Lagerbestände erhöht haben, um erneuten Lieferschwierigkeiten zu entgehen. Doch jetzt treffen ausgerechnet in der umsatzstärksten Zeit des Jahres gefüllte Lager wie etwa bei den Sportartikelherstellern Adidas und Nike auf eine schwindende Konsumlaune. Dies drückt auf die Preise und erst recht auf die Margen.
Positiv zu erwähnen ist hingegen, dass die Beschäftigungssituation sowohl in den USA als auch in Europa nach wie vor gut ist und dass die Verbraucher vor allem in den USA tendenziell weiter auf hohe Ersparnisse im Vergleich zu vor der Corona-Pandemie zurückgreifen können. Außerdem läuft das Luxussegment im Vergleich zu anderen Segmenten weiterhin stabil. Hört man sich in den verschiedenen Bereichen des Konsumsektors um, trifft das aktuell schwierige Marktumfeld mehrheitlich eher die „Kleinen”. Skaleneffekte werden wichtiger. Direkter Kundenkontakt ist ebenfalls ein wichtiger Wettbewerbsvorteil. Firmen mit effizienter Lieferkette haben einen weiteren entscheidenden Vorteil: Wenn zum Beispiel Apple einen Container mit iPhones aus China direkt in einen seiner Apple Stores schickt, sind die Fracht- und Handling-Kosten, heruntergerechnet auf ein Smartphone, nach wie vor fast zu vernachlässigen. Aber wenn eine Ware im Zick-Zack vom Hersteller über verschiedene Großhändler vertrieben wird und damit letztendlich in Kleinmengen beim Einzelhändler eintrifft und als Einzelposten schließlich beim Kunden landet, belasten die Fracht-, Handling- und Lagerkosten die Marge massiv.
Die Marktmacht des Sonderposten-Handels am Beispiel TJX
Die US-Firma TJX (TJ Maxx beziehungsweise TKMaxx in Europa) kämpft sich derzeit gut durch die Krise. Hohe Lagerbestände auf Seiten der Industrie bedeuten für einen opportunistisch einkaufenden Sonderposten-Händler günstige Einkaufskonditionen und ermöglichen ihm einen Zugriff auf Sortimente, die beim Endverbraucher gefragt sind. Viele Verbraucher, die auch künftig nicht auf Markenprodukte verzichten wollen, werden sich vermehrt bei Sonderposten-Händlern wie TJX umsehen, um ihre Ausgaben zu reduzieren. Vielleicht muss sogar Nike angesichts zu voller Lager TJX wieder neu beliefern. Der Lagerumschlag von TJX fällt im Branchenvergleich überdurchschnittlich gut aus: Top Stores, wie z.B. derjenige in München, werden pro Tag mehrfach aufgefüllt. Die ganze Ware auf der Fläche des Ladens wird pro Monat mutmaßlich mehrfach gedreht. Allerdings sind die Artikel nur bedingt preiswert: Wenn man als Konsument auf einen bekannten Markennamen ganz verzichten würde, wäre es günstiger. Will man zum Beispiel vor dem Winter mit drei Kindern Winterjacken und -stiefel einkaufen, ist das auch bei TJX ein teures Unterfangen. Und die Impulskäufer könnten angesichts der hohen Inflation auch wegfallen. Dennoch ist die Marktmacht von TJX beeindruckend. Im Bekleidungsbereich sind es inzwischen mehr als fünf Prozent Marktanteil allein in den USA. An solch einem Händler kommt man als Lieferant nur schwer vorbei, während Vermieter zu Zugeständnissen bereit sind, um diesen Mieter zu halten.
Konsolidierung und Konzentration
Die überwiegende Mehrzahl der großen, börsennotierten Konzerne dürfte es ebenfalls vergleichsweise gut durch die aktuelle Krise schaffen. Dagegen werden viele kleinere Marktteilnehmer wahrscheinlich schließen müssen, falls sie ihre Nische nicht perfekt bedienen. Wer einen Businessplan verfolgt, in dem bis zum Erreichen einer führenden Marktposition noch über Jahre viel Geld verbrannt wird, der wird Schwierigkeiten haben, seine Bewertung zu halten bzw. Kapitalgeber vom zukünftigen Erfolg zu überzeugen. Im Onlinehandel dürfte es zu weiteren Konzentrationen kommen. Die Großen werden größer beziehungsweise größer werden müssen. Ein Onlineshop – sofern dieser nicht stark spezialisiert ist – wird es immer schwerer haben, unter 100 oder 150 Mio Euro Jahresumsatz überhaupt profitabel wirtschaften zu können. So komplex ist dieser Bereich inzwischen geworden. Laut einer Aufstellung, die der Nachrichtensender n-tv erst jüngst veröffentlicht hat, steigt der Umsatzanteil der zehn größten Onlineshops weiter. So landen inzwischen rund 41,1 Prozent der Umsätze bei den Top 10: Amazon, Apple, Doc Morris, H&M, Ikea, Lidl, Media Markt, Otto, Saturn und Zalando (in alphabetischer Reihenfolge laut EHI Retail Institute).
China: Ein wichtiger, aber schwieriger Markt für Sportartikelhersteller
Den großen Sportartikelherstellern wie Adidas und Nike ist es bis jetzt nicht gelungen, nach den Verwerfungen angesichts der Diskussion um die Verwendung bzw. den Einsatz von Baumwolle aus der Provinz Xinjiang im Nordwesten Chinas zu den historisch gewohnten Wachstumsraten zurückzukehren. Die maßgebliche Herausforderung in diesem Kontext ist die chinesische Werbelandschaft. Gerade in China ist es für den Absatz von Lifestyleartikeln essenziell, mit den richtigen Influencern und Testimonials im Markt präsent zu sein, um auf Plattformen wie TikTok die wichtigen Zielgruppen zu erreichen. Aber daran hapert es, da sich viele chinesische Influencer in einem Klima politischen Drucks offenbar sehr schwertun, wieder für westliche Konzerne zu werben. Nike konnte den Rückgang noch etwas besser abfangen als Adidas, da Performance und Events stärker im Marketingfokus liegen. Aber auch Nike konnte an das Momentum, das vor der politischen Diskussion bestand, noch nicht wieder anknüpfen.
Die in China immer wieder verhängten regionalen Lockdowns bremsen eine Rückkehr zu einem normalen Konsumverhalten nachhaltig. Eine schnelle bzw. unmittelbare Abkehr von der Null-Covid-Politik des Landes ist nach dem abgeschlossenen Parteitag mit der Neubesetzung der entscheidenden Gremien mit linientreuen Politikern vorerst nicht realistisch. Dennoch besteht die leise Hoffnung, dass China 2023 seine Wirtschaft wieder graduell öffnet und eine weniger strikte Corona-Politik verfolgen wird. Von den Problemen der westlichen Sportartikelhersteller Adidas und Nike können dagegen lokale Wettbewerber profitieren, darunter vor allem Anta Sports. Mit seinem im mittleren Preissegment angesiedelten Sortiment, das mit der lokalen Marke unter anderem den aktuellen Zeitgeist trifft, konnte Anta in den vergangenen Quartalen signifikante Marktanteilsgewinne erzielen. Zudem profitierte Anta auch von einer besseren Sortiment-Verfügbarkeit, da hauptsächlich in China produziert wird und somit Lieferengpässe nicht gravierend waren. Die Olympischen Spiele in Beijing im vergangenen Winter, bei der Chinas Nationalmannschaft werbewirksam von Anta ausgestattet wurde, kam verstärkend hinzu. Insgesamt führten damit die vergangenen beiden Jahre zu einer Neustrukturierung des wichtigen chinesischen Wachstumsmarktes für Sportartikel. Noch bleibt abzuwarten, wie nachhaltig die Orientierung hin zu den eigenen Marken wirkt. Das aktuelle politische Umfeld lässt allerdings einen schnellen Wechsel zur pro-westlichen Stimmung der vergangenen Jahre nicht erwarten.
Luxus: Auf die Marke kommt es an
Der Markt für Luxusartikel verzeichnet anhaltend starke Wachstumsraten, als gäbe es keine Krise. Gefragt sind vor allem Ledertaschen sowie Schmuck. Der Umsatz des französischen Luxuswarenkonzerns LVMH in der Sparte Mode und Lederwaren, der für den Großteil des Konzerngewinns verantwortlich ist, stieg weltweit im dritten Quartal um 22 Prozent. Vor allem Dior ist ein stark nachgefragtes Label, aber auch „zeitlose“ Louis-Vuitton-Taschen verkaufen sich anhaltend gut.
Ebenfalls beliebt ist hochwertiger Schmuck. Renommierte Marken wie Cartier (Umsatz plus zwölf Prozent im zweiten Quartal beziehungsweise plus 49 Prozent im Geschäftsjahr März 2021/22) oder Tiffany (gehört zu LVHM-Sparte Uhren & Schmuck / Umsatzplus der Sparte 16 Prozent im dritten Quartal) gewinnen Marktanteile hinzu. Hier kommt es allerdings auf die Marke an: Die Nachfrage konzentriert sich auf die renommierten französischen Luxushäuser wie LVMH, Cartier (gehört zum Richemont-Konzern) und Hermès. Je höher der Preis, desto besser ist die Nachfrage. Hermès ist im oberen Luxussegment angesiedelt und konnte den Umsatz um 24 Prozent im dritten Quartal steigern. Besonders stark nachgefragt sind unter anderem „Birkin“-Taschen mit einem meist fünfstelligen Preis. Bei einer Auktion von Christie’s wechselte zuletzt sogar ein Modell für 244.000 Euro den Besitzer. Auf der Luxusgüterplattform Farfetch muss man für gebrauchte „Birkin“-Taschen immer noch bis zu 97.000 Euro bezahlen. Nach dem Erwerb von Yoox NET-A-PORTER sowie einer Partnerschaft mit Alibaba in China etabliert sich Farfetch zu einer der führenden Luxusplattformen in einem noch immer sehr fragmentierten Online-Markt für Luxusgüter.
Erfolgskriterium: Nachfrage aus China
Das Luxussegment weist eine interessante Parallele zu Sportartikeln auf: Auch für dieses Segment ist China ein ausgesprochen wichtiger Markt. Ähnlich wie bereits in einigen anderen Sektoren ist die weitere Branchenentwicklung des Luxussegments davon abhängig, inwieweit sich China auf absehbare Zeit erholen oder inwiefern die aktuelle Krise zu einem Nachfrageeinbruch in Europa oder den USA führen wird. Noch vor ein paar Jahren erzielten führende Luxuskonzerne wie LVMH oder Richemont fast die Hälfte ihrer Umsätze in China. Infolge der restriktiven Null-Covid-Politik ist die Nachfrage dort allerdings deutlich eingebrochen und hat sich bis heute nicht wirklich erholt. Diverse Lockdowns vor allem in großen Metropolen wie Schanghai oder Peking belasten zusätzlich. Eine Abkehr von der strikten Null-Covid-Strategie könnte daher für eine Nachfragerholung sorgen.
Das Fazit: Bislang hat sich der Wohlstandsverlust als eine Folge der stark gestiegenen Inflation nicht negativ auf die Nachfrage ausgewirkt. Mit Zeitverzug dürfte sich früher oder später aber die Nachfrage in Europa und USA abschwächen, obwohl die Umsätze generell von einem starken US-Dollar unterstützt werden.
Brasiliens Wirtschaft zeigt sich resistent
Im Gegensatz zur Politik weist der Aktienmarkt eine robuste Verfassung auf.
Roman Steinbauer. Der politische Machtkampf in Brasilien überlagert im größten süd-amerikanischen Land eine teils solide ökonomische Resistenz. Vom Ergebnis der Präsidentenwahl (das Staatsoberhaupt ist seit der Gründung der Republik im Jahr 1889 zugleich Regierungschef) sind keine tiefgreifenden, unerwarteten Strukturänderungen rund um den Amazonas zu erwarten. Hatte der Wahlsieger Luiz Inácio Lula da Silva doch bereits von 2003 bis 2011 das mächtigste Amt Brasiliens inne. Die attraktive demographische Entwicklung (laut dem Datenportal Statista betrug das Durchschnittsalter der Bevölkerung in 2021 32,8 Jahre) verspricht langfristig weiterhin eine hohe Konsumentennachfrage.
Energie- und Rohstoffwerte stützen
Weit solider als die politische Polarisierung es vermuten lässt, zeigt sich in dem 214 Mio Einwohner zählendem Staat der Aktienmarkt. Der führende Wertpapier-Index Bovespa verlor in einem global schwachen Umfeld seit dem Rekordstand vom Juni des Vorjahres bloß ein Zehntel des Wertes. Verantwortlich für die robuste Entwicklung der involvierten Werte ist in erster Linie die Zusammensetzung der Branchen. Ob führende Rohstoffkonzerne wie Vale (ISIN: BRVALEACNOR0), der Ölriese Petrobras (BRUSIMACNPA6) oder auch Vertreter der Stahlindustrie wie Gerdau (BRGGBRACNPR8) – sie stehen nahe an Spitzennotizen. Dazu macht sich die Dominanz der Energiegesellschaften wie Companhia Paranaense der Energia (BRCPLEACNPB9), Companhia Energetica de Minas Gerais (BRCMIGACNPR3), Centrals Eletricas Brasileiras (BRELETACNOR6) bemerkbar. Nur gering im Hintertreffen befinden sich Wertpapiere der Petrochemie bzw. Kunststoffindustrie wie Braskem (BRBRKMACNPA4) oder jene der Finanzinstitute wie der Banco Bradesco (BRBBDCACNPR8) oder der Beteiligungsholding Bradespar (BRBRAPACNPR2). Aktien der genannten Unternehmen werden durchwegs in Form von ADRs (American Depositary Receipts; das sind Hinterlegungsscheine für Original-Aktien) auch an den Börsen Frankfurt oder Stuttgart gehandelt.
Profitierender Real
Im Gegensatz zu früheren krisenhaften Zeitabschnitten überflügelte der brasilianische Real (BRL) im Jahr 2022 sogar den US-Dollar. Waren zu Jahresbeginn noch 5,6 BRL per USD zu berappen, sind aktuell nur noch 5,1 BRL aufzuwenden. Gegenüber dem Euro erstarkte dieser eklatant um 20 %. Die Inflation ermäßigte sich in Brasilien auf Jahresbasis seit Juli (11,9 %) auf 7,2 % im September. Damit liegt der Leitzinssatz aktuell um mehr als 6 % über der Teuerungsrate. Denn die Zentralbank ging bereits früh entschlossen gegen galoppierende Preise vor und hob diesen binnen eines Jahres in mehreren Schritten von 2 auf zuletzt 13,75 % an. Die Handelsbilanz ist (vor allem durch die Agrarexporte) konstant positiv. Das Industrieministerium in Sao Paolo wies hierzu für Oktober einen Überschuss von 3,92 MrdBRL (umgerechnet 784 Mio€) aus. Verhalten präsentiert sich die Industrieproduktion. So verzeichnete das Statistik-Ministerium (IBGE) im September auf Jahresbasis einen mageren Zuwachs um 0,4 %. Hier ist anzumerken, dass die Fertigungen zwischen November 2021 und April 2022 jeweils noch zwischen 4 und 6 % einknickte. Von der Beschäftigungsfront kommen indessen positive Daten. So sank die Arbeitslosenquote im September mit 8,7 % auf den tiefsten Stand seit April 2016. Im Verhältnis zu vielen europäischen Staaten nimmt sich die brasilianische Netto-Staatsverschuldung (finanzielle Vermögenswerte der Republik sind abgezogen) mit 58 % des BIP (Angaben der Banco Central do Brasil) moderat aus.
Foto: Pixaby / chulwan
Rüstungsaktien ins Portfolio?
Produzenten profitieren von den weltweit höheren Verteidigungsbudgets.
Michael Kordovsky. In Europa kosten kriegsbedingte Lieferunterbrechungen Verbraucher über höhere Inflationsraten viel Geld. Einen Teil davon könnten Kursgewinne bei Rüstungsaktien kompensieren, die aufgrund akzeptabler Bewertungen und solider Absatzmärkte fundamental nach unten abgesichert sind.
Bereits vor dem Ukraine-Krieg waren die Verteidigungsausgaben hoch. Laut Stockholm International Peace Research Institute stiegen sie 2021 weltweit (das siebente Jahr in Folge) um 0,7 % auf rund 2.180 Mrd Euro. Mit 3,5 % Zuwachs ist dabei die Region Asien-Pazifik der Wachstumsträger. Doch der Ukraine-Krieg führt auch dazu, dass die Nato-Länder ihre Sicherheitsetats erhöhen. Deutschland stellt ein 100-Mrd-Euro-Sonderbudget für die Bundeswehr zur Verfügung und der Kurs der Rheinmetall-Aktie (ISIN: DE0007030009) stieg von Feber bis Ende Juni 2022 um 120 %.
Rheinmetall und Hensoldt
Rheinmetall gilt als Profiteur der Neuausrichtung der Politik vieler Länder nach dem russischen Einmarsch in der Ukraine, doch zuletzt belasteten Meldungen, wonach sich verzögerte Entscheidungen Australiens negativ auf den Auftragseingang 2022 auswirken könnten. Rheinmetall rechnet aber nach wie vor damit, dass Australien bis Ende des laufenden Jahres einen Auftrag über bis zu 450 gepanzerte Fahrzeuge vergibt. Und wirft man einen Blick auf den aktuellen Analystenschätzungskonsens, dann wäre die Aktie angesichts der erwarteten längerfristigen Ertragsdynamik nach jüngster Konsolidierung sogar günstig (erwartetes KGV 2024 von 9,7 bei einem Kurs von 161,8 Euro).
Ebenfalls interessant ist die in Taufkirchen ansässige Hensoldt (DE000HAG0005), die 2017 aus ehemaligen Geschäftsbereichen von Airbus Defence and Space für Sensortechnologie in den Bereichen Verteidigung, Sicherheit, Luft- und Raumfahrt entstand. Zuletzt lieferte Hensoldt vier Verteidigungsradare für die Ukraine, die Ziele im Umkreis von 250 Kilometer anzeigen. Im ersten Halbjahr 2022 stiegen der Umsatz um 40,3 % auf 682 Mio Euro und das bereinigte Ebitda um 37,7 % auf 61 Mio Euro. Für das Gesamtjahr geht das Management von einem vorteilhafteren Verhältnis Auftragseingang zu Umsatz aus als ursprünglich erwartet.
Dauerbrenner
Ein Dauerbrenner ist Lockheed Martin (US5398301094), der für Kampfjets wie F-35 oder F-22 Raptor und diverse Raketensysteme bekannt ist. Von 2017 bis 2021 konnte das Unternehmen den Cash-flow aus laufender Geschäftstätigkeit um 9,2 % p.a. auf umgerechnet 9,5 Mrd Euro steigern. Der Aktienkurs stieg in den vergangenen zehn Jahren um rund 420 % und von 2022 auf 2023 sollte laut Zacks-Schätzungskonsens der Gewinn/Aktie von umgerechnet 22,37 auf 28,44 Euro steigen, woraus ein für 2023 erwartetes KGV von 17,5 resultiert. Ein ähnliches KGV weist General Dynamics (US3695501086) auf, die Panzer, Munition und U-Boote anbietet und bis 2026 ein kontinuierliches Wachstum aufweisen sollte.
Auf Jahressicht um 49 % (per 3.11.) kräftig abgehoben hat der Kurs des Rüstungs- und Raumfahrt-Konzerns Northrop Grumman (US6668071029), bekannt für den Tarnkappenbomber B-2 und das unbemannte Experimentalkampfflugzeug X-47. Allerdings ist der Wert nach jüngsten Anstiegen korrekturgefährdet. Vom Chart her mehr Luft nach oben hat der Raketenspezialist Raytheon Technologies (ISIN: US75512E1010) der per 3. April 2020 mit United Technologies fusionierte und Flugzeugturbinen sowie Komponenten für die Luft- und Raumfahrt anbietet.
Foto: Hensoldt / Diehl
Virtueller Schutz wird wertvoller
Die Cyber-Übergriffe steigen, der Bedarf an Schutz ebenso.
Raja Korinek. Die zunehmende Vernetzung der globalen Wirtschaft sowie die wachsenden Datenmengen sind nicht mehr wegzudenken. Doch die Entwicklung bringt auch Hacker auf den Plan, weshalb die Zahl der Cyberangriffe zunimmt. Dies verdeutlichen Statistiken des „Cybercrime Report 2021“ des Innenministeriums. Denen zufolge gab es im Vorjahr beinahe 20 % mehr Anzeigen (rund 46.000) bei Tatbeständen zu Cybercrime im engeren Sinn im Vergleich zu 2020. Solche Tatbestände umfassen kriminelle Handlungen, bei denen Angriffe auf Daten oder Computersysteme unter Verwendung der Informations- und Kommunikationstechnik (IKT) begangen werden, so etwa Hacking.
Hohe Schäden aufgrund von Cyberangriffen
Die Lage ist ernst. Das sieht auch Philipp von Königsmarck, Head of Wholesale Sales Germany Austria and Luxembourg bei Legal & General Investment Management (LGIM), so. Er sagt: „Cyberattacken erreichen Schadensummen, die vergleichbar sind mit den Folgen verheerender Naturkatastrophen.“ Er nennt als Beispiel Hurrikan Irene. Dieser verwüstete 2011 unter anderem große Teile Puerto Ricos, der Dominikanischen Republik und Haitis. Die Schadenssumme erreichte dabei rund 16 Mrd USD. Von Königsmarck meint, „der sogenannte ‚NotPetya‘-Angriff auf Computersysteme in vielen Ländern Europas sowie den USA verursachte 2017 hingegen Schäden in Höhe von gut 10 Mrd USD.“
Zu den wirtschaftlichen Schäden kommen laut dem LGIM-Experten Auswirkungen auf Lebensqualität und Gesundheit im Falle von Angriffen auf die kritische Infrastruktur. „Das Thema rückte spätestens 2021 mit dem Ransomware-Angriff auf die größte Erdölpipeline in den USA ins öffentliche Bewusstsein. Trotz rascher Zahlung des Lösegelds zog sich die Wiederinbetriebnahme der Pipeline lange hinaus. Die Folge waren Treibstoffengpässe und steigende Preise.“
Budgets werden steigen
Von Königsmarck zieht ein klares Fazit: „Wachsende Budgets für Cyber-Sicherheit werden erwartet. Die weltweiten Ausgaben sollen von rund 260 MrdUSD im Vorjahr auf beinahe 460 MrdUSD im Jahr 2025 steigen.“
Angesichts solcher Entwicklungen ist auch das Ergebnis der „Global Digital Trust Insights Survey“ von PwC nachvollziehbar. Dieser zufolge planen heimische Unternehmen im kommenden Jahr erhebliche Investitionen, um Cyberangriffe abzuwehren, und befürworten eine Offenlegung von Cybervorfällen. Laut der Studie habe sich in den vergangenen Jahren viel bewegt und das Thema sei mittlerweile auf der Führungsebene angekommen, zeigt Georg Beham, Partner und Cybersecurity & Privacy Leader bei PwC Österreich, auf.
Indexzertifikate als Chance
Risikobereite Anleger können entsprechend auf Branchenunternehmen setzen, die im Bereich der virtuellen Sicherheit tätig sind. Das Cybersecurity-Indexzertifikat von Alphabeta Access Products (ISIN: DE000DA0AB89) etwa setzt auf zehn Titel, großteils aus den USA, aber auch aus Israel und Deutschland. Ein Beispiel ist Fortinet (US34959E1091). Der US-Konzern stellt Software her, um Cyberangriffe abzuwehren. Auch die deutsche Secunet Security Networks (DE0007276503) ist auf IT-Sicherheit spezialisiert.
Der „Cyber Security Index“ der Bank Vontobel (DE000VS5ZCS6) umfasst 13 Titel. Mehr als 90 % entfallen geografisch auf die USA, der Rest auf Japan. Größte Einzelgewichtung ist derzeit Qualys (US74758T3032), das auf Cloud-Sicherheit spezialisiert ist. Verisign (US92343E1029) bietet einen sicheren Betrieb von Webseiten an. Bei beiden Produkten müssen Anleger aber auch mit größeren Schwankungen rechnen.
Foto: Pixabay / kalhh
Warum Anleger die Gewinner der letzten Zyklen vermeiden sollten
(02.11.) Die Aktienmärkte auf der ganzen Welt sind in eine Baisse eingetreten, viele Anleger konzentrieren sich nun auf die Wahrscheinlichkeit einer Rezession. Lisa Thompson, Portfoliomanagerin bei Capital Group, ist jedoch der Meinung, dass diese Rückgänge auch Chancen für Anleger schaffen, wenn diese die Gewinner des letzten Zyklus vermeiden.
„Märkte haben lange Zyklen“, sagt Thompson. „Ich glaube, dass die Pandemie das Ende des Zyklus nach der globalen Finanzkrise markierte – ein Zyklus, der von Schuldenabbau, Nachfrageschocks und wachsender Globalisierung geprägt war.“ Diese Bedingungen hätten zu einer lockeren Geld- und Steuerpolitik, niedrigen Kapitalkosten und einer Inflation der Aktienkurse geführt.
Heute stünden wir am Anfang eines neuen Zyklus, der Thompsons Meinung nach durch Deglobalisierung, ein schrumpfendes Arbeitskräfteangebot und Dekarbonisierung gekennzeichnet sein werde. Diese Bedingungen führten zu einer Verlagerung von der Inflation der Vermögenspreise zur Inflation der Güterpreise. „Gewinnmargen und hoch bewertete Aktien werden weiterhin unter Druck stehen“, erläutert Thompson. „Da ich in diesem Zeitraum mit einer allgemein höheren Inflation rechne, möchte ich viele der wachstumsstarken, hauptsächlich amerikanischen Unternehmen meiden, die zu den Gewinnern des letzten Zyklus gehörten.“
Die Rache der Nerds
Wenn sich die Zyklen verschieben würden, ändere sich auch die Marktführerschaft. Daher konzentriere Thompson sich im heutigen Umfeld steigender Zinssätze auf Gelegenheiten, in preisgünstige Unternehmen zu investieren, die einen starken Cashflow generieren. Sie bezeichnet dieses Thema als „die Rache der Nerds.“ Im Allgemeinen halte sie sich von den coolen Kids des letzten Jahrzehnts – den glitzernden Technologie- und Medienunternehmen – fern und suche nach Gelegenheiten bei den unbeliebten Kids in diesen Branchen, die unter den niedrigen Kapitalkosten, der schlechten Kapitalallokation und nachteiligen Vorschriften leiden würden. Einige Beispiele hierfür seien führende Telekommunikationsunternehmen in Märkten wie Europa, Mexiko und Japan.
„Meines Erachtens haben viele US-Unternehmen stärker von der Globalisierung und den niedrigen Kapitalkosten profitiert als ähnliche Unternehmen in anderen Märkten“, analysiert sie.
Angesichts der jüngsten Befürchtungen über eine Deglobalisierung und steigende Inflation schaue sich Thompson Unternehmen in Europa und Japan sowie in den Schwellenländern an, die sie schon seit Jahrzehnten beobachte. Dazu würden beispielsweise Geschäftsbanken und Basiskonsumgüter in China, aber auch in Italien, Frankreich, Japan und Lateinamerika gehören.
„Kontrollierte Offensive bei Aktien“
Warum er Vorsicht walten lässt, erklärt Tilmann Galler im Interview.
Harald Kolerus. Es ist kein allzu pessimistisches Bild, das der globale Marktstratege in seinem Ausblick zeichnet – aber auch keines, dass zu Freudensprüngen animiert: Denn im Weltgeschehen bleiben viele „Wenns“ und „Abers“, weshalb J.P. Morgan Asset Management auf eine neutrale Gewichtung von Aktien und Anleihen setzt. Die letztgenannte Asset-Klasse habe dabei zuletzt an Attraktivität gewonnen.
Was Aktien betrifft, erklärt Tilman Galler (Foto rechts) im Gespräch mit dem Börsen-Kurier: „Im aktuellen Umfeld mögen wir weiterhin US-Titel, auch wenn sie im Vergleich zum Rest der Welt etwas teurer bewertet sind. Ein großes Plus für die USA ist, dass sie energie-autark sind, die Risikoprämien der AGs fallen dadurch geringer aus als in Asien oder Europa.“
Fokus auf Qualität
Was die Stil-Frage betrifft, bevorzugt der Experte den Bereich Quality/Value gegenüber Growth: „In diesen unsicheren Zeiten stellt sich die Frage nach der Entwicklung der Margen und des Finanzierungsbedarfs. Für Quality/Value-Unternehmen spricht, dass sie in der Regel eine hohe Rentabilität haben, stabile Cashflows aufweisen und günstiger bewertet sind als Growth-Titel.“
Wobei der Experte nicht gänzlich auf die zyklische Komponente verzichten will: „Momentan geht die Angst vor einer Rezession um, was aber teilweise von den Märkten bereits eingepreist worden ist. Wenn absehbar wird, dass sich die Wirtschaft wieder erholen könnte, empfiehlt sich natürlich eine zyklische Positionierung. Diese finden wir geografisch gesehen im Raum Asien/Pazifik, wo Taiwan und Korea unter die Räder gekommen sind. China ist weniger zyklisch, wobei einige Branchen interessant sind, die gezielt von Peking unterstützt werden. Etwa der Transport- und Verkehrssektor bzw. die Elektrifizierung des Verkehrs.“
Zeit der Falken
Was die gesamtwirtschaftliche Entwicklung betrifft, würde vieles vom Agieren der Notenbanken abhängen, die jetzt Getriebene der Inflation sind. Es könnte sich laut Galler aber herausstellen, dass die Zentralbanken momentan zu ,hawkish´ sind und sie im kommenden Jahr weniger restriktiv handeln werden als heuer: „Eine geldpolitische Wende ist möglich, es gibt aber einige Unsicherheiten.“
Klar ist jedenfalls, dass die Fed die Zinsen im schnellsten Tempo seit einer Generation erhöht hat. Das wirbelt die Märkte gehörig durcheinander, weitere Schritte nach oben werden erwartet. Galler sieht aber drei Argumente für eine gedämpfte Notenbankpolitik im Jahr 2023: „Erstens hat sich das Wachstum bereits abgeschwächt, und die Einkaufsmanager-Indizes in den USA, der Eurozone und Großbritannien sprechen für eine weitere Verlangsamung im kommenden Jahr, inklusive dem Risiko einer Rezession.“ Für die USA wird aktuell eine BIP-Steigerung von 0,5 % in 2023 prognostiziert, für die Eurozone Null-Wachstum.
Moderaterer Weg
„Zweitens wird die Inflation voraussichtlich zurückgehen, die Frage ist nur, wie schnell das passieren kann. Immerhin sind die Containerpreise um 60 % von ihrem Höchststand zurückgekommen, auch bei Halbleitern sieht man in manchen Bereichen eine Entspannung. Bei Lebensmitteln wird die Inflation hingegen noch hoch bleiben. Im Bereich Gas hat die EU gut vorgesorgt, wir sollten sicher über den Winter kommen, wenn dieser nicht zu hart ausfällt. Der Ölpreis könnte hingegen nach der Kürzung durch die Opec+ wieder ansteigen.“
Drittens ist der von der EZB gemessene Stress-Indikator der Finanzmärkte jetzt höher als in Pandemie-Zeiten: Dieses Stress-Szenario plus geringes Wachstum (oder sogar Rezession) plus nachlassende Inflation könnten die Notenbanken dazu veranlassen, vom „Falken-Kurs“ abzulassen und wieder mehr unterstützend zu wirken. Das klingt dann doch optimistisch, ebenso wie das Schlusswort des Experten: „In unserem Basisszenario gehen wir davon aus, dass Europa in keine tiefe Rezession abgleiten wird.“
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Frauen investieren anders
Darauf sollten sich Finanzdienstleister einstellen.
Harald Kolerus. Ein von der Standard Life Versicherung veranstalteter Workshop in Wien hat zuletzt versucht, die Unterschiede in der Finanzberatung von Frauen und Männern herauszuarbeiten. Vieles reduziert sich dabei auf das Verhältnis zwischen risikoreich und -avers.
Wenn Frauen vor 30 Jahren Informationen zur Geldanlage suchten, soll es schon vorgekommen sein, dass der Berater nach dem Gespräch Unterlagen mitgegeben hat: mit dem Hinweis, dass man sich auf die Antworten oder Fragen des Gatten freuen würde. So Christian Nuschele, Head of Distribution Standard Life Österreich und Deutschland, zum Auftakt der Veranstaltung. Diese Art von Diskriminierung gehöre der Vergangenheit an. Dennoch muss sich die Branche besser auf das weibliche Geschlecht einstellen, denn es handelt beim „Geld-Leben“ oft unterschiedlich zu Männern und ist mit anderen Rahmenbedingungen konfrontiert.
Geringerer Verdienst
Wesentlich ist dabei, dass sich Frauen sehr oft in einer weniger komfortablen finanziellen Situation befinden als Männer. Ursache ist unter anderem das „Gender Pay Gap“: Frauen verdienen weniger als Männer, im EU-Durchschnitt um 13 %. Dafür sind wiederum Erwerbsunterbrechungen (z. B. Karenz), weit verbreitete Teilzeitarbeit und unbezahlte Arbeit verantwortlich.
Zuletzt genannter Punkt ist auf die Tatsache zurückzuführen, dass Kinderbetreuung oder die Pflege von Angehörigen zumeist noch als Frauensache angesehen wird. Der geringere Lohn hat zur Konsequenz, dass in Österreich rund zwei Drittel aller armutsgefährdeten Personen weiblich sind. Wobei sich das „Gender Pay Gap“ letztlich auch unerfreulich im Ruhestand auswirkt: Die Alterspension für Frauen betragen aktuell hierzulande im Schnitt nur 1.264 Euro, bei Männern sind es immerhin 2.164 Euro.
„Selbstbewusst und Geldbewusst“
All das sind Faktoren, die bei der Finanzberatung von Frauen speziell berücksichtigt werden sollten, wie auf dem Workshop hervorgehoben wurde. „Ein extrem wichtiges Thema“, wie Christian Nuschele vorausschickte. Das Motto lautete „Selbstbewusst und Geldbewusst“.
Risikoreich versus Risikoavers
Bettina Fuhrmann, Leiterin des Instituts für Wirtschaftspädagogik der WU Wien, gehörte das erste Referat. Der Expertin zufolge belegen empirische Studien, dass Frauen in der Geldanlage beson-ders risikoavers agieren. Wobei es natürlich gar nicht so schlecht sei, Vorsicht walten zu lassen, dadurch könnten aber auch Chancen verloren gehen.
Fuhrmann: „Deshalb ist es in der Finanzberatung von Frauen besonders wichtig, das Thema Risiko hervorzuheben, es sollte verständlich und greifbar gemacht werden. Der Finanzexperte sollte Frauen dabei helfen, Risken besser einschätzen zu können. Eine pauschale Ablehnung von Risken sollte vermieden werden.“
Ein Problem, das sich bei Männern übrigens eher selten stellt, sie sind bei Investments ohnedies gerne (zu) riskant unterwegs, darauf muss wiederum im Beratungsgespräch mit Männern eingegangen werden.
Finanzberatung tut Not
Außerdem sollten Finanzdienstleister auf ein besonders unterschätztes Risiko für die Geldbörse hinweisen: Langlebigkeit. Das wurde aus dem Vortrag von Marietta Babos klar, sie ist Autorin und Gründerin der unabhängigen Finanzberatungsplattform damen-sache.at.
„Durchschnittlich gesehen leben Frauen bei uns rund fünf Jahre länger als Männer. Das kann in der Pension aufgrund der ohnedies geringeren Renten zu starker finanzieller Belastung führen“, so die Expertin.
Weitere Probleme tauchen auf, wenn sich Frauen in wirtschaftliche Abhängigkeit zu ihren Partnern begeben – immerhin liegt die Scheidungsrate in Österreich bei mehr als 40 %. Außerdem tritt sehr oft der tragische Fall ein, dass der (besserverdienende) Mann vor seiner Gattin stirbt. Neben der seelischen Lücke entsteht dann sehr schnell auch eine finanzielle.
Fazit: Auf all diese Faktoren sollte in Finanz-Beratungsgesprächen mit Frauen speziell eingegangen werden. Not tut laut den Expertinnen aber auch umfassende finanzielle Bildung – am besten bereits in der Schule.
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Lohnt der Blick nach Fernost?
Trotz der Turbulenzen: Experten sehen nunmehr Chancen.
Raja Korinek. Das Ergebnis war wenig überraschend: Am 20. Parteitag wählte die Kommunistische Partei Chinas Xi Jinping einmal mehr zum Generalsekretär. Alec Jin, Investment Director, Asian Equities bei Abrdn, zieht dazu ein klares Fazit: „Xi rief in seiner Rede zu größerer Eigenständigkeit und Stärke in Wissenschaft und Technologie auf. Damit unterstrich er einen wirtschaftspolitischen Mix, bei dem Wirtschaft und Wachstum nach wie vor an erster Stelle stehen, aber Sicherheit, Gleichberechtigung und Autarkie einen höheren Stellenwert erhalten.“
Genau dieses Abwägen lässt manche Marktbeobachter auch an den ambitionierten Wachstumszielen des Landes ein wenig zweifeln. Mark Davids, er ist Co-Fondsmanager des „JPMorgan Funds – Asia Growth Fund“ (ISIN: LU0169518387) von J.P. Morgan AM, verweist auf die von der Regierung verkündeten Wachstumsprognosen von 5,5 % für das heurige Jahr. Davids glaubt nicht, dass sie erreicht werden.
Die strenge Corona-Politik hinterlässt tiefe Spuren im Wirtschaftstreiben, ebenso wie die restriktiveren Vorgaben für Kredite im Immobiliensektor. Aus diesem Grund befinde sich das einstige Zugpferd des Landes derzeit in einer Negativspirale.
US-Exportkontrollen belasten
Davids verweist auch auf geopolitische Spannungen, die kurzfristig ein trüberes Umfeld für Investoren geschaffen haben. Er zählt dazu die wachsenden Spannungen mit Taiwan, Handelssanktionen und Exportkontrollen in bestimmten strategischen Branchen. So verabschiedeten die USA Anfang Oktober neue Ausfuhrbeschränkungen für Mikrochips. Die Beschränkungen legen fest, dass Unternehmen US-Exportlizenzen für den China-Export von gewissen Fertigungsanlagen für besonders moderne Mikrochips beantragen müssen.
Bei J.P. Morgan AM rechnet man angesichts all solcher Entwicklungen nur mit einem BIP-Wachstum von rund 3 % für das laufende Jahr in China. Doch wie sieht es in andern Asien-Pazifik-Regionen aus? Den zyklischen Abschwung in der globalen Halbleiterindustrie bekommen etwa Südkorea und Taiwan negativ zu spüren. Demgegenüber profitierte Indonesien von der Preishausse bei Rohstoffen. Das Land verfügt über große Nickelreserven und exportiert jede Menge Palmöl. Indien erlebt einen Aufschwung, der unter anderem von der wachsenden Mittelschicht beflügelt wird.
Günstiger Asien-Index
Unter dem Strich gingen die weltweiten Marktturbulenzen an der Region jedoch nicht spurlos vorbei. Auch der MSCI AC Asia Pacific (ohne Japan) verlor kräftig an Wert. Zumindest aber biete dieser Umstand interessante Kaufgelegenheiten, findet Davids und verweist als Beispiel auf den Kurs-Buchwert des Indexes. Dieser sei zuletzt auf günstige 1,4 gesunken.
Wie aber geht der Experte vor? Chinesische Aktien sind mit rund 31 % ein gutes Stück untergewichtet. Dazu zählen etwa der Internetkonzern Tencent (KYG875721634) sowie der Versicherer AIA (HK0000069689). Mit rund 11 % ist Indonesien hingegen besonders hoch im Vergleich zum Index gewichtet. Dazu zählt die Bank Central Asia (ID1000109507). Sie sei gut aufgestellt und profitiert nun auch von der Zinswende, so Davids. Über-haupt sind Finanztitel am höchsten im Fonds gewichtet.
China-Tech im Fokus
Und wie sieht es in anderen Portfolios aus? Auch im „Invesco Asian Equity Fund“ (LU1775951525) hält man derzeit viel von Indonesien. Aus China zählen gleich drei IT-Werte zu den größten Fonds-Positionen, so nebst Tencent auch Alibaba (US01609W1027) und JD.com (US47215P1066).
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Erste Anzeichen für niedrigere Inflationsraten
Dieter Wermuth, Economist und Partner bei Wermuth Asset Management
(25.10.) Es ist Konsens unter Analysten, dass die europäische Inflation der Verbraucherpreise in Kürze zurückgehen wird, von einem Durchschnittswert von 8¼% in diesem Jahr auf 6 bis 7% im nächsten – und dann, nicht viel später, in die Nähe des EZB-Zielwerts von 2%. Ähnliches wird für die USA erwartet, nur etwas früher. Ich vermute, wenn ich mir die Frühindikatoren und die prekäre wirtschaftliche Lage ansehe, dass es schneller gehen könnte als allgemein erwartet.
Aus zwei Gründen hat inzwischen in den Ländern der OECD-Region eine Rezession begonnen: Weil die Kaufkraft der Haushalte durch die hohe Inflation stark gesunken ist – die Verbraucherpreise sind deutlich rascher gestiegen als die Masseneinkommen, wodurch die Nachfrage insgesamt schwächelt –, und weil EZB und Fed die Leitzinsen kräftig angehoben haben und zudem signalisieren, dass sie diese pro-zyklische Politik energisch so lange weiterverfolgen wollen, bis die Inflationsrisiken beseitigt sind. Sie prügeln im Grunde auf ein Pferd ein, das kaum noch laufen kann. Sie setzen darauf, dass nichts die Inflation so zuverlässig runterbringt wie eine Rezession.
Ein wichtiger Indikator weist allerdings in die entgegengesetzte Richtung, wie ich zugeben muss: die industriellen Erzeugerpreise. Sie waren im September in Deutschland knapp 46% höher als vor einem Jahr. Der Handel, der die Waren der Industrie kauft, wird für absehbare Zeit bemüht sein, diese hohen Einstandspreise an seine Kunden weiterzugeben. Fragt sich, ob er das angesichts der gesunkenen Realeinkommen kann. Jedenfalls tut er sich schwer damit. Die Konkurse im Einzelhandel häufen sich offenbar, wobei die aggressive Expansionspolitik der Online-Händler ein Übriges tut. Aber 46% sind natürlich ein Wort. Der Druck in der Inflationspipeline wird so schnell nicht nachlassen.
Warum glaube ich dennoch, dass die Inflation auf der Stufe des Endverbrauchs deutlich zurückgehen wird? Der Hauptgrund sind die Preise für Energie und Rohstoffe, also für Hauptkomponenten der Erzeuger- und Verbraucherpreise. Seit ihren Rekordwerten vom letzten Sommer sind Erdöl, Gas und Strom zwischen 16 und 62 Prozent billiger geworden. Zwar sind sie im Vergleich zu den Jahren vor der Pandemie und dem Ukrainekrieg immer noch sehr hoch, aber sie befinden sich im freien Fall und werden so schnell wohl keinen Boden finden. Auch die Preise für wichtige Industriemetalle wie Kupfer und Eisenerz sinken stetig, wenn auch moderater, mit Raten um die 25% seit ihrem letzten Höchststand im April: Sie waren zuvor nicht so extrem gestiegen wie die für Energie.
Ein anderer Grund für meinen Optimismus sind die Löhne. Bisher hat sich noch keine Lohn-Preisspirale entwickelt, die das Zeug hätte für eine neue allgemeine – und daher gefährliche – Inflationsmentalität. Trotz der nach wie vor robusten Arbeitsmärkte diesseits und jenseits des Atlantiks steigen die Stundenlöhne viel langsamer als das Preisniveau, vor allem hierzulande. Die Bundesbank berichtet etwa, dass die deutschen Bruttolöhne und -gehälter im ersten Halbjahr nur mit einer annualisierten Rate von 4,5% zugenommen hatten und im Produzierenden Gewerbe sogar um 5,7 % gesunken waren. Die amerikanischen Stundenlöhne lagen zuletzt um 5,0 % über ihrem Vorjahresniveau. Von daher sieht es von der Kostenseite her danach aus, dass die deutsche (und europäische) Verbraucherpreisinflation rascher zurückgehen wird als die amerikanische. Diese startet dank des sehr festen Dollars allerdings von einem niedrigeren Niveau.
Dass sich bisher noch keine Inflationsmentalität eingenistet hat, lässt sich übrigens auch an den marktbasierten Inflationserwartungen ablesen: Sowohl in den USA als auch im Euroraum liegen sie für den Zeitraum 5 bis 10 Jahre von heute bei etwa 2,3%, also nahe bei den Zielwerten der Notenbanken. Sie haben nur wenig auf den steilen Anstieg der Inflationsraten in diesem Jahr reagiert. Die Arbeitnehmer gehen wohl ebenfalls davon aus, dass es sich um kein dauerhaftes Phänomen handelt. Großzügige Einmalzahlungen und ein geringer Anstieg der tariflichen Stundenlöhne sind zumindest in Deutschland das Thema der Saison.
Auch der Wechselkurs des Euro dürfte demnächst die Inflation dämpfen. Trotz vergleichsweise guter europäischer Fundamentalfaktoren – staatliche Budgetdefizite, die aggregiert nur wenig höher sind als das amerikanische Defizit, sowie ein Überschuss in der Leistungsbilanz verglichen mit einem nach wie vor großen Defizit in den USA – ist der Euro seit Jahresanfang gegenüber dem Dollar so stark gefallen (knapp 16% seit Jahresanfang), dass eine Trendwende inzwischen überfällig ist. Dafür sprechen auch die Unterschiede in der Geldpolitik: Während die Fed ihre Funds Rate bis Ende 2023 vermutlich noch um 150 Basispunkte anheben wird, werden es bei der EZB mindestens 200 Punkte sein – der Zinsabstand zu den USA vermindert sich, die Abwertung des Euro endet. Der festere Euro wird einen positiven Einfluss auf Europas Außenhandelspreise haben und dadurch insgesamt die Inflation dämpfen.
Durch den Anstieg der Leitzinsen sind in beiden Wirtschaftsräumen die Renditekurven deutlich nach oben verschoben worden, von kurzen bis zu langen Laufzeiten. Die wichtigsten Leidtragenden sind Bonds, Aktien und Immobilien, also die zinsreagiblen Vermögenswerte. Überall gab es in diesem Jahr erhebliche Kursverluste (bei Immobilien dauert es etwas länger), so dass sich Anleger und Hausbesitzer zunehmend weniger wohlhabend fühlen. Die Entwertung der Vermögen wird sich wohl so lange fortsetzen, bis die Notenbanken signalisieren, dass sie die Leitzinsen nicht weiter erhöhen werden. Auch das dämpft die Nachfrage der Haushalte und damit die Inflation.
Bekanntlich wird nicht geklingelt, wenn es zur Trendwende kommt. Aber am aktuellen Rand mehren sich die Anzeichen, dass der Anstieg der Inflationsraten demnächst ein Ende haben wird.
US-Small-Caps sind aktuell interessant
Für Experten haben Firmen aus den Staaten gegenüber europäischen die Nase vorn.
Patrick Baldia. Am 8. November ist es so weit: In den USA stehen die mit Spannung erwarteten Midterms bzw. Kongress-Zwischenwahlen an. Konkret werden an diesem Tag alle 435 Abgeordneten des Repräsentantenhauses sowie 35 Senatoren neu gewählt. Wieso ist das für den Börsen-Kurier erwähnenswert? „In der Vergangenheit waren die Midterms statistisch gesehen ein Wendepunkt für die Finanzmärkte und insbesondere für die Aktienmärkte“, so François Rimeu, Senior Strategist bei La Française Asset Management.
Tatsächlich: Historisch hat der S&P 500 in den zwölf Monaten nach den Midterms eine überdurchschnittliche Rendite von 16,3 % erzielt. „Das gilt insbesondere für die Ein- und Dreimonatszeiträume nach den Zwischenwahlen“, konkretisiert Rimeu.
Was das Wahlergebnis betrifft, so scheint jedenfalls am wahrscheinlichsten, dass die Demokraten den Senat behalten und die Republikaner das Repräsentantenhaus gewinnen. In der Vergangenheit hat diese Konstellation zu Verfahrensfragen, teilweisen Regierungsstillständen und Diskussionen über die Schuldengrenze geführt.
Egal wie man zu solchen und ähnlichen – vermeintlichen – Gesetzmäßigkeiten stehen mag. Schaut man sich die generellen Rahmenbedingungen an, so spricht einiges für die USA. Diese befinde sich in Bezug auf das Wachstum wahrscheinlich in einer gesünderen Position als Europa, so Chris Iggo, CIO Core Investments bei AXA Investment Managers. Er verweist darauf, dass die EZB der Fed nachhinke und bestrebt sei, die Inflationserwartungen nach unten zu drücken, selbst wenn das Abwärtsrisiken für die Wirtschaft mit sich bringe.
„Auch die Energiesituation ist in den USA anders als Europa“, so Iggo weiter. Während die USA Selbstversorger wären, habe Europa damit zu kämpfen, sich an das Ausbleiben russischen Gases anzupassen. Und Pläne, die russischen Öleinfuhren ab Anfang 2023 auf null zu reduzieren, könnte die Energieknappheit noch verschärfen. Für den AXA-Experten ist das ein schlechtes Omen für das Wachstum in Europa: „Das heißt, dass der Unternehmenssektor im Vergleich zu den USA, wo die Bilanzen und der Verschuldungsgrad nach wie vor komfortabel sind, schwächer ist.“
Allen Argumenten für die US-Wirtschaft bzw. den -Unternehmenssektor zum Trotz, nicht von der Hand zu weisen ist, dass US-Aktien nicht gerade günstig sind. Bei T. Rowe Price ist man jedenfalls der Ansicht, dass gerade die Bewertungen für kleinere US-Unternehmen bzw. Small-Caps sprechen. „Sie waren sicherlich selten ein derart überzeugendes Investitionsargument wie heute“, so Portfolio-Manager Curt Organt. Die seit dem vierten Quartal anhaltende pauschale Verkaufswelle habe die relativen Small-Cap-Bewertungen auf ein Allzeittief gedrückt.
Small Caps bei Börsen-Comeback stärker
Für ein Aktien-Engagement in kleineren US-Unternehmen spreche darüber hinaus, dass diese in Zeiten mit hoher Inflation und steigenden Zinsen üblicherweise besser abschneiden als Large-Caps. „Auch in Börsen-Erholungsphasen nach einer Rezession wären Small-Caps historisch typischerweise an der Spitze gestanden und erzielten danach mehrere Jahre lang eine Outperformance gegenüber ihren größeren Pendants“, so der Fondsmanager des „US Smaller Companies Equity Strategy“ (ISIN: LU0133096981), in dem derzeit Molina Healthcare die größte Position auf Unternehmensebene ist. Auf Sektorenebene sind in seinem Fonds wiederum Industriewerte und Unternehmensdienstleistungen am stärksten gewichtet.
Wann kann man mit dem Comeback der US-Börsen rechnen?
Bei AXA Investment Managers geht man jedenfalls davon aus, dass sich der US-Aktienmarkt stark erholen wird, sobald es zu besseren Zahlen beim Kern-Verbraucherpreisindex komme.
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Biotech-Sektor: Riskant, aber auch chancenreich
Das Ende des günstigen Geldes traf die Branche hart.
Roman Steinbauer. Als der Nasdaq Biotechnology Index (ISIN: XC0006170267) am 10. August 2021 mit 5.500 Punkten einen neuen Rekordstand markierte, hätte wohl niemand auf eine Dezimierung um ein Drittel gewettet. 14 Monate später, mit aktuell 3.840 Punkten, steht der Biotech- und Pharma-Aktienkorb mit einem derartigen Abschlag schwerer getroffen da als der Technologie-Index Nasdaq 100 (-27 %). Während der Kurseinbruch bei Schwergewichten wie Incyte (US45337C1027) mit -10 % angesichts der herben Marktsituation in dieser Zeitspanne noch bescheiden ausfiel, wurden Aktien wie Eterna Therapeutics (US1140822099) regelrecht pulverisiert. Klar positiv gegen den Trend stemmten sich Titel von Gilead Sciences (+10 %, US3755581036), jene der Vertex Pharmaceuticals (+45 %, US92532F1003) sowie von Angen (US0311621009), die heute um 10 % höher stehen als im Sommer des Vorjahres.
Schmerzlich bergab ging es hingegen bei Valoren des auf Epilepsie und neurologische Störungen spezialisierten Arzneimittelherstellers Ovid Therapeutics (notiert auch in Frankfurt; US6904691010), die um 60 % einbrachen. Während für die Aktie im Juni 2020 noch mehr 7 € aufgebracht werden mussten, sind derzeit noch 1,62 € zu berappen. Noch drastischer erwischte es den European Biotech Index (DE000A2BL3K0), der ebenso im August 2021 mit 191 Punkten einen Höchststand verzeichnete. Der Branchenbarometer liegt mit 113 Punkten nun um bittere 40 % tiefer.
Hohe Forschungskosten fressen Liquidität
Selbst die Strategie, Papiere schuldenfreier und mit Liquidität ausgestatteter Gesellschaften zu erwerben, ging keineswegs auf. Gelingt es nicht, ein vielversprechendes Produkt zur Marktreife zu bringen, wird der Cash-Bestand Quartal für Quartal durch die Forschungstätigkeit „verbrannt“. In diese Kategorie fallen das auf die Krebstherapie fokussierte Biopharmazeutika-Unternehmen NextCure (US65343E1082) oder Savara (Atemwegstherapie, US8051111016). Binnen zwölf Monaten knickten Next-Cure-Aktien um 65 % ein, Savara-Titel kommen seit einem massiven Einbruch 2019 aus einem Seit-wärtskanal trotz Ausbruchsversuchen nicht heraus.
Die Analysten des Analyse-Hauses Morningstar stufen Titel des Biotech-Segments in die riskanteste, aber auch chancenreichste Aktienkategorie ein. Dies ergebe sich durch die im Erfolgs- und Idealfall eintretende Perspektive, in einem milliardenschweren Markt Fuß zu fassen. Aber auch die Scheiterquote sei überproportional. Die oft hohe Volatilität der Aktien werde ständig von anstehenden Daten zu Studien im späteren Stadium zu Zulassungsverfahren der FDA (Food and drug administration) oder weiteren globalen Regulatoren begleitet. Trotz aktuell schwieriger Rahmenbedingungen habe der Biotech-Sektor aber durch immer weitere Innovationen bewiesen, für Investoren eine spekulativ interessante Alternative zu sein.
Mit Fonds in Erwartung der nächsten Welle
Die UBS Bank offeriert mit dem in Luxemburg domizilierten „UBS E.F. Biotech“ (LU0400035332) einen auf US-Dollar lautenden thesaurierenden Aktienfonds. Bei dem von Morningstar mit vier von fünf Sternen ausgestatteten Produkt sind 1,08 % an jährlichen Gebühren zu kalkulieren. Der Einstieg ist mit einem Ausgabeaufschlag von 5 % nicht kostengünstig, außerdem ist im volatilen Biotech-Sektor die nötige Expertise um Chancen zeitgerecht wahrzunehmen für das Management anspruchsvoll. Ebenso einen akkumulierenden Fond stellt der heimische „Erste Stock Biotec – R01 EUR ACC“ (AT0000746755) dar. Die jährlichen Gebühren sind hier mit 2 % höher, der Ausgabeaufschlag mit 4 % etwas geringer.
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Jüngste Aktienrally macht Platz für die nächste Runde des Abschwungs
nachfolgend finden Sie einen aktuellen Marktkommentar von Scott Glasser, Chief Investment Officer bei Clearbridge Investments, Teil von Franklin Templeton.
(18.10.) Der Bärenmarkt scheint die Entwicklung zu nehmen, die uns im Mai Sorgen machte. Nach dem starken anfänglichen Abverkauf im S&P500-Index (-23 % vom 29. Mai bis zum 16. Juni), als die US-Notenbank (Fed) ihren Straffungszyklus einleitete, legten Aktien über den Sommer kräftig zu (+18 % vom 16. Juni bis zum 16. August), da man auf eine sanfte Landung und eine Wende hin zu niedrigeren Zinssätzen im Jahr 2023 hoffte. Doch Mitte August kippte die Stimmung und Aktien machten eine weitere Talfahrt, als die Fed bestätigte, dass die Zinsen vor dem Hintergrund anhaltenden Inflationsdrucks hoch bleiben würden, auch wenn dies „Haushalten und Unternehmen einige Schmerzen bereiten würde“, wie der Fed-Vorsitzende Jerome Powell es in Jackson Hole formulierte. Dieses Muster entspricht den letzten beiden ausgeprägten Bärenmärkten (2008/2009 und 2001/2002), da bei jedem dem endgültigen Tiefpunkt jeweils mindestens eine länger anhaltende deutliche Rallye voranging. Wir halten eine Rückkehr auf die Niveaus von Mitte Juni oder sogar noch darunter für wahrscheinlich, bevor sich die Kurse auf einer längerfristigen Talsohle einpendeln.
Während die Liquiditätsverknappung (gemessen an steigenden Zinsen, höheren Rohstoffpreisen, einem stärkeren Dollar und weiteren Credit Spreads) beim ersten Abverkauf die Bewertungskennzahlen schrumpfen ließ, wird die nächste Phase des Abschwungs wahrscheinlich von sinkenden Unternehmensgewinnen angetrieben. Aus makroökonomischer Sicht ist der Einkaufsmanagerindex (PMI) nach wie vor die beste Möglichkeit, die Entwicklung der Unternehmensgewinne vorherzusagen. Doch bedauerlicherweise sind die PMIs weiter rückläufig und die Gewinne des S&P werden diesem Trend wahrscheinlich folgen und in den kommenden sechs Monaten im negativen Bereich liegen. Ironischerweise sind höhere Preise für Waren und Dienstleistungen der eigentliche Grund dafür, dass die Gewinne sich bisher gut behaupten konnten. Denn sie fungierten als Puffer für Margen und Gewinne, da die Unternehmen die Preise anhoben, um den Kostendruck abzufedern.
Wir bevorzugen weiterhin defensivere Sektoren wie die Pharmaindustrie und die Versicherungsbranche. Unter Bottom-up-Gesichtspunkten liegt unser Fokus auf Aktien, bei denen beherrschende Marktstellungen oder „Selbsthilfeinitiativen“ (wie Pläne für den Abbau von Gemeinkosten) das Gewinnwachstum trotz schwierigerer wirtschaftlicher Rahmenbedingungen unterstützen können. Hinzu kommt, dass Unternehmen mit bedeutenden Programmen für die Kapitalrendite, sei es über Dividenden oder umfangreiche Aktienrückkäufe, sich wahrscheinlich besser behaupten werden.
Wenngleich der Technologiesektor und andere längerfristigen Wachstumswerte bei diesem Abverkauf als erste und am härtesten getroffen wurden, haben viele dieser Unternehmen einen großen Teil der durch dieses Absinken der Bewertungsniveaus verursachten Schmerzen bereits verarbeitet. Die Kombination von Preisflexibilität, vorteilhaften Margenstrukturen und stärkeren langfristigen Wachstumstreibern dürfte dafür sorgen, dass sich das Gewinnwachstum besser hält als bei eher zyklischen Vertretern der Vergleichsgruppe.
Finanzwerte könnten das Ausmaß der Konjunkturschwäche vorhersagen
Wir beobachten den Bankensektor als hilfreiches Barometer, um die Tiefe des Konjunkturrückgangs und eine potenzielle Rezession in den USA einzuschätzen. Wenngleich das aktuelle Umfeld angesichts höherer Zinssätze, einer beständigen Darlehensnachfrage und gesunden Krediten für Banken günstig ist, wird die künftige Wertentwicklung von Anlagen davon abhängen, wie die Anleger die Breite und Tiefe eines bevorstehenden Kreditzyklus und das Ausmaß der Verluste für die Branche einschätzen.
Ein Sektor, der auch weiterhin wahrscheinlich unter Druck stehen wird, sind zyklische Konsumgüter. Einige große Einzelhändler und Unternehmen, die den E-Commerce unterstützen, haben bedeutende Gewinnwarnungen herausgegeben, die ihre Aktien auf Talfahrt schickten. Viele wurden von einem doppelten Schlag getroffen, nämlich von der Verlagerung des Konsums auf Güter des täglichen Bedarfs (wie Lebensmittel und Kraftstoff), was wiederum zu aufgeblähten Lagerbeständen von Artikeln mit höheren Margen führte wie etwa Elektronikprodukte. Währenddessen erweist sich der Kostendruck als unnachgiebig, und wir sind offenbar an einem Punkt angelangt, ab dem Preiserhöhungen die Nachfrage abwürgen.
Statistiken zur Marktbreite und Spreads von Unternehmensanleihen sind wichtige Indikatoren, die wir weiter beobachten. Die jüngste Rally wurde von defensiven Sektoren dominiert. Ja, Aktien aus den Sektoren Technologie und zyklische Konsumgüter verzeichneten bei der Rally von Juni bis August eine Outperformance, aber das taten auch Versorger und Immobilien. Um einen nachhaltigen Boden zu bilden, müssen Aktienkurse auf ein Niveau sinken, auf dem Anleger bereit sind, in ihren Portfolios mehr Risiko und längerfristige Engagements einzugehen, und muss sich die Marktbereite auch auf Unternehmen mit kleiner und mittlerer Marktkapitalisierung ausweiten. Die Spreads von Anleihen sind weit und tendieren in Richtung Rezession, sind aber aus unserer Sicht noch nicht dort angekommen.
Man sollte auf keinen Fall vergessen, dass der Markt von Einpreisung geprägt ist und seinen Boden bildet, noch bevor Gewinne und die Wirtschaft ihre Talsohle erreichen. Aktien reagieren weiterhin aggressiv auf verfehlte Gewinne oder schwächere Ausblicke, was darauf hindeutet, dass sich der Markt schwertut, ein angemessenes Maß an künftigen Gewinnen einzupreisen. Angesichts dieser Volatilität halten wir es nicht für sinnvoll zu versuchen, kurzfristige Gewinnentwicklungen zu projizieren. Vielmehr sollte man einen Zeithorizont von zwei bis drei Jahren in den Blick nehmen und Anlageentscheidungen treffen, die auf längerfristigen, nachhaltigen Wachstumsraten von Unternehmen beruhen.
Unterschiedliche Inflationsentwicklungen
Warum die US-Inflation rückläufig ist und jene in Europa weiter steigt.
Michael Kordovsky. Die Inflationsrate im Euroraum hat sich von August auf September von 9,1 auf ein neues Rekordhoch von 10 % beschleunigt, während sie im September in den USA von 8,3 auf 8,2 % – also den dritten Monat in Folge – zurückging. Worauf sind diese Unterschiede zurückzuführen?
Europa ist Epizentrum der Energiekrise
Erdgas kommt über strategisch wichtige Pipelines nach Europa. Mehrere davon gehen auch durch die Ukraine. In der EU werden rund 40 % des benötigten Erdgases aus Russland importiert, das Erdgas derzeit zunehmend als außenpolitisches Druckmittel benützt. Bereits vor dem Ausbruch des Ukraine-Kriegs stoppte Russland offiziell noch ohne politische Gründe, Medienberichten zufolge mitten in der kalten Jahreszeit seine Gaslieferungen durch die Jamal-Europa-Pipeline, was die Knappheit am europäischen Gasmarkt schon davor verschärfte. Nordamerika hingegen verfügt über ein ausgedehntes Pipeline-Netz und in den USA übersteigt das Angebot aufgrund der Produktion von Schiefer-Öl und -Gas den einheimischen Verbrauch um rund 10 %.
Von den hohen Erdöl-Preisen sind die USA hingegen ähnlich betroffen wie Europa. Allerdings korrelieren die Preise für Raffinerieprodukte stärker mit den Börsenpreisen. Die Benzinpreise an der Zapfsäule entwickelten sich in den USA seit den Benzin-Preis-Peaks an der Börse wieder rückläufig. 2021 haben die USA 18,7 Mio Barrel Heizöl pro Tag verbraucht, aber 16,6 Mio Barrel pro Tag produziert. Die EU ist hingegen stark auf Erdölimporte angewiesen.
Sowohl die Strom- als auch die Erdgaspreise sind in den USA nicht so stark gestiegen wie in diversen europäischen Ländern. Laut EZB-Präsidentin Christine Lagarde sind die Energiepreise in Europa der Kerntreiber der Inflation. Strom, Erdgas und Treibstoff sind im Euroraum 60 % der Inflationstreiber. In den USA ist es nur die Hälfte davon. Die im HVPI des Euroraums mit 10,93 % gewichtete Energiepreiskomponente stieg im September auf Jahresbasis um
40,8 %. In den USA hingegen stieg die Energiepreiskomponente des urbanen Verbraucherpreisindex im September nur um 19,8 % im Vergleich zum Vorjahresmonat.
USA mit mehr nachfragebedingter Inflation
Die Inflation in den USA ist anderer Natur als jene im Euroraum, wo derzeit ein Angebotsschock vorherrscht. Lieferketten sind durch den Ukraine-Krieg (zuvor waren Covid-19-Lockdowns ein Auslöser) unterbrochen und seit 2021 herrscht akuter Energiemangel. Gleichzeitig mangelt es vor allem im Logistikbereich, teils auch in den Supermärkten akut an Personal. Die Nahversorgungsinfrastruktur ist angespannt.
In den USA hingegen herrscht ein normaler Konjunkturzyklus, der sich nun wieder im Abschwung befindet. Nachfrageimpulse führten in vielen Bereichen zu Preisanstiegen. Filtert man die volatilen Preiskomponenten Energie und Nahrungsmittel aus dem CPI-U (VPI für alle städtischen Verbraucher), dann stieg die Kerninflation um 6,6 %. Das ist der stärkste Jahresanstieg seit August 1982. Die wichtige Wohnpreiskomponente (bezieht sich auf Mieten und Anschaffung von Wohneigentum) stieg ebenfalls um 6,6 %. Möbel und Einrichtungsgegenstände verteuerten sich um 9,3 %, neue Autos um 9,4 % und Gebrauchtwägen um 7,2 %.
Lohninflation?
Von August auf September war zudem in den USA die Arbeitslosenquote von 3,7 auf 3,5 % rückläufig. Die durchschnittlichen saisonbereinigten Stundenlöhne stiegen im September in der US-Privatwirtschaft ex Agrarsektor um 5 % auf 32,46 USD und mit den höheren Inflationsraten werden die Lohnforderungen steigen.
Im Euroraum hingegen liegt die saisonbereinigte Arbeitslosenquote bei 6,6 % im August (August 21: 7,5 %). Die höchste Arbeitslosenquote weist Spanien mit 12,4 % auf. Am niedrigsten ist sie mit 2,4 % in Tschechien. Im Euroraum stiegen die Arbeitskosten pro Stunde im zweiten Quartal 2022 auf Jahresbasis um 4 %. Das hat es in den vergangenen zehn Jahren sonst nie gegeben. Löhne und Gehälter stiegen dabei um 4,1 % und die Lohnnebenkosten pro Stunde um 3,8 %.
Ebenfalls exorbitant gegenüber dem Vorjahreszeitraum von 2,2 auf 3,0 % im Euroraum gestiegen ist die Quote der offenen Stellen im zweiten Quartal 2022. Am höchsten ist sie in den Niederlanden (5,1 %) und Belgien (5,0 %). In Deutschland und Österreich beträgt sie 4,5 bzw. 4,8 %.
Es herrscht nicht nur akuter Facharbeitermangel in Europa. Ein weiterer kritischer Faktor am Arbeitsmarkt ist auch ein verstärkter Trend Richtung „soziale Hängematte“. Mehr Arbeitsangebot kann primär durch höhere Bezahlung mobilisiert werden – also auch in Europa könnte sich bald eine Lohn-Preis-Spirale zu drehen beginnen.
Ein weiterer Inflationsfaktor ist der hohe Wechselkurs des US-Dollar, über den wir im Euroraum mehr Inflation importieren. Binnen eines Jahres wertete nämlich der US-Dollar zum Euro um rund 18 % auf (Stand 14.10.). Umgekehrt verbilligt der starke Dollar die Importe der USA, die in abgewerteten Fremdwährungen fakturiert werden.
Darüber hinaus hat die Fed bereits ab Mitte März mit Leitzinsanhebungen zur Bekämpfung der Inflation begonnen, während die EZB ihren ersten Leitzinsschritt erst am 21. Juli setzte.
In den USA bremsen zudem höhere Zinsen langsam die Nachfrageseite. In Europa hingegen sollte eine Wiederherstellung der Lie¬ferketten und eine ausreichende Energieversorgung Priorität haben, denn die inflationären Schübe liegen in einem Angebotsschock.
Fazit
Während in den USA eventuell bei der Inflation ein zwischenzeitliches Plateau erreicht sein könnte, drohen im Euroraum vorerst weitere Anstiege.
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Neuer Kurssturz im Gold
Das Edelmetall erweist sich als extrem anfällig.
Andreas Fastl, Commodity Trader. Noch zu Wochenbeginn hatte Gold knapp über 1.700 USD gehandelt, da genügten ein paar kleine Informationen über Fed und Wirtschaft um es unter 1.680/60 bis auf 1.645 zu drücken. Am Mittwoch kamen die Fed-Protokolle und zeigten erneut die Entschlossenheit.
Am Donnerstag kam der Konsumentenpreisindex: Mit 8,2 % niedriger im Jahres-, aber mit 0,4 % höher im Monatsvergleich, und beide knapp über den Erwartungen von 8,1 bzw. 0,2 %.
Am Freitag kam ein guter Einzelhandelsindex. Was man aber schon mit der Lupe suchen musste: In Summe fiel er, aber der Kernindex stieg um 0,1 % (gegenüber -0,1 % wie erwartet).
Die Logik hätte lauten können: Höhere Inflation weitet den negativen Realzins, aber der Markt entschied sich für: Höhere Leitzinsen auf längere Zeit verengen ihn und drücken den Goldpreis.
Warum reagiert das Krisenmetall so seltsam auf Kleinigkeiten? Ein deutscher Fondsmanager gab eine Erklärung fernab des US-Einzelhandels. Tatsächliches Ziel der US-Politik wäre der Konkurrent China: Ähnlich der Konfrontation mit Japan würden die USA versuchen, mit dem Zinsinstrument das auf Kredit gebaute fernöstliche Wirtschaftswunder zu torpedieren. Aktien (weil volatil) müssen eine Überrendite von mindestens 3 % über (sicheren) Anleihen versprechen. Das Zinsziel der Fed ist (angeblich) 4,5 %. Sollte China keine 7 bis 8 % bieten, würde viel Kapital abfließen. Die Fed würde so lange Hochzins fahren, bis es in China zu einem ernsthaften Knacks komme.
Ein weiterer Vorteil für die Vereinigten Staaten: Finanziert wird sein Schachzug unter anderem von den Menschen in Europa. Dort sperren Politiker gerade die aufgebaute Energieversorgung, kaufen teures US-Gas und verursachen Abwanderung traditioneller Industriezweige.
Die USA haben sich auf dem Rücken ihrer europäischen Freunde in eine hervorragende Position gebracht und können den Zinskampf (der das Gold drückt) noch recht lange durchziehen, so der Fondsmanager.
Gold ist im globalen Krieg aktuell nur ein kleiner Spielball – kann aber später noch sehr wichtig werden.
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Nachhaltige Zinsen im Fokus
Grüne Anliegen werden immer öfter über den Kapitalmarkt finanziert.
Raja Korinek. Die hohe Inflation hat in fast allen Regionen rund um den Globus die Zinswende eingeläutet. Das hinterlässt auch Spuren auf den Anleihemärkten. Deren Kurse sind angesichts dieser Entwicklungen kräftig gesunken. Der Grund dafür: Bestehende Bonds sind nach der Zinswende weniger wert als jene Papiere, die danach neu begeben werden.
Die Entwicklung hat freilich auch Green und Social Bonds erfasst, deren Erlöse für nachhaltige Zwecke eingesetzt werden. Konkret werden etwa Green Bonds zur Finanzierung von Umweltprojekten begeben. Deren Emissionen erreichten im ersten Halbjahr 2022 laut „Climate Bonds Initiative“ gut 218 MrdUSD, wobei dies ein Rückgang von 21 % im Vergleich zum Vorjahreswert war. Doch das könnte sich bald wieder ändern.
Energiekrise beschleunigt die Wende
Die Energiekrise, die vor allem Europa hart trifft, könnte nämlich die Energiewende noch weiter beschleunigen – und damit auch die Emissionstätigkeit von Green Bonds befeuern, um notwendige Finanzierungen aufzubringen, meint Edith Siermann, Head of Fixed Income and Responsible Investing bei NNIP, gegenüber dem Börsen-Kurier. Siermann mahnt dennoch, den Verwendungszweck der Green-Bond-Erlöse genau zu hinterfragen. Denn wichtig sei, ob ein Unternehmen grundsätzlich um die grüne Wende bemüht ist. Bei NNIP werden 30 % der globalen Green-Bond-Projekte abgelehnt, da sie nicht die strengen Kriterien der Methodik des Vermögensverwalters erfüllen, betont die Expertin weiters.
Siermann verweist zudem auf jüngste Marktentwicklungen: Immer mehr Unternehmen emittieren inzwischen solche Papiere aus den unterschiedlichsten Sektoren. Auch regional betätigen sich Unternehmen und Staaten zunehmend als Emittenten. „Damit lässt sich mit Green-Bond-Investments eine breitere Diversifizierung erzielen“, konstatiert Siermann.
Tatsächlich führte im ersten Halbjahr 2022 China die globale Emissionstätigkeit mit rund 48 Mrd USD an, gefolgt von Deutschland. Im „NN (L) Green Bond Fund“ (ISIN: LU1536922468) wird dabei vorwiegend auf Schuldner mit guter Bonität gesetzt.
Obendrein wird grundsätzlich in Euro-denominierte Papiere investiert. Größte Fondspositionen entfallen derzeit auf den französischen und den belgischen Staat, sowie die EU.
Vielfältige Nachhaltigkeit
Überhaupt wird der globale Markt für nachhaltige Anleihen immer vielfältiger. Ein jüngerer Bereich, der ebenfalls Aufwind erfährt, ist jener für Social Bonds. Bei diesen Anleihen fließen die Mittel in Projekte mit positivem sozialem Einfluss. So werden etwa leistbare Wohnungen, ein günstiger Zugang zu Gesundheitsdienstleistungen und Ausbildungsprogramme finanziert, so Tammie Tang, Fondsmanagerin des „Threadneedle (Lux) – European Social Bond Fund“ (LU2170387828).
Mit rund 50 % entfällt geografisch der größte Anteil auf Europa, wobei das globale Marktvolumen rund 2 BioUSD umfasst. Einen kräftigen Schub bekam der Social-Bonds-Markt zuletzt von der Covid-19-Pandemie, fügt Tang noch hinzu.
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Selektive Chancen nutzen
Ein Kommentar von Stefan Breintner, Leiter Research und Portfoliomanagement, DJE Kapital AG.
Inflation, steigende Zinsen, falkenhafte Zentralbanken und anhaltende Energiekrise in Europa schickten die Börsen im September auf Talfahrt. Im Oktober rechnen wir mit einer kurzfristigen Erholung an den Märkten.
Die großen Zentralbanken in den USA und in Europa sind aktuell dabei, die Inflation durch zum Teil drastische Zinserhöhungen zu bekämpfen. Folglich sind auch die Zinserwartungen der Investoren im September massiv gestiegen. Aus unserer Sicht ist jedoch eine gewisse Übertreibung erkennbar. Wir rechnen nicht damit, dass die Zinsen von nun an weiter stark ansteigen werden. Zum einen, weil der Ölpreis ab Oktober keine so große Rolle mehr für die US-Inflation spielen dürfte. Zum anderen, weil die Energiekomponente im kommenden Jahr die Inflation sogar drücken könnte. Gleiches gilt auch für die Logistikkosten (Frachtraten).
Aus dem Blickwinkel der Geopolitik halten wir es nicht für vollkommen ausgeschlossen, dass es doch noch zu Verhandlungen im Russland-Ukraine-Konflikt kommen könnte. Ein nachlassender geopolitischer Druck würde sich zwar positiv auf die Märkte auswirken, könnte aber Öl und den US-Dollar stärker belasten.
Im Oktober halten wir eine vorübergehende Erholung am Aktienmarkt für möglich, hauptsächlich aufgrund der sehr negativen Markttechnik. Längerfristig bleibt das Umfeld für eine konjunkturelle Erholung allerdings schwierig: Die Energiekrise in Europa ist noch längst nicht gelöst und die Investitionslust der Unternehmen gebremst. Auf der Aktienseite sind wir daher weiterhin vorsichtig und streben danach das Risiko durch gezielte Umschichtungen von defensiven hin zu Wachstumswerten etwas zu reduzieren. Auf der Anleihenseite sehen wir weiter Chancen, etwa bei Investment Grade Anleihen (AA oder A) mit bis zu 5% Verzinsung.
Aktien/Anleihen
• Auf der Aktienseite sind wir weiterhin vorsichtig
• Fokus auf Unternehmen mit hoher Preissetzungsmacht
• Deutsche Staatsanleihen weiterhin unattraktiv
• Ausgewählte Unternehmensanleihen chancenreich
Aufgrund der sehr negativen markttechnischen Faktoren halten wir eine vorübergehende Erholung am Aktienmarkt im Oktober für möglich. Längerfristig bleibt das Umfeld aus unserer Sicht allerdings schwierig: Die Energiekrise in Europa ist noch längst nicht gelöst, während wir eine stärkere konjunkturstimulierende Investitionsneigung der Unternehmen nicht für realistisch halten, da bei den Unternehmen vielmehr die Schuldentilgung im Fokus stehen sollte. Insgesamt sind wir bei Aktien weiterhin vorsichtig.
Wir streben danach, das Aktienrisiko durch gezielte Umschichtungen von defensiven Werten, wie etwa Energie- oder Agrartitel, hin zu Wachstumswerten, wie z.B. Technologietiteln, etwas zu reduzieren. Auf der Aktienseite halten wir einen Fokus auf qualitativ hochwertige Unternehmen mit hoher Preissetzungsmacht unverändert für sinnvoll, da diese auch in einem wachstumsschwachen Umfeld solide Gewinne erwirtschaften können und somit langfristig voraussichtlich die beste Anlagealternative bieten.
Für Bonds ist die Anlegerstimmung unverändert im Keller. Die Volatilität war zuletzt am Anleihenmarkt sogar höher als die am Aktienmarkt. Wir glauben – im Gegensatz zur mehrheitlichen Marktmeinung – nicht, dass die Zinsen nach dem starken Anstieg der Zinserwartungen von nun an noch weiter ansteigen werden. Bei den festverzinslichen Wertpapieren halten wir deutsche Staatsanleihen nach wie vor für unattraktiv. Dagegen bieten ausgewählte hochwertige Unternehmensanleihen aus unserer Sicht weiterhin Chancen. Attraktiv sind vor allem Emissionen, die aktuell bis zu 5% Rendite oder mehr bringen.
Volkswirtschaften/Regionen/Sektoren
• USA attraktiv
• Geldmengenentwicklung in Asien generell besser
• China bleibt vorerst schwierig
• Deutschland und Europa günstig bewertet, aber gefährdet
Wir halten den US-Markt weiter für attraktiver als Deutschland und Europa, weil er aus unserer Sicht das bessere Chance-Risiko-Verhältnis bietet. China bleibt weiterhin schwierig einzuschätzen. Allerdings hat sich die Zinsdifferenz zu den USA verschoben, und daher dürfte China mit einem gewissen Zeitverzug von den niedrigeren Zinsen profitieren.
Darüber hinaus dürfte China auf den Immobiliensektor weiter stimulierend einwirken. Sollte China im kommenden Jahr die Wirtschaft stärker öffnen und damit die Zero-Covid-Strategie beenden, könnten Wirtschaft und Börse im Reich der Mitte überraschen. Die Geldmengenentwicklung ist in Asien generell weiterhin besser. Neben China hat auch Japan eine unverändert positive Überschussliquidität.
Der deutsche Markt ist aus unserer Sicht zwar günstig bewertet, aber die weiter steigenden Energiepreise bergen große Konjunktur- und Standortrisiken. Dem deutschen und europäischen Aktienmarkt gegenüber sind wir daher weiterhin vorsichtig eingestellt.
Den Energiesektor halten wir zwar für attraktiv, allerdings mit Einschränkungen. Auf der einen Seite ist das Energieangebot nicht von jetzt auf gleich steigerbar, weshalb die Energiepreise längerfristig auf hohem Niveau verharren dürften. Auf der anderen Seite könnte aber mit einer stärkeren kurzfristigen Korrektur zu rechnen sein, wenn es zu einer Verhandlungslösung im Russland-Ukraine-Konflikt kommt. Im Technologiesektor liegt möglicherweise das Schlimmste bereits hinter uns, wenn die US-Zinsen nicht noch weiter steigen.
Währungen/Rohstoffe/Gold
• Euro weiter belastet
• Gold könnte sich erholen
Der Euro dürfte durch die Entwicklung in Europa und hier vor allem in Deutschland die Energiepreisproblematik weiter belastet bleiben. Sollten sich die Ukraine und Russland allerdings an den Verhandlungstisch setzen, würde der nachlassende geopolitische Druck den Euro stützen. Das Anlegersentiment und die markttechnischen Daten sprechen für eine gewisse Erholung bei Gold.
Elektromobilität legt einen Gang zu
Die Verkaufszahlen legen zu, die Innovationen ebenso. Das birgt neue Anlagechancen.
Raja Korinek. Die hohen Strompreise sorgen für reichlich Schlagzeilen. Dennoch schreitet der Verkauf von Elektroautos voran, wie Zahlen belegen. Im Vorjahr wurden laut Statista weltweit rund 6,7 Mio Elektroautos neu zugelassen. Die meisten Neuzulassungen gab es mit rund 3,3 Mio Stromboliden in China.
Und hierzulande? Laut dem Bundesverband Elektromobilität Österreich stiegen die Neuzulassungen in jenem Zeitraum auf 20.537 Stück. Heuer wurden – bis Ende August – 19.550 Elektroautos zugelassen. Dies entspricht knapp 14 % aller Neuzulassungen. Aufholpotenzial gibt es somit reichlich.
Firmenflotten auf Strom
Dabei beschränkt sich der Kauf längst nicht auf Privathaushalte. Immer mehr Unternehmen rüsten ihre Flotten um. Hierzulande hat beispielsweise die Österreichische Post solch einen Schritt vor einigen Jahren gesetzt. Nun lässt der deutsche Autovermieter Sixt (ISIN: DE0007231326) mit entsprechenden Schlagzeilen aufhorchen. Der Konzern unterzeichnete mit dem chinesischen BYD, der unter anderem Elektroautos herstellt, eine Vereinbarung. In einem ersten Schritt bestellt Sixt mehrere tausend vollelektrische Fahrzeuge, wobei die ersten Fahrzeuge im 4. Quartal 2022 für Sixt-Kunden in Europa verfügbar sein werden.
Auch die Lkw-Sparte ist von den Innovationen längst umfasst. Ein Beispiel: Der Elektro-Sattelschlepper von Tesla (US88160R1014) mit dem Namen „Tesla Semi“ wird laut Konzernboss Elon Musk nach längerer Verzögerung nunmehr in die Produktion gehen. Und so sollen Anfang Dezember die ersten Fahrzeuge an den Getränke- und Lebensmittelriesen Pepsi ausgeliefert werden. Die Reichweite dieser Lkw soll dabei gut 800 Kilometer umfassen.
Lkw im Fokus
Überhaupt räumen die Experten beim Beraterhaus PwC der Elektrifizierung der Lkw-Sparte noch reichlich Potential ein. Laut der jüngsten Studie „The Dawn of Electrified Trucking“ von Strategy&, der Strategieberatung von PwC, werden elektrisch angetriebene Lkw bald fester Bestandteil des Straßenbilds sein und innerhalb der kommenden 15 Jahre schritt-weise die Neuzulassungen im Nutzfahrzeugbereich dominieren. Doch das ist nicht alles. Die Studie verweist auf eine weitere Prognose: Sowohl Batterie – als auch Brennstoffzellen – angetriebene Zero Emission Vehicles (Null Emissionen Fahrzeuge) werden in Europa, Nordamerika und in China bereits im Jahr 2030 ein Drittel aller neu zugelassenen Lkw ausmachen. Bis 2035 wird der Anteil auf diesen Märkten bei den Neuzulassungen auf gut 70 % steigen.
Anleger, die auf einen weiteren Aufschwung in der Elektromobilität setzen wollen, können dies etwa mit Indexzertifikaten tun. So gibt es das „E-Mobilität Batterie Indexzertifikat“ von Alphabeta Access Products (DE000SLA8F91), das die gesamte Prozesskette einer Batterieherstellung mit insgesamt zehn Titeln bündelt. Dazu zählen zum einen Batterieproduzenten wie Varta (DE000A0TGJ 55) und Tesla, zum anderen etwa Lithiumkonzerne wie Albemarle (US0126531013) und SQM (US8336351056).
E-Mobilität beflügelt autonomes Fahren
Eine weitere Möglichkeit bietet das UBS-Indexzertifikat auf den „Solactive Elektromobilität und Autonomes Fahren Technologieträger“ (DE000UBS9EM9). Der Index umfasst derzeit 21 Titel, zu denen etwa STMicroelectronics (NL0000226223), Samsung SDI (KR7006400006) und Toshiba (JP3592200004) zählen.
Bei beiden Zertifikaten müssen Anleger aber Kurs- und Währungsschwankungen beachten.
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Langsam wieder investieren
Österreich-Fonds und -ETFs: Was sie können und wie sie abschneiden.
Michael Kordovsky. Der ATX und der ATX-Prime sind per 6. Oktober auf Jahresbasis beide um rund 24,5 % im Minus. Die vier im MSCI-Austria-Index gewichteten Titel weisen laut Analystenschätzungskonsens für 2023 niedrige erwartete KGVs auf: Erste Group 5,3, Verbund 11 sowie OMV und Voestalpine jeweils 3,5.
Breit gestreut über einschlägige Fonds oder ETFs den Wiener Aktienmarkt abzudecken und in mehreren Schritten Positionen aufzubauen, kann aktuell durchaus sinnvoll sein. Nach jüngsten Kursverlusten antizyklisch über einen Zeitraum von 18 Monaten bis drei Jahren laufend Positionen zu akkumulieren, hat sich auch schon in vergangenen Schwächephasen längerfristig gelohnt.
Doch welche Fonds sollte man auswählen? Die Zeiträume von einem Monat bis zu einem Jahr, genauso wie fünf Jahre haben bei den Österreich-Fonds mit Fondswährung Euro eine Gemeinsamkeit, nämlich ein Minus bei der Performance. Dabei zeigen sich auf fünf Jahre erkennbar unterschiedliche Ausmaße, während der Dreijahres-Zeitraum durchaus im grünen Bereich liegt.
Überdurchschnittlich gute Performance
Jenseits institutioneller Tranchen schnitt dabei in diesem Zeitraum der „LLB Aktien Österreich EUR V“ (ISIN: AT0000A1YH98) mit 4,7 % auffallend gut ab; in diesem ist der Leiterplattenhersteller AT&S mit 7,5 % am stärksten gewichtet. Im Dreijahres-Zeitraum war AT&S per 6. Oktober mit einer Performance von rund 129 % der absolute Spitzenreiter. Am zweit- und drittstärksten gewichtet sind Erste Group mit 6,4 % und Wienerberger mit 5,8 %, gefolgt von der OMV mit 5,5 %.
Auf fünf Jahre mit -4,8 % (per 6.10.) noch am besten schnitt der „Xtrackers ATX UE 1 C“ (LU0659579063) ab, der den ATX physisch, also mit Aktien, repliziert. Was allerdings im ATX auffällt, ist eine Übergewichtung der Finanzwerte, die ein Drittel des Volumens einnehmen.
Mittelfristiges Momentum
Orientiert man sich am mittelfristigen Momentum, dann sollte nach Fonds Ausschau gehalten werden, die auf sechs Monate auffallend gut abschnitten bzw. die in der aktuellen Situation, möglichst wenig verloren haben. In diese Kategorie fällt aktuell der „ViennaStock T DV“ (AT0000A294J2), der mit -10,8 % auf sechs Monate deutlich weniger verlor als die aufgelistete Peer Group. Am stärksten gewichtet waren zuletzt OMV mit 8,8 %, Verbund mit 6,9 %, Erste Group mit 6,7 %, SBO mit 5,5 % und AT&S mit 5,4 %.
ESG-Relevanz
Der „Standortfonds Österreich A“ mit der ISIN AT0000A1QA38 investiert in Unternehmen, die von hoher Relevanz für Österreich sind und weist laut fondsweb.com ein ISS ESG Fund Rating von vier Sternen (bei max. fünf) auf. Dieses Rating bewertet die ökologische, soziale und governancebezogene Performance eines Fonds innerhalb einer Referenzgruppe. Fonds mit vier oder fünf Sternen gehören zu den besten 30 %.
Der Fonds ist per 30. September zu 28,70 % in österreichische Aktien, zu 26,9 % in US-Werte und zu 19,8 % in deutsche Aktien investiert. Die IT-Branche ist mit 26,3 % am stärksten gewichtet, gefolgt von Industrie bzw. Investitionsgüter mit 18,9 %. Der Fonds liegt per 6. Oktober auf fünf Jahre gesehen 16,1 % im Plus, jedoch auf ein Jahr 11,5 % im Minus. Aufgrund eines Österreich-Bezugs trotz seiner breiten internationalen Streuung und günstigen Kostenstruktur ist er auch für Anfänger geeignet.
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Dollar-Stärke in der Endphase
Jeder weitere Höhepunkt der US-Devise nährt Spekulationen zu einer Kehrtwende.
Roman Steinbauer. Übertreibungen dauern weder an den Aktien- noch an den Devisenmärkten ewig. Ein Trendwechsel bei überzogenen Relationen im Währungsgefüge wird zumeist von atypisch, überproportional hohen Ausschlägen oder von Notenbank-Interventionen (der Börsen-Kurier berichtete im BK40) eingeleitet. Umso weiter Extrembereiche bei Währungspaaren getestet werden, umso mehr steigt die Wahrscheinlichkeit eines raschen Rücksetzers oder eines sich vollziehenden Trendbruchs. Absicherungen gegen Währungsverluste bei US-Anleihen oder Aktien (oft selbst in Mischfonds deutlich gewichtet) mittels Derivate gewinnen an Relevanz. Aber auch hoch spekulativ orientierte Investoren wittern eine Chance, in der „Dürrezeit“ an Renditen mit Zertifikaten erfolgreich gegen den US-Dollar eine hohe Performance zu erzielen.
Erfüllte Erwartungen als Endspiel?
Am 29. September erreichte der Dollar-Index (geometrisch zu sechs weiteren relevanten Währungen gewichtet; ISIN: XD0009982303) mit 113,6 Punkten vorläufig einen historischen Höchststand. Ob die Federal Reserve Bank (Fed) am 2. November die Anhebung des Leitzinssatzes um weitere 50 oder auch um 75 Basispunkte verkünden wird, dürfte die Richtung an den Devisenmärkten gering beeinflussen. Eine stärkere Straffung könnte sogar zu einer nachgebenden US-Devise führen, da Erwartungen zu weiteren Zinsschritten in den Folgemonaten gedämpft würden. Im Dollar-Raum investierten Anlegern bietet sich eine entsprechende Auswahl an Emittenten, um sich gegen eine Abschwächung der Währung zu wappnen.
Ein Beispiel, um auf eine Stärkung des Euro gegenüber dem Dollar zu setzen, ist etwa ein Endlos-Faktor-Zertifikat von Morgan Stanley (DE000MC40L27). Der Basispreis lag zu Redaktionsschluss mit 88,58 USD recht komfortabel um 9,7 % unter der aktuellen Notiz, die Hebelwirkung (Faktor) beträgt 10. Allerdings ist stets auf die implementierte Reset-Barriere (diese Schwelle liegt knapp am finalen Schmelzpunkt des inneren Wertes) zu achten. Beim oben genannten Produkt wird bei Unterschreiten der Barriere von 0,895 USD pro Euro die kaum noch vorhandene Differenz abgerechnet. Je nach Risikoprofil oder Zweck eines Einsatzes des Derivats, bleibt es dem Käufer natürlich überlassen, bei ungünstigem Verlauf eine Stop-Loss-Marke zu setzen. Der Spread (Differenz der Kursstellung zwischen der An- und Verkaufsnotiz) liegt bei 1 %. Neben dem Handel über die Stuttgarter Derivate-Börse Euwax, werden Orders ebenso außerbörslich über den jeweiligen Emittenten abgewickelt.
Für eine gewagtere Hebelwirkung von 18 steht das „Faktor 18X Long Index EUR/USD“-Zertifikat (DE000VX1PGX0) der Bank Vontobel. Die höhere Gewinnchance ist allerdings mit dem Nachteil eines Spreads von 10 % verknüpft, zudem befindet sich die Abrechnungsschwelle mit 0,93 USD/Euro auf riskanterem Terrain.
Unter der ISIN DE000DV51 ZV1 hat wiederum die DZ Bank einen Endlos Turbo Call mit einer Hebelwirkung von 30 im Angebot.
Welche Währung bäumt sich zuerst auf?
Aber nicht nur der Euro, sondern insbesondere der Yen und das britische Pfund bewegen sich rund um ein historisches Tief zur US-Devise. Um auf eine Erholung des Pfund gegen den US-Dollar zu setzen, können Open End Turbo Calls Warrants der UBS Bank gezeichnet werden (Hebel 26; DE000UK7H052). Doch liegt hier die Knock-Out-Schwelle bei 1,067, ein Wert der kurzzeitig bereits unterschritten wurde. Wer ein Ende der Yen-Schwäche herannahen sieht, wird unter anderem bei Morgan Stanley fündig. Das Open-End- Short-Faktor-Zertifikat DE000MD31UQ3 (Reset-Barriere von 152,97) wirkt 15-fach zur Veränderung im Währungspaar.
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Deutschlands schockierende Inflationszahlen
Ein Kommentar von Dieter Wermuth, Economist und Partner bei Wermuth Asset Management.
(04.10.) Es ist noch nicht einmal drei Jahre her, da galt Deflation als eines der größten wirtschaftspolitischen Probleme. Warum? Wenn das Preisniveau sinkt, steigt die reale Schuldenlast von Verbrauchern, Unternehmen und Staat – sie verschulden sich daher weniger und geben weniger aus. Morgen wird ja alles billiger sein. Für die Konjunktur ist das nicht unbedingt tödlich, aber doch von Nachteil. Der Tendenz nach ist ein bisschen Inflation wünschenswert. Daher haben die meisten Notenbanken in den reichen Ländern ein Inflationsziel von 2 %.
Zuletzt haben sich die Dinge unerwarteterweise und höchst dramatisch verändert, durch das Ende der Covid-Pandemie und, noch wichtiger, durch den russischen Überfall auf die Ukraine. Nun ist auf einmal eine zu hohe Inflation das wirtschaftspolitische Problem Nummer 1. Im August lagen die deutschen gewerblichen Erzeugerpreise um 45 % über ihrem Vorjahresstand, die Verbraucherpreise im September um 10,0 %, der höchste Wert seit 1951. Das sind schockierende Zahlen für ein Land, das so viel Wert auf die Stabilität seiner Währung legt. Normalerweise sind Erzeugerpreise verlässliche Frühindikatoren für die Verbraucherpreise – das heißt leider, dass diese für einige Zeit sehr hoch bleiben werden. Von einer Lohn-Preisspirale ist glücklicherweise noch nichts zu sehen: Die Tarifpartner können offenbar nicht glauben, was da zurzeit an der Preisfront passiert.
Nicht nur die Energiepreise haben die deutsche Inflation angeheizt, der schwache Euro ist ein anderer wichtiger Grund. Trotz solider Fundamentalfaktoren (einem leichten Überschuss in der Leistungsbilanz des Euroraums, verglichen mit einem sehr großen amerikanischen Defizit, sowie relativ niedrige Staatsschulden – 97% des BIP, in Amerika 126%) leidet der Euro unter Verkaufsdruck und hat im Verlauf des Jahres gegenüber dem Dollar nicht weniger als 14% verloren. Kein Wunder, dass die Einfuhrpreise explodieren.
Geopolitische Aspekte dominieren an den Devisenmärkten, und da insbesondere die russische Invasion der Ukraine und die Folgen für die internationalen Beziehungen – ein happy end ist nicht in Sicht. Der Dollar gilt, solange Europa auf die militärische Hilfe der USA angewiesen ist, als sicherer Hafen für Anleger, selbst wenn amerikanische Bonds und Aktien vergleichsweise teuer sind.
Ein anderer Faktor, der bisher gegen den Euro gesprochen hatte, waren die Zinsdifferenzen zwischen den USA und dem Euroraum. Die Fed hatte die Leitzinsen früher und energischer angezogen als die EZB. Zinsdifferenzen sind oft irrelevant für den Wechselkurs (Stichwort Schweiz), diesmal aber nicht. Auf absehbare Zeit dürfte das amerikanische Zinsniveau, von kurzen bis zu langen Fristen, um etwa 150 Basispunkte über dem europäischen liegen und auf diese Weise den Dollar stark halten.
Wenn sich diese Vorhersagen als richtig erweisen, lohnt es sich Schulden zu machen – vor allem für die öffentliche Hand, weil deren Schuldzinsen weit unter den erwartbaren Inflationsraten und damit den Steuereinnahmen liegen. Das gilt aber auch für Haushalte und für Unternehmen. Die Inflation vermindert auch deren reale Schuldenlast. Das ist die eine, positive Seite der hohen Inflation. Die Kehrseite darf nicht vergessen werden: Das Preisniveau steigt zurzeit rascher als die Einkommen. Das gilt vor allem für die Haushalte, deren Realeinkommen und Lebensstandard gerade rapide sinken, und die dadurch zunehmend risikoavers werden. Unter’m Strich wird der private Verbrauch sinken, also die größte Ausgabenkomponente in den volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen, und auf diese Weise die gesamte Wirtschaft in den negativen Bereich ziehen.
Die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute haben soeben ihre kurz- und mittelfristigen Prognosen vorgestellt. Für das Jahr 2023 erwarten sie nun für das reale BIP im Vorjahresvergleich einen Rückgang um 0,4 %. Im Frühjahr hatten sie noch eine positive Zuwachsrate von 3,1 % erwartet. Das ist die größte mir bekannte Revision der Vorhersagen (minus 3,5 Prozentpunkte) innerhalb von nur sechs Monaten. Die wichtigsten Annahmen der neuen Prognose betreffen die Energiepreise: Die Gaspreise steigen zwischen 2021 und 2023 um 320 %, die Strompreise um 390 %.
In der Retrospektive bestand der größte wirtschaftspolitische Fehler darin, den Ausbau der erneuerbaren Energien nicht energisch genug vorangetrieben zu haben: Die Atomkraftwerke wurden bis auf drei abgeschaltet, ohne zu bedenken, dass das Land dadurch auf Energieimporte aus Russland angewiesen war. Die fallen nun gerade aus, wodurch es zu dem aktuellen Inflationsschub gekommen ist. Die kommenden Monate werden nicht leicht sein, aber es wird zu keiner Katastrophe kommen, es sei denn der Winter wird nach langer Zeit wieder einmal extrem kalt. Die Gastanks sind zu 90 % gefüllt, Haushalte und Unternehmen werden angesichts der hohen Preise ihren Verbrauch von Strom und Gas drosseln, teilweise auch auf Substitute ausweichen, LNG-Importe werden nach den Plänen der Regierung stark zunehmen, und die drei verbliebenen Atomkraftwerke werden erst mal nicht vom Netz genommen.
Aber was passiert, wenn die Wintertemperaturen doch deutlich unter ihre Normalwerte sinken und das Gas aus Russland weiterhin ausbleibt? Nach den Modellen der Wirtschaftsforschungsinstitute wird das reale BIP in diesem Fall im nächsten Jahr um rund 8 % gegenüber 2022 zurückgehen. Das wäre der größte Einbruch seit der Depression von Ende der zwanziger / Anfang der dreißiger Jahre, die wesentlich zum Aufstieg von Hitler und seiner Nationalsozialisten beigetragen hatte. Allerdings ist der deutsche Staat diesmal finanziell in einer viel besseren Ausgangsposition: Die Staatsschulden liegen bei verkraftbaren 68,6% des BIP, und die Renditen der 10-jährigen Bundesanleihen betragen nur 2,1 %. Darüber hinaus hält Deutschland die zweitgrößten Nettoauslandsaktiva (2,8 Billionen USD), nach Japan. Mit anderen Worten, es fehlt nicht an Mitteln, mit denen sich die Nachfrage stimulieren lässt. Massenarbeitslosigkeit kann – und wird – vermieden werden.
Für Anleger ist das Bild im Augenblick klarer als sonst. Die Rezession hat begonnen, in Deutschland und in den anderen 18 Ländern des Euroraums. Die Gewinne geraten daher unter Druck. Infolge der extrem hohen aktuellen Inflationsraten steigen die Inflationserwartungen und mit ihnen die Zinsen am kurzen und langen Ende der Renditekurve. Künftige Gewinne und Cashflows werden mit steigenden Zinsen auf die Gegenwart abdiskontiert. Daher wird es sowohl auf den Aktienmärkten als auch bei Bonds zu weiteren Kursverlusten kommen. Die Wende ist noch nicht in Sicht. Was den Euro-Wechselkurs angeht, erwarte ich nicht, dass sich die Zinsdifferenz zu Dollaranlagen vergrößern wird, weil die EZB die Leitzinsen vermutlich stärker erhöhen wird als die Fed. Der Euro bleibt aber vorerst dem Risiko ausgesetzt, dass sich der Krieg in der Ukraine intensiviert, mit der Folge, dass der Dollar einmal mehr zur Fluchtwährung wird, also aufwertet.
Aktien für turbulente Zeiten
Zahlreiche Krisen belasten die Börsen, selektives Vorgehen ist gefragt.
Raja Korinek. Die schlechten Nachrichten an den Finanzmärkten reißen nicht ab. Allein im September stieg die Inflation in der Eurozone im Jahresvergleich um 10 %. In Österreich erreichte das Plus sogar 10,5 %. Das wirft Fragen zur weiteren Entwicklung an den Börsen auf. Ulrich Urbahn, Leiter Multi Asset Strategy & Research bei der Berenberg Bank, meint in diesem Zusammenhang: „Während im vierten Quartal 2022 viele politische Risiken, so etwa die Wahlen in den USA und in China, lauern, dürften die entscheidenden Themen sein, ob es eine starke Rezession gibt, ob die Inflation ihren Höhepunkt gefunden hat und wie die Zentralbanken darauf reagieren werden.“
Die Märkte dürften damit mehr von makroökonomischen Geschehnissen angetrieben werden, so Urbahn. „Zudem dürften die Reduzierung der Anleihekäufe und die Zinserhöhungen der Zentralbanken zu weniger Liquidität führen.“ Dieser Umstand könnte auch auf den Aktienmärkten lasten. Doch das ist nicht alles. Die Gefahr von Energieknappheiten in Europa sowie pandemiebedingte Einschränkungen in China setzen das globale Wachstum unter Druck, so Maximilian Kunkel, UBS-Chefanlagestratege in Deutschland.
Defensive Aktien im Fokus
Kunkel meint, „wir bevorzugen daher die Ausrichtung auf Teile des Markts, die sich im Fall einer langsameren Wirtschaftsaktivität als robust erweisen sollten“. Bei Aktien seien dies laut UBS unter anderem das Gesundheitswesen und Basiskonsumgüter. Zu letzterem Sektor zählen etwa Güter des täglichen Bedarfs, wie sie Nestlé (ISIN: CH0038863350), Unilever (GB00B10RZP78) und Procter & Gamble (US7427181091) produzieren.
Auch beim Vermögensverwalter Aviva Investors verfolgt man einen Ansatz, mit dem man durch turbulente Zeiten möglichst schwankungsarm navigieren möchte. Francois de Bruin, Co-Fondsmanager des „Aviva Investors Global Equity Endurance Fund“ (LU1401110231), sagt gegenüber dem Börsen-Kurier, dass der Fokus auf jenen Konzernen liege, denen es gelingt, selbst im schwierigen Umfeld solide Gewinnmargen zu erzielen.
Hohe Gewinnmargen
Doch wie sieht die Umsetzung aus? Im Aviva-Fonds liegt die durchschnittliche Brutto-Gewinnmarge der Unternehmen bei rund 60 %, damit ein gutes Stück über dem Schnitt im „MSCI All Country World Index“ (MSCI ACWI), wo diese bei 33 % liegt. Dafür aber sind die – aktuell 31 – Titel im Fonds mit einem durchschnittlichen KGV von 22 teurer bewertet als die Aktien im MSCI ACWI (14).
Zu den Fondsinvestments zählt etwa die Kreditkartenfirma Mastercard (US57636Q1040). Der Konzern profitiert von steigenden Preisen, da dann mehr Gebühren, als Prozentsatz vom Einkaufsumsatz, lukriert werden. Technologiewerte wie der US-Softwarehersteller Intuit (US4612021034) sowie Alphabet (US02079K3059) zählen ebenso zu den größten Positionen. Letzterer Konzern profitiert vom wachsenden Geschäft mit der Cloud.
Zuletzt wurde auch bei der britischen Rentokil Initial (GB00B082RF11) eine kleine Position gekauft. Das Unternehmen verkauft Schädlingsbekämpfungsmittel. De Bruin verweist auf die geplante Übernahme des US-Rivalen Terminix. „Damit wird Rentokil einen globalen Anteil von rund 30 % am Markt für Schädlingsbekämpfung haben.“ De Bruin zufolge dürfte die Nachfrage nach solchen Mitteln weltweit steigen. Grund dafür sei die globale Erderwärmung, die das Ausbrüten begünstigt.
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Die KI, der vierte Produktionsfaktor
Digitalisierte Wirtschaftswelt zwischen Effizienzvorteil und „himmelschreiendem Unsinn“.
Emanuel Lampert. Schöne neue digitale Welt? Die Digitalisierung wird Klein- und Mittelunternehmen nicht unberührt lassen, sagt Gudrun Strahner-Weiss. Für komplexe Geschäftsfälle werde es dennoch beim persönlichen Kontakt bleiben, so die Leiterin des Corporate Bankings bei der Steiermärkischen Sparkasse bei einer Diskussionsrunde anlässlich 100 Jahren Börsen-Kurier.
Bernhard Wenger, Head of Northern Europe bei der 21Shares AG, glaubt an Effizienz- und Kostenvorteile für KMUs durch digitale Ökosysteme, speziell im Vertrieb. Herwig Teufelsdorfer, CEO der S Immo AG, gibt zu bedenken: „Plattform heißt für den Kunden immer bis zu einem gewissen Grad Abhängigkeit.“
„Reales“ Geschäft werde es auch in einer digitaleren Zukunft geben, der Mensch sei schließlich ein soziales Wesen. Teufelsdorfer: „Das eine ist die Technologie, das andere ist, wie sie angewendet wird.“ Er sagt aber auch: „Es wird sich einiges ändern, wir werden umdenken müssen.“
Wo bleibt der Mensch?
Welchen Stellenwert hat der Mensch in einer digitalisierten Wirtschaftswelt, gibt es auch Verlierer? Wenger fürchtet, dass Letzteres zu bejahen ist, meint aber auch, dass man mit Offenheit für neue Entwicklungen gegensteuern kann. Auch das Internet sei eine Revolution gewesen, „und jetzt machen alle ihre Bankgeschäfte am Handy“.
Helmut Fallmann, Vorstandschef der Fabasoft AG, bezeichnet „künstliche Intelligenz“ als neuen, vierten Produktionsfaktor. Von einer „Verschmelzung von Mensch und Maschine“ will er aber nichts wissen. „Ich halte das für einen himmelschreienden Unsinn.“ Die Letztentscheidung müsse immer beim Menschen liegen.
Teufelsdorfer glaubt, die Digitalisierung werde dazu führen, dass sich jeder seinen Fähigkeiten entsprechend einbringen kann: Sie helfe dabei, „dass wir unser Wissen und unsere Fähigkeiten viel gezielter einsetzen können und uns nicht mit Tätigkeiten aufhalten, die zeitaufwendig sind, aber zum Ergebnis relativ wenig beitragen“.
Investieren in „Digital“
Wo liegen für Anleger Chancen und Risiken in der Digitalisierung? Fallmann prognostiziert, dass die Welt des Shareholder Value aussterben wird. „Überleben werden nur die Unternehmen, die das Thema Stakeholder Value tatsächlich leben“, also glaubwürdig im Sinne von Gesellschaft, Umwelt und Governance handeln.
Strahner-Weiss rechnet mit neuen Risiken, aber auch neuen Zielgruppen, Märkten und Produkten. Sie rät, nicht auf der Suche nach dem „next big thing“ überhastete Investmententscheidungen zu treffen, sondern dem Grundgedanken des eigenen Investments treu zu bleiben.
Es gebe tausende digitale Assets und Kryptowährungen, sagt Wenger, als „investierbar“ erachte 21Shares aber nur einen Bruchteil davon. Wichtig sei deshalb zweierlei: Finanzbildung, auf dass der Investor das Marktrisiko verstehe, und die Möglichkeit, sein Investment in einem sicheren, regulierten Umfeld tätigen zu können.
Digital- oder Betongold: Wo gibt es mehr Chancen, wo mehr Risiken? Die Zeiten des Betongoldes „in dem Sinne, dass der Markt für uns das Beton golden gemacht hat“, seien wohl vorbei, sagt Teufelsdorfer. „Das Produkt muss völlig neu gedacht werden.“ In der Architektur werde man „völlig andere Lösungen sehen“.
Eine andere Welt
Ist die Welt durch die Digitalisierung sicherer oder gefährlicher geworden? Sie ist anders geworden, antwortet Wenger. Was früher der Bankräuber war, sei jetzt der Cyberkriminelle. Dafür sei als Reaktion darauf die Cybersicherheitsbranche entstanden.
Auf ein neues Produkt verweist Strahner-Weiss: die Cyberversicherung, die im Notfall auch mit Sofortmaßnahmen unterstützt. Zu den neueren Erscheinungen gehört auch die „Cloud“, ein Konzept, das in Europa missverstanden wird, wie Fallmann meint. „Wir betrachten momentan im Zuge der Kriegswirren nur die analoge Autonomie und denken nicht über die digitale Autonomie nach.“
Diskutierten in der Wiener Börse unter der Leitung von Börsen-Kurier-Herausgeber
Marius Perger (v.l.): Bernhard Wenger von 21Shares, Gudrun Strahner-Weiss von der Steiermärkischen Sparkasse, Herwig Teufelsdorfer, der neue CEO der S Immo, sowie Helmut Fallmann, CEO von Fabasoft.
Einen ausführlicheren Bericht zu diesem Round Table lesen Sie Anfang November in unserem kostenlosen Magazin anlässlich des Jubiläums „100 Jahre Börsen-Kurier“.
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Erhöhter Einsatz zur Verlustbegrenzung
Der Einsatz von Derivaten gewinnt schnell an Bedeutung.
Roman Steinbauer. Die Bescheidenheit kehrt zurück. Der Kapitalschutz ringt nach vielen Jahren der Hoffnung auf hohe Renditen den Rang ab. Nach dem bisherigen ernüchternden Jahresverlauf an den Aktien- und Anleihenmärkten zweifeln viele Anleger aber an der Sinnhaftigkeit, jetzt noch Wertpapiere zu veräußern. Liegt doch ein ausgeprägter Rutsch bereits hinter uns, die Stimmung steuert einem Tiefpunkt entgegen und Indikatoren deuten auf eine überverkaufte Situation hin. Dennoch liefern das politische und wirtschaftliche Umfeld Argumente genug, um weitere Kurseinbrüche plausibel erscheinen zu lassen. Eine Absicherung bestehender Anlagepositionen durch gewählte Finanzinstrumente gewinnt an Bedeutung. Denn sich von Engagements gänzlich zurückzuziehen, sehen Investoren in inflationären Zeiten als keine Alternative.
Steigende Volatilität erhöht Absicherungskosten
Ob an Positionen festzuhalten oder gewagt Neueinstiege zu tätigen: Der Bedarf an Derivaten zur Kursabsicherung ist gefragter denn je, um den sich zuspitzenden Krisen die Stirn zu bieten. Herausgezogen seien Daten von „Cboe Global Markets“ als Betreiber der bedeutendsten US-Optionenbörse, der „Chicago Board Options Exchange“ (CBOE). So pendelte am 29. September die Put-/Call-Ratio (das Verhältnis der Anzahl erworbener Verkaufsoptionen zu Kaufoptionen basierend auf Aktien und US-Indizes) zwischen 0,98 und 1,12. Dies zeigt, dass selbst bei unterdessen weit gedrückten Aktiennotizen die Nachfrage nach Derivaten zum Schutz gegenüber fallenden Notizen die Spekulation auf steigende Kurse übertrifft.
Das zuletzt angeschwollene Volumen sagt zudem viel über die Unsicherheit und Nervosität an den Märkten aus. Wurden an einem Handelstag an der CBOE im Vorjahr durchschnittlich 6,9 Mio Kontrakte gehandelt, erreichten die Abschlüsse am Donnerstag der Vorwoche 14,22 Mio Einheiten. Der Volatilitätsindex VIX (ebenfalls von Cboe Global Markets erstellt) bestätigt zudem die aufkommende Vorsicht der Investoren. Dieser Indikator stellt den Durchschnitt der Preise (nicht die Anzahl) von Kauf- und Verkaufsoptionen in Relation und repräsentiert die Markterwartungen für die kommenden 30 Tage. Dieser Wert pendelt in „normalen“ Zeiten zwischen zwölf und 20 Punkten, aber jüngst zog der Angstbarometer auf 32 Punkten stark an. Die absoluten Spitzenwerte und Ausschläge wurden mit mehr als 70 Punkten in panikartigen Phasen, wie zu Ende 2008 oder im Feber 2020 registriert.
Etablierte Transparenz und Vielfalt
Glücklich jener, der unruhige Zeiten vorweg nahen sah und bereits vor einem Eintreten der Nervosität an den Börsen seine Positionen durch Absicherungsprodukte in ruhigere Gewässer hievte. Denn mit der Volatilität steigen die Preise der Optionen bzw. der Optionsscheine (Prämienaufschlag). Als Alternative bieten eine Vielzahl an Emittenten Anlegern Zertifikate an. Hier ist wiederum auf den offerierten „Spread“ (Spanne zwischen An- und Verkaufskursen) des Produktherausgebers zu achten.
Abgesehen vom außerbörslichen Handel gilt in erster Linie die Euwax der Stuttgarter Börse mit (nach eigenen Angaben) 1,9 Mio gelisteten Wertpapieren als größter und liquidester Marktplatz verbriefter Derivate am Kontinent. Im Jahr 1999 implementiert, wurde von den Schwaben seitdem der Fokus auf die Derivat-Plattform gelegt, um den Handel mit Aktien, Anleihen und Investmentfonds mit erweiterten Angeboten zu ergänzen. Neben Optionsscheinen, Zertifikaten (inkl. Knock-Out-Produkten) bestimmen in Stuttgart börsengehandelte Fonds (ETF), Rohstoffzertifikate (ETC) und Inhaberschuldverschreibungen (ETN) das Geschehen.
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„Die negative Stimmung kann auch wieder drehen“
Ein Kommentar von Christopher Teschmacher, Multi-Asset Fondsmanager bei Legal & General Investment Management (LGIM).
(27.09.) „Am vergangenen Freitag erlebten wir die drittschlechteste Tagesperformance des Pfund Sterling gegenüber dem US-Dollar seit dem Schwarzen Mittwoch 1992. Die Reaktion mit höheren Renditen und einer schwächeren Währung ist für ein Industrieland ziemlich einmalig. So überrascht es nicht, dass viele argumentieren, das Vereinigte Königreich werde immer mehr zu einem Schwellenland. Vergleiche mit der Krise von 1992 sind leicht zu ziehen.
Die überraschenden Aspekte des Haushaltsplans sind jedoch in Wirklichkeit nicht so schwer zu finanzieren. Außerdem unterscheidet sich die Staatsverschuldung des Vereinigten Königreichs nicht allzu sehr von der in anderen Industrieländern, so dass sich die Reaktion der Devisenmärkte eher auf die Glaubwürdigkeit der Bank of England (BoE) bei der Inflationsbekämpfung und der längerfristigen Haushaltskontrolle bezieht.
Die Währungen der europäischen Länder, einschließlich des Pfunds, haben das ganze Jahr über gegenüber dem Dollar an Wert verloren, obwohl in diesem Jahr mehr Zinserhöhungen eingepreist wurden als in den USA. Aber es gibt einen Unterschied zwischen dem, was eingepreist ist, und dem, was tatsächlich passiert ist. Die US-Notenbank Fed hat die Zinsen aggressiv angehoben, während die europäischen Zentralbanken im Kielwasser der Fed zögerten, was die Währungen schwächte und wiederum die britischen und europäischen Zentralbanken schließlich zum Handeln zwang.
Wir erwarten, dass die BoE versuchen wird, gegen die Schwäche anzukämpfen. Obwohl die Erklärung vom Montag nicht überzeugend war, wird sie nicht zögern, die Zinsen so weit wie nötig anzuheben. In der Zwischenzeit wird die Regierung bei der Umsetzung ihres Wachstumsplans wohl vorsichtiger sein. Während die Dynamik des Pfunds eindeutig negativ ist, hat sich auch eine negative Stimmung aufgebaut, die unserer Meinung nach auch wieder drehen kann.
In Anbetracht dessen haben wir beschlossen, das britische Pfund gegenüber dem Euro in unseren taktischeren Portfolios moderat positiv zu bewerten. Aber der Umfang unserer Position ist nicht so groß, wie es der Bewertungsaspekt allein aufgrund der höheren politischen Unsicherheit nahelegen würde. Bei einem weiteren Rückgang des Pfunds würden wir die Position wahrscheinlich mittelfristig aufstocken, da sich die Bewertung noch weiter verbessern könnte. Wir glauben, dass eine Unterstützung durch die Regierung oder die BoE dadurch nur noch wahrscheinlicher wird.
Die positive Korrelation zwischen Aktien und Anleihen war in diesem Jahr eine Herausforderung für Multi-Asset-Fonds, da die übliche gegenläufige Performance, die wir in den letzten 20 Jahren gesehen haben, 2022 nicht mehr existierte. Die Schwäche des Pfund Sterling hat unseren Fonds geholfen, einige Verluste abzufedern, da unser global diversifizierter Ansatz zu Beständen in Überseewährungen führt, die an Wert gewonnen haben, insbesondere den US-Dollar. Fonds mit höherem Risiko und typischerweise höherem Fremdwährungsengagement haben stärker profitiert als Fonds mit geringerem Risiko.“
100 und mehr Chancen für Wien
Wichtige Player optimistisch gestimmt, Selbstzufriedenheit wird aber vermieden.
Rudolf Preyer. Die Güte des Börsenplatzes beweise sich untern anderem auch aufgrund seiner Diskretion, sagte Christoph Boschan, CEO der Wiener Börse, auf die Frage nach der Attraktivität. Immerhin datieren die letzten IPOs (mit Addiko, Frequentis und Marinomed) aufs Jahr 2019 zurück. Im Rahmen der Jubiläums-Podiumsdiskussion „100 Jahre Börsen-Kurier“ wurde Boschan von Herausgeber Marius Perger auf mögliche Börsengänge in näherer Zukunft angesprochen. Hausherr Boschan orakelte, dass sich diese Frage „in einem halben Jahr wohl so nicht mehr stellen“ werde.
In Präsenz oder lieber virtuell?
Florian Beckermann, Geschäftsführender Vorstand des IVA (Interessenverband für Anleger), lenkte die Aufmerksamkeit des Publikums auf die wohl drängendste aktuelle Frage: „Wir würden gerne zur Präsenz-Hauptversammlung zurückkehren, wie viele normale Kleinaktionäre auch.“ Der Streubesitzer sei schließlich „der beste Aktionär, den jedes Unternehmen haben kann“. Dies aufgrund oft jahrelanger Verbundenheit mit der AG. Leider sei der Kleinaktionär in den vergangenen Jahren in Österreich politisch nicht gefördert worden, so Beckermann, der jedoch einem Richtungswechsel optimistisch entgegensieht.
Thomas Arnoldner, CEO der A1 Telekom Austria Group, wiederum sprach sich für „Wahlfreiheit“ aus – „dass man also digital auch Aktionäre erreichen kann, für die eine Präsenzteilnahme schwieriger ist“. Der Vollständigkeit halber: Die HV der A1 Telekom fand heuer wieder physisch, also mit Anwesenheit der Aktionäre statt.
Bunter Themenstrauß
Aber auch Financial Literacy war ein Thema. „Wegen meiner Kinder kenne ich die Lehrpläne gut, da ist Finanzbildung quasi inexistent“, erklärte Michael Oplustil, der für die Interessensgemeinschaft CIRA – Cercle Investor Relations Austria sprach. Arnoldner ergänzte, dass das Unterstufenfach „Geografie“ nun um den Zusatz „und wirtschaftliche Bildung“ ergänzt werden soll. Leider werden darin aber die Aspekte Marktfunktionen sowie Preis- und Ressourcenbildung sträflich vernachlässigt.
Punkto Steuererleichterungen meinte Beckermann, dass dazu erst eine umfängliche Rechtssicherheit hergestellt werden müsste – und erinnerte in diesem Zusammenhang an den Bank-Austria-Squeeze-Out, der das Rechtssystem seit 14 Jahren beschäftigt. Ein Wort in Richtung Regierung: Die KESt-Befreiung und die Behaltefrist sind im Programm – „dann hätten wir sie auch mal gerne umgesetzt“.
Die Zukunft des Kapitalmarktes
Arnoldner sieht den Tech-Sektor am heimischen Börsenparkett in zehn Jahren „wachgeküsst“ und Oplustil vermutet einen deutlich längeren Kurszettel. Beckermann wiederum ortet künftig eine breite Range an Marktteilnehmern – vom Sparbuchanleger bis hin zum Zocker à la „Gamestop“. Der heimische Marktplatz habe in Europa gute Chancen auf Spitzenrankings – gerade auch, was die ESG-Thematik betrifft.
Boschans Resümee lautet: „Ein mittelgroßer Börsenplatz wie Wien hat seine Daseinsberechtigung dann, wenn er seine USPs kennt und weiterentwickelt.“ Die Börsen von Frankfurt, Dublin und Luxembourg habe man zum Beispiel bei der Anzahl von Anleihenlistings bereits „überholt“. Wenn es anderswo Rückgänge gebe, sei es umso erstaunlicher, dass die Wiener Börse heuer wieder nahezu ein Rekordergebnis anvisiere.
Diskutierten in der Wiener Börse über den heimischen Kapitalmarkt (v.l.): Florian Beckermann vom IVA, CEO Thomas Arnolder von der A1 Telekom Austria Group, Börsen-Kurier-Herausgeber Marius Perger, Börse-Chef Christoph Boschan und CIRA-Vorstand Michael Oplustil
Die Langversion lesen Sie im Jubiläumsmagazin zu 100 Jahre Börsen-Kurier am 3. November.
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Schnäppchen am britischen Aktienmarkt?
Trotz der schwierigen Ausgangslage sehen Experten Chancen an der Börse.
Patrick Baldia. Zugegeben: das Umfeld war schon einmal besser für britische Aktien. Die Wirtschaft schwächelt seit geraumer Zeit, die Inflation ist so hoch wie zuletzt vor 40 Jahren, die Stimmung unter den Unternehmen alles andere als berauschend, und in der vergangenen Woche hat die Bank of England (BoE) im Zuge der Zinserhöhung um 0,5 %-Punkte auf 2,25 % erklärt, das Land befinde sich in einer Rezession.
Um das Ganze noch zu unterstreichen hat das britische Pfund am Montag mit 1,035 US-Dollar ein Rekordtief erreicht. Gerade in den vergangenen Tagen hatte sich der Abwärtstrend extrem beschleunigt.
Experten sehen hinter dem Verfall des britischen Pfund in erster Linie die geplanten Steuersenkungen und Entlastungen der Regierung unter der neuen Premierministerin Liz Truss. Ende der vergangenen Woche hat Finanzminister Kwasi Kwarteng ein umfangreiches Paket mit Maßnahmen zur Abfederung der hohen Energiepreise und Steuersenkungen angekündigt und als mittelfristiges Ziel ein BIP-Wachstum von 2,5 % genannt. Das dürfte wohl eher Sorgen um einen Anstieg der Staatsverschuldung befeuert als für Sicherheit gesorgt haben.
Der FTSE 100 stand heuer lange Zeit als einer der wenigen Indizes im Plus und hatte von den Outperformern Fossile Energieträger, Minen, Tabak und Verteidigung profitiert. Noch im August lag die Performance bei rund +2 %. Mittler-weile hat sich das Blatt aber gewendet und seit Jahresbeginn steht ein Minus von fast 5 % zu Buche. Über die vergangenen zwölf Monate hat der FTSE 100 um knapp 9 % verloren. Und schaut man sich die Zehnjahresbilanz britischer Aktien an, so haben sich nur die Emerging Markets schlechter entwickelt.
Energiesektor-Exposure
Der schwierigen Ausgangslage zum Trotz sehen Experten dennoch Chancen am britischen Aktienmarkt. Im aktuellen Finanzmarkt-Barometer von Pictet wird etwa auf die defensiven Charakteristiken des Marktes sowie das Exposure zum Energiesektor verwiesen. Und das schwache britische Pfund sollte die Überseegewinne befeuern. Ein kleines Detail am Rand: Die FTSE-100-Unternehmen fahren drei Viertel ihrer Erträge im Ausland ein. Bei AXA Investment Managers führt man zudem die im Vergleich zu anderen entwickelten Aktienmärkten niedrigen Bewertungen britischer Aktien ins Treffen.
Profitiert hat der Markt lange von Unternehmen, denen die Zinswende aber auch hohen Energiepreisen zugutekamen. Am stärksten gewichtet sind im FTSE 100 mit fast 30 % der Energie- und Rohstoffsektor, gefolgt von Finanzen (17,9 %), Nahrung- und Genussmittel (12,74 %), Handel und Konsum (10,92 %) sowie Chemie, Pharma, Bio- und Medizintechnik (8,68 %). Zur Veranschaulichung: Technologiewerte haben einen Anteil von gerade einmal 3,80 % im FTSE 100.
Wo sind Gelegenheiten?
„Die interessantesten Aktien sind nicht in den Top 100 zu finden, sondern in den Small- und Mid-Cap-Bereichen, in denen weiterhin Fusionen und Übernahmen getätigt werden“, meint Chris Iggo, CIO Core Investments AXA Investment Managers, um hinzuzufügen: „Wenn das Wachstum durch fiskalische Anreize der Regierung angekurbelt werden kann, sind möglicherweise weitere Schnäppchen zu machen.“
Aktuell haben Experten unter anderem Barclays, Legal & General, Shell und AstraZeneca auf der Rechnung. Für all jene, die lieber breit gestreut auf das Thema britische Aktien setzen möchten, könnte ein Fonds wie der „BNY Mellon UK Opportunities“ (ISIN: GB0031189888) oder der „Blackrock United Kingdom“ (LU0011847091) interessant sein.
Zu den ETF-Ideen gehören wiederum der „HSBC FTSE 100 UCITS ETF GBP“ (IE00B42TW061), „Xtrackers FTSE 100 UCITS ETF 1C“ (LU0838780707) sowie der „iShares Core FTSE 100 UCITS ETF (Dist)“ (IE0005042456).
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Was die Zinswende Bondanlegern bringt
Vor allem kurz laufende Anleihen könnten derzeit interessant sein.
Raja Korinek. Die jüngste Sitzung der US-Notenbank sorgte einmal mehr für Schlagzeilen. Denn da wurden die Zinsen erneut um 0,75 %-Punkte angehoben, womit der US-Leitsatz in einer Spanne von
3 bis 3,5 % liegt. Dabei stellte Fed-Chef Jerome Powell klar, dass weitere Anhebungen notwendig sein würden, um die Inflation zu bekämpfen. Zugleich wurden auch noch die Wirtschaftsprognosen für das laufende Jahr auf ein mageres Plus von 0,2 % gesenkt.
Doch wie könnte es mit den Zinsen heuer weitergehen? Dazu liefert Peter Lechner, Fondsmanager bei der DJE Kapital AG, eine Einschätzung: Auf der nächsten Sitzung könnten die Zinsen noch-mals um 0,75 %-Punkte angehoben werden, danach um rund 0,4 %-Punkte, „je nach Konjunkturentwicklung“.
Löhne als Inflationstreiber
Lechner verweist gegenüber dem Börsen-Kurier auch auf die unterschiedlichen Inflationstreiber zwischen den USA und der Eurozone. „Sie wird in den USA von den starken Lohnzuwächsen kräftig angetrieben.“ Auch die steigenden Kosten für das Wohnen spielen eine gewichtige Rolle. Der Einfluss der Energiekosten sei demgegen-über geringer, da die USA reichlich Öl- und Gasvorkommen haben. Lechner verweist aber noch auf einen weiteren Auslöser. So sei die US-Sparquote stark gesunken. Während der Pandemie war sie auf rund 20 % gestiegen, da Konsumenten kaum Möglichkeiten hatten, ihr Geld auszugeben. Die Quote ist nun auf 5 % gesunken, ein Umstand, der den Konsum – und damit die Inflation – ankurbelt.
„Die Teuerung in Europa wird demgegenüber von steigenden Energiepreise stark angeheizt“, betont Lechner. Er meint auch, die EZB hinke mit den Zinsanhebungen noch deutlich hinten nach. Derzeit liegt der Leitzins erst bei 1,25 %, und das bei einer Inflation von 9,1 % im August im Jahresvergleich. Sein Fazit fällt deutlich aus: „Die EZB muss handeln.“
US-Dollar im Vorteil
Der große Zinsunterschied zwischen den USA und der Eurozone ist im Übrigen der Grund, weshalb Lechner – er ist auch Co-Fondsmanager des „DJE Short Term Bond Fund“ (ISIN: LU0159549814) – derzeit eher Anleihen aus den USA für das Portfolio bevorzugt. Oben-drein liegt der Fokus des Fonds auf Anleihen mit kürzeren Laufzeiten. Das hat folgenden Vorteil: Solche Papiere schwanken meist weniger als länger laufende Anleihen. Schließlich werden sie früher fällig, das Geld kann dann umso rascher in neue, höher verzinste Papiere investiert werden.
Doch Ausnahmen bestätigen bekanntlich die Regel. Ergeben sich kurzfristige Kaufchancen auch bei länger laufenden Bonds, werden diese ebenso genutzt, betont Lechner. Solche Gelegenheiten wurden etwa bei einer US-Staatsanleihe mit einer Restlaufzeit von rund acht Jahren sowie einem italienischen Staatsbond mit einer Restlaufzeit von rund zehn Jahren genutzt, nachdem die Kurse solcher Papiere zuletzt stark gesunken waren.
Die durchschnittliche Restlaufzeit liegt im Fonds jedoch bei nicht einmal einem Jahr. Denn ein Teil des Vermögens wird auch in Kasse gehalten. Knapp 52 % des Fonds sind zudem in öffentliche Emissionen investiert, rund 45 % in Unternehmensanleihen.
Auf den US-Zinssatz setzen
Anleger, die etwa rein auf die Entwicklung des US-Leitsatzes setzen wollen, können dies mit dem „Xtrackers Fed Funds Effective Rate Swap UCITS ETF“ (LU0321465469) tun. Der ETF profitiert von Zinsanhebungen jenseits des Atlantiks. Obendrein kommt Anlegern aus dem Euroraum der steigende US-Dollar zugute.
Dieser Aspekt kann jedoch ins Negative drehen, wenn der Euro wieder steigen sollte.
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Ein Leitzins so hoch wie das Inflationsniveau?
Ein Kommentar von Olivier de Berranger, CIO beim Assetmanager LFDE.
(20.09.) Die am 13. September veröffentlichte US-Inflationsrate lag mit 8,3 % im August leicht über den erwarteten 8,1 %. Angesichts der geringen Differenz zwischen den Erwartungen und der tatsächlichen Zahl hätte sie harmlos wirken können. Dennoch war sie ein Schock für die Märkte. Die amerikanischen Aktienindizes verloren mehr als 4 % und hatten damit ihren schlechtesten Tag seit Juni 2020. Ein Anzeichen für die Nachhaltigkeit dieses Schocks ist die Tatsache, dass sich der Markt seither nicht erholt hat – anders als es sonst nach einer derartigen Baisse üblich ist. Er rutschte sogar noch weiter ab. Die langfristig schwerwiegendsten Folgen sind wenig offensichtlich. Wie konnte es dazu kommen bei einer doch eigentlich harmlosen Differenz?
Um dies zu beantworten, lohnt sich ein Blick auf die Erwartungen des Marktes in Sachen Leitzinserhöhungen. Mitte August rechneten die Marktteilnehmer noch mit Leitzinsen in Höhe von 3,5 % bis zum Jahresende.* Die Reden der Mitglieder des geldpolitischen Ausschusses der USA hatten allerdings zur Folge, dass der Markt seine Erwartungen nach oben korrigierte. So schnellten sie im Laufe eines einzigen Tages, nämlich dem der Veröffentlichung, auf 4,25 %. Das sind 75 Basispunkte mehr als im Monat davor, was im Vergleich zum Durchschnitt der vergangenen Jahrzehnte bereits hoch war. Diese Differenz ist nun allerdings alles andere als harmlos.
US-Wohnungsmarkt lässt nachhaltige Inflation erahnen
Für die Marktteilnehmer stellt nicht einmal das bereits erwartete globale Inflationsniveau das Hauptproblem dar. Sie fürchten vielmehr ein noch tiefer liegendes Problem, nämlich die Lage auf dem Wohnungsmarkt. Allen Erwartungen zum Trotz schießen die Mieten weiter in die Höhe. Da die Darlehenszinsen ebenfalls weiter steigen, muss man sich auf hartnäckige Forderungen nach Lohnerhöhungen einstellen. Diese lassen sich angesichts des nach wie vor sehr robusten US-Arbeitsmarkts wohl kaum zurückweisen. Dies deutet auf eine eher nachhaltige Inflation hin. Somit dürften auch die Zentralbanken langfristig bei ihrer kämpferischen Haltung bleiben und einen Dämpfer für das Wachstum in Kauf nehmen – zumindest solange der Arbeitsmarkt nicht einbricht.
Auf die Anleger kommt also eine Phase zu, die nur wenige von ihnen schon einmal erlebt haben und die sehr stark an die 1970er-Jahre erinnert. Wenn wir sie trotz aller offensichtlichen Unterschiede – insbesondere bei der Demografie und dem Niveau der Staatsverschuldung – noch einmal durchmachen müssen. Welches sind nun aber die Lehren, die es angesichts der scheinbaren Dauerhaftigkeit der US-Inflation zu berücksichtigen gilt?
Lehren aus der Inflation der 1970er-Jahre
Erstens: Die Inflation in der westlichen Welt kann lang anhaltende Höchststände erreichen. Ende 1974 gipfelte sie in den USA bei 12 %. Nach einer leichten Verschnaufpause (immerhin um die 5 % Ende 1976) stieg sie Anfang 1980 auf nahezu 15 %. Das sind Größenordnungen, die mit der aktuellen Episode noch nichts zu tun haben, die aber mehrere Länder der Eurozone bereits erreicht oder sogar überschritten haben, vor allem im Osten.
Zweitens: Auch die Leitzinsen können Spitzenwerte erreichen: 1974 waren es 13 % und 1980 sogar 20 %. Dagegen sind die zurzeit erwarteten 4 bis 5 % gar nichts. Auch wenn man den damaligen Durchschnitt heranzieht, erkennt man die Extreme dieser Niveaus. Denn zwischen 1971 und 1990 lag das durchschnittliche Niveau bei 8,25 %.
Drittens: Die 10-jährigen Zinsen lagen zuweilen deutlich unter den Leitzinsen, sind ihnen aber dennoch immer gefolgt, in der Regel mit einer gewissen Verzögerung. So überstiegen sie 1981 die 15 % und ihr Durchschnitt lag zwischen 1970 und 1990 bei 9 %, also dicht an den Leitzinsen. Die Entkopplung dieser beiden Zinssätze ist meist nicht von Dauer.
Viertens: Schließlich sind die Leitzinsen – und das ist die vielleicht besorgniserregendste Lektion – nur selten stark von den globalen Inflationsniveaus abgekoppelt. Die US-Notenbank hatte sich seinerzeit nicht gescheut, die geldpolitischen Bedingungen drastisch zu straffen, sobald die Inflation stieg, und beließ die Leitzinsen in den gesamten 1980er-Jahren sogar deutlich über dem Inflationsniveau.
Investoren sollten Lehren aus der Vergangenheit ziehen
Nichts wird sich genauso abspielen wie zu der Zeit der Banker mit Schlaghosen. Doch die Geschichte lehrt uns, dass der Bereich des Möglichen bei Zinsen und Inflation immer noch größer ist als das, was wir in 30 Jahren erlebt haben. Um für den Ernstfall vorbereitet zu sein, ist es ratsam, für die Zukunft Lehren aus der Vergangenheit zu ziehen – und die Portfolios anzupassen.**
*Die Konsenszahlen stammen von Bloomberg
**Die in diesem Dokument ausgedrückten Meinungen entsprechen den Markteinschätzungen von LFDE zum Zeitpunkt der Veröffentlichung. Sie können sich entsprechend den Marktbedingungen ändern und LFDE übernimmt keine Haftung dafür.
Wer und was ist ESG-perfekt?
Dass die Wirtschaft nachhaltig werden muss, scheint klar, der Weg zum Ziel weniger.
Emanuel Lampert. Umwelt, Soziales, Unternehmensführung – wie sieht ein „ESG-perfektes“ Unternehmen aus? Im Detail lasse sich das nicht festmachen, weil sich das Verständnis von Nachhaltigkeit laufend wandle, sagt Thomas Wondrak, Experte für betriebliche Altersvorsorge, bei einer Diskussionsrunde des Börsen-Kurier. „Perfekt“ handle, wer das Thema ernst nimmt und nicht nur zum Marketing nutzt.
Anita Frühwald, Country Head BNP Paribas Asset Management Austria & CEE, ist der Ansicht, dass die ESG-Kriterien zurzeit noch zu ungenau sind, um klar zu sagen, wer und wie man tatsachlich ESG-konform ist.
Nachhaltigkeit ist kein „Nice-to-have“ mehr, sondern „Marktvoraussetzung“, sagt Michael Meidlinger, CFO des auf den Immo-Bereich spezialisierten Instituts für Anlageberatung (IFA). Energieeffiziente Häuser seien vor einem Jahr „noch nicht so im Fokus“ der Privatanleger gestanden.
Problem Green Washing
Was tun mit „Green Washing“? Andreas Bayerle, Vorstandsmitglied der Helvetia Österreich, hält „spezialisierte Player“, ähnlich Creditrating-Agenturen, für die einzig sinnvolle Lösung. „Es ist völlig undenkbar, dass weltweit jeder institutionelle Anleger jedes Unternehmen der Welt prüft.“
Frühwald betont die Wichtigkeit valider, überprüfter Daten. Bei börsegelisteten Unternehmen könne man zur Umsetzung von Nachhaltigkeitskriterien mittels Steward-ship und Abstimmungspolitik bei Hauptversammlungen Einfluss nehmen.
Das gehe umso besser, je größer man ist, sagt Nachhaltigkeitsfachmann Andreas Dolezal. Kleine Akteure seien aber auf zugeliefertes Datenmaterial angewiesen, „und das gibt‘s einfach momentan nicht“. Alle an sich nötigen Zahlen werde man wohl auch nie zur Verfügung haben.
Nachhaltiges Kundeninteresse?
Seit etwa zwei Monaten sind in der Beratung Nachhaltigkeitspräferenzen abzufragen. Dolezal sieht eine Diskrepanz zwischen Regulierung und „gelebter“ Nachhaltigkeit; der Detailgrad überfordere den Kunden. „Der sagt dann lieber: Ich bin nachhaltigkeitsneutral.“
„Es ist sehr schwer, Begeisterung für einen Versicherungsvertrag zu erzeugen, einfach, weil das ein extrem abstraktes Produkt ist“, sagt Bayerle. Nachhaltigkeit aber interessiere die Leute. Auch Wondrak hat den Eindruck, dass das Nachhaltigkeitsbewusstsein bei den Kunden zwar da ist. „Aber ich glaube, da fehlt noch viel an Finanz- und Nachhaltigkeitswissen.“
Wie misst man Soziales?
Kann man „soziale“ Kriterien in Zahlen fassen? Dolezal sieht das spätestens dann kritisch, wenn es um längere, verästelte Lieferketten geht. Bezüglich der Messbarkeit ist er „gespannt, was sich die EU da einfallen lässt“.
Wirken sich soziale Risiken auf die Unternehmensperformance aus? Ja, meint Frühwald und nennt als Beispiel Minen und Arbeitssicherheit: „Wenn da etwas passiert, das ist ein weltweiter Aufschrei.“ Die Folge: Reputations- und Umsatzverlust.
Wie viel Verantwortung?
Wie weit kann die Verantwortung eines Unternehmens gehen? Sie „kann und muss so weit gehen, wie man es selbst gestalten kann“, samt Einkaufskriterien und Vor-gaben für Sublieferanten, meint Meidlinger.
Nachhaltigkeitsmanagement im Beschaffungswesen sei üblich, wirft Dolezal ein. Was sich aber an Regulierung abzeichne, gehe in die Richtung, „bis auf die andere Seite des Erdballs“ zu kontrollieren, was dort in puncto ESG geschieht. „Das wird die Herausforderung werden.“
Foto: Tanzerfotografie/Rudolph
Einen ausführlichen Bericht lesen Sie Anfang November im kostenlosen Magazin zum Jubiläum „100 Jahre Börsen-Kurier“.
Es diskutierten vergangenen Freitag unter der Leitung von Herausgeber Marius Perger in der Wiener Börse: Andreas Bayerle (Helvetia), Andreas Dolezal, Anita Frühwald (BNP Paribas AM), Michael Meidlinger (IFA) und Thomas Wondrak
Die Geldpolitik der EZB auf dem Prüfstand
Trotz Rekordinflation keine Wiederholung historischer Inflationsbekämpfungsszenarien.
Michael Kordovsky. Von August 1979 bis zum Hoch im März 1980 stieg in den USA die Inflationsrate von 11,8 auf 14,8 %. In diesem Zeitraum erhöhte die Fed unter der Führung von Paul Volcker ihre Fed Fund Rate von knapp mehr als 10,5 auf 20 %. Die Leitzinsen überschritten die meiste Zeit die Inflationsrate, am Inflationspeak sogar um mehr als 5 %-Punkte. Bis Dezember 1982 war die Inflationsrate auf 3,8 % rückläufig und die Leitzinsen auf 8,5 %. In Deutschland lag 1980 und 1981 die Inflationsrate bei jeweils 5,4 bzw. 6,3 % und der Diskontsatz der Deutschen Bundesbank bewegte sich in diesen beiden Jahren von anfänglich 6 %, und ab 29. Feber 1980 bei 7 % ab 2. Mai 1980 durchgehend bei 7,5 %. Auch hier gab es positive reale Leitzinsen.
Kurzfristig noch kräftige Leitzinsanhebungen
Heuer waren bereits die bisherigen Zinsschritte eine „Sensation“. Die Fed hat von Mitte März bis 27. Juli ihre Fed Fund Rate von 0,00 bis 0,25 auf 2,25 bis 2,50 % angehoben, und der Futures-Markt preist für die Fed-Sitzung am 21. September bereits mit einer Wahrscheinlichkeit von 80 % eine weitere Leitzinsanhebung um 75 Basispunkte auf 3,00 bis 3,25 % ein. Das wären dann schon 3 %-Punkte Leitzinsanstieg im laufenden Jahr. (In den USA ist die Inflation von Jänner bis August von 7,5 auf 8,3 % gestiegen.) Doch die Fed hat spät auf die Inflationsentwicklung im Vorjahr reagiert. Denn von Jänner bis Dezember 2021 war es bereits ein Anstieg von 1,4 auf 7,0 %!
In der Eurozone ist die Inflation heuer von Jänner bis August von 5,1 auf 9,1 % gestiegen, während die EZB alle drei Leitzinsen in zwei Schritten um jeweils insgesamt 1,25 %-Punkte anhob. Am 8. September vollzog die EZB mit einer Leitzinsanhebung um je 0,75 %-Punkte die stärkste Anhebung seit 22 Jahren. Weitere Erhöhungen sind zu erwarten, zumal die EZB zuletzt von Juni auf September ihre Inflationsprognosen nach oben revidierte. Für heuer erwartet sie anstatt 6,8 bereits 8,1 % und für 2023 5,5 statt 3,5 %. Eine Annäherung an das Inflationsziel von 2,0 % ist erst 2024 wieder zu erwarten. Nimmt man den Zwei-Jahres EUR-Swapsatz, so liegt dieser per 16. September bei 2,57 %, was bis September 2024 Leitzinserhöhungen auf bis zu 2,5 % impliziert. Heuer sind durchaus noch Leit-zinsanhebungen bis zu 2,0 % denkbar. Danach sollte eine gemächlichere Gangart folgen. Eine Rezession ist dabei kein Hindernis. Auch in den frühen 1980er-Jahren stiegen trotz Rezession die Leitzinssätze.
Damoklesschwert: Zu hohe Staatsverschuldung
Der Unterschied zu den frühen 1980er-Jahren liegt weder in angespannter Geopolitik noch im Wirtschaftsabschwung in Kombination mit hohen Inflationsraten. Was die heutige Zeit von der damaligen Epoche entscheidend abhebt, ist die höchste Staatsschuldenquote in den OECD-Ländern, die es je in Friedenszeiten gegeben hat.
Beispiel USA: 1980 (im 1. Quartal) lag dort die Staatsverschuldung bei 30,9 % des BIP, im zweiten Quartal 2022 bei 122,8 %. Da die relative Staatsverschuldung viermal höher ist als im ersten Quartal 1980, sind in den USA unter dem Aspekt der proportionalen Belastungsbetrachtung Leitzinsen von 5 % eine denkbare Obergrenze. In Europa kann ein Blick auf die Leitwirtschaft Deutschland geworfen werden, deren Staatsschuldenquote im ersten Quartal 2022 bei 68,2 % liegt, verglichen mit
36,5 % des BIP im Jahr 1982. Doch es sind Länder wie Frankreich, Italien, Portugal, Spanien und Griechenland, die beunruhigen, denn deren Staatsschuldenquoten bewegen sich im ersten Quartal 2022 zwischen 114,4 % (Frankreich) und 189,3 % (Griechenland). Italiens Staatsschuldenquote liegt bei 155,6 % des BIP. Ein Hauptrefinanzierungssatz der Europäischen Zentralbank von 3,0 % wäre bereits der höchste Stand seit 2008 und aktuell eine mögliche Schmerzgrenze bezüglich drohender Schuldenkrisen in Europa.
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Wartestellung für Hydrogen-Aktien
Internationale Wasserstoff-Aktien im Vergleich.
Roman Steinbauer. Der Wasserstoffantrieb hat im Pkw-Segment gegenüber dem batterie-getriebenen E-Auto eindeutig das Nachsehen. Und doch treten für den Transport schwerer Lasten Vorteile dieser Technologie hervor. Allerdings formierte sich Skepsis zur energieintensiven Logistik und zu mit Erdgas gewonnenem Wasserstoff. Somit reift der nächste Anlauf mit „grünem“ Wasserstoff (der Strom für die Elektrolyse kommt aus Biomasse, Wind- oder Sonnenenergie) heran.
Luxemburgs Transportminister François Bausch prognostizierte anlässlich der Errichtung der ersten „grünen“ Wasserstofftankstelle im Lande gegenüber dem Luxemburger Tageblatt: „Diese Technologie wird sich durchsetzen, soweit sie von der öffentlichen Hand unterstützt wird. Das war auch mit der Elektromobilität so.“ Sowohl im Busverkehr als auch im Gütertransport gebe es Firmen, die darauf warten. Ebenso mahnte bereits im Vorjahr der Direktor der International Energy Agency (IEA), Fatih Birol, die Politik, die Barrieren zur Wasserstoff-Nutzung zu senken.
Zukunftsmarkt Lkw und Bahn
Anhand der H2 Mobility Deutschland GmbH ist die Bündelung der Kräfte zur Schaffung der Infrastruktur in unserem Nachbarland ersichtlich. Die Gesellschaft, zuständig für die Errichtung der Wasserstoffstationen, wendet sich an Betriebe, Logistiker und Flottenbetreiber. Hinter der Initiative zum Lückenschluss zu den Kfz-Herstellern stehen namhafte Gaslieferanten und Autoproduzenten wie Air Liquide (ISIN: FR0000120073), Linde (IE00BZ12WP82), Daimler Truck (DE000DTR0CK8), Hyundai (KR7005380001), Shell (GB00BP6MXD84), Total Energies (US89151E1091) oder auch die OMV. Zudem verkündete der größte Kfz-Zulieferer, die Robert Bosch Gmbh, durch erkannte Vorteile neu gekaufte Transporter auf Wasserstoff umzurüsten. Auch auf der Schiene werden die Perspektiven vielversprechender. So testet die Deutsche Bahn derzeit den ersten, gemeinsam mit Siemens entwickelten, Wasserstoffzug-Triebwagen, um die Diesel-Lok auszurangieren.
Vorläufige Delle für Trendaktien
Aktien jener Gesellschaften, die in den Hydrogen-Sektor involviert sind, kamen heuer ebenso mit bis zu 25 % im Vergleich zu den Spitzenwerten des Vorjahres unter Druck. Dies betrifft den US-Anbieter Air Products and Chemicals (US0091581068) ebenso wie die französische Air Liquide. Hervorragend hielten sich hingegen die Papiere des weiteren Industriegas-Giganten Linde plc (10 % unter dem Top). Nach dem Höhenflug und der folgenden Erosion der Aktien im Jahr 2015 dürsten die Valoren der FuelCell Energy (US35952H6018) mit leichter Aufwärtstendenz vorerst weiter. Der Einbruch der Umsätze fand allerdings ein Ende.
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Wie schlimm wird Europas Energiekrise?
Die Politik greift zunehmend in den Energiemarkt ein. Das sollten Anleger im Auge behalten.
Raja Korinek. Die Energiekrise zieht in Europa immer weitere Kreise. Russland liefert kein Gas mehr durch die Pipeline Nord Stream 1, eine Entscheidung, die mit technischen Problemen aufgrund der Sanktionen begründet wird. Die Entwicklungen lassen auch den Gaspreis in Europa verrücktspielen. Ende August schnellte der Preis zwischenzeitlich auf mehr als 330 Euro pro Megawattstunde.
Im Rahmen eines Vortrages zu „Europas Energiekrise: Was sind die Alternativen“ von J.P. Morgan Asset Management, gingen Experten auf aktuelle Entwicklungen ein. Der Börsen-Kurier war dabei.
Russische Gasimporte sinken
US-Aktienanalyst David Maccarrone verwies auf die rückläufigen Importe von russischem Gas nach Europa auf nur mehr 17 % aller Gaslieferungen. Im Vorjahr waren es noch 35 %. Angesichts der jüngsten Preissprünge lohne sich inzwischen der Kauf von Flüssiggas (LNG oder Liquified Natural Gas) als Alternative. Bestrebungen gibt es reichlich, etwa in Deutschland, wo die Industrie jede Menge Gas benötigt. So hat die deutsche Bundesregierung fünf LNG-Importterminals gemietet.
Maccarrone mahnt aber auch vor dem steigenden Wettbewerb um LNG. „Derzeit werden rund 70 % am Weltmarkt nach Asien verkauft.“ Es werde ein Buhlen um LNG geben. Er sieht deshalb auch die Einsparungen beim Gasverbrauch in Europas Industrien positiv. Und hofft, dass sich private Haushalte dem anschließen. Denn die aktuellen Füllstände böten kaum ausreichenden Puffer im Falle eines sehr kalten Winters. In Österreich lag der Füllstand der Erdgasspeicher per Anfang September bei knapp 70 % der möglichen Gesamtkapazität.
Öl als Alternative wiederentdeckt
Obendrein wird in Europa teils auch von Gas auf Öl umgestiegen. „Solch ein Schritt ist nicht besonders nachhaltig, hilft aber, im kommenden Winter menschliches Leid möglichst zu lindern.“ Zugleich werde der Ausbau erneuerbarer Energien stärker forciert werden. Doch solche Projekte brauchen mehrere Jahre Vorlaufzeit, da behördliche Genehmigungen dauern, ergänzt der Analyst.
Fred Barasi, er ist ebenfalls Analyst bei J.P. Morgan Asset Management, verweist zudem auf die stark gestiegenen Strompreise. Das rufe die Politik zunehmend auf den Plan, wenn auch viele Versorger nicht in vollem Ausmaß von den hohen Preisen profitieren. „In der Regel sichern sich Stromkonzerne die Preise für ihre Produktion auf rund zwei Jahre ab“, mahnt Barasi vor übereilten Handlungen.
Politische Eingriffe nehmen zu
Nichtsdestoweniger geht es Schlag auf Schlag: In Österreich wurde vorige Woche der Strompreisdeckel für Privathaushalte vorgestellt. Für einen Verbrauch von bis zu 2.900 Kilowattstunden (kWh) müssen nur 10 Cent pro kWh bezahlt werden. Die Europäische Kommission plant zudem eine Obergrenze für die Gewinnmargen von Unternehmen, die Strom günstig produzieren. Einzelne Mitgliedsländer haben sie bereits eingeführt.
Gemeint sind etwa Produzenten erneuerbarer Energien, die Strom zu günstigeren Preisen herstellen als jene Energiekonzerne, die teures Gas für die Verstromung brauchen.
Dennoch lukrieren die günstigen Produzenten den teuersten Strompreis, das soll sich ändern. Für Öl- und Gasunternehmen will die EU zudem einen Solidaritätsbeitrag vorschlagen, da sie gerade kräftige Gewinne einfahren.
Für Energie- und Versorgerkonzerne könnte das Umfeld angesichts von Preisdeckeln und Abgaben rauer werden. Anleger werden auch die wachsenden politischen Einflüsse berücksichtigen müssen.
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Porsche legt den Börsenturbo ein
Anleger können ab nächster Woche die Aktien des Sportwagenkonzerns zeichnen.
Stefan Riedel, München. Ende September, spätes-tens aber Anfang Oktober, oder nach den Worten von Finanzvorstand Lutz Meschke „je früher desto besser“ will die Porsche AG an die Börse rasen. Die rechtliche Grundlage dafür haben Vorstand und Aufsichtsrat des Eigentümers Volkswagen mit ihrer Zustimmung gelegt. Für den Börsengang wurde das Porsche-Grundkapital jeweils zur Hälfte in stimmrechtslose Vorzugsaktien und in stimmberechtigte Stammaktien aufgespalten. Der mit VW bestehende Beherrschungsvertrag sowie der Gewinn- und Verlustabführungsvertrag sollen Ende dieses Jahres beendet werden.
Aus dem von VW und der Porsche-Dachgesellschaft Porsche SE (PSE) umstrukturierten Grundkapital wird ein Viertel der Vorzugaktien zur Zeichnung angeboten. Damit sollen etwa 12,5 % des Grundkapitals im Frankfurter Börsensegment Prime Standard gelistet werden. Gleichzeitig bekommt die Porsche SE 25 % plus eine Aktie der Stammpapiere. Mit diesem Schritt soll sie über eine Sperrminorität Einfluss auf zentrale AG-Entscheidungen behalten.
Bei Vorzugsaktien handelt es sich um Aktien, bei denen die Aktionäre zwar kein Stimmrecht besitzen. Im Gegenzug erhalten sie aber eine Dividendengarantie auf eine bevorzugte und in der Regel auch höhere Dividende als bei der klassischen Stammaktie.
Veröffentlicht wird der Wertpapierprospekt der Porsche AG mit der Preisspanne und der Anzahl der angebotenen Aktien Anfang nächster Woche. Anleger können dann im Onlinesystem ihrer Depotbank die Anzahl der Aktien, die sie zeichnen wollen, und den Preis, den sie dafür zahlen wollen, angeben. Zeichnen können Privatanleger aus Deutschland und fünf anderen Ländern, darunter auch Österreich, indem sie ihre Bank online oder telefonisch kontaktieren. Orders über die Institute, die Teil des Bankenkonsortiums sind, erhalten eine Vorzugsbehandlung. UniCredit agiert als Joint Bookrunner zusammen mit fünf anderen internationalen Geldhäusern. Joint Global Coordinators und Joint Global Bookrunners sind BofA Securities, Citigroup, Goldman Sachs und J.P. Morgan.
Profitabelster Autobauer
Porsche strebt einen Emissionserlös von 7,5 bis 10 Mrd Euro an. Damit könnte der Autokonzern mit 60 bis 80 Mrd Euro bewertet werden. Das entspricht einer mehr als doppelt so hohen Marktkapitalisierung wie beim italienischen Konkurrenten Ferrari (ISIN: NL0011585146), dessen Aktienkurs sich in den vergangenen sechs Jahren verfünffacht hat. Der Noch- Mutterkonzern Volkswagen kommt übrigens auf einen Börsenwert von mehr als 80 Mrd Euro.
Vom Volumen wäre das Porsche-IPO damit einer der größten Börsengänge in Europa in den letzten zehn Jahren. Angesichts des aktuellen Marktumfelds könnten Anleger zu einem niedrigeren Preis zum Zug kommen als zu Haussezeiten. Porsche zählt zu den profitabelsten Autobauern überhaupt. 2021 kam das Unternehmen auf eine operative Umsatzrendite von 16 %. Langfristig peilt der Konzern mehr als 20 % an. Der VW-Gesamtkonzern schaffte zuletzt ganze 8 %. Mehr als 15 Mrd Euro will Porsche bis 2025 investieren, einen größeren Teil davon aus den Emissionserlösen.
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Sanfte Landung für die US-Wirtschaft?
Ein Kommentar von Olivier de Berranger, CIO beim französischen Assetmanager LFDE.
(06.09.) „Auch wenn die Wirtschaft in eine Rezession gerät – wir müssen die Inflation senken.“ Deutlicher als mit diesem Statement von Loretta Mester, der Präsidentin der Notenbank von Cleveland, kann man es wohl kaum sagen. Doch nichts anderes hatte auch Jerome Powell, Präsident der US Federal Reserve (Fed), auf dem Symposium der Zentralbanken in Jackson Hole Ende August gesagt – wenn auch etwas diplomatischer ausgedrückt. Eine Warnung, die den Märkten nach der übertriebenen Euphorie im Sommer eine unerfreuliche Wahrheit in Erinnerung gerufen hat, nämlich dass die Zentralbanken keine Unterstützung mehr leisten werden – und das für lange Zeit.
Dieser neue Stand der Dinge hat schwerwiegende Konsequenzen, denn die Anleger haben sich in mehr als zehn Jahren allzu sehr daran gewöhnt, dass die Schatzmeister der Welt ihnen beim geringsten Schwächeanfall zu Hilfe eilen. Dabei ist die Geldpolitik bei all ihrem Einfluss nicht der alles entscheidende Faktor für die Märkte. Auch die Wirtschaftsdynamik ist ein Faktor, den man nicht außer Acht lassen sollte. An dieser Front sind die Aussichten gar nicht so düster, vor allem nicht in den USA.
Inflationsdruck nimmt ab
Schauen wir uns zunächst die Inflation an. Blickt man über die Monatszahlen hinaus, lässt sich feststellen, dass Vieles auf ein allmähliches Nachlassen des Inflationsdrucks hindeutet. Im Automobilsektor, der im Frühjahr 2021 einen hohen Beitrag zur Inflation geleistet hat, ist ein anhaltender Rückgang der Gebrauchtwagenpreise sowie eine Wiederaufstockung der Neuwagenbestände zu beobachten, was eine Stabilisierung der Preise zur Folge haben dürfte. Ganz allgemein dürfte die allmähliche Entspannung bei den globalen Lieferketten, die in den vergangenen Quartalen durch Engpässe beeinträchtigt waren, zu einer Verringerung des Preisdrucks auf Konsumgüter beitragen. Auch bei Immobilien, die bei der Teuerung in den vergangenen Monaten ebenfalls eine bedeutende Rolle spielten, zeichnet sich eine Mäßigung ab. Die Nachfrage bricht sowohl bei den Transaktionen als auch bei Finanzierunganträgen ein, während die Bestände wieder zunehmen. Dies wird unweigerlich zu einem Rückgang der Immobilieninflation in den nächsten Monaten führen. Schließlich dürfte auch die starke Aufwertung des Dollars gegenüber den meisten anderen Währungen zu einer Disinflation bei Importprodukten führen.
US-Wirtschaft mit mehreren Sicherheitsnetzen
Diese Aussichten auf eine Verringerung der Inflation sind gute Nachrichten für die Wirtschaftsakteure. Mit ihnen gehen aber auch weniger positive Entwicklungen einher, insbesondere ein stockender Konsum, die Gefahr des Aufbaus von Überbeständen und ein negativer Wohlstandseffekt durch den bevorstehenden Rückgang der Immobilienpreise. Die US-Wirtschaft verfügt allerdings über mehrere Sicherheitsnetze. Zunächst einmal beginnen die Privathaushalte gerade erst damit, aus den erheblichen Sparreserven zu schöpfen, die sie während der Coronakrise aufgebaut haben. Hinzu kommt, dass weder Privathaushalte noch Unternehmen insgesamt übermäßig verschuldet sind und dass sich die Rentabilität der Unternehmen auf hohem Niveau halten konnte. Schließlich befindet sich auch der Arbeitsmarkt weiterhin in sehr guter Verfassung. Die Anträge auf Arbeitslosenunterstützung steigen nur sehr moderat und Neuanträge gehen seit einigen Wochen sogar zurück. Die Anzahl offener Stellen ist im Vergleich zur Zahl der Arbeitsuchenden weiterhin hoch und es werden in solidem Umfang neue Arbeitsplätze geschaffen, mit über 300.000 neuen Stellen allein im August.
Ideales Umfeld für die Aktienmärkte
Auch wenn es eine Gratwanderung bleibt, lassen die Wirtschaftsdaten im Moment die Hoffnung auf eine „sanfte Landung“ zu. Ein Szenario, in dem die Fed ihre geldpolitische Straffung bis zum Ende weiterverfolgen würde, ohne dass es hierdurch zu einer Konjunkturschwäche käme, die ausgeprägter wäre als die der vergangenen Monate. Das wäre ein ideales Umfeld, in dem die Aktienmärkte auf der Grundlage solider Fundamentaldaten wieder Fahrt aufnehmen könnten.
Sachwerte als Inflationsschutz
Was schützt wirklich vor Inflation? Der Börsen-Kurier zeigt Zahlen, Daten und Fakten.
Michael Kordovsky. Bei Inflationsschutz fällt den meisten auf Anhieb physisches Gold ein. Aber den Goldpreis prägen langjährige unberechenbare Kursbewegungen und auch jahrzehntelange Durststrecken. Bis das Preishoch aus dem Jahr 1980 (umgerechnet 850 Euro) wieder erreicht wurde, dauerte es bis 2008. Seit dem Jahresende 2008 stieg der Goldpreis per Ende August 2022 um 5,2 % p.a. Das deckt zwar die Inflation ab, ist allerdings eher mäßig für die enormen langfristigen Schwankungsbreiten. Doch wenn es wirklich kritisch wird, ist auf Gold Verlass. In Deutschland zeigte Gold in den Jahren 1913 bis zum Höhepunkt der Hyperinflation von 1923 solide Inflationsschutzeigenschaften. In diesen zehn Jahren stieg der Lebenshaltungskostenindex des Statistischen Reichamtes explosionsartig an, während sich der Preis für eine Feinunze Gold mehr oder minder real hielt.
Immobilien nur mäßiger Schutz
Ebenfalls häufig als Inflationsschutz erworben werden Wohnungen, da deren Mieterträge an den Verbraucherpreisindex gekoppelt sind. Doch Immobilien konkurrieren als Geldanlage auch mit Anleihen um Investoren, somit sind steigende Zinsen schlecht und fallende gut für den Preis. Letzteres ist aber mehr in Zeiten sinkender Inflationsraten der Fall.
Wie sieht es dann langfristig aus? Die Corona-Krise und die Eigendynamik des boomenden Marktes führten dazu, dass bundesweit in Österreich die Wohnimmobilienpreise seit dem vierten Quartal 2020 kontinuierlich auf Jahresbasis zweistellig steigen (10 bis 13,1 %). Doch auf derartige Phasen folgten dann wieder Durststrecken. So führten beispielsweise die Ostöffnungseuphorie und die EU-Beitrittsspekulation in Österreich Anfang der 1990er-Jahre Beitritt dazu, dass in den Jahren 1988 bis 1992 in Wien die Wohnimmobilienpreise jeweils um 11,5, 18,2, 26,1, 20,6 bzw. 16,0 % anstiegen. Von 1993 bis 2004 hingegen lag die Bandbreite bei -4,9 bis +1,8 %.
Eine Untersuchung von Rothschild & Co auf Basis von Daten der FRED-Datenbank der St. Louis Fed und von Bloomberg bescheinigte Häusern im Zeitraum von 1991 bis 2021 eine Realrendite von 2,3 % p.a., verglichen mit 3,2 bei Gold und 9,4 % bei Aktien.
Einen hervorragenden Inflationsschutz bietet laut einer Untersuchung von HQ Trust im Zeitraum Dezember 2000 bis September 2021 aber Private Equity (PE). PE-Fonds (Buyout, Expansionskapital und Venture Capital) werfen langfristig Renditen in zweistelliger Größenordnung ab. Laut HQ Trust liegt die PE-Performance in Quartalen mit einer US-Inflation von unter 1,5 % (25 % der Quartale) bei 10 % p.a. Im Falle einer Inflation in der etwaigen Größenordnung von 1,5 bis 2,5 % sind es 11 % und bei über 2,5 % (35 % der US-Quartale) Inflation steigt die Performance auf 17,3 %. Die Durchschnittsperformance lag bei 12,9 % p.a.
Schöner anlegen
Seltene Farbedelsteine sind in den vergangenen 27 Jahren um 4 bis 8 % p.a. gestiegen, Rubine im Schnitt um 8 % p.a., blaue Saphire und Smaragde je nach Qualität um 4 bis 6 % p.a. Allerdings sollten Edelsteine nur mit Zertifikaten unabhängiger gemmologischer Labore gekauft werden. Die erforderlichen Mindestinvestments liegen bei rund 3.000 E pro Edelstein.
Auch Oldtimer können sich lohnen und höhere Wertzuwächse als die Inflation erzielen. Der vom VDA veröffentlichte Oldtimer-Index stieg von 1999 bis 2021 geometrisch (CAGR) um 4,7 % p.a. Die Fahrzeugwerte ermittelt der Bewertungsspezialist Classic-analytics. Doch Vorsicht: Der Erhalt eines Oldtimers kostet Geld. So fallen beispielsweise Stellkosten und Betriebskosten an. Damit der Inflationsschutz greift, sollte deshalb in rare und teurere Fahrzeuge investiert werden.
Foto: Adobe Stock / Sergey Kohl
Best in Class: Ist weniger schmutzig schon nachhaltig?
Auch bei der Vorsorge mittels nachhaltiger Produkte gilt es, genau hinzusehen.
Andreas Dolezal. Nachhaltiges Investieren ist in aller Munde, bei klassischen Geldanlagen ebenso wie bei langfristiger Vorsorge. Die EU-Kommission gießt ihre Ziele und Kriterien für nachhaltige Wirtschaftstätigkeiten gerade in wortreiche Verordnungen. Auf deren Basis wählen Assetmanager die Zielinvestments, also Aktien und Anleihen, für nachhaltige Finanzprodukte aus. Mit oft überraschendem Ergebnis.
Richtige Richtung
Nachhaltig investieren und vorsorgen ist grundsätzlich eine gute Sache. Assetmanager und Anleger stützen sich dabei meist auf die ESG-Kriterien: Umwelt, Soziales bzw. Gesellschaftliches und gute Unternehmensführung. Noch etwas eingeschränkt sind die vorhandenen EU-Kriterien, die bis dato nur Umweltziele kennen und darauf abstellen, ob eine wirtschaftliche Tätigkeit dem Erreichen eines oder mehrerer Umweltziele dient.
Vorsorge- und Anlageprodukte, die diese Kriterien bei der Auswahl von Zielinvestments für Deckungsstock oder Fondsvermögen berücksichtigen, nennen sich nachhaltige Finanzprodukte. Sie schmücken sich oft mit einem Gütesiegel wie dem österreichischen Umweltzeichen, oder tragen im Sinne der EU-Regularien das Attribut „Artikel 8“ oder „Artikel 9“. Trotzdem finden sich in den Portfolios auch Aktien und Anleihen von Unternehmen wieder, die wir nicht unbedingt als klima- und umweltfreundlich, gesellschaftlich engagiert oder fair wirtschaftend kennen.
Unterschiedliche Ansätze
Des Rätsels Lösung lautet vielfach Best-In-Class-Ansatz. Bei diesem Managementansatz erstreckt sich das Anlageuniversum auf jene Unternehmen, die innerhalb ihrer Region, Branche oder Klasse die besten Leistungen – in unserem konkreten Fall bezüglich Nachhaltigkeit – erbringen. So selektieren Assetmanager zum Beispiel Unternehmen einer Branche, die (erneuerbare) Energie besonders effizient nutzen, Abfall möglichst vermeiden, Weiterbildungen für Mitarbeiter anbieten oder soziale Projekte unterstützen. Jene Unternehmen, die im Branchenvergleich am besten abschneiden, sind dann „Best in Class“.
Der Best-in-Class-Selektionsprozess lässt sich auf alle Branchen und Wirtschaftstätigkeiten anwenden, nicht nur auf jene, die allgemein als „grün“ und nachhaltig gelten, sondern auch auf „schmutzige“ Branchen wie fossile Energieerzeugung, Glückspiel und Waffenproduktion. Auch unter den Öl- und Gasförderern, deren Produkte ja eher als klimaschädlich gelten, gibt es beispiels-weise jene, die weniger Umweltschäden verursachen, ihren Mitarbeitern mehr freiwillige Sozialleistungen bieten und mehr für CO2-Kompensation ausgeben als Mitbewerber. Diese Öl- und Gasproduzenten gelten dann als nachhaltig(er) im Sinne von Best in Class. Manche Assetmanager vermeiden solche offensichtlichen Diskrepanzen durch zusätzliche Ausschlusskriterien.
Argumentiert wird auch damit, dass grundsätzlich jedes Unternehmen, etwa durch das Schaffen von Arbeitsplätzen und das Bezahlen von Steuern und Abgaben, einen Beitrag zur Gesellschaft leistet. Der Best-In-Class-Ansatz soll Unternehmen und Branchen, deren Produkte als klima- und umweltschädlich gelten, auch dazu motivieren, ihre Geschäftstätigkeiten nachhaltiger zu gestalten.
Probleme einfach auslagern?
Zu beobachten ist allerdings, dass Konzerne ihre „schmutzigen“ Geschäftsbereiche verkaufen oder in separate Gesellschaften ausgliedern und sich nur die „grünen“ Tätigkeitfelder behalten. Diese „grünen“ Teilbereiche gelten dann zwar als nachhaltig, der echten Nachhaltigkeit ist jedoch nicht gedient, wenn „schmutzige“ Geschäftsfelder einfach unter anderem Namen mit anderen Eigentümern weiterbetrieben werden.
Nachhaltig orientierte Anleger müssen sich im Klaren sein, dass es weder zu 100 % nachhaltige Unternehmen noch zu 100 % nicht-nachhaltige gibt. Die Realität liegt immer irgendwo in der Mitte sowie im Auge des Betrachters.
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Kennt Luxus keine Krise?
Luxusaktien: langfristiges Wachstum jenseits von Marktturbulenzen.
Lea Schweinegger. Gehen am Luxusmarkt und am Markt für „schöne Dinge“, die wir an dieser Stelle immer wieder präsentieren, alle Krisen dieser Welt spurlos vorbei? Kurzfristig nicht immer, aber in der Langfristperspektive sehr wohl, so die Antwort.
So brach der Markt beim Ausbruch von Covid und bei den Schließungen lokaler Shops und den Lockdowns zwar vorübergehend kräftig ein, doch schon bald erlebte er wieder eine Erholung. Das Geld war und ist ja weiter vorhanden, auch wenn zuletzt im ersten Halbjahr 2022 durch den Ukraine-Krieg die russische Käuferschicht teilweise ausgefallen ist. Nichtsdestoweniger bleiben die Umsätze hoch und die Luxusgüter selber behalten über lange Zeiträume hinweg zumindest ihren Wert, da sie für viele auch einen sicheren Hafen darstellen.
Hohe Steigerungsraten
Und so soll der Umsatz im Markt Luxusgüter, wie wir bereits in der Vorwoche berichtet hatten, von 2022 mit rund 300 Mrd Euro bis zum Jahr 2027 auf ein Marktvolumen von knapp 350 Mrd Euro steigen. Das entspricht einem jährlichen Wachstum von mehr als 4 %. „Trotz eines schwierigen ersten Halbjahres 2022 hat der Luxussektor das Potenzial für ein starkes zukünftiges Wachstum, das durch die anhaltende Nachfrage nach Luxusartikeln in den USA, eine Erholung in China und die überlegene Preissetzungsmacht des Sektors gestützt wird“, analysiert die Assetmanagerin Swetha Ramachandran in diesem Zusammenhang.
Sorgen im ersten Halbjahr 2022
Die erste Jahreshälfte war für die Märkte eine Herausforderung, da sie weiterhin zwischen der Sorge um die Entwicklung der Zinssätze und einer möglichen Rezession infolge der Straffung der Geldpolitik schwankten, meint die Expertin für Luxusgüter von GAM Investments in einem Kommentar. Aber: Der Luxussektor hat ihr zufolge schon viele Stürme überstanden. Bei jedem Rückschlag habe sich der Sektor stärker erholt, wobei sich die Zeitspanne zwischen Ausverkauf und Erholung jedes Mal verkürzte, da der Markt den strukturellen Rückenwind des Sektors zu schätzen wusste – nämlich die weltweit wachsende aufstrebende Mittelschicht und deren überdurchschnittlich hohe Bereitschaft, Geld für Luxusmarken auszugeben, so Ramachandran.
US-Amerikaner treiben Nachfrage
Die US-Konsumenten sind laut der Fachfrau derzeit der größte Treiber für Luxusausgaben. Die größte Sorge bestehe darin, dass der Inflationsdruck zu einem starken Rückgang der Luxusausgaben in einem bisher dynamischen Markt für Luxusmarken führen könnte. Verbraucher aus der Mittelschicht und darüber geben jedoch nur etwa 20 bis 30 % ihres verfügbaren Einkommens für notwendige Dinge wie Lebensmittel, Gas, Unterkunft, Versorgungsleistungen aus, während es bei den Verbrauchern der unteren Einkommensschichten 94 % sind.
„Während wir also eher eine allmähliche Normalisierung der hohen US-Wachstumsraten für die Branche insgesamt erwarten, scheinen Luxusaktien einen drastischen Rückgang der US-Nachfrage einzupreisen, was wir angesichts der strukturellen Triebkräfte für die Ausweitung der US-Konsumentenbasis – jünger, vielfältiger, mehr Männer, mehr Verbraucher, die sich für langlebige Artikel statt für Fast Fashion interessieren – für unwahrscheinlich halten“, geht die Aktienexpertin ins Detail.
Asien bleibt eine bedeutende Region
Sie verweist aber auch auf China: Trotz der weltweiten Besorgnis über die Schließung der Covid-Märkte sei die Erholung in Shanghai seit der Wiederöffnung als solide zu bezeichnen. Darüber hinaus habe die chinesische Regierung in Form von Steuerrückerstattungen und Gutscheinen Anreize für den Konsum erprobt. Für Ramachandran mit ein Grund, dass sich der Handel in China verbessert, Luxusmarken eher en vogue sind, als dass sich der Markt verschlechtert, was jedoch das Risiko für die Gewinne aus dieser wichtigen Nachfragequelle mindert.
Junge Verbraucher dominieren
Außerhalb Chinas werden ihrer Ansicht nach die Märkte in Südostasien, die von jungen Verbrauchern der Mittelschicht dominiert werden, in Zukunft zu bedeutenden Wachstumstreibern für den globalen Luxusmarkt werden. Der vorherrschende Wirtschaftstrend in Südostasien sei, wie auch anderswo, die Vergrößerung der Mittelschicht. Mit einem Gesamt-BIP von 2,976 MrdUSD sollte Südostasien bis 2030 der viertgrößte Wirtschaftsraum sein.
Preissetzungsmacht und robuste Gewinnmargen
Zum Ausblick meint die GAM-Fachfrau: „Unser positiver Ausblick auf den Sektor wird durch die nach unserer Einschätzung überlegene Preissetzungsmacht und die begrenzte Nachfrageelastizität vor einem inflationären Hintergrund untermauert. Der Ausgangspunkt für die starke Preissetzungsmacht des Sektors sind seine hohen Bruttomargen, die nicht nur stabil sind, sondern bei einigen Unternehmen sogar steigen – trotz steigender Inflation.“ Die Ergebnisse des zweiten Quartals seien ein hinreichendes Anzeichen dafür, dass der Handel robust bleibt und sich die Gewinnmargen als äußerst widerstandsfähig erweisen. Und so ist GAM Investments der Ansicht, dass die Aussichten für den Luxussektor trotz der gegenwärtigen schwierigen Marktbedingungen weiterhin gut sind.
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Wir sind noch nicht über den Berg
Ein Kommentar von Ariel Bezalel, Head of Strategy Fixed Income, und Harry Richards, Fondsmanager im Fixed Income-Team bei Jupiter Asset Management
(29.08.) Im Juli traten die Märkte in eine neue Phase ein: Nach der Volatilität im ersten Quartal, die durch die hawkische Politik der Fed und den Krieg ausgelöst wurde und die sich im zweiten Quartal aufgrund zunehmender Rezessionsängste, insbesondere im Juni, weiter verschlechterte, erlebten wir in diesem Sommer eine Erholung der Aktien- und Unternehmensanleihemärkte. Warum? Der Optimismus, dass die sich verschlechternden Wirtschaftsdaten die Zentralbanken dazu veranlassen würden, von ihren Plänen einer strafferen Geldpolitik abzulassen, wurde durch eine sehr pessimistische Positionierung der Anleger noch verstärkt – ein klassischer „Short Squeeze“ in einem Bärenmarkt.
Wir sind der Meinung, dass die Aktienbewegungen nicht die Realität widerspiegeln. Erstens glauben wir nicht, dass die Fed eine Pause einlegen wird. Jerome Powell wird wahrscheinlich die Konferenz in Jackson Hole und die Fed-Sitzung im September nutzen, um die Pläne für eine weitere Zinserhöhung und das Tapering zu bekräftigen. Die vorwärtsgerichteten Indikatoren deuten zwar auf ein langsameres Wachstum hin, aber die Politik der Fed wird im Wesentlichen durch rückwärtsgerichtete Indikatoren für Inflation und Beschäftigung bestimmt. Die Inflation mag ihren Höhepunkt erreicht haben, ist aber immer noch viel zu hoch, als dass sich die Fed sicher sein könnte, dass sie zu ihrem Ziel zurückkehren wird. Die Zahl der neuen US-Arbeitsplätze im Juli lag mit 525.000 weit über den Erwartungen. Darüber hinaus ist der politische Druck auf die Fed, die Inflation vor den Zwischenwahlen zu drosseln, enorm.
Es wird noch viel schlimmer
Zweitens ist die Rezession zwar von einer entfernten Möglichkeit zu einem Konsens geworden, aber wir glauben nicht, dass die Anleger das Ausmaß der bevorstehenden Wachstumsverlangsamung begriffen haben. Der Druck auf die Verbraucher ist seit Beginn des Krieges bekannt, da die Lebensmittel- und Energiepreise in die Höhe schießen. Aber es wird noch viel schlimmer werden. Bislang haben die Verbraucher in diesem Jahr ihre Ersparnisse aufgebraucht und sich verschuldet, um den Konsum zu finanzieren. Dieser Spielraum wird immer geringer. Im Winter werden die Kraftstoffpreise die Brieftaschen hart treffen. Zwar sinken die Öl- und Rohstoffpreise, aber das ist nicht genug.
Die Entwicklung des US-Immobilienmarktes wirkt sich auch auf die Weltwirtschaft aus. Die finanzielle Tragfähigkeit von Wohnraum in den USA ist aufgrund steigender Hypothekenzinsen, höherer Hauspreise und sinkender Realeinkommen auf ein Niveau zusammengebrochen, das wir seit Jahrzehnten nicht mehr erlebt haben. Die Daten zum Wohnungsmarkt überschlagen sich: Hausverkäufe gehen schnell zurück. Das gilt nicht nur für die USA. Auch in Kanada, Australien, dem Vereinigten Königreich, Schweden, Südkorea und anderen Ländern verschlechtert sich die Wohnsituation. Viele dieser Volkswirtschaften haben stark fremdfinanzierte Wohnungsmärkte, die anfällig für höhere Zinsen sind. Die Auswirkungen auf den Wohnungsmarkt brauchen Zeit, bis sie sich bemerkbar machen und werden sich stark auf das BIP auswirken. Der Wohnungsmarkt macht 20 % des US-BIP aus.
China wird dem Westen nicht aus der Rezession helfen
Dass sich das Wachstum in China abschwächen wird, ist den Anlegern ebenfalls klar, aber auch hier sind die Auswirkungen noch nicht vollständig eingepreist. Die Auflösung der Immobilienblase in China wird noch Jahre dauern, die Nullzinsen bremsen das Wachstum, das Verbrauchervertrauen ist gering, und ein starker Rückgang der Ausgaben für langlebige Güter in den Industrieländern wird die chinesische Industrie treffen. Die Regierung ist gefangen zwischen hohen Wachstumszielen, die zunehmend unerreichbar erscheinen und ihrer mangelnden Bereitschaft, zu den schuldenfinanzierten Infrastrukturausgaben der Vergangenheit zurückzukehren, was Anreize schwierig macht. China wird dem Westen dieses Mal nicht aus der Rezession helfen, sondern sie eher verschlimmern. Es gibt sogar Grund zu der Annahme, dass China in einer Liquiditätsfalle stecken könnte, da die Banken vor Liquidität strotzen, die Verbraucher jedoch zögern, Kredite aufzunehmen. Eine bilanzielle Rezession in China ist durchaus möglich. Dies könnte durchaus zu einer längeren Phase der säkularen Stagnation führen.
Vor diesem Hintergrund haben sich viele Investoren der Hoffnung hingegeben, dass die Fed einlenkt, aber wir glauben nicht, dass das passiert. Die Fed wird ihre Straffung fortsetzen, was den Abschwung noch verstärken wird. Der Liquiditätsverlust durch das Tapering hat sich in der Vergangenheit immer dann auf die Märkte ausgewirkt, wenn er eintrat. Er wird in der Regel nicht im Voraus eingepreist. Und weitere Zinserhöhungen der Fed sind im September und darüber hinaus wahrscheinlich.
Je länger die Zentralbanken das Ende der Inflation auf Kosten aller anderen Faktoren verfolgen, desto tiefer und schädlicher werden die Auswirkungen auf das Wachstum und damit die Rezession. Dieser Ansatz spannt die Feder der Staatsanleihen bis zum Äußersten und wird dafür sorgen, dass die Renditen besonders heftig zurückschnellen, wenn der Wendepunkt erreicht ist.
Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste
Kurzfristig bleiben wir daher vorsichtig positioniert. Die Inflation verlangsamt sich zwar, aber noch nicht rasch genug, um der Fed eine Lockerung der Politik zu ermöglichen. Die Anleihemärkte spiegeln unseres Erachtens die Realität besser wider, da sie kurzfristig mit Zinserhöhungen der Fed rechnen und auf längere Sicht mit sinkendem Wachstum und niedrigeren Zinsen. Die Differenz zwischen den 2- und 10-jährigen Zinssätzen in den USA ist heute so negativ wie seit 2000 nicht mehr. Wir glauben, dass sich diese Kurveninversion vertieft und dass die Anleiherenditen noch viel weiter fallen müssen, wenn die Rezessionsängste an die Märkte zurückkehren.
Wir halten daher weiterhin an der Duration fest, insbesondere in den USA. Wir bevorzugen auch Australien und Südkorea, die durch die Verlangsamung der chinesischen Wirtschaft gefährdet sind und einen sehr fremdfinanzierten Immobiliensektor haben, der unter den höheren Zinsen leidet. Bei den Krediten setzen wir auf Unternehmen in rezessionsresistenten Sektoren und auf Sondersituationen, die härtere Zeiten überstehen können.
Es gibt nicht nur schlechte Nachrichten für Anleger: Wir glauben, dass sich die Inflation weiter verlangsamen wird, denn das wirksamste Mittel gegen Inflation bleibt die Rezession. Die Rohstoffpreise tragen bereits dazu bei. Im weiteren Jahresverlauf wird die Disinflation bei Gütern deutlich zunehmen, da die Nachfrage vor dem Hintergrund überschüssiger Lagerbestände nachlässt. Zum Jahreswechsel hin wird sich die stärkste Inflationskomponente, nämlich der Wohnungsmarkt, rasch abschwächen, da sich die Wohnsituation verschlechtert.
Es wird eine holprige Fahrt werden, denn das Wachstum verschlechtert sich. Letztlich werden die Zentralbanken aber angesichts der sich verlangsamenden Inflation unweigerlich zu einer viel lockereren Politik übergehen. Dies wird eine Rückkehr zu “niedrigeren Zinsen für längere Zeit” mit sich bringen. Für Anleger in festverzinslichen Wertpapieren stellt dies eine gute Ausgangsbasis dar, da die Renditen sinken, die Kreditmärkte gestützt werden und die Duration die Risikoanlagen wieder diversifiziert. Es handelt sich also um eine einmalige Gelegenheit, in Anleihemärkte einzusteigen. Gleichzeitig ist Vorsicht geboten, denn man muss wissen, was man besitzt, um eine Rezession zu überstehen.
Novo Nordisk & Eli Lilly versus Adipositas
Ein spannender und wachsender Health-Care-Markt, meinen die Experten von der DJE Kapital AG.
Rudolf Preyer. Adipositas (Fettleibigkeit) ist weltweit auf dem Vormarsch und wortwörtlich eine Last nicht nur für Betroffene. Auch die Gesundheitssysteme von Volkswirtschaften belastet diese Erkrankung. Mehrere vielversprechende neue Medikamente sind aktuell in Studien oder bereits zugelassen und könnten teure Magenverkleinerungen obsolet machen.
Unternehmen hinter diesen möglichen Blockbustern von morgen sind einen genaueren Blick wert, ebenso wie Covid-19-Impfstoffhersteller, da das Virus Adipositas-Erkrankte deutlich stärker gefährdet.
Zur Begriffsklärung
Aktuell gibt es weltweit über 764 Mio adipöse Menschen, definiert mit einem Body-Mass-Index (BMI) von mehr als 30. Der BMI errechnet sich aus dem Gewicht einer Person geteilt durch die Körpergröße in Metern zum Quadrat. Bis 2030 sollen weltweit mehr als eine Milliarde Menschen an Adipositas leiden.
Adipositas führt bei den Betroffenen zu einem erheblichen subjektiven Leidensdruck, ist aber vor allem auch mit multiplen Folgeerkrankungen verbunden. Dennoch werden aktuell nur rund 2 % aller Betroffenen weltweit medizinisch behandelt. Demnach ist der Bereich Adipositas bislang kaum erschlossen und ein ausgesprochener Wachstumsmarkt.
Operative Magenverkleinerungen zur Behandlung von Adipositas sind zwar erfolgreich und zunehmend etabliert, stellen aber einen invasiven Eingriff dar, der nicht-reversibel ist und lebenslange Kontrollen nach sich zieht. Aus diesem Grunde suchte man schon früh nach medikamentösen Behandlungsstrategien. Durchgesetzt haben sich bislang allein Medikamente aus der Diabetologie, sogenannte „GLP-1-Rezeptor-Agonisten“.
Erfolgreiche Anwendungen
Als Weiterentwicklung des bewährten, aber nur mäßig effektiven Wirkstoffs Liraglutid gibt es nun hochdosiertes Semaglutid (unter dem Produktnamen Wegovy) von Novo Nordisk (ISIN: DK0060534915). Semaglutid ist in niedrigerer Dosis unter dem Produktnamen Ozempic weltweit seit Jahren in der Diabetologie bewährt und anwendungssicher. Wegovy hat in großen Studien Gewichtsreduktionen von mehr als 15 % nachweisen können und ist bereits in den USA als reines Abnehm-Medikament offiziell zugelassen. Eine europaweite Zulassung erfolgte Anfang 2022. Die Nachfrage nach Wegovy ist so hoch, dass Novo Nordisk mit der Produktion nicht nachkommt. Infolgedessen wird hier teilweise das niedriger dosierte in der Adipositas-Behandlung angewendet.
Ein neues vielversprechendes Medikament mit Blockbuster-Potenzial stammt von Eli Lilly (US5324571083): Die Wirksubstanz Tirzepatid ist als sogenanntes Twinkretin zunächst einmal eine Weiterentwicklung in der Diabetologie, da sie zusätzlich zu GLP-1- auch GIP-Rezeptoren adressiert. Und auch die Gewichtsreduktionen waren eindrucksvoll: Mit bis zu 22,5 % Gewichtsabnahme übertrifft diese Substanz nicht nur alle bislang bekannten Medikamente, sondern nähert sich als Medikament erstmals einer Schallmauer, die bislang nur von der Magenverkleinerung bekannt war.
In Europa erwartet Eli Lilly bis Jahresende eine Zulassung, ab 2023 könnte die Spritze mit dem Wirkstoff Tirzepatid unter dem Produktnamen Mounjaro auch hierzulande auf ärztliche Verordnung gegen Diabetes (Typ 2) verfügbar sein. In den USA ist das Medikament bereits seit einigen Monaten auf dem Markt.
Fazit
Bei einer medikamentösen Behandlung von nur 10 % der weltweit mehr als 750 Mio adipösen Menschen mit jährlichen Kosten von 1.000 USD pro Jahr für Wegovy oder Mounjaro wäre der Markt mehr als 70 MrdUSD groß (konservative Schätzung): ein Markt mit genügend Platz für zwei große Pharmaunternehmen.
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Das schwierige Werben um Talente
Die Dynamik am Arbeitsmarkt und Generation Z erfordern neue Wege im HR-Bereich.
Christian Sec. „Österreichs Unternehmen inserieren um 40 % mehr Jobausschreibungen als in der Vergangenheit, weil durch den enormen Digitalisierungsschub neue Kompetenzen und Skillsets benötigt werden“, erklärt Christian Dorfinger, Talentescout der Erste Bank, gegenüber dem Börsen-Kurier. Während die Konzerne händeringend nach Talenten vor allem in den MINT-Fächern (Mathematik, Naturwissenschaft, IT, Technik) suchen, treten die potenziellen Arbeitnehmer zunehmend selbstbewusster auf. „Das Unternehmen stellt sich heute genauso beim Bewerber vor, wie der Bewerber beim Unternehmen“, so Ulrike Baumgartner-Foisner, Senior Vice President im Human-Resources (HR) von Wienerberger, zum Börsen-Kurier. „Haben Unternehmen früher noch Anzeigen geschaltet und auf geeignete Bewerber gewartet, muss Recruiting heute direkt an potenzielle Bewerber herantreten und ähnlich einem Headhunter agieren“, sagt Baumgartner-Foisner. „Auf der anderen Seite sitzt eine neue Generation, die oft einen viel flexibleren Zugang zum Thema Arbeit hat als ihre Vorgänger“, meint Dorfinger. Dabei geht es um die Möglichkeit zum Remote-Working oder um Teilzeitmodelle und um Workation, also die Verschmelzung von Urlaub und Arbeit; und schluss-endlich soll die Arbeit auch als sinnstiftend wahrgenommen werden. Genau dieses Delta zwischen großem Arbeitskraftbedarf und den Vorstellungen der neuen Generation bringe enorme Dynamik in den Arbeitsmarkt, so Dorfinger. In Zeiten wie diesen, wo die Kandidaten auf Augenhöhe mit den Unternehmen sind, sei daher die positive Wahrnehmung einer Arbeitgebermarke von großer Bedeutung, erklärt der Erste-Bank-Mann.
Auf allen Kanälen aktiv
„Der größte Wettbewerb um Talente findet im Bereich der IT statt, da branchenübergreifend sehr ähnliche Kompetenzen gesucht werden“, erklärt uns René Knapp, HR-Vorstand der Uniqa. Gerade in diesem kompetitiven Umfeld sei es daher für Unternehmen umso wichtiger, dass die „Employer Brand“ am Markt als attraktiv wahrgenommen wird. So entscheiden sich viele Studenten schon während des Studiums für eine Karriere in einem bestimmten Unternehmen, das am stärksten ihre Wertewelt vertritt. Daher investieren die meisten großen Unternehmen viel in die Kooperation mit Universitäten und Fachhochschulen mit z. B. Karrieremessen an Hochschulen.
Auch soziale Medien werden immer stärker von Kandidaten zur Jobsuche genutzt. Eine Studie von Randstad Employer Brand Research aus 2022 zeigt, dass sich die Nutzung sozialer Medien wie Facebook, Twitter, LinkedIn und Xing bei der Jobsuche allein seit 2021 zumindest in Deutschland mehr als verdoppelt hat, und zwar von zehn auf 21 %. Bewerber suchen also verstärkt ihre Stellen dort, wo sie sich in der Freizeit auf-halten, analysiert die Studie. Dies haben mittlerweile auch die Unternehmen erkannt. Stelleninserate werden in den sozialen Medien geteilt. Immer mehr Unternehmen nutzen Social Media auch für die gezielte und direkte Ansprache von Kandidaten (Active Sourcing). So wie z. B. die VIG, die verstärkt auf Active Sourcing über LinkedIn und Xing setzt.
Kampf gegen Fluktuation
Die guten Mitarbeiter der Generation Z (junge Menschen, die zwischen den Jahren 1995 und 2010 geboren sind, Anm.) zu halten ist jedoch nicht allein mit flexiblen Dienstplänen und Arbeitszeiten oder der gesellschaftlichen Auswirkung der Arbeit zu erreichen. Schlussendlich ist die neue Generation wechselwilliger als ihre Vorgänger. Viele Studien zeigen diesbezüglich, dass gute Mitarbeiter weder den Job noch das Unternehmen verlassen, sondern die eigene Führungskraft. „Will man Fluktuation verringern, gilt es also die Führungskraft zu stärken. Das geschieht am effektivsten durch sehr sorgsame Auswahl von Führungskräften und gute HR-Begleitung“, so Baumgartner-Foisner abschließend.
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Der Schweizer Franken in neuen Sphären
Die Aktien an der Börse Zürich präsentieren sich zunehmend attraktiver.
Roman Steinbauer. Weiterhin strömt die Liquidität sowohl in den US-Dollar als auch in den Schweizer Franken. Seit der Einführung der Gemeinschaftswährung notierte die eidgenössische Währung zum Euro nicht so stark wie derzeit. Bloß 96 Rappen haben aktuell helvetische Nachbarn für einen Euro aufzubringen. Über lange Zeiträume legte der Franken zur US-Devise selbst bereits seit 1990 bis zum Jahr 2010 um 30 % zu. Seitdem dominieren Pendelbewegungen mit einer seitwärts gerichteten Tendenz.
Die Folgen der Aufwertung schlagen auf börsennotierte Schweizer Konzerne nachteilig durch, doch wurden die Gewinne der Unternehmen rückblickend nie nachhaltig beeinträchtigt. Schweizer Gesellschaften bewiesen stets eine beeindruckende Fähigkeit, den Nachteil starker Schübe an Aufwertungen der Heimatwährung zu egalisieren bzw. durch Optimierungen auszugleichen.
Der Swiss Performance Index (SPI) an der Börse Zürich liegt seit Jahreswechsel 14 % im Minus. Dieser breite und meistbeachtete Index, in dem 219 Werte gelistet sind, ist als „Total Return Index“ konzipiert (Dividendenzahlungen werden also bei der Indexentwicklung mit eingerechnet). Er wurde heuer bisher geringer in Mitleidenschaft gezogen als der Dax (-19 %) und der FTSE MIB-Index in Mailand (-20 %), jedoch etwas mehr als der französische CAC 40 in Paris mit -13 %.
Niedrige Inflation, aber vorsichtige Konsumenten
Die Auswirkungen des starken Franken hinterlassen in der Handelsbilanz Spuren. So verringerte sich laut dem Berner Statistikamt im Juli der Überschuss in Kombination mit den teureren Energieimporten auf umgerechnet 3,75 Mrd Euro im Vergleich zu 5,51 Mrd Euro des Vergleichsmonats 2021 drastisch. Die Arbeitslosigkeit wird vom Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) mit 2,2 % beziffert und ist somit kaum vorhanden. Letzte Daten zu Preissteigerungen nehmen sich im internationalen Vergleich schmeichelhaft aus: So lag die Inflation im Juli mit +3,4 % bei den Nachbarn so hoch wie seit Oktober 1980 nicht mehr, aber erneut unter den Erwartungen. Die Produzentenpreise tendierten mit 6,3 % deutlicher nach oben, doch ist auch dieser Wert im internationalen Vergleich bescheiden.
Wenig konform mit westlichen Industriestaaten zeigt sich zudem die Schweizerische Nationalbank (SNB). Diese hob zwar den Leitzins erstmals seit Jahren um 50 Basispunkte auf -0,25 % an. Die Target Range liegt damit aber immer noch im negativen Bereich. Wie in den EU-Staaten erfuhr die Stimmung der Verbraucher eine Eintrübung. Der „SECO Consumer Climate Index“ tauchte zuletzt mit -28 Punkten beinahe so drastisch ab, wie dies im Feber 2021 (-30) und im Mai 2020 (-39) der Fall war. Dass die 8,3 Mio Konsumenten den Gürtel auch in unserem Nachbarland enger schnallen, weisen die Einzelhandelsumsätze aus. Im Juni bekamen diese mit +1,2 % erstmals (nach drei negativen Ausweisen) wieder Oberluft.
Teils unbeeinträchtigte Konzerne
Legt sich die krisenbedingte Bunkermentalität in die Schweizer Währung, könnte dies besonders für eine Stimulation jener Schweizer Aktien sorgen, deren Konzerne international agieren. Die Perspektive sich erholender Auslandsdevisen und damit ankurbelnder Franken-Erlöse würde rasch wieder in den Vordergrund treten. Zu diesem Aspekt verkündeten die Investmentprofis der Bank Julius Bär in einem Strategiepapier, Schweizer Aktien noch stärker in den Portfolios zu gewichten. Denn selbst der ungünstige Gegenwind des harten Frankens könne der Widerstandskraft der Gewinnmargen der Konzerne wenig anhaben. Favorisiert werden dabei Valoren wie jene der Swiss Life (ISIN: CH0014852781), Roche (CH0012032113), Lonza (CH0013841017) oder der ABB (CH0012221716). Die Situation des globalen Lebensmittel-Multi Nestlé (CH0038863350) spiegelt die robuste Lage vieler eidgenössischen Vertreter. Im 1. Halbjahr wurde ein organisches Wachstum von 8,1 % generiert, wobei die Durchsetzungskraft an Preiserhöhungen von 6,5 % für sich sprach. (Pikant: das Premium-Tierfutter Purina trug in der Krise am meisten zum Wachstum bei).
Vor allem aber Papiere der Sanitärtechnik-Gruppe Geberit (CH0030170408; Währungseffekte herausgerechnet stieg der Nettoumsatz im 1. Halbjahr um 11,3 %, die Ebitda-Marge betrug 28 %), des Software-Spezialisten Temenos (CH0012453913) oder jene von Schindler (CH0024638212) sind aktuell bei mehr als 30 % unter der Notiz vor zwölf Monaten zu bekommen.
Anmerkung: Seit 1. Juli 2019 ist für EU-Bürger der Erwerb Schweizer Aktien durch die nicht mehr anerkannte Börsenäquivalenz Brüssels nur über die Börse Zürich oder über den OTC-Markt (Direkthandel über Brokerhäuser) möglich.
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Was ist mit der Volksrepublik los?
China fällt als Wachstumslokomotive aus. Lockdowns, Hitzewelle und Dürre belasten.
Michael Kordovsky. Infolge der Corona-Lockdowns in Shanghai und Peking verlangsamte sich vom ersten auf das zweite Quartal das BIP-Wachstum Chinas von 4,8 auf 0,4 %. Das verschärfte die globalen Lieferkettenunterbrechungen. Konkret musste Shanghai als wichtigste Wirtschaftsmetropole des Landes im April und Mai 2022 erneut zwei Monate in einen harten Lockdown gehen. Auch der Hafen war gesperrt. Noch immer steckt dies den Chinesen als Schock in den Knochen.
Die Angst vor spontanen Abriegelungen von Einkaufszentren, Restaurants und Kinos durch die Regierung hält die Bevölkerung vom Ausgehen und Shoppen ab – mit entsprechender Auswirkung auf die Umsätze des Einzelhandels, die im Juli gegenüber dem Vorjahr nur noch um 2,7 % wuchsen, nach 3,1 % im Juni. Einbrüche gab es in den Handelssparten Bekleidung, Möbel und Baumaterialien. In den ersten sieben Monaten 2022 waren die Einzelhandelsumsätze gegenüber dem Vorjahreszeitraum um 0,2 % rückläufig.
Industrieaktivitäten nahe der Kontraktionsgrenze
Lieferkettenprobleme durch Absperrungen und natürlich auch der schwache Privatkonsum sowie nicht ausgeführte Exportorders bremsten die Dynamik der chinesischen Industrieproduktion, die im Vorjahresvergleich in den Monaten Juni und Juli nur noch um jeweils 3,9 bzw. 3,8 % wuchs.
Auch die Stimmung der Führungskräfte der Industrie hält sich in Grenzen. Als Aktivitätsindex zeigt der Caixin-Index der Einkaufsmanager für private Industriebetriebe, der zwar im Juni noch ein 13-Monatshoch bei 51,7 Punkten markierte, bereits im Juli eine Talfahrt auf 50,4 Punkte. Damit liegt er nur noch hauchdünn über der Kontraktionsgrenze von 50 Punkten. Betriebe stellen weniger Personal ein. Die Teilkomponente für Beschäftigung war nämlich bereits vier Monate in Folge rückläufig, was auf den stärksten Beschäftigungseinbruch seit April 2020 hindeutet.
Hinzukommen strukturelle Probleme, die sich zunehmend als Wachstumshürden zeigen (werden). Dazu zählen sozialistische verkrustete Wirtschaftsstrukturen genauso wie die demographischen Folgen der Ein-Kind-Politik. Zahlreiche unrentable Betriebe werden aufgrund der Beschäftigung von Mitarbeitern am Leben erhalten. Der Anteil der Über-65-Jährigen wächst von 12,6 % im Jahr 2020 bis 2030 auf 18,2 % und bis 2050 voraussichtlich auf 30,1 %. Dann liegt der Anteil der 0-14-Jährigen nur noch bei 11,4 % verglichen mit 18 % im Jahr 2020. Dies schmälert dann wegen erhöhter Sozialausgaben des Staates die Spielräume für zukünftige Konjunkturprogramme.
Klimawandel gefährdet Stromversorgung
Die Nebenwirkungen des Wirtschaftswunders (extrem hoher CO2-Ausstoss) machten sich bereits in der schlimmsten Hitzewelle bemerkbar, die es in China seit den Temperaturaufzeichnungen gab. Nicht nur die Weizenernte in der Provinz Hanan steht auf dem Spiel. Regenmangel und Hitze lassen die Wasserpegel von Flüssen und Seen sinken. In der Folge kann aus Wasserkraft viel weniger Strom gewonnen werden. Gleichzeitig verbrauchen Klimaanlagen viel Strom. In den ersten Städten ist bereits der Strom für Fabriken rationiert worden. Weitere Lieferkettenunterbrechungen zeichnen sich ab.
Der IWF rechnet für heuer in China nur mit 3,3 % Wirtschaftswachstum. Die von der Regierung angepeilten 5,5 % sind in weite Ferne gerückt. Wie stark das Wachstum ausfallen wird, hängt vom Ausmaß staatlicher Konjunkturprogramme in Kombination mit geldpolitischer Unterstützung der Notenbank ab. Zusätzlich eine Rolle spielen Witterung und die globale Handelspolitik.
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Europas Konzerne in robuster Verfassung
Aber: Trotz übertroffener Gewinnprognosen werden Erwartungen reduziert.
Roman Steinbauer. Angesichts eines krisengeschüttelten Europas überrascht die Resistenz der Vorzeigeunternehmen am Kontinent. In der Industriehochburg Deutschland präsentierten 60 % der Dax-Gesellschaften bereits für das 2. Quartal die Ergebnisse. In diesem Geschäftsabschnitt, in dem immer-hin die kriegerische Entwicklung in der Ukraine erstmals voll durchschlug, übertrafen mehr als 70 % der Konzerne die (seit Feber drastisch gekürzten) Gewinnerwartungen. Ungeachtet dessen trüben sich die Perspektiven weiter ein. So veröffentlichte das Handelsblatt in der Vorwoche eine Auswertung, wonach die Analysten-Zunft seit dem 1. Juni von 160 ins Auge gefassten Unternehmen aller Dax-Kategorien bei 118 Gesellschaften die Gewinnprognosen auf Sicht von einem Jahr erneut kürzten. Nur zu 27 Titeln hievten die Finanzprofis die Erwartungen bis Sommer 2023 nach oben.
Dollar-Stärke führt zu Kurzfrist-Verzerrung
Einige Großunternehmen legten ein weit besseres Geschäft vor als bislang erwartet. Sehr positiv überraschten die Chemie- bzw. Pharmafirmen Henkel (ISIN: DE0006048408) und Merck (DE0006599905), die Mercedes Benz Group (DE0007100000) sowie die Deutsche Bank (DE0005140008). Eine nachhaltige Abschwächung der Nachfrage ist nicht in Sicht. Alle Dax-Vertreter erwirtschafteten von April bis Juni einen Gesamtumsatz von 450 Mrd Euro, die zweithöchsten Erlöse in dieser Geschäftsperiode. Berücksichtigt sei aber, dass der oft beträchtliche Ergebnisanteil des US-Marktes durch den starken US-Dollar angeschoben wurde.
Teils überzeugende Finanz- und Chemietitel
Auch die Zurich Insurance (CH0011075394), die ING (NL0011821202), Münchner Rück (DE0008430026) und die Swiss Life (CH0014852781) sowie die AXA (FR0000120628) übertrafen die Gewinnschätzungen. Abgeschwächt trifft dies auf Unipol (IT0004810054) und Aegon (NL0000303709) zu, während die Allianz (DE0008404005) enttäuschte. Im Bankensegment zeigten die Credit Agricole (FR0000045072) und die Commerzbank (DE000CBK100) starke Zahlen. Eine Sondersituation gibt es hingegen bei der Société Générale (FR0000130809): Der Ausstieg aus dem Russland-Geschäft führte zu einem Rutsch in die Verlustzone.
Bei den konjunktursensiblen Kfz-Zulieferern überzeugte nur die Muttergesellschaft der deutschen Hella Gruppe, Faurecia (FR0000121147). Schwach hingegen Continental (DE0005439004) und der Spezialist für Bordnetzsysteme, Leoni (trennt sich derzeit von der Kabeldivision; DE0005408884), die das schwierige Umfeld bestätigten. Konträr die Situation beim Autoverleiher Sixt (DE0007231326), der ein historisches Rekordergebnis hinlegte.
Verblüffend solide Zahlen bei der Deutschen Telekom (DE0005557508), deren Aktie sich seit zwei Jahrzehnten auf ein Spitzenniveau hob. In der Chemie- und Pharma-Kategorie erfreuten Bayer (DE000BAY0017) und BASF (DE000BASF111) die Aktionäre, DSM (NL0000009827) und die dänische Novo Nordisk (DK0060534915) erfüllten das Soll. Im Reich des Maschinenbaus verfehlten der Gigant Siemens (DE0007236101) und Wacker Neuson (DE000WACK012) die Ziele. Herausragend hingegen die Entwicklung bei Krones (DE0006335003), Dürr (DE0005565204) und Jungheinrich (DE0006219934).
Lukrativer Stahl, Logistik – und Biermarkt
Spitzenprofite winken derzeit aber den Königen der Logistikbranche wie Hapag Lloyd (DE000HLAG475) und Moller Maersk (DK0010244425).
Im Stahluniversum feierte Salzgitter (DE0006202005) ein Rekordhalbjahr, zudem ließ Thyssenkrupp (DE0007500001) die Anteilhaber aufatmen.
Unbeeindruckt zeigen sich Bierkonsumenten: Die Erträge von Carlsberg (DK0010181676) und Heineken (NL0000009165) beschleunigen sich substanziell.
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Die Zinswende ist angekommen
Fixed Income gewinnt an Attraktivität, so die Erste Asset Management.
Harald Kolerus. Die Konsumenten spüren es jeden Tag in der Geldbörse: Der Krieg gegen die Ukraine und die damit verbundenen Sanktionen lassen die Energiepreise kräftig in die Höhe schießen, als Folgeeffekt wird das gesamte Leben teurer.
Inflation schlägt zu
„Die Inflation ist in der Breite angekommen, denn natürlich leiden z. B. auch der Bäcker, Restaurants und Hotellerie unter den höheren Energiekosten; Produkte und Serviceleistung verteuern sich“, fasst Wolfgang Zemanek, Head of Fixed Income bei der Erste Asset Management (EAM), in einer exklusiven Informations-Veranstaltung zusammen. Der Börsen-Kurier war dabei.
So ist zum Beispiel alleine der Bereich Lebensmittel in Europa im Juli verglichen zum Vorjahr um satte 10,4 % gestiegen. Um die gefährliche Inflations-Entwicklung einzudämmen, steuern die Notenbanken dies- und jenseits des Atlantiks entgegen: „Sie stehen nach der sehr expansiven Geldpolitik der letzten Jahre, unter anderem aufgrund der der Covid-Pandemie, auf der Bremse und nehmen über die Zinspolitik Liquidität aus dem Finanzkreislauf“, so Zemanek. Wobei die Emerging Markets bereits vor rund eineinhalb Jahren damit begonnen haben, die Zinssätze in die Höhe zu schrauben, es folgte zum vergangenen Jahreswechsel die Fed, die EZB hat gerade erst mit entsprechenden Schritten begonnen.
Zinsen gehen weiter rauf
Der EAM-Experte kommentiert: „Nach meinem Geschmack hat die EZB etwas zu zurückhaltend agiert, jetzt handelt sie aber. Ich halte einen weiteren Zinsschritt im September für durchaus wahrscheinlich, auch um 50 Basispunkte.“ Die Zinswende ist jedenfalls gekommen, um zu bleiben, auch wenn sich die Dynamik in den Schwellenländern verlangsamen wird, immerhin sind sie auch als erste gestartet. Die Fed wird mit Zinsschritten nach oben fortfahren, auch wenn das die Arbeitslosenzahlen erhöht. Das ist sogar ein gewünschter Effekt, den der Jobmarkt ist in Übersee bereits überhitzt. In den USA ist bis Jahresende ein Leitzins von 3,75 % eingepreist, in der Eurozone liegen die Markterwartungen bei 1,25 bis 1,5 %.
Das Ganze gleicht natürlich einem Balance-Akt, denn wichtige Indikatoren wie das Konsumentenvertrauen deuten auf eine abgeschwächte Wirtschaftsdynamik hin. Das Rezessions-Gespenst schwebt wieder einmal im Raum. Zu hohe Zinssätze könnten die Konjunktur weiter beschädigen, wobei Zemanek es für unwahrscheinlich hält, dass das neue Zinsregime zur Rezession führen wird: „Viel entscheidender wird die Entwicklung der Energiepreise sein.“
Neue Investmentchancen
Die Zinswende sorgt jedenfalls auch für geänderte Rahmenbedingungen an den Kapitalmärkten: Während die höheren Geldmarktzinsen für einige Asset-Klassen (wie Aktien) für Gegenwind sorgen, könnte es am Anleihenmarkt wieder interessante Chancen geben.
Zemanek: „Anleihen sind im Vergleich zu anderen Assets heute deutlich attraktiver als vor einem Jahr.“ Das gelte sowohl für ausgewählte Staatsanleihen als auch für Corporate Bonds. So haben Unternehmensanleihen mit Investment-Grade rein nominell, also vor Betrachtung der Inflation, relativ hohe Rendite-Niveaus von 2 bis 3 %
erreicht. Bei hoch rentierenden High-Yields liegen die Rendite-Niveaus sogar zwischen 6 und 8 %.
Sparbuch? Bitte warten
Der Börsen-Kurier wollte von dem Experten auch wissen, wann es am Sparbuch wieder attraktive Zinsen geben wird? Zemanek: „Das hängt davon ab, wie man attraktiv definiert. Wenn die Notenbanken weiter erhöhen, werden auch die Zinsen am Sparbuch steigen.“ Wann und auf welches Niveau kann der Experte allerdings nicht seriös vorhersagen.
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Warum ich nicht mehr in China investiere
Ein Kommentar von Jason Pidcock, Investment Manager, Asian Equity Income bei Jupiter Asset Management
(17.08.) Im Juli habe ich unsere letzten verbleibenden Aktien des chinesischen Festlands sowie die Aktien eines Unternehmens aus Macau verkauft. Zuvor war der Jupiter Asian Income Fund bereits seit einiger Zeit in China untergewichtet, da ich die Rentabilität der Unternehmen im Vergleich zum Rest der Region gering einschätzte und der Meinung war, dass die Bewertungen in China angesichts einer langen Periode von regulatorischen Einschränkungen und Reisebeschränkungen eine Abwertung verdienen. In jüngster Zeit bin ich zunehmend unzufrieden mit der innenpolitischen Entwicklung in China und den schlechter werdenden Beziehungen zu anderen Ländern, insbesondere zu den USA. Daher bewerte ich die Aussichten für die chinesische Wirtschaft weiterhin negativ.
Weitere Investitionsbeschränkungen in Sicht
Die Geheimdienste der USA und des Vereinigten Königreichs haben zunehmend vor der Bedrohung gewarnt, die China für den Westen darstellt und die bevorstehenden Kongresswahlen in den USA im November werden wahrscheinlich als Katalysator für eine noch chinafeindlichere Politik wirken. Es gibt bereits eine Liste von Aktien, in die US-Investoren nicht investieren dürfen und für die US-Banken den Handel nicht ermöglichen. Diese Liste umfasst die meisten Telekommunikationsunternehmen in China sowie eine Reihe von Technologieunternehmen. Nach den Wahlen besteht unserer Meinung nach eine gute Chance, dass die Zahl der Unternehmen auf dieser Liste zunehmen wird.
Starke Eingriffe werden sich auf die Wirtschaft auswirken
Es gibt zahlreiche Berichte über Hypothekengläubiger, die Zahlungen für unfertige Häuser boykottieren. Zudem ist der Immobiliensektor sehr hoch verschuldet. Eine Reihe von Bauträgern ist bereits mit ihren Krediten in Verzug geraten. Um die Situation zu entschärfen, hat die Regierung die Kreditvergabe der Banken mit harter Hand gelenkt – etwas, das wir in gut funktionierenden Volkswirtschaften nicht erwarten. Die anhaltende Null-Covid-Politik Chinas belastet die Wirtschaft weiter, und das BIP-Wachstum wird in diesem und im nächsten Jahr wahrscheinlich gering sein. Es ist sogar möglich, dass im kommenden Jahr eine deflationäre Phase beginnt, wenn Chinas Banken einen höheren Anteil fauler Kredite in ihren Büchern anerkennen.
Darüber hinaus hat sich China mit seinem Säbelrasseln gegenüber Taiwan sehr unsensibel verhalten. Ich gehe davon aus, dass jeder militärische Angriff auf Taiwan die Wirtschaft in eine Abwärtsspirale führen würde. Ausländische Direktinvestitionen und Portfolio-Investitionen würden wahrscheinlich ausbleiben und, wenn möglich, rückgängig gemacht werden. Die Art und Weise, in der Russland geächtet wurde, könnte als Vorbild dafür dienen, was passieren könnte, wenn es zu einem militärischen Angriff auf Taiwan käme.
Indirektes Engagement über andere Länder
Der Jupiter Asian Income Fund ist nach wie vor in gewissem Maße in der chinesischen Wirtschaft engagiert. Wir bevorzugen es jedoch, dieses Engagement indirekt über Unternehmen in Nachbarländern zu halten, die erfolgreich Waren oder Dienstleistungen nach China verkaufen. Es gibt viele Unternehmen in Australien, Indien, Singapur, Südkorea und Taiwan, in die wir weiterhin gerne investieren.
Die Entscheidung, unsere Allokation in Festlandchina auf null zu setzen, ist vielleicht keine dauerhafte Haltung. Wir gehen aber davon aus, dass dies zumindest für den Rest der Regierungszeit von Präsident Xi Jinping der Fall sein wird.
Inflationsschutz mit Dividenden
Solide Ausschüttungen können vor realem Wertverlust schützen.
Raja Korinek. Die Inflation ist kaum zu bremsen, wenn auch die jüngsten US-Daten auf ein Abebben hindeuten: Der CPI stieg im Juli auf Jahresbasis um 8,5 %. Im Juni lag das Plus noch bei 9,1 %. In der Eurozone stieg die Inflation um 8,9 %, erreichte damit ein Rekordniveau.
Verständlich, dass ein Inflationsschutz gefragt ist, den etwa solide „Dividendenkaiser“ bieten könnten. Christophe Braun, Equity Investment Director bei Capital Group, meint: „Dividendenwachstumstitel im Rahmen eines breit angelegten Portfolios können Anlegern helfen, das aktuell schwierige Umfeld zu meistern.“ Braun verweist auf die Kombination aus Dividendeneinnahmen und dem Wertsteigerungspotenzial des Aktienkurses.
Zudem seien die Bewertungen vieler solcher Titel derzeit angemessen, im Vergleich zur langen Hausse bei Wachstumswerten. Letztere Titel geraten angesichts der höheren Inflation und damit steigender Zinsen zunehmend unter Druck. Denn Anleger würden hier in der Regel auf künftige Gewinne setzen, die sich im aktuellen Umfeld schmälern.
Demgegenüber werden Unternehmen, die regelmäßig solide Dividenden zahlen, meist der Welt der Substanzaktien zugeordnet. Unternehmen aus diesem Bereich erzielen in der Regel bereits Gewinne, verfügen damit über echte Substanz – gerieten aber während des Booms bei Wachstumstiteln teils ins Hintertreffen. „Auch wenn 2022 einiges an der Bewertungsdiskrepanz aufgeholt wurde, sind Dividendenaktien immer noch relativ günstig“, konstatiert Jakob Tanzmeister, Investmentspezialist bei JP Morgan AM, im Gespräch mit dem Börsen-Kurier. Der Blick auf solche Titel könnte sich lohnen, auch, da Dividendenaktien in einem Umfeld höherer Inflation und langsameren Wachstums zumindest historisch eine Outperformance erzielt haben, so Tanzmeister.
Der Marktexperte verweist auf weitere unterstützende Faktoren: „Die Gewinnausschüttungsquote ist historisch niedrig und liegt rund 20 % unter dem langjährigen Schnitt, sodass auch bei schrumpfenden Gewinnen die Dividendenzahlungen stabil bleiben könnten.“ Konkret liegt die Ausschüttungsquote der Unternehmen im MSCI-Weltindex derzeit im Schnitt bei knapp 40 %. Und die durchschnittliche Dividendenrendite bei Unternehmen mit dem Fokus auf Ausschüttungen bei rund 3,8 %.
Doch wie geht das Fondsmanagement des „JPMorgan Investment Funds – Global Dividend Fund“ (ISIN: LU0329203144) vor, der sich laut Morningstar gut behaupten kann? Allein die Wertentwicklung auf zehn Jahre liegt bei rund 12 % p.a. Hierin kommen sowohl Unternehmen in Frage, die noch keine hohen Ausschüttungen leisten, aber das Potenzial haben, genauso wie Titel, die ihre Dividendenzahlungen regelmäßig steigern. Besonders hoch gewichtet sind Pharma- und Bankaktien, so etwa Bristol-Myers Squibb (US1101221083). Auch etablierte Technologieaktien wie Microsoft (US5949181045) und Texas Instruments (US8825081040) zählen zu den größten Positionen.
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Heilsam günstige Investments
Vor allem Biotech- und Pharmawerte bieten langfristige Einstiegschancen.
Michael Kordovsky. Die Pharmaindustrie entwickelt sich weiter. In den Jahren 2018 bis 2021 hat die FDA im Schnitt 52,5 neue Medikamente zugelassen, verglichen mit 35,5 im Durchschnitt der vorangegangenen vier Jahre. Seit 2014 sind 27 % aller neu zugelassenen Medikamente Biotech-Präparate. Von 2001 bis 2021 sind die globalen Pharmaumsätze um 6,7 % p.a. von umgerechnet 382,5 auf 1.395,6 Mrd Euro gestiegen. Noch dynamischer ist der Biotech-Markt, dessen Größe von 836,2 Mrd Euro im Jahr 2020 bis 2030 um 17,83 % p.a. auf 3,37 Bio Euro wachsen sollte. Key Player dieses Bereichs sind derzeit auffallend günstig bewertet. Generell sind derzeit die Bereiche Pharma, Biotech, Medizintechnik und Lifesciences relativ günstig, was ein Blick auf den „MSCI World Pharmaceuticals, Biotechnology and Life Sciences Index“ (USD) zeigt. Per 29. Juli 2022 stand ein Forward-KGV in diesem Index von 15,8 einem Wert von 15,7 im MSCI World gegenüber, und dies trotz starker Gewinnwachstumsdynamik und langjähriger Outperformance; denn: In den vergangenen zehn Jahren brachte es der genannte Index auf 11,72 % p.a. verglichen mit 10,80 % im MSCI World. Die größten Werte des 75 Positionen enthaltenden Index sind Johnson & Johnson (Gewichtung: 9,9 %), Pfizer (6,1 %), Eli Lilly (5,8 %) und AbbVie (5,5 %).
Einzeltitelselektion
Auf jeden Fall günstig bewertet ist die Roche Holding (CH0012032113), deren Gewinn/Aktie von 2015 bis 2021 um 7,9 % p.a. wuchs und laut Analystenschätzungskonsens von FactSet (Quelle: finanzen.net) von 2022 bis 2025 weiter um 6,7 % p.a. wachsen sollte. Das für das Jahr 2023 geschätzte KGV liegt bei günstigen 14,6.
Wesentlich günstiger bewertet ist Gilead Sicences (US3755581036), die in den Bereichen HIV, Hepatitis B, Hepatitis C und Influenza aktiv ist. Deren Medikament Veklury (Wirkstoff: Remdesivier) zeigte Erfolge bei der Corona-Variante Omikron. Die Palette des Unternehmens ist reifer und Wachstum erfordert gezielte Akquisitionen. Eine zwischenzeitlich leicht rückläufige Entwicklung bei Umsatz und Erträgen führte zu einem Bewertungsabschlag. Per 11. August liegt das für 2023 geschätzte KGV laut Konsens von Zacks Investment Research bei 9,9.
Als Wachstumsunternehmen interessant erscheinen Vertex Pharmaceuticals (US92532F1003), die vor allem mit Medikamenten gegen Mukoviszidose punktet, und Regeneron Pharmaceuticals (US75886F1075). Deren Flaggschiff-Produkt Eylea, ein Medikament zur Behandlung diverser Augenerkrankungen, zeigte allein in den USA von 2012 bis 2021 Umsatzanstiege von 0,78 auf 4,71 Mrd Euro. In den vergangenen vier Quartalen konnte das Unternehmen im Schnitt um 30,5 % höhere Quartalsgewinne/Aktie melden als von Analysten erwartet wurden. Laut Schätzungskonsens von Zacks liegt das für 2023 erwartete KGV per 11. August bei günstigen 14,7. Im Laborbereich sollte indessen ein Blick auf Thermo Fischer Scientific (US8835561023) und den Laborautomaten-Hersteller Becton Dickinson (US0758871091) geworfen werden.
Interessante Zertifikate
Mit Zertifikaten lassen sich einzelne Nischen und Segmente gezielt abdecken. Ein Beispiel dafür sind Impfstoffaktien, die über das Tracker-(Long-)Zertifikat auf den „Pharma Impfstoff Aktien Index“ (DE000DA0AB48) abgedeckt werden können. Breit gestreut an europäische Biotech-Chancen können Anleger über das von der UniCredit emittierte HVB-Open-End-Zertifikat auf den „European Biotech Index“ (DE000HX28ET5) partizipieren. Eine solide Alternative wäre noch das von BNP Paribas Issuance B.V. emittierte Open-End-Zertifikat auf den Nasdaq Biotech (NL0000194397).
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Knalleffekt: EIOPA unterbricht Konsultation
Erstmals gesteht eine europäische Institution ein, dass beim Grünen Deal nicht alles nach Plan läuft.
Andreas Dolezal. Bekanntlich müssen seit 2. August 2022 gemäß MiFID II und IDD die Nachhaltigkeitspräferenzen von bestehenden und neuen Kunden abgefragt werden. Dazu hat die Europäische Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen EIOPA am 12. April 2022 einen Entwurf von Leitlinien veröffentlicht, in dem sie sich mit vielen Details dieser Abfrage beschäftigt. Am 20. Juli 2022 hat die EIOPA den Konsultationsprozess jedoch unterbrochen. Mit bemerkenswerten Erkenntnissen.
Die Ausführungen der EIOPA im Leitlinien-Entwurf sollen Versicherungen und Versicherungsvermittlern dabei helfen, die neuerdings verpflichtende Abfrage der Nachhaltigkeitspräferenzen korrekt umzusetzen. Nachdem der knappe Gesetzeswortlaut im Kern nur 133 Wörter umfasst, soll der Leitfaden sowohl Marktteilnehmern als auch nationalen Aufsichtsbehörden als Richtschnur dienen.
Während der Leitlinien-Entwurf der europäischen Markt- und Wertpapieraufsichtsbehörde ESMA weiterhin diskutiert wird, hat die EIOPA am 20. Juli 2022 mitgeteilt, dass sie die öffentliche Konsultation unterbrochen hat, weil mehrere Marktteilnehmer die Notwendigkeit eines einfacheren und benutzerfreundlicheren Dokuments betont hätten.
Aufhorchen lässt die EIOPA mit einleitenden Erkenntnissen, wie den Folgenden (unverbindliche Übersetzung ins Deutsche): Wichtige Regulierungsinitiativen zur Ermittlung und ordnungsgemäßen Offenlegung von Investitionen in nachhaltige Wirtschaftstätigkeiten, auch im Rahmen der EU-Taxonomie, sind noch nicht abgeschlossen. Diese Angaben sind für Versicherer und Versicherungsvermittler von entscheidender Bedeutung, um zu beurteilen, ob die angebotenen Produkte den Nachhaltigkeitspräferenzen der Kunden entsprechen.
Einige der Vorschriften sind noch nicht fertiggestellt, und die Umsetzung dieser Initiativen erfolgt nicht zu denselben Zeitpunkten, insbesondere liegt das Datum für die Anwendung der neuen Rechtsvorschriften im Rahmen der IDD vor den Fristen für die Meldung von Unternehmensdaten (…).
Die Europäische Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen gesteht also ganz offiziell ein, was Finanzdienstleister – die sich seit Monaten unter Einsatz von viel Zeit und Geld auf die Umsetzung der Abfrage vorbereiten – bereits seit langer Zeit wissen: Das Ziel der Abfrage der Nachhaltigkeitspräferenzen ist unerreichbar, weil die Regelwerke der EU ebenso unvollständig sind, wie sie in der vollkommen falschen Reihenfolge in Kraft treten.
Diese Erkenntnisse dringen spät, um nicht zu sagen zu spät, auf europäische Ebene durch. Bemerkenswert sind sie dennoch. Gesteht doch erstmals eine hohe europäische Institution ein, dass mit dem Grünen Deal und den großspurigen Plänen für ein nachhaltiges Finanzwesen etwas falsch läuft. Ersonnen und postuliert sind grüne politische Ziele schnell, das Schaffen der gesetzlichen Rahmenbedingungen ist augenscheinlich eine viel schwierigere Aufgabe. Ganz zu schweigen vom Umsetzen in die Realität.
Die EIOPA hält fest, dass Versicherer und Versicherungsvermittler auf Basis der derzeit verfügbaren Daten verantwortungsbewusste Angaben zur Nachhaltigkeit machen und sich nach besten Kräften um eine gute Datenqualität bemühen müssen. Darüber hinaus sind die EIOPA Leitlinien aber nicht verbindlich.
Es bleibt abzuwarten, ob die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde ESMA für den Wertpapierbereich zu ähnlich ehrlichen Erkenntnissen gelangt. Noch wird deren Leitlinien-Entwurf konsultiert.
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Erneuerbarer Energie-Sektor wird durch Joe Bidens Klimapaket angetrieben
Ein Kommentar von Christian Rom, Portfoliomanager des DNB Fund Renewable Energy bei DNB Asset Management.
(08.08.) Die weitere Erholung des Sektors wurde durch die Veröffentlichung der neuesten Version des Vermittlungsgesetzes („Inflation Reduction Act of 2022“) durch die Demokraten im US-Senat am 27. Juli angeheizt. Der Gesetzentwurf war eine positive Überraschung, nachdem die jüngsten Nachrichten über die Unterstützung von US-Senator Manchin die Runde machten. Die 369 MrdUSD an zweckgebundenen Klima- und Energiesicherheitsausgaben über einen Zeitraum von 10 Jahren wären die größte Klimainvestition in der Geschichte der USA.
Der neue Gesetzentwurf ist zwar kleiner als Bidens ursprüngliches 555-Milliarden-USD-Gesetz „Build Back Better“, behält aber den größten Teil des Rahmens bei, der in den BBB-Entwürfen der Vergangenheit vorgeschlagen wurde. Wir sehen diesen Gesetzentwurf als sehr ermutigend für den Sektor an, und er wird in der Tat das Potenzial haben, die notwendigen Emissionsreduzierungen in den USA zu beschleunigen, wenn die Demokraten in der Lage sind, ihn als Gesetz zu unterzeichnen. Die drei wichtigsten positiven Aspekte des Gesetzentwurfs für den Bereich der Erneuerbaren Energie sind: Die Verlängerung der ITC („Investment Tax Credit“) und PTC („Production Tax Credit“) für erneuerbare Technologien bis 2023 auf höchstem Niveau; die Steuergutschrift für die Produktion von grünem Wasserstoff in Höhe von 3 USD/kg und die Unterstützung für die inländische Herstellung sauberer Energietechnologien.
Wir befinden uns noch in der Anfangsphase der Energiewende, und angesichts der jüngsten ermutigenden Anzeichen für eine Unterstützung der erneuerbaren Energien in den USA sind wir nach wie vor der Ansicht, dass sich die relativen Aussichten für den Sektor in den letzten Jahren grundlegend verbessert haben. Die Strategie des DNB Fund Renewable Energy erzielte im Juli eine starke absolute Rendite (+18,34 % – nach Gebühren, Retail, A EUR). Den größten Beitrag leistete Sunrun, da das Unternehmen stark auf die potenzielle Unterstützung durch die US-Politik ausgerichtet ist. Am stärksten beeinträchtigt wurde der Fonds durch Enel, dessen höheres Risiko für italienische Staatsanleihen auf das gestiegene Risiko einer Rezession und die vorgezogenen Neuwahlen nach dem Rücktritt von Draghi zurückzuführen ist.
Die aggregierten Gewinnrevisionen für den Fonds legten im Juli zu, aber die Gewinnmultiplikatoren stiegen angesichts des Inflation Reduction Act für einen erheblichen Teil des Portfolios. Die Bewertung des Fonds ist höher als die des MSCI World, aber wir haben auch bessere Wachstumsaussichten.
Langfristig sicher gehen: global gestreut anlegen
Diversifizieren je nach Beitrag der Staaten zum weltweiten Bruttoinlandsprodukt.
Julia Kistner. Irgendwann fängt der Aufschwung am Kapitalmarkt irgendwo auf dem Globus gerade wieder an. „Das ist die Idee hinter einem global breit gestreuten Langfristportfolio“, erklärt Jan Altmann, ETF-Analyst der Vergleichsplattform justETF.com, im Gespräch mit dem Börsen-Kurier. „Ich orientiere mich da wenig an Prognosen. Ich nehme die existierende Aufteilung des Bruttoinlandsprodukts. So steuern die USA zum weltweiten Bruttoinlandsprodukt aller 47 Länder, die im ACWI (MSCI All Country World Index, Red.) vertreten sind, etwa
28 % bei, Europa 24 %, Japan 6 %. Auf Asien-Pazifik-Staaten wie Australien und Neuseeland entfallen 3 %. Rund 39 % wird von den Emerging Markets erwirtschaftet, davon übrigens nur 3 % von Russland.“ Beim chinesischen Kapitalmarkt müsse man sich allerdings vor Augen halten, „dass es für ausländische Investoren nur beschränkt möglich ist, in lokale Unternehmensgrößen zu investieren. Deshalb hat auch der MSCI-Emerging-Markets-Index, an dem sich viele Schwellenstaaten-Fonds und ETFs orientieren, den chinesischen Kapitalmarkt nur mit 20 % seines tatsächlichen Wertes aufgenommen“, erklärt Altmann. China habe jedoch großes Interesse, hier künftig mehr ausländisches Kapital zuzulassen.
Chancen im Riesenreich
Momentan sieht Tilmann Galler, Chefstratege bei Goldmann Sachs Asset Management, jedenfalls viel Gewinnpotenzial in China: „Denn der chinesische Kapitalmarkt befindet sich auch durch die nach wie vor expansive Geldpolitik noch im Aufwärtszyklus. Generell hat Asien einen ganz anderen Inflations- und Zinszyklus als wir, das heißt Aktien und Anleihen verhalten sich ganz anders als auf den amerikanischen und europäischen Märkten. Deshalb sind Südostasien und China schon aus Diversifikationsgründen sehr interessant. Gerade die Asean-Region ist durch Covid und den Einbruch des Tourismus sehr zurückgeworfen worden und könnte aufholen.“
Politische Risikoprämie einkalkulieren
Bei aller Euphorie für die Emerging Markets, die man bei einem Welt-BIP-Anteil von knapp 40 % als Anleger wohl nicht mehr ausklammern kann, sollte man die politischen Gefahren entsprechend mit Risiko-Prämien berücksichtigen, empfiehlt Philipp Vorndran, Kapitalmarktstratege von Flossbach und Storch: „Sie müssen global anlegen, aber Sie müssen sich immer überlegen, welche Risikoprämie brauche ich, damit politische Unsicherheiten abgedeckt sind.“ Gemeint ist zum Beispiel, dass aufgrund der höheren politischen Gefahren in China etwa ein chinesischer Chiphersteller deutlich mehr Rendite abwerfen muss als ein amerikanischer, um gleich attraktiv zu sein. So war die einzufordernde Risikoprämie für die Unsicherheit im Staatengebilde Russland und bei der Rechtsunsicherheit für Auslandsinvestoren für Flossbach und Storch immer viel zu groß, sodass die vermeintlich günstige Gazprom immer viel zu teuer gewesen sei, um investierbar zu sein, erklärt Vorndran: „Das muss ich mich immer und überall auf der Welt fragen, ob ich als Aktionär überhaupt die Chance habe, meine Aktionärsrechte durchzusetzen oder ob es auch sein kann, dass der Cashflow des Unternehmens, in das ich investiert bin, auf den Staat alloziert wird.“ So könnte, wenn die Spannung zwischen China und einerseits Taiwan sowie andererseits den USA zunehmen, auch hier wieder ausländisches Kapital in chinesisches Unternehmen beschnitten werden. Durch neue Machtblöcke könnten schnell wichtige Absatzmärkte für chinesische, aber auch europäische Unternehmen wegfallen.
„Wenn sich neue geopolitische Machtblöcke entwickeln, dann entstehen Bewegungen an ganz anderen Fronten. Üblicherweise entsteht in solchen Situationen viel Unsicherheit und genau dann bewährt sich die geopolitische Diversifikation, weil ich ja gar nicht weiß, was letztendlich passiert“, unterstreicht Altmann die Sinnhaftigkeit, überall auf der Welt investiert zu sein. Nur so ließe sich ein halbwegs wetterfestes Depot zusammenstellen.
Börsen bilden nicht das wahre BIP ab
Einen Schönheitsfehler hat die Strategie allerdings schon, sein Kapital auf die Weltbörsen so zu verteilen, wie die jeweiligen Staaten zum internationalen BIP beitragen: Die Marktkapitalisierung an den Börsen spiegelt nicht immer die Wirtschaftsleistung eines Landes richtig wieder. Man denke nur an Österreich. Viele der erfolgreichen Unternehmen sind Klein- und Mittelbetriebe, die rein im Familienbesitz und nicht börsennotiert sind.
Ob das Weltbruttoinlandsprodukt jetzt zu 100 % richtig abgebildet ist oder nicht, sei jedoch gar nicht so wichtig, kontert Altmann. Wichtig sei, grundsätzlich eine breite Risikostreuung über den Globus zu haben, aber nicht nur das. Altermann streue persönlich nicht nur nach Regionen, sondern auch nach Assetklassen. „Rohstoffe sind jedoch sehr spekulativ, die würde ich meinem ETF-Portfolio maximal fünf bis zehn Prozent beimischen. Ich bin kein Freund von Sektor-Wetten, etwa auf Öl oder Gas. Die sind für Privatanleger schwer kalkulierbar.“
Altmann hat immer auch Anleihen im Portfolio. Bei Anleihen gehen die Meinungen jedoch ausein-ander. Mit den typischen supersoliden zehnjährigen Bundesstaatsanleihen etwa von Deutschland oder Österreich kann man bei der aktuellen realen Negativverzinsung immer noch keinen Blumentopf verdienen. Zehnjährige US-Treasuries rentieren zwar derzeit mit rund 2,6 %. Aber auch damit schlägt man trotz allem noch nicht die aktuelle Inflation.
Cash ist keine Lösung
Viel Kaufkraft verliert man aber vor allem, wenn man seine Ersparnisse auf dem Konto oder Sparbuch verkümmern lässt. Der Realzins, der die Inflation berücksichtigt, lag im März 2022 bei minus 6,2 %. Sollte das Inflations- und Zinsumfeld so bleiben, dürften nach Schätzungen des Think Tanks Agenda
Austria die Österreicher von den 92,8 Mrd€ auf ihren Sparbüchern rund 6,2 Mrd€ an Kaufkraft pro Jahr verlieren. Auf den täglich fälligen Konten belaufen sich die Einlagen derzeit auf 202,1 Mrd€. Hier verlieren Österreichs Sparer 13,6 Mrd€ im Jahr.
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Indien rückt beim Marktvolumen weiter auf
Der steigende Mittelstand weckt auch an der Börse Fantasien.
Roman Steinbauer. Ende Juli ließen die Vereinten Nationen mit einem Hinweis aufhorchen: Nach der jüngsten Revision zur Weltbevölkerungsentwicklung werde die Anzahl der Einwohner Indiens jene Chinas bereits im kommenden Jahr übertreffen. Werden dem Subkontinent aktuell 1,406 Mrd Menschen zugerechnet, liegen die 1,412 Mrd Einwohner Chinas noch voran. Bereits im Jahr 2050 soll Indiens Bevölkerungsgröße aber an 1,7 Mrd herankommen. In dieser Zeitspanne dürfte sich Chinas Population bereits auf bis zu 1,31 Mrd Menschen reduziert haben.
Die Rupie legt kräftig zu
Die Mittelschicht und deren Kaufkraft wachsen. Indiens ältestem Wirtschaftsinstitut, NCAER, zufolge, stieg in den vergangenen drei Jahren der zur Mittelschicht zurechenbare Anteil auf mehr als 700 Mio Menschen. Die Arbeitslosenrate konnte laut dem Centre for Monitoring Indian Economy (CMIE) mit 6,8 % bisher aber nicht weiter gesenkt werden. Die Gesamtkapazität an Posten ging im Juni sogar um 13 Mio auf nunmehr 390 Mio zurück. Der günstigen demographischen Entwicklung steht der Bremsklotz einer nicht ausgebauten Gesundheitsvorsorge und eines niedrigen breiten Bildungsniveaus entgegen. Positiv fällt die mäßige Inflationsrate von 7,01 % für Juli auf. Das Statistik-Ministerium Indiens konnte somit eine tiefere Teuerung als der Euroraum (8,6 % im Juni) präsentieren. Durch die teuren Energieimporte weist das Handelsministerium mit -26,2 MrdINR (323 MioE) für Juni ein Rekorddefizit der Import-Export-Balance auf. Stark ist die Industrieproduktion unterwegs. Der Mai brachte auf Jahresbasis eine Expansion um beeindruckende 19,6 %. Das BIP-Wachstum blieb mit 4,1 % für das 1. Quartal auf Jahresbasis moderat (der Wert für das 2. Quartal ist noch nicht veröffentlicht). Der Umfang der Währungsreserven stieg bis Jahresende 2021 kontinuierlich auf 636 MrdUSD (624 MrdE). Steil im Wachstum befinden sich die Konsumentenkredite, die nach Angaben der Reserve Bank of India seit Mai im Zwei-Wochen-Takt um 12 bis 14,4 % anzogen. Am Devisenmarkt drehten sich die Relationen seit 16 Monaten deutlich. Erodierte die Rupie seit der Jahrtausendwende um insgesamt 50 % zum Euro, stieg die Währung unterdessen seit April 2021 gegenüber unserer Handelseinheit um 10 % auf 81 INR pro Euro deutlich an.
Gesuchte Bankwerte
Der indische Sensex Index (ISIN: QT0009982759) zeigt im Verhältnis zu westlichen Börsen indes eine relative Stärke. Dieser steht im-merhin mit mehr als 58.300 Punkten gerade einmal 5 % unter seinem Rekordhoch von 62.000 Zählern im Oktober 2021. Zuletzt stachen vor allem Banktitel wie die IDFC First Bank (NE092T01019), Bank of Baroda (INE028A01039), South India Bank (INE683A01023) oder die Bank of India (INE084A01016) hervor. Genannte Werte stiegen während der letzten Wochen um bis zu 30 %. Fulminant ist zudem der Aufschwung der Papiere des Agro- und Bio-Energie-Unternehmens Shree Renuka Sugar (INE087H01022), die heuer bereits um mehr als 60 % marschierten, oder jene des Konsumartikelherstellers ITC, die um 40 % zulegten.
Schwach tendierten seit 1. Jänner hingegen Vertreter der Technologiesparte wie Zomato (INE758T01015; -55 %), Suzlon Energy (NE040H01021; -40 %), Jaiprakash Power (INE351F01018; -20 %) oder Orient Green Power (INE999K01014; -55 %), nachdem 2021 ein steiler Anstieg voran ging.
In der Autobranche zeigt Tata Motors (INE155A01022) seitwärts, während Bajaj-Titel (INE917I01010) nach oben streben. Valoren des Stahlherstellers Steel Authority of India (INE114A01011) beginnen sich nach einem monatelangen Abdriften hingegen zu fangen.
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Das Vermögen schrittweise aufbauen
Zertifikatesparpläne: Mit kleinen Summen auf verschiedene Strategien setzen
Raja Korinek. Die Finanzmärkte werden von einer Vielzahl an Meldungen auf Trab gehalten und verzeichneten in den vergangenen Monaten teils kräftige Verluste. Doch solch ein Umfeld kann auch Chancen bieten: Mit einem Wertpapiersparplan zahlen Anleger einen fixen Betrag regelmäßig auf viele Jahre ein und profitieren davon umso mehr in Zeiten, in denen die Kurse korrigieren. So erhält man einen günstigeren Durchschnittskurs, wenn man davon ausgeht, dass die Börsen langfristig steigen. Im Fachjargon ist vom Cost-Averaging-Effekt die Rede.
Zertifikatesparplan als Langfristinvestment
Die RCB bietet seit 2019 einen Zertifikatesparplan mit Bonuszertifikaten an. „Die Palette wurde heuer um nachhaltige Produkte erweitert“, sagt Philipp Arnold (Foto), RCB-Zertifikate-Experte, im Gespräch mit dem Börsen-Kurier.
Bei Bonuszertifikaten wird zum Laufzeitende eine fixe Bonuszahlung in Höhe eines vorab festgelegten Indexstandes – dem Bonuslevel – in Aussicht gestellt. Je weiter das Zertifikat darunter notiert, desto höher ist die Bonusrendite, die zu Laufzeitende winkt. Doch Vorsicht: Allzu tief darf der Kurs des zugrunde liegenden Basiswerts während der Laufzeit nicht sinken. Wird nach unten hin die Barriere berührt oder unterschritten, verfällt die Bonuszahlung zum Laufzeitende. Zudem richtet sich dann der weitere Kursverlauf des Zertifikats während der Laufzeit 1:1 an jenen des Basiswerts.
Schrittweiser Vermögensaufbau
Einsteigen können Anleger ab 100 € monatlich. Dabei gibt es beim Zertifikate-Sparen kein fixes Laufzeitende. Stattdessen wird das angesparte Kapital alle fünf Jahre automatisch reinvestiert. Anleger können dabei aus sechs Bonuszertifikaten wählen. „Der Klassiker ist das Produkt auf den Euro Stoxx 50“, sagt Arnold. Genauer gesagt handelt es sich um das „Bonus-Zertifikat Europa Unlimited“ (ISIN: ATSPARPLAN16). Arnold verweist aber auch auf die neuen nachhaltigen Produkte, zu denen das „MSCI World Climate Change Bonus Unlimited“-Zertifikat (AT SPARPLAN57) zählt.
Der zugrundeliegende Index ist hierbei der „MSCI World Top ESG Select 4.5% Decrement Index“, in dem jene Unternehmen aus den Industrieländern enthalten sind, die sehr nachhaltig agieren. Die Nettodividende der Unternehmen wird in die Indexberechnung reinvestiert, im Gegenzug wird eine „fixe Dividende“ von 4,5 % p.a. bei der Indexberechnung abgezogen (täglich aliquot). Die Dividendenunsicherheit wird damit eliminiert, stattdessen werden bei Emission automatisch die 4,5 % p.a. in Form eines Auszahlungsprofils an Anleger weitergeben.
Rund ein Drittel des Indexes entfällt auf die IT-Branche mit Titeln wie Nvidia (US67066G1040), ASML (NL0010273215) oder Cisco Systems (US17275R1023). Auch Finanz- und Konsumtitel haben eine relativ hohe Gewichtung im Index.
Wahlweise Indexinvestments
Die Erste Bank bietet ihren Zertifikate-Sparplan ab 50 € monatlich auf ausgewählte Indexzertifikate an. Zu den Basiswerten zählen zum Beispiel ebenfalls ein nachhaltig ausgerichteter Index, aber auch das „Erste Group Index Zertifikat Austria Top 10 Open End“ (AT0000A2TWN3). Der Index setzt auf die zehn größten heimischen Börsenkonzerne, wobei die Marktkapitalisierung, gemessen am Streubesitz, im Fokus steht.
Anleger haben zudem die Möglichkeit, auf mehrere Anlageklassen mit dem „Erste Group Index Zertifikat Smart Invest Open End“ (AT0000A2TWJ1) zu streuen. Der zugrundeliegende Index investiert mit ETFs vorwiegend in Anlageklassen wie Anleihen, Aktien, Rohstoffe und Gold.
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Für die US-Wirtschaft ziehen dunkle Wolken auf
Ein Kommentar von Erik Weidmann, Chief Economist und Portfoliomanager, und Benoit Anne, Director, Investment Solutions Group bei MFS.
(25.07.) Wird die US-Wirtschaft einer harten Landung entgehen? Wir halten eine Rezession jetzt für sehr viel wahrscheinlicher, weil die Fed ihre Geldpolitik vielleicht zu stark strafft. Die Abbildung (siehe Anhang) zeigt, dass man am Terminmarkt mit einer Federal Funds Rate deutlich über dem neutralen Niveau rechnet. Die Notenbank hat ein doppeltes Mandat – aber ihr Vorsitzender Jerome Powell lässt keinen Zweifel daran, dass ihm Preisstabilität wichtiger ist als Wirtschaftswachstum. Die Fed hat signalisiert, dass sie als Kollateralschaden auch eine Rezession in Kauf nimmt, um die Inflation einzudämmen. Kommt es zu einer harten Landung, dürfte sie aber zum Rückzug blasen und die Geldpolitik erneut lockern – allerdings nur, wenn die Inflation bis dahin wirklich gefallen ist. Alles in allem drohen der US-Wirtschaft aber Volatilität und Unsicherheit. Vieles ist möglich.
Eine weiche Landung bleibt möglich, wird aber immer unwahrscheinlicher
Wenn die USA der Rezession entgehen, dann wohl vor allem wegen des hohen Konsums und der zumindest etwas nachlassenden Lieferengpässe. Das richtige Maß ist aber noch immer nicht leicht zu finden. Bleibt der Konsum stabil, wird die Fed die Zinsen wohl weiter anheben und damit eine Rezession auslösen. Allerdings hat die immer höhere Teuerung dem Konsumklima massiv geschadet. Vielleicht werden die Verbraucher sehr viel weniger Geld ausgeben und als Wachstumsmotor ausfallen. Ob eine weiche Landung gelingt, wird ganz wesentlich von der kurzfristigen Inflationsentwicklung abhängen. Bis jetzt spricht nur wenig für eine niedrigere Teuerung, aber die Fed wird wohl erst dann zu einem neutralen Leitzins zurückkehren, wenn die Kerninflation einige Zeit fällt. Außerdem fürchtet sie höhere langfristige Inflationserwartungen. Die Lage könnte sich aber bessern, wenn die Lieferengpässe noch weiter nachlassen, es also zu einem positiven Angebotsschock kommt, und sich auch die bisweilen übertriebene Nachfrage normalisiert.
Was bedeutet das für Anleihen?
Wenn eine Rezession wahrscheinlicher wird, spricht weniger für eine sehr kurze Duration. Steigende Langfristrenditen halten wir jetzt für unwahrscheinlicher. Die Kurzfristzinsen könnten aber weiterhin zulegen – wenn die Inflation hoch bleibt, Arbeitskräfte auch in Zukunft knapp sind und die Fed die Leitzinsen weiter erhöht und damit die Geldpolitik strafft. Wenn sich die Konjunkturdaten weiter verschlechtern und es zur Rezession kommt, rechnen wir mit weiteren Spreads. Bei Credits kommt es dann mehr denn je auf genaue Analysen und eine sorgfältige Einzelwertauswahl an.
„Die Inflation ist weltweit gekommen, um zu bleiben“
Vorerst keine nachhaltige Besserung in Sicht.
Christian Euler, Frankfurt. Es sind nicht mehr nur der Blick auf die Anzeigen an den Zapfsäulen und die sprunghaft gestiegenen Energiekosten, die schmerzen. Auch die Ziffern auf den Kassenbons im Supermarkt und die deutlich teureren Backwaren sorgen zunehmend für Verdruss.
Der Preisauftrieb ist längst zum globalen Problem geworden. In den USA etwa ist die Verbraucherpreisinflation mit 9,1 % gerade auf den höchsten Stand seit November 1981 geklettert. Diesseits des Atlantiks teilte das europäische Statistikamt Eurostat am Dienstag vergangener Woche mit, dass die Inflation im Juni auf 8,6 % gestiegen sei. Im Mai hatte die Teuerungsrate noch bei 8,1 % gelegen.
In mehreren Euroländern ist sie bereits auf oder gar über die Marke von 20 % gestiegen, beispiels-weise in Estland mit 22 % oder Litauen mit 20 %. In Deutschland hat die Inflationsrate im Juni mit 7,6 % den höchsten Stand seit fast einem halben Jahrhundert erreicht. Im europäischen Vergleich liegt dies noch im Mittelfeld. Frankreich und Malta haben mit 6,5 und 6,1 % deutlich niedrigere Raten. Und die Schweiz ist mit 3,4 % geradezu eine Insel der Glückseligen.
Für das laufende Jahr liegt die erwartete weltweite Inflationsrate bei durchschnittlich 7,7 % – genau 5 %-Punkte mehr als die von der Weltbank für das vergangene Jahrzehnt ausgewiesenen 2,7 %. Dies zeigt der neue Economic Experts Survey, eine globale vierteljährliche Umfrage des Ifo-Instituts und des Instituts für Schweizer Wirtschaftspolitik. Die Ökonomen haben Volkswirte in 113 Ländern zu ihren Inflationserwartungen befragt und 663 Antworten erhalten.
Selbst 2026 könnte die Inflation noch bei 4,5 % liegen
Geht es nach den Experten, wird sich daran vorerst wenig ändern. „Die Inflation ist weltweit gekommen, um zu bleiben“, bilanziert Niklas Potrafke, Leiter des Ifo-Zentrums für öffentliche Finanzen und politische Ökonomie in München. Für 2023 erwarten die weltweit befragten Wirtschaftswissenschaftler mit einer durchschnittlichen Inflationsrate von 6,2 % nur einen leichten Rückgang im Vergleich zu 2022. Selbst für das Jahr 2026 rechnen sie noch immer mit einer stark erhöhten Inflationsrate von 4,5 %.
Nord- und Mittelamerika sowie weite Teile Europa schlagen sich gemessen am Rest der Welt noch vergleichsweise tapfer. Hier sind die Inflationserwartungen nach Angaben der Forscher mit weniger als 10 % im weltweiten Vergleich niedrig. Zumindest mit Blick auf die erwartete Rate für 2026 dürfen die Einwohner der westeuropäischen Länder aufatmen. Mit 2,4 % wird für diese Region der weltweit niedrigste Wert erwartet. Für Nordamerika lauten die Prognosen für 2026 auf erträgliche 2,6 %.
„Darfs ein bisserl mehr sein?“
Ganz anders präsentiert sich die Lage in Südamerika, Nord- und Ostafrika sowie West- und Zentralasien, wo die für heuer erwarteten Raten mit mehr als 20 % besonders hoch sind. Auffallend sind die teils starken regionalen Unterschiede innerhalb der Kontinente. So erwarten die befragten Volkswirte in diesem Jahr für Ost-europa mit 15,8 % eine deutlich höhere Teuerung als in West-, Nord- und Südeuropa. Auch in Afrika ist dieses Phänomen erkennbar: Während für Nord- und Ostafrika hohe Inflationsraten erwartet werden, liegen die Prognosen für West-, Mittel- und das südliche Afrika deutlich niedriger.
Firmen versuchen zu helfen
Deutsche Unternehmen zeigen derweil, wie sich der Preisfrust der Verbraucher zumindest ein wenig abbauen lässt. Laut der jüngsten Personalleiterbefragung durch das Ifo-Institut und den Personaldienstleister Randstad unterstützt ein knappes Drittel der Firmen ihre Angestellten mit Tankgutscheinen.
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Von der globalen Zinswende profitieren
Die Notenbanken reagieren auf die Inflation. Wie aber können Anleger die Entwicklung nutzen?
Raja Korinek. Die Zeiten niedriger Inflationsraten gepaart mit einem ansehnlichen globalen Wirtschaftswachstum dürften endgültig vorbei sein. Selbst die EZB hat im Juli das erste Mal nach elf Jahren die Zinsen um gleich 0,5 %-Punkte angehoben. Denn die Inflation legt auch in der Eurozone kräftig zu und lag im Juni bei 8,6 % auf Jahresbasis.
Das Thema Inflation steht allmählich im Anlegerfokus
Die steigende Inflation hinterlässt auch an den globalen Finanzmärkten deutliche Spuren. „Immer mehr Anleger realisieren, dass die aktuelle Entwicklung nicht nur vorübergehend ist“, konstatiert Peter Bösenberg, Zertifikate-Experte bei der Société Générale, im Gespräch mit dem Börsen-Kurier. Er meint, allmählich steigt deshalb auch die Nachfrage nach einem entsprechenden Schutz.
Diesen können etwa jene Unternehmen bieten, die es schaffen, steigende Kosten verhältnismäßig gut an die Kunden weiterzugeben und gut aufgestellt sind.
Bei der Société Générale wurde jüngst etwa das Unlimited Index-Zertifikat auf den „SGI Inflation Proxy Index“ (ISIN: DE000SN2F892) aufgelegt. Der Index investiert in 100 Unternehmen, die sich in einem inflationären Umfeld behaupten dürften, wozu Titel aus der Rohstoffbranche genauso zählen wie jene aus dem Konsum-, Technologie- und Industriesektor. Konkret zählen dazu Cenovus Energy (CA15135U1093) aus Kanada und Valero Energy (US91913Y1001) aus den USA. Die deutsche Continental (DE0005439004) ist ebenso Teil des Indexes wie die britische Burberry Group (GB0031743007).
Zinswende hilft der Zertifikate-Branche
Doch damit ist längst noch nicht Schluss. Auch die Zinswende birgt Chancen. Der Zertifikate-Welt kommt die Trendwende zugute, betont Bösenberg. Er sagt: „Damit werden beispielsweise Garantieprodukte wieder interessant, die angesichts der aktuellen Marktturbulenzen derzeit gefragt sind.“
Dazu lohnt ein Blick auf die Funktionsweise. Der Großteil des Anlegergeldes wird in eine Nullkuponanleihe investiert, erläutert der Société-Générale-Experte. Anleger erhalten dabei keine Zinszahlungen. Stattdessen liegt der Wert der Nullkuponanleihe bei Emission unter 100 % – dem Tilgungskurs zu Laufzeitende. Es winkt damit dann ein Kursgewinn, der quasi eine interne Verzinsung ist. Diese steigt mit dem allgemein höheren Zinsniveau an. Zugleich wird mit der Nullkuponanleihe die Kapitalgarantie zum Laufzeitende des Produkts dargestellt. Mit einem kleinen Rest des Geldes wird mittels Optionen auf steigende Aktien gesetzt.
Weitere Anbieter
Auch bei anderen Emittenten gibt es Garantieprodukte, wobei die Ausstattung abweichen kann. Die Erste Group bietet die „2 % Erste Future Invest Garant 22-30“ (AT0000A2YDC6) an. Zum Laufzeitende am 2.8.2030 partizipieren Anleger an der positiven Wertentwicklung des „Solactive Erste Future Invest Index VC“. Im Index wird der Veranlagungsgrad zwischen dem Aktienportfolio und einer Geldmarkt-Veranlagung gesteuert – ja nach Volatilität. Die Aktienseite wird mittels ETFs von iShares, die auf sogenannte „Zukunftsthemen“ wie Demografie und Wasser setzen, abgedeckt. Auch bei diesem Garantiezertifikat liegt der Mindestrückzahlungskurs bei 100 % des Nennbetrags (1.000 €) zum Laufzeitende. Zusätzlich wird ein Kupon von 2 % p.a. ausbezahlt. Denn bei diesem Produkt wurde keine Nullkuponanleihe begeben, sondern ein „normaler“ Bond, jedoch ebenfalls unter dem Tilgungskurs von 100 %.
Vor Kurzem wurde zudem die „HVB Garant Anleihe“ auf den „Ethik Evolution Strategy Index“ von der UniCredit (DE000HVB6N 77) lanciert. Der Index setzt zum Teil auf den „Amundi Ethik Fonds Evolution“ (AT0000A2L443) und zum Teil auf den 3-Monatsgeldmarkt. Je höher die Schwankungen sind, desto mehr wird auch hier in Letzteres umgeschichtet. Liegt zum Laufzeitende der Schlusskurs des Indexes über dem Basispreis des Indexes von 893,84 Punkten, profitieren Anleger vom Gewinn. Liegt der Schlusskurs hingegen darunter, wird das Nominale von 1.000 € je Anteilsschein zurückbezahlt. Letzter Handelstag ist der 15. September 2028.
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Neue Regeln für Nachhaltigkeitsberichte von Unternehmen
Die „CSRD“ weitet die Pflichten zur nicht-finanziellen Berichterstattung aus.
Andreas Dolezal. Am 21. Juni haben sich der Rat und das EU-Parlament vorläufig über die Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen geeinigt. Der Vorschlag einer Richtlinie soll vorhandene Lücken in den geltenden Vorschriften schließen. Diese Lücken beeinträchtigen laut EU-Rat den Übergang zu einer nachhaltigen Wirtschaft.
Mit der CSRD (Corporate Sustainability Reporting Directive) wird die vorhandene Richtlinie über die Angabe nichtfinanzieller Informationen aus 2014 geändert, die in Österreich im Nachhaltigkeits- und Diversitätsverbesserungsgesetz NaDiVeG umgesetzt ist. Die Berichtspflichten werden detaillierter, indem große Unternehmen dazu verpflichtet werden, Informationen zu Nachhaltigkeitsfragen wie Umweltrechten, sozialen Rechten, Menschenrechten und Aspekten der guten Unternehmensführung zu veröffentlichen.
Weiters will die CSRD eine Zertifizierungspflicht für Nachhaltigkeitsberichte einführen und einen besseren Zugang zu nachhaltigkeitsbezogenen Informationen ermöglichen. Nachdem es bis heute keinen einheitlichen europäischen Berichtsstandard gibt, soll die Europäische Beratergruppe diesen für Rechnungslegung EFRAG erarbeiten.
Greenwashing soll Geschichte sein
Der mit der Materie beschäftigte französische Minister für Wirtschaft, Finanzen und industrielle und digitale Souveränität, Bruno Le Maire, gibt sich in diesem Zusammenhang optimistisch: „Diese Einigung ist eine hervorragende Nachricht für alle europäischen Konsumierenden. Sie werden nun besser über die Auswirkungen von Unternehmen auf Menschenrechte und Umwelt informiert werden. (…) Unternehmen müssen ihrer Rolle in der Gesellschaft in vollem Umfang gerecht werden. Greenwashing ist Geschichte.“
Gelten sollen die neuen Vorschriften für alle großen sowie alle an geregelten Märkten notierten Unternehmen. Auch börsennotierte KMU werden umfasst sein, wobei diese während eines Übergangzeitraumes eine Ausnahmeregelung in Anspruch nehmen können, sodass sie die Pflichten erst 2028 erfüllen müssen. Nach dem Umsetzen der Richtlinie auf nationalstaatlicher Ebene werden ihr rund 11.700 europäische Unternehmen unterworfen sein.
Auch für nicht-europäische Unternehmen soll die Pflicht zur Vorlage eines Nachhaltigkeitsberichts gelten, und zwar dann, wenn sie in der EU einen Netto-Umsatz von mehr als 150 Mio€ erzielen und mindestens eine Tochtergesellschaft oder Zweigniederlassung in der EU haben.
Die Details
Der Nachhaltigkeitsbericht muss von einem akkreditierten unabhängigen (Wirtschafts-)Prüfer zertifiziert werden. Die Prüfung soll sicherstellen, dass die Berichterstattungsvorschriften eingehalten werden und den von der Europäischen Union festgelegten Zertifizierungsstandards entsprechen. Auch die Berichte nicht-europäischer Unternehmen müssen zertifiziert werden.
Geplant ist das Anwenden der Richtlinie, die zuvor in nationales Recht gegossen werden muss, in drei Stufen:
• am 1. Jänner 2024 für Unternehmen, die bereits der vorhandenen Richtlinie bzw. dem NaDiVeG unterliegen,
• am 1. Jänner 2025 für große Unternehmen, die derzeit nicht der Richtlinie bzw. dem NaDiVeG unterliegen,
• am 1. Jänner 2026 für börsennotierte KMU sowie für kleine und nicht komplexe Kreditinstitute und firmeneigene Versicherungsunternehmen.
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Zwischen Volumenerholung und potenzieller Rezession: Automobilsektor als selektives Investment
Ein Kommentar von Philipp Stumpfegger, Portfolio Manager & Sektoranalyst Automotive und Industrials, DJE Kapital AG.
(18.07.) Die globale Automobilproduktion wächst normalerweise auf ähnlichem Niveau wie das globale BIP – allerdings sehen wir seit 2019 eine Abkopplung dieses langfristigen Trends. Die Wachstumsaussichten des globalen Automobilsektors haben sich jedoch nicht strukturell verändert, sie sind vielmehr durch eine Verkettung unterschiedlicher Umstände unter Druck geraten.
Weltweite Pkw-Produktion
Nehmen wir den Corona-Ausbruch 2020 als Startpunkt – hier wurde nach dem scharfen Einbruch die schnelle Erholung von der Industrie zunächst massiv unterschätzt und Bestellungen von Zuliefererteilen, unter anderem Halbleitern, deutlich gekürzt. Die Halbleiterindustrie vergab die freien Kapazitäten an andere, vor allem durch den Homeoffice-Trend boomende Industrien, wie beispielsweise die PC- und Elektronikbranche. Somit war der „Perfekte Sturm“ für die Automobillieferketten programmiert, und der Zugriff auf die benötigten Kapazitäten ging verloren. Dieses Thema zieht sich seit 2021 wie ein roter Faden durch die Automobilindustrie und ist der Hauptgrund für die diversen Produktionskürzungen in den letzten 18 Monaten. Bis heute befindet sich die Branche in einem Zustand mit künstlich verknappten Produktionsvolumina, auch wenn sich die Situation nun nach und nach verbessert.
Die Lieferkettenproblematik hat der Automobilindustrie eine noch nie dagewesene Preisdisziplin (keine Rabatte!) ermöglicht, welche sich unter anderem in massiv gestiegenen Gebraucht- und Neuwagenpreisen spiegelt. Vielen Automobilherstellern haben das eingeschränkte Angebot und die boomende Nachfrage zu Rekordmargen verholfen – Mercedes beispielsweise fühlte sich aufgrund der starken Nachfrage und langen Lieferzeiten im Februar sogar gezwungen, einen Bestellstopp für die E-Klasse auszurufen – ein absolutes Novum.
Die Informationslage zu Halbleiterlieferketten, basierend sowohl auf persönlichen Gesprächen mit Branchenvertretern als auch auf Lagerbestandsdaten, deutet zuletzt auf eine deutliche Entspannung am Markt hin. Die Produktionseinschränkungen hängen derzeit an einer relativ geringen Anzahl von Bauteilen, wie beispielsweise Microcontrollern, während in vielen anderen Bereichen mittlerweile wieder signifikante Lagerbestände vorhanden sind. Die Lieferkettenengpässe sollten sich somit im Laufe des zweiten Halbjahres und 2023 deutlich verbessern.
Bei einer potenziell anstehenden Volumenerholung drängen sich jedoch diverse Fragen auf: Hat die Branche aus vergangenen Fehlern gelernt und ist die aktuelle Preisdisziplin nachhaltig? Inwiefern stützen hier Aufholeffekte aus ausgefallener Produktion der letzten Jahre die Nachfrage? Welche Rolle spielt eine zunehmend wahrscheinlicher werdende Rezession in diesem Szenario?
Die Margen werden unter Druck geraten
Entgegen diverser Beteuerungen der Automobilindustrie gehen wir davon aus, dass in einem Szenario, in dem das Angebot nicht mehr limitiert ist, auch die Preisdisziplin wieder abrupt schwinden wird und die Margen der Automobilhersteller deutlich unter Druck kommen werden. Insbesondere bei den Volumenherstellern wird dies der Fall sein. In der Vergangenheit hatten Luxusmarken oder auch die Oberklasse-Modelle der Premiumhersteller jedoch weniger Probleme, ihre Margenniveaus zu halten.
Das derzeit relativ geringe Produktionsniveau, der Nachfragestau der letzten Jahre sowie das ansteigende Durchschnittsalter der Pkw-Flotten in den USA und Europa sollten unterstützend wirken. Zudem sollte auch der operative Hebel bei höheren Produktionsmengen und Effizienzgewinnen nach dem Lieferkettenchaos helfen.
Das zunehmend realistisch erscheinende Rezessionsszenario in Europa und potenziell auch in Amerika wirkt perspektivisch deutlich dämpfend auf die Volumenerholung. Automobilnachfrage ist traditionell hoch zyklisch – ein klassisches „diskretionäres Konsumgut“, welches zudem ein absolut gesehen hohes Preisschild trägt. Daher besteht schnell das Risiko, dass solche Ausgaben aufgeschoben werden.
Auch wenn die Auftragsbücher der Automobilkonzerne aktuell noch sehr gut gefüllt sind, werden erste Signale eines potenziellen Abschwungs sichtbar. Volkswagen beispielsweise sieht erste Anzeichen einer sich abschwächenden Nachfrage in Europa. Auch klassische Indikatoren für Konsumgüter, wie beispielsweise das Verbrauchervertrauen, sehen aktuell denkbar ungünstig für den Sektor aus.
Gasversorgung in der deutschen Autoindustrie
Für Automobilproduzenten in Deutschland, in die sich mittlerweile auch Tesla einreiht, gibt es ein zusätzliches Thema, das für Verwerfungen sorgen könnte – die Gasversorgung der Industrie, welche bei einem anhaltenden russischen Lieferstopp staatlich rationiert werden könnte.
Die direkte Abhängigkeit der deutschen Automobilindustrie von Gas ist auf den ersten Blick mit Sicht auf Verbrauchsdaten und Kosten relativ überschaubar. Volkswagen beispielsweise ist mit eigenen erneuerbaren Energien und einem eigenen Kohlekraftwerk in Wolfsburg energieautark, jedoch liegt der Teufel im Detail. Bei erheblichen Einschränkungen in der Gasversorgung ist anzunehmen, dass manche betroffenen Zulieferer, wie die Chemieindustrie, Probleme bekommen und somit auch die Hersteller wieder mit Lieferkettenproblemen zu kämpfen haben.
E-Mobilität schreitet weiter voran
Abseits von der aktuell brisanten Rezessions- und Gasversorgungsthematik schreiten auch die langfristigen Dekarbonisierungspläne der Europäischen Union weiter voran. Ende Juni wurde im Rahmen des „Fit for 55“-Programms das faktische Verbrenner-Aus für Neufahrzeuge ab 2035 beschlossen und somit der ohnehin schon eingeschlagene Weg in Richtung Elektrifizierung der Flotten weiter gestärkt. Potenzielle Ausnahmen könnten hier noch die Verwendung von E-Fuels bieten, welche explizit offengelassen wurden.
Automobilaktien eher selektiv als in der Breite interessant
Die Automobilaktien beziehungsweise der europäische Automobilsektor sind seit dem Jahreshoch im Januar mittlerweile um ca. 30 % gefallen. Mit Hinblick auf eine mögliche Rezession in Europa ist der Kursverfall historisch betrachtet (gemessen an Rezessionen seit 1990) bisher noch moderat ausgefallen. Im Durchschnitt liegt der Kursverfall vom Vorrezessionshoch auf Rezessionstiefs im Automobilsektor bei nahezu 53 % – somit sind historisch betrachtet die technischen Tiefststände noch nicht erreicht.
Generell ist in einem rezessiven Szenario in zyklischen Sektoren Vorsicht geboten, vor allem, da sich im Automobilsektor die Analystenschätzungen für nächstes Jahr durchaus als zu optimistisch entpuppen könnten. Somit sind selektive Investitionen in den Sektor ratsamer als in der Breite.
Automobilhersteller versus Zulieferer
Automobilzuliefereraktien weisen relativ zu den Automobilherstelleraktien aufgrund der fehlenden Preissetzungsmacht über die letzten 24 Monate eine deutlich schlechtere Performance auf und bieten somit vermeintliches Aufholpotenzial. Wir glauben allerdings, dass es aufgrund der vermutlich anstehenden Rezession hierfür noch zu früh ist, auch wenn die Entspannung der Lieferketten bei Halbleitern isoliert für eine Volumenerholung spricht.
Bei zinssensitiven Firmen mit Start-up Charakter, also mit hohen Bewertungen und ohne nennenswerte Gewinne, bleibt Skepsis auch nach signifikanten Kursabschlägen im aktuellen Marktumfeld weiter angebracht. Starke Bilanzen, über die die meisten deutschen Automobilkonzerne verfügen, sind in unruhigen Zeiten von großem Vorteil, da diese auch für Aktienrückkäufe genutzt werden können (siehe z.B. BMW).
Werte mit unternehmensspezifischen Sondersituationen können sich oft anders entwickeln als der Gesamtmarkt. Ein Beispiel hierfür ist die Porsche Holding AG – die Holdinggesellschaft der Familien Porsche und Piëch, welche mit einem Abschlag von 31% zu ihrem inneren Wert (Net-Asset-Value) handelt. Dieser Wert setzt sich in erster Linie aus nahezu 32% der Volkswagenaktien und einer Netto-Cash-Position zusammen. Der anstehende Börsengang der Porsche AG, also des operativen Porsche-Automobilgeschäfts, kann diesen Abschlag zum inneren Wert transparenter machen.
Wichtig in einem inflationären Umfeld ist – wie in allen Branchen – eine starke Preissetzungsmacht. Das findet man weniger bei Volumenherstellern, dafür aber bei Luxusherstellern.
Was passiert, wenn Russland Europa das Gas abdreht?
Der Börsen-Kurier befragte dazu einen Experten, der bezüglich der Folgen Klartext spricht.
Michael Kordovsky. Alternative Erdgaslieferungen zu Russland können nur in kleineren Mengen aus anderen Ländern kommen. Russland exportierte nämlich im Jahr 2020 232,5 Mrd m3 Erdgas, die beiden nächstgrößten Exporteure sind die USA und Katar mit jeweils 149,5 bzw. 143,7 Mrd m3, gefolgt von Norwegen und Australien. 43,5 % der EU-Erdgasimporte oder 155 Mrd m3 stammen aus Russland, gefolgt von Norwegen (23,6 %), Algerien (12,6 %) und den USA (6,6 %). Die Gasspeicher-Reserven der EU-Länder reichen bestenfalls dafür aus, 25 bis 30% des Winterbedarfs zu decken und selbst schnelle Sparmaßnahmen wären nur ein Tropfen auf den heißen Stein.
Eine Zwischenlösung ist dabei teures Flüssiggas, das beispielsweile auf dem Seeweg aus den USA, Katar oder Australien angeliefert wird, sofern genügend Terminals vorhanden sind.
Hohe Erdgas-Exposure
Mit 21,5 % des Primärenergiebedarfs zählt Erdgas in der EU zu den wichtigsten Energieträgern. 32,1 % der Energie für private Haushalte stammt aus Erdgas und rund 40 % der privaten Haushalte haben einen Erdgasanschluss. Private Haushalte waren 2020 für 28 % des Gesamtenergieverbrauchs verantwortlich, Transport und Industrie für jeweils 28,4 bzw. 26,1 %. Während Österreich noch relativ gut mit Wasserkraft versorgt ist, noch kleinere Spielräume bei einem alten Kohlekraftwerk hat und somit unter Heranziehung der strategischen Erdgasreserven zumindest noch genügend Erdgas zur Verfügung steht, damit die privaten Haushalte geheizt durch den Winter kommen, könnte es im Falle fehlender russischer Erdgas-Lieferungen in einzelnen EU-Ländern bereits Rationierungen der Erdgaszufuhr für private Haushalte geben. Industrie und Verkehr hätten in diesem Szenario nur noch minimale Erdgasversorgung und ein Wirtschaftszusammenbruch schlimmer als in den USA der frühen 30er-Jahre wäre die Folge. Dass es aber so weit kommt ist zwar theoretisch möglich, praktisch aber eher unwahrscheinlich.
Völliger Lieferboykott bei Erdgas möglich
Dazu Gerhard Massenbauer, Chefanalyst bei Hedge Go, der den historischen Kontext erläutert: „Europa ist zu einem hohen Maß in der Versorgung mit Gas von Russland abhängig. Das erschien lange Zeit als geringes Risiko, weil Russland hierbei auch am Höhepunkt des Kalten Krieges als zuverlässiger Energielieferant aufgetreten ist. Freilich gab es damals für Russland keine solventen Kundenalternativen. Indien und China, heute wichtige Abnehmer von russischen Energielieferungen, hatten damals nicht nur einen sehr viel geringeren Bedarf, sondern vor allem keine ausreichenden Mittel wie die Westmächte, um der UdSSR als Alternative für Einnahmen zu dienen.“ Doch die Zeiten ändern sich. „Heute ist das anders – Russland kann es sich theoretisch leisten, Europa komplett von der Energieversorgung abzuschneiden, ohne daran selbst zu Grunde zu gehen. Russland müsste sich wohl auch beschneiden, wäre aber nicht existenziell bedroht“, erklärt Massenbauer gegenüber dem Börsen-Kurier.
Doch es gibt Wirtschaftsinteressen, die dagegensprechen, da die Auswirkungen auf Europa und die Weltwirtschaft verheerend wären. „Ich gehe davon aus, dass Russland einen solchen Schritt nicht ohne Rücksprache mit China gehen und dass China dagegen ein Veto einlegen würde“, so Massenbauer.
Auswirkung eines Endes russischer Erdgaslieferungen
„Es gibt eine Reihe von Industrien, die von einer Gasunterversorgung massiv betroffen wären. Dass Russland mit einem Anteil von mehr als 40 % an der europäischen Gasversorgung nicht von heute auf morgen ersetzt werden kann, sollte auch dem Dümmsten einleuchten. Es dauert Jahre, bis ein solcher Anteil in der Versorgung ersetzt werden kann. Es fehlen Leitungen/Transportkapazitäten ebenso wie Anlagen, diese Mengen aufzunehmen“, so Massenbauer, der folgende Branchen als besonders betroffen erachtet:
• Stahlindustrie (in der Folge auch Autofirmen, Autozulieferer, Bauindustrie)
• Chemie (in der Folge auch Kunststoffindustrie, Lebensmittelindustrie, Autofirmen, Autozulieferer)
• Glasindustrie (in der Folge auch Verpackungsindustrie, Lebensmittelindustrie, Bauindustrie, Autofirmen)
„Es ist zum Teil möglich, dass etwa die Glasindustrie auf Öl umsteigt, doch setzt das voraus, dass die Anlagen nicht allzu neu und nicht sehr stark nach ESG-Kriterien ausgerichtet sind, die ‚sauberes Gas‘ gegenüber schmutzigen Ölbrennern bevorzugen. Nicht alle Unternehmen haben die Möglichkeit, ihre Hitzezubereitung von Gas auf Öl umzurüsten. Dies führt vor allem bei Stahl- und Glas dazu, dass Produktionsanlagen erkalten und damit endgültig unbrauchbar werden, also abgebaut und neu gebaut werden müssen. Dafür braucht es dann aber wiederum zumindest Stahlunternehmen, die die hitzebeständigen Kessel bauen können, was dann auch nicht möglich wäre, weil deren Produktionsanlagen wohl auch betroffen wären“, erklärt Massenbauer und ergänzt: „Es ist also denkbar, dass Europas Produktionskapazitäten in einer Weise betroffen sein könnten, die einen vollständigen Zusammenbruch der Wirtschaft bedeuten würde. Erfolgt das, würde die Welt in eine Depression stürzen. Denn was wir in den vergangenen beiden Jahren als Lieferkettenproblematik erfuhren, wäre ein lächerliches Vorspiel gegenüber dem Drama, das aus einem Zusammenbruch der europäischen Wirtschaft folgen könnte. Dies ist auch der Grund, warum ich denke, dass China kein Interesse daran haben kann, weil es selbst auch stark davon betroffen wäre.“
Es gibt Lichtblicke gegenüber dem Worst Case, die Massenbauer wie folgt skizziert: „Ich gehe davon aus, dass diese Probleme nur dann vermieden werden können, wenn Russland sich doch wieder an seine Lieferverpflichtungen halten wird, rechne aber damit, dass Russland dies nicht umsonst anbieten wird. Zumindest wird Putin den Druck hochhalten und nur ein Minimum bereitstellen, dass für sich genommen schon für eine starke Rezession ausreicht.“
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Rekordjahr ohne Besucherrekord
Vorbildlich: Die Voestalpine hielt wieder eine Präsenz-HV ab.
Wie immer pilgerten die Anteilseigner des Stahlherstellers ins Linzer Design Center zum „Hochamt des Aktionariats“, wie es Rupert-Heinrich Staller in seiner Wortmeldung später ausdrückte. Auffallend war, dass im Vergleich zu Vor-Corona-Zeiten nur wenige Aktionäre erschienen waren, es stellte sich heraus, dass allein IVA-Chef Florian Beckermann von den „präsenten“ 2.221 Aktionären rund 1.500 vertrat, sodass man von einer tatsächlichen Präsenz von 600 bis 700 ausgehen kann. Bemerkenswert, wenn man bedenkt, dass noch 2018 und 2019 das Design Center praktisch voll war.
In seiner Eröffnungsrede bedankte sich der neue Aufsichtsratsvorsitzende Wolfgang Eder bei seinem Vorgänger Joachim Lemppenau für dessen langjährige Tätigkeit, wonach CEO Herbert Eibensteiner sein Resümee über das abgelaufene Geschäftsjahr zog. „Es war durchaus herausfordernd, aber wir konnten ein All-time-high bei Umsatz, Ergebnis und Eigenkapital erzielen“, zeigte er sich zufrieden. Schon im August hätten sich die ersten Lieferprobleme bei der Autoindustrie ergeben, im Herbst begannen dann auch die Preise anzuziehen. In den USA sei das Umfeld durch die hohe Inflation getrübt, in Europa hat der Ukraine-Krieg die Erholung gestoppt.
„Lieferstopp wäre fatal“
Apropos Ukraine: „Wir sind zutiefst betroffen von den Ereignissen“, betonte Eibensteiner. „Wir versuchen vor Ort zu helfen.“ Die Mitarbeiter habe man in Sicherheit gebracht, viele waren es aber ohnehin nicht. Der Umsatzanteil sei mit insgesamt 0,4 % nicht relevant, die Kohle wird jetzt aus anderen Quellen als aus Russland bezogen. Ein Gaslieferstopp wäre für das Unternehmen fatal, „aber wir speichern selbst Gas und haben genügend für drei Monate Vollbetrieb“, so Eibensteiner.
Die Entwicklung der einzelnen Divisionen war gut, vor allem bei Stahl sind sowohl die Nachfrage als auch die Preise gestiegen. In Texas hat man 80 % der HBI-Produktion („Hot Briquetted Iron“, Eisenbarren, Anm.) an ArcelorMittal verkauft, mit den restlichen 20 % sieht sich Eibensteiner gut für die Zukunft versorgt. Bei der „High Performance Metals“-Division war die Marktentwicklung gut, lediglich in China kam es im vierten Quartal zu einer Abschwächung. Das Edelstahlwerk in Kapfenberg ist fertig und wird diesen Sommer in Betrieb genommen. „Hier werden 205.000 Tonnen Spezialstähle pro Jahr hergestellt und wir sichern damit 3.000 Arbeitsplätze“, erklärte der CEO.
Bei „Metal Engineering“ ist ebenfalls eine positive Entwicklung zu vermerken, besonders im Bereich Schweißtechnik hat man sich als Gesamtanbieter etabliert. In Donawitz wurden Pilotanlagen zur Herstellung von CO2-neutralem Stahl („greentec steel“) in Betrieb genommen. Die Division „Metal Forming“ konnte einen Rekord bei allen Kennzahlen aufstellen, weil die Nachfrage in fast allen Bereichen ausgezeichnet war. Hier schwächelte nur die Automobilindustrie aufgrund der bekannten Lieferproblematik.
Ein Plädoyer für die Präsenz-HV
Die Generaldebatte wurde von Staller eröffnet, der ein leidenschaftliches Plädoyer für die Präsenz-HV hielt und nicht mit Kritik an verschiedenen Institutionen sparte, die für die Beibehaltung der virtuellen HV lobbyieren. „Es gibt etliche, die gar nicht wollen, dass wir hier sind“, wetterte er. „Das wäre der Missbrauch einer Notlösung als Dauerlösung!“ Er wollte wissen, wie die Voestalpine dazu steht und warum man nicht gleich einen Beschluss pro Präsenz-HV anstrebe. Eibensteiner erklärte, man habe die vergangenen zwei Jahre nach den Maßgaben des Gesetzes gehandelt und wolle dies auch weiterhin tun.
Staller bedankte sich auch bei Lemppenau, den er „vermissen wird“ und wollte wissen, ob man nicht andenke, die AR-Besetzung und -Wahl anders zu gestalten. „Die Blockwahl von acht Kapitalvertretern ist unerträglich“, meinte er. Eder stimmte grundsätzlich zu, bat aber um Geduld, er sei erst drei Monate im Amt – „und da kann ich noch nicht viel machen!“
Für Heiterkeit im Publikum sorgte die Antwort auf Stallers Frage, wann es endlich eine langfristige Strategie gebe: „Wenn wir endlich etwas Konkretes von der EU und der Regierung haben“, so Eibensteiner trocken.
IVA-Mann Beckermann brach ebenfalls eine Lanze für die persönliche Anwesenheit bei Hauptversammlungen und wollte wissen, was man von den Diskussionen um die Abschöpfung von Zufallsgewinnen halte. Diese schade massiv dem Kapitalmarkt und stehe im Gegensatz zum Regierungsprogramm, so Eibensteiner. „Das ist ein Tiefschlag für den österreichischen Kapitalmarkt“, ergänzte Eder. „Die gesetzlichen Bestimmungen sollten ausreichen, sonst wird die Gefahr von politischer Willkür viel zu groß.“
Publikumsschwund
Nach diesen beiden Rednern begann das Publikum abzuschmelzen, immer mehr Aktionäre verließen den Saal und eilten ans Buffet. Dass die meisten nicht wiederkommen sollten, war ungewöhnlich – anscheinend hat die zweijährige HV-Pause dem Sitzfleisch der Anteilseigner geschadet.
So waren bei den Abstimmungen nur mehr rund 300 Aktionäre zugegen, was der hohen Stimmenanzahl aber keinen Abbruch tat. Die Abstimmungen verliefen mit großen Mehrheiten, lediglich mit dem Vergütungsbericht zeigten sich 12 % nicht einverstanden.
Foto: Voestalpine AG
Ordentliche Angst-Ansage der Bevölkerung
Unterstützungsmüdigkeit für die Ukraine; Herausforderungen einer multipolaren Welt.
Rudolf Preyer. Die Paul Lazarsfeld Gesellschaft für Sozialforschung (PLG) verstehe sich als „Pulsuhr der Gesellschaft“, erklärte Präsident Werner Beutelmeyer eingangs einer Konferenz Anfang Juli mit den aktuellen Schwerpunkten „Ukraine“ und „Inflation“. Im Presseclub Concordia konnte dabei eine aktuelle Umfrage zur Stimmungslage in der österreichischen Bevölkerung präsentiert werden, die von renommierten Experten kommentiert wurde.
Weil im wöchentlichen Rhythmus tausend Personen befragt werden, genießt die „Lazarsfeld-Umfrage“ in Fachkreisen den Ruf eines Seismographen, der Veränderungen in der Gesellschaft zeitnah wahrnimmt.
Die Umfrage
Die Ergebnisse der Umfrage im Folgenden im Ticker-Format: Wir haben die „Optimismuselastiziät“ verloren, nur mehr jeder vierte Österreicher blickt optimistisch in die Zukunft. Ad Inflation: Für drei Viertel ist die Teuerung (sehr) spürbar. Folglich beabsichtigen zwei von drei Österreichern, den Gürtel enger zu schnallen. Die große Mehrheit (57 %) glaubt, dass sich der russische Vormarsch durch die breite Allianz des Westens sowie durch die militärische Unterstützung der Ukraine nicht stoppen lassen. Die Befragten tendieren mehrheitlich in Richtung eines geringeren Engagements der EU in der Unterstützung der Ukraine. Dito die Meinung zur Ukraine als EU-Beitrittskandidat („wenig gute Maßnahme“). Zwei Drittel halten einen totalen Gaslieferstopp durch Russland für „wahrscheinlich“. Und für genauso viele hätte dieser „dramatische Auswirkungen“. Vorrangig sollten diesfalls dann private Haushalte bevorzugt beliefert werden anstatt der Industrie. Kurzum: Die Befürchtung einer schweren Wirtschaftskrise im Vergleich zum Kriegsbeginn hat stark zugenommen.
Die Reaktionen
Ewald Nowotny, Nationalbank-Gouverneur a.D., wunderte sich, dass die doch hoffnungsvollen Prognosen heimischer Institute den möglichen Stopp russischer Gaslieferungen nicht berücksichtigt haben. Die negative Erwartungshaltung der Österreicher, so befürchtete der Ökonom, könne zu einer „selbstverstärkenden Inflations-Spirale“ führen. Nowotny sprach sich für einen „inflationssinkenden vorübergehenden Erlass der Mehrwertsteuer für Grundnahrungsmittel“ aus.
Wolfgang Petritsch, OECD-Botschafter a.D., erwartet eine „neue Migrationswelle aus dem Süden“. Um einer „Unterstützungsmüdigkeit im Westen“ vorzubeugen, könnte es unter Umständen angebracht sein, den Krieg mit einer Gebietsabtretung seitens der Ukraine zu beenden. Was das „Vorzimmer der EU“ betrifft, sprach sich Petritsch dafür aus, die Ukraine und Moldawien nicht in einen Topf mit den Beitrittskandidaten vom Westbalkan zu werfen. Die energiepolitische Abhängigkeit Europas von Russland sei „mindestens so groß“ wie die „Abhängigkeit von China“, so der Diplomat, der sich für eine „aktive Neutralitätspolitik Österreichs“ aussprach.
Alles in allem lasse sich ein „Gap“ beobachten – zwischen dem, „was die Bevölkerung meint“, und dem, „was die Mehrzahl der Medien berichtet“, so PLG-Direktor Patrick Horvath.
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Seidenstraße: Irrweg oder Ausweg?
Ein Kommentar von Olivier de Berranger, CIO bei der französischen Fondsgesellschaft LFDE.
(05.07.) Weltweit sind die Zentralbanken gezwungen, die finanziellen Bedingungen im Kampf gegen die Inflation massiv zu verschärfen, wodurch sie die Volkswirtschaften an den Rand des Abgrunds bringen. Alle Zentralbanken? Nein. Eine macht genau das Gegenteil: die Chinesische Volksbank (People’s Bank of China). Sie lockert ihre monetären Bedingungen, um die Wirtschaft zu stützen, denn die chinesische Inflation liegt gerade einmal bei 2,1 %, die Inflation ohne Energie und Lebensmittel sogar nur bei 0,9 %. Der Auftrieb bei den Erzeugerpreisen, deren Anstieg von über 13 % im Oktober die wirtschaftliche Stabilität bedrohte, hat sich deutlich abgeschwächt. Dadurch beläuft sich das jährliche Plus nun auf 6,4 %. Westliche Notenbanker können davon nur träumen.
Chinas Wirtschaft hat in den vergangenen Monaten stark gelitten
Glücklicherweise kann die chinesische Zentralbank die Wirtschaft des Landes stützen, denn diese hat dies bitter nötig. China hat in den letzten Monaten stärker gelitten als im Frühling 2020 unter der Corona-Krise, wenngleich diese dort ihren Anfang nahm. Der Wohnimmobilienmarkt erlebte 2021 einen steilen Abschwung. In dessen Verlauf rutschte Evergrande, einer der größten Immobilienentwickler des Landes, beinahe in die Insolvenz. Dank staatlicher Unterstützung konnte ein Zusammenbruch verhindert werden.
Der Höhepunkt jener Krise scheint überwunden, doch im Frühling 2022 gab es bereits die nächste: Die Infektionszahlen schnellten insbesondere in Shanghai und Peking in die Höhe. XI Jinpings strikte Null-Covid-Politik führte zu einem brutalen Lockdown, von dem Millionen Menschen betroffen waren. Die Ergebnisse aus den Konjunkturumfragen gingen daraufhin stark zurück: Der Composite-Einkaufsmanagerindex fiel von 51,2 im Februar auf 42,7 im April und signalisierte damit eine Beinahe-Rezession für das zweite Quartal 2022.
Aufschwung und Profit infolge der westlichen Geopolitik
Doch die Pläne der Regierung zur Ankurbelung der Kreditvergabe, zur Lockerung der Finanzierungsbedingungen sowie zur Deregulierung des digitalen Sektors haben bereits Früchte getragen. So stieg der Einkaufsmanagerindex im Juni auf 54,1. Auch wenn man den chinesischen Daten mit einer gewissen Skepsis begegnen sollte, enthalten sie wahrscheinlich ein Körnchen Wahrheit. Schließlich reagierten chinesische Aktien (MSCI China in USD) im zweiten Quartal mit einem leichten Anstieg auf die Stimmungsverbesserung, während globale Aktien zeitgleich um mehr als 15 % nach unten gingen.
China kommt also aus dem Tief. Gleichzeitig steigt im Rest der Welt die Angst vor einer Rezession. Das Pendel schlägt zu beiden Seiten gleich stark aus. Sofern es zu einer globalen Rezession kommt, dürfte sie den Westen allerdings härter treffen als China, denn aufgrund der hohen Inflation können die westlichen Zentralbanken ihre Wirtschaft nicht stützen. Der Krieg in der Ukraine kommt noch hinzu. Von beiden Faktoren ist das Reich der Mitte bisher nicht betroffen und das dürfte auch so bleiben, sofern es Taiwan nicht direkt angreift.
In gewissem Maße kommt China sogar der Krieg in der Ukraine zugute. Zum einen will der Westen verhindern, dass China Russland umfassend unterstützt. Um dies zu erreichen, sind die G7 zweifellos zu wirtschaftlichen oder politischen Zugeständnissen bereit. Zum anderen profitiert das Land, ebenso wie Indien, bereits davon, dass die russischen Energieexporte, die in Europa nicht mehr abgenommen werden, in den Osten umgelenkt werden. Dieses unverhoffte Angebot an billiger Energie in Kombination mit einer entschlossenen Atompolitik erhöhen die Chancen für einen Aufschwung. Und die EPR-Reaktoren in China funktionieren.
Westliche Wirtschaft: ohne China geht es nicht
Auch wenn China die USA mit seiner wirtschaftlichen und geopolitischen Stärke in Angst und Schrecken versetzt, wird es für die westliche Wirtschaft zunehmend unentbehrlich. Diese braucht das Land sowohl als Produktionsstandort als auch als Absatzmarkt. Sie braucht es, um die Preise von Importgütern zu dämpfen und Abnehmer für ihre Waren zu finden, während die westlichen Konsumenten unter der hohen Inflation leiden. Wie bei jeder Krise seit 2008 kommt China dem Westen unfreiwillig zu Hilfe, der seinerseits gerne auf diese Unterstützung verzichten würde, hierzu aber immer weniger in der Lage ist. Ähnliches gilt für Russland, das immer stärker von seinem riesigen Rivalen im Osten abhängig ist.
Für den Westen stellt die Seidenstraße somit gleichermaßen einen politischen Irrweg dar, während sie für die Wirtschaft zunehmend als einziger Ausweg erscheint.
Von der Inflation zur Deflation
Wohin gehen die Preise? Und warum auch die Deflation ein Szenario sein kann.
Michael Kordovsky. Noch herrscht Jammern und Wehklagen über eine Teuerung auf breiter Front. Im Mai stieg in den USA die Inflationsrate von 8,3 auf 8,6 % und markierte den höchsten Stand seit Dezember 1981. Ein Jahr davor lag die Inflation bei 5 % und im Jänner 2021 sogar noch bei 1,4 %.
Im Vergleich dazu stieg im Euroraum die Inflationsrate von 2,2 % im Juli 2021 auf 8,1 % im Mai 2022, ehe sich die Teuerung im Juni auf einen neuen Inflationsrekordwert von 8,6% beschleunigte. Dazu ein Blick auf die genaue Schnellschätzung für Juni 2022: Die Jahres-Teuerung der im HVPI mit 10,93 % gewichteten Energiepreiskomponente beschleunigte sich von Mai auf Juni von 39,1 auf 41,9 %, was primär eine Folge der Ukraine-Krise (Erdgasknappheit) ist. Im Vergleich dazu lag im Juni 2021 deren Preissteigerung erst bei 12,6 % was damals auf eine Erholung von den Lockdowns zurückzuführen war.
Noch vor einem Jahr (im Juni 2021) waren die Preise für unverarbeitete Lebensmittel um 0,3 % rückläufig. Heuer: Von Mai auf Juni beschleunigte sich der Preisauftrieb von 9 auf 11,1 %. Hingegen gemäßigt entwickelten sich im Juni 2022 die Preissteigerungen bei Dienstleistungen (3,4 %) und Industriegüter ohne Energie (4,3 %). Rechnet man Energie, Lebensmittel, Alkohol und Tabak aus dem HVPI heraus, so läge diese Art der „Kerninflation“ nur bei 3,7 %.
Es zeigt sich somit primär eine energiepreisgetriebene Inflation, von der die einstigen „verlängerten Werkbänke“ in Osteuropa am stärksten betroffen sind. Die höchsten Inflationsraten wiesen im Juni Estland (22 %), Litauen (20,5 %), Lettland (19,0 %) und die Slowakei (12,5 %) auf.
Indessen am niedrigsten war die Inflation auf Malta (6,1 %), in Frankreich (6,5 %) und in Finnland (8,1 %). In Österreich sprang sie von 7,7 auf 8,7 %.
Konjunktursensible Rohstoffpreise fallen
Mittlerweile setzen die Regierungen der EU- und NATO-Länder wegen des Ukraine-Kriegs auf Energiesparen und Alternativen zu russischem Erdgas. Gleichzeitig kühlt die Konjunktur immer stärker ab und die von Experten bezifferte Wahrscheinlichkeit einer Rezession wird von Woche zu Woche höher. Während WTI-Rohöl auf 3-Monats-Basis noch 11,7 % im Plus liegt (Monatsbasis -8,1 %), verteuerte sich UK-Erdgas binnen eines Monats um 29 %, was auf die jüngsten Drosselungen russischer Erdgaslieferungen in die EU zurückzuführen ist.
Die Preisentwicklung der konjunktursensiblen Industriemetalle Kupfer, Nickel und Primäraluminium spricht hingegen eine klare Sprache: Deren Preise liegen auf 3-Monats-Basis je 21,6 %, 35,9 % bzw. 28,2 % im Minus. Im gleichen Zeitraum verlor Zinn bereits knapp 41 %. Auch die Preise für Agrarrohstoffe bröckeln wieder ab: Mais und Weizen verloren binnen eines Monat 9,9 bzw. 10,3 %. Aktualisierte Anbaudaten aus den Vereinigten Staaten und die Ende Mai vorhandenen Getreidebestände waren die Auslöser.
Mit der Produktionsausweitung der Opec+-Länder und ersten Anzeichen diplomatischer Verhandlungen im Ukraine-Krieg könnte ebenfalls jederzeit ein massiver Ölpreisverfall einsetzen, zumal die Konjunktur und damit einhergehend die Erdölnachfrage sich tendenziell rückläufig entwickeln.
Ausblick mit vielen Fragezeichen
Die Volkswirte der EZB gehen davon aus, dass sich die Inflationsrate des Eurosystems von 6,8 % in 2022 bis 2023 und 2024 jeweils auf 3,5 bzw. 2,1 % mäßigen wird. Die Kerninflation (also Inflationsrate ohne Energie und Nahrungsmittel) sollte von 3,3 % im Jahr 2022 bis 2023 und 2024 auf jeweils 2,8 bzw. 2,3 % sinken. Und es könnte 2023/24 im Falle einer Rezession das Pendel bereits in die andere Richtung schlagen. Starke Basiseffekte beim Rohöl (im Falle eines Öl-Crashs) könnten sogar zu einzelnen Monaten mit negativen Inflationsraten führen.
Sollten dann wegen höherer Leit- und Wohnkreditzinsen auch noch die Immobilienpreise fallen, wäre ab der zweiten Jahreshälfte 2023 selbst ein klassisches Deflationsszenario denkbar.
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„Das wird ein Kraftakt“
Eine Klimarettung kann es nur mit der Finanzindustrie geben.
Emanuel Lampert. Alleine werde die Finanzindustrie das Klima nicht retten können, „aber ohne Finanzindustrie wird es sicher nicht gehen“, sagte Klimaschutzministerin Leonore Gewessler am Montag in Wien bei einer Enquete des Fachverbandes der Pensions- und Vorsorgekassen, des Versicherungsverbandes und der Vereinigung Österreichischer Investmentgesellschaften.
Die „Zeitenwende“ gebe einen Auftrag zu „mehr Tempo“ in der Transformation der Wirtschaft. Der Finanzsektor sei hier ein unabdingbarer Treiber. „Auch Sie müssen aufs Tempo drücken.“ Die Transformation brauche Infrastrukturinvestitionen. „Das wird ein Kraftakt“, biete aber gerade auch der Finanzindustrie eine große Chance, so Gewessler.
Bislang seien Wirtschaftswachstum und Klimaschädigung Hand in Hand gegangen, Finanzprodukte „mit dem Wachstum verheiratet“ gewesen, sagte der Umweltwissenschaftler und Ehrenpräsident des Club of Rome, Ernst Ulrich von Weizsäcker. Umweltziele sollten aber die Basis des Wirtschaftens und Wachstum von Klimaschädigung entkoppelt sein, denn „wenn der ökologische Sockel wegbricht, gibt es auch keinen Wohlstand mehr“. Das Geschäftsmodell, das zur Wegwerfgesellschaft führte, müsse sich ändern, eine „Klimaaußenpolitik“ Klimaschutz ökonomisch rentabel machen.
Bio-Regal oder Bioladen?
Klimaforscherin Helga Kromp-Kolb sieht die EU-Taxonomie-Verordnung als etwas, das zur Auseinandersetzung mit dem Thema zwingt. „Oje, schon wieder neue Bestimmungen“, hält sie dabei für die falsche Einstellung. Statt zu versuchen, beim Wirtschaften auch grün zu sein, solle die Finanzwirtschaft umgekehrt an die Sache herangehen: sich vor Augen halten, aus welchem Gedanken heraus sie entstanden ist – ein „gutes Leben für alle innerhalb der Grenzen des Planeten“ zu ermöglichen -, und entsprechend investieren. Das beuge nicht zuletzt Greenwashing vor.
Viel Mühe werde darauf verwendet, Ethikfonds zu definieren. Man könne aber auch überlegen: Will man ein Supermarkt mit gesondertem Bio-Regal sein oder ein Bioladen? Nicht die „guten“ Angebote sollten extra ausgewiesen werden, sondern umgekehrt, meint Kromp-Kolb.
Laut Klaus Neusser, Direktor des Instituts für Höhere Studien, ist der „Green Finance“-Markt noch relativ klein, wächst aber. Es gebe viele ESG-Label, es sei aber nicht immer ganz klar, was genau sie aussagen. „Das ist ein Hindernis, um im großen Stil vorwärtszukommen.“
Langfristige Gemeinsamkeiten
Martin Graf, der Vorstandsdirektor der Energie Steiermark, ortet Gemeinsamkeiten seiner und der Finanzbranche: „Die Langfristigkeit in unserem Geschäft verbindet uns mit der Versicherungswirtschaft.“ Jetzt sei die Zeit, in der „der größte Investitionsschub seit den 70er-Jahren auf uns zukommt“. Dies erfordere eine sehr langfristige Zusammenarbeit mit den Versicherern und den Vorsorgeinstituten.
Gewessler habe von Tempo gesprochen – nötig sei auch „Tempo bei Genehmigungen“, um das Geld der Anleger investieren zu können: „Vom Reden hin zum Tun“, stimmte Graf zu. „Und zum Tun-Dürfen.“
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„Den Mut haben, im Holzbau tätig zu sein“
UBM-CEO Thomas Winkler über das neue Geschäftsmodell, Kompetenzen und aktuelle Herausforderungen.
Marius Perger. 2019 war die UBM Development AG noch der führende Hotel-Developer in Europa. Dann kam Corona. Und damit änderte sich alles – auch für den börsenotierten Immobilienentwickler. Knapp drei Jahre später ist UBM auf dem Weg, führender Holzbau-Developer in Europa zu werden. Wie es zu dieser doch eher radikalen Änderung des Geschäftsmodells kam, wie man in so kurzer Zeit die benötigten Kompetenzen aufbauen konnte und wie sich die aktuelle geopolitische Situation auf das Geschäft auswirkt, darüber hat der Börsen-Kurier mit CEO Thomas Winkler ausführlich gesprochen.
„Holzbau lag schon in der Luft“, sagt Winkler und verweist darauf, dass UBM bereits 2019 im 22. Wiener Gemeindebezirk mit der Errichtung von sieben Wohnhäusern begonnen hat – eines davon aus Holz, „um einen direkten Vergleich mit den umliegenden Massivbauten zu haben“, wie es auf der Homepage von UBM heißt. Dazu komme, dass der Vorstand des Konzerns eine starke Affinität zu Holz besitze. Und nach dem 16. März 2020, dem Beginn des ersten Lockdowns „wollte niemand mehr freiwillig größter Hotel-Developer sein“. Doch was dann? Einfach nur von Hotel auf Büro umzusteigen wäre etwas banal gewesen. Also fiel der Entschluss: „Wir sollten den Mut haben, im Holzbau tätig zu sein.“
Heute errichtet UBM im Frankfurter Europaviertel mit dem „Timber Pioneer“ das erste Bürogebäude der Stadt in Holz-Hybrid-Bauweise, die Fertigstellung ist für Anfang 2023 geplant. Und in Wien soll in Kürze direkt am Donaukanal mit der Errichtung des „Leopoldquartiers“ begonnen werden, das nicht nur Europas erstes Stadtquartier in Holzbauweise sein wird, sondern durch die konsequente Nutzung von Erdwärme, Erdkälte und Photovoltaik im Betrieb auch CO2-neutral.
„Green“, für UBM gleichbedeutend mit Holzbau, genüge aber nicht, so Winkler. Auch die „Smartifizierung“ von Immobilien werde künftig nötig sein, und auch das sei noch nicht alles. Es gehe bei Gebäuden auch um Ästhetik, um das Erzählen von Geschichten und um vieles mehr. Und damit sei die neue Strategie des Konzerns geboren gewesen: „green. smart. and more“.
War also die Pandemie der „Gamechanger“? Das Denken sei schon vor der Pandemie vorhanden gewesen, sagt Winkler: „Das Spiel hat es schon gegeben. Aber es wäre nicht in diesem Tempo passiert.“
Neue und alte Kompetenzen
Um im Holzbau reüssieren zu können, müsse man schnell Kompetenzen aufbauen, der Erste sein. Winkler: „Wir haben das sehr früh erkannt.“ Man habe fünf Holzbauexperten gefunden, dazu einige Praktiker. Heute wäre es nicht mehr möglich, solche „Koryphäen“ zu engagieren. Dazu komme, dass es auch nur eine überschaubare Zahl von Planern gebe, „die Holzbau können“. Und man habe eine Struktur mit zentralen Kompetenzen geschaffen, „auf die wir sehr stolz sind“.
Was aber passiert mit jenen Kompetenzen, die brachliegen? „Wer Hotel-Development kann, kann auch Büro-Development“, so Winkler. Und auch auf den Wohnbau ließen sich die Kompetenzen übertragen: „Konventionelle Development Skills sind auch in anderen Assetklassen einsetzbar“. Überhaupt wolle er die Kompetenzen für Hotel im Haus behalten und alles tun, um diese nicht zu verlieren. Denn: „Hotel wird wiederkommen.“
Mit Holzbau Geld verdienen
„Für uns ist Nachhaltigkeit eine Haltung, aber auch etwas, womit wir glauben, den bestmöglichen ökonomischen Erfolg für die UBM erzielen zu können“, betont Winkler. Die höchsten Margen habe man zwar im Hotelsektor verdient, und trotzdem sei 2021 – in dem dieser wegen Covid-19 ja darniederlag – das zweitbeste in der Geschichte der UBM gewesen.
Die derzeit entstehenden Holzgebäude würden zwar in der Errichtung teurer kommen als konventionelle, das sollte aber durch höhere Verkaufspreise kompensiert werden. Allerdings würden zu den Margen im Holzbau noch die Erfahrungswerte fehlen, Frankfurt sei deshalb so etwas wie ein „Lackmustest“. Doch Winkler geht davon aus, dass beim Verkauf ein höheres Multiple als für ein konventionelles Bürohaus erzielbar sein wird. Unterstützt werde diese Erwartung von einer Studie der Universität Darmstadt, wonach ESG-fähige Objekte am Markt höhere Preise erzielen können. Am Ende müsse Holzbau aber auch billiger werden, derzeit gebe es noch Ineffizienzen.
Immobilienbranche im Wandel
„Aktuell“ sei UBM kaum von den Preisturbulenzen betroffen, sagt Winkler. Viele Projekte würden gerade fertig gestellt, und man verfüge über langlaufende Verträge. Von daher sei es kein Problem, wenn die Preise steigen.
Es gebe aber eine Reihe von Projekten, „die wir in Umsetzung bringen könnten. Aufgrund der aktuellen Situation machen wir es aber derzeit nicht“. Die Verfügbarkeit von Materialien sei auch für sein Unternehmen ein „Riesen-Thema“: „Das macht uns Sorgen.“ Dazu kämen noch Lohnpreissteigerungen und fehlende Arbeitskräfte. Derzeit sei es jedenfalls unmöglich, Entscheidungen für einen Baubeginn zu treffen.
Überhaupt sieht Winkler die Immobilienbranche am Anfang einer Abwärtsbewegung. Aber: „Ich glaube, dass ein reinigendes Gewitter, wie wir es jetzt sehen, in un-serer Branche mehr als überfällig war.“ Und es gebe keinen Zweifel, dass Menschen danach Büros und Wohnungen wieder wie davor brauchen werden, bleibt Winkler auch in der aktuellen Situation optimistisch.
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Putin tut was für unser Klima
Ein Kommentar von Dieter Wermuth, Economist und Partner bei Wermuth Asset Management.
(28.06.) Es müsste mit dem Teufel zugehen, wenn der explosionsartige Anstieg der Preise für Strom, Benzin, Heizöl und Gas nicht zu einem starken Rückgang des Verbrauchs von fossilen Brennstoffen führen würde – und damit zu einem ähnlich starken Rückgang der CO2-Emissionen. Putin erledigt gewissermaßen den Job unserer Klimapolitiker, ohne dass diese groß kämpfen und ihren Kopf für die unpopuläre Inflation der Energiepreise hinhalten müssen. Wer ein besseres Klima will, muss die Preise der Energieträger möglichst kräftig und möglichst rasch erhöhen. Das ist der Konsens unter Ökonomen. Voilà! Putin sei Dank, wer hätte das gedacht?
Seit dem letzten Tiefpunkt im April 2020 bis heute hat sich der Preis für Rohöl, gemessen in Euro, um 445 % erhöht, der deutsche Benzinpreis um etwa 40 % und der Gaspreis für Haushalte um etwa 300 %. Zusammen mit der Inflation bei den übrigen fossilen Brennstoffen hat sich das jährlich für andere Zwecke verfügbare Einkommen um schätzungsweise 100 Mrd. Euro oder 4,5 % vermindert. Im Euroraum insgesamt war es nicht anders, nur dass die genannten Zahlen um einen Faktor von 3 bis 4 höher sein dürften.
Nach Abzug der verteuerten Ausgaben für Energie ist das Einkommen von Haushalten und Unternehmen also viel geringer als vorher, was nichts anderes heißt, als dass sich das Risiko einer Rezession deutlich erhöht hat.
In einem Aufsatz im Wirtschaftsdienst (2022/13) zeigen Sebastian Dullien und Ulrike Stein, dass die neuen Klimaziele Deutschlands und der EU sehr hohe Preise für alle Energieträger erfordern. Auf Beschluss des Bundestages soll die Emission von Treibhausgasen hierzulande bis 2030 im Vergleich zum Referenzjahr 1990 um 65 Prozent zurückgehen, und Klimaneutralität soll bereits 2045 erreicht sein. Die Ziele unserer europäischen Nachbarn sind kaum weniger ehrgeizig.
Wenn die Politik allein auf das Instrument „CO2-Preis“ setzen würde, müsste dieser auf 200 Euro pro Tonne steigen – oder mehr -, abhängig von den übrigen Annahmen in der Simulationsrechnung. An der europäischen Börse wird CO2 zurzeit mit etwa 82 Euro pro Tonne gehandelt, was zwar dreizehnmal mehr ist als im Jahr 2017, dem Jahr, als der rapide Preisanstieg der Emissionsrechte begann, aber immer noch viel zu niedrig ist. Bei einem CO2-Preis von 200 Euro würde sich beispielsweise der Endpreis von Heizöl um 60 Cent pro Liter, der von Superbenzin um 56 Cent erhöhen (im Vergleich zu Jänner 2022).
Durch den russischen Überfall auf die Ukraine haben sich die Marktpreise in die richtige Richtung bewegt. Es muss nun aus klimapolitischen Gründen verhindert werden, dass sie wieder auf ihr Vorkrisenniveau sinken, wenn sich die politische Lage eines Tages wieder entspannt. Wie erfahrene Europapolitiker wissen, sollte eine gute Krise nie ungenutzt bleiben. Mit anderen Worten muss in einem solchen Fall die Anzahl der zu versteigernden Emissionsrechte kräftig vermindert werden (was ihre Preise hochhält). Alternativ dazu müssten die diversen Steuern und Abgaben auf Kohle, Erdöl, Strom und Gas Zug um Zug steigen, mit dem Ziel, dass der Verbrauch CO2-intensiver Energie nicht wieder steigt. Am besten wäre natürlich, wenn er weiter zurückginge.
Solche Maßnahmen hätten den Effekt, dass die CO2-Abgaben der Nutzer fossiler Brennstoffe großenteils im Lande bleiben, nämlich beim Staat. Heute übertragen wir einen großen Teil unseres Einkommens in Form von hohen Einfuhrpreisen an ausländische Produzenten fossiler Energie – sprich an Russland und Arabien. Da die teure Energie äußerst regressiv auf die Einkommensverteilung wirkt, ärmere Haushalte also relativ viel stärker belastet als reichere, kann der Staat seine Einnahmen aus Emissionsrechten, Abgaben und Steuern auf Energie für soziale Gegenmaßnahmen verwenden und so nicht nur seinen Klimazielen näherkommen, sondern gleichzeitig gefährliche und ungerechte soziale Schieflagen abmildern. Außerdem erleichtern diese Einnahmen die Finanzierung des grünen Strukturwandels.
Die Energiepreise dürfen nicht mehr sinken!! Oder erst, wenn der Umstieg auf Erneuerbare komplett gelungen ist.
Im Kreislauf gegen Krisen
Innovative Kreislaufwirtschaft macht Unternehmen resilienter gegen Lieferkettenengpässe.
Christian Sec. Vor dem Hintergrund zunehmender Verknappung endlicher Ressourcen und steigender Rohstoffpreise ist es besonders wichtig, die Kreislaufwirtschaft noch stärker zu fördern und gleichzeitig die Abhängigkeit von Rohstoffen zu verringern. So hat ein BMW-Joint-Venture in China erstmals einen geschlossenen Kreislauf zur Wiederverwendung der Rohstoffe Nickel, Lithium und Kobalt aus Hochvoltbatterien etabliert. Auch der innerdeutsche Konkurrent Mercedes-Benz plant demnächst eine Recyclingfabrik für Autobatterien. Wurde der Nutzen einer Kreislaufwirtschaft für die Umwelt bereits zuvor gesehen, so tragen die Krisen der vergangenen Jahre dazu bei, dass die Werterhaltung von Ressourcen auch zu einer ökonomischen Notwendigkeit wird. „Wir müssen das lineare System Schritt für Schritt ändern, bis es ersetzbar wird“, erklärte Karin Huber-Heim, Executive Director bei der Netzwerkorganisation Circular Economy Forum Austria, in einem Gespräch mit der Wirtschaftskammer.
Kreislauf als Mittel gegen Engpässe
Auch in den österreichischen Unternehmen schreitet die Kreislaufwirtschaft voran. Rund zwei Drittel des Abfalls beim Anlagenbauer Andritz wird bereits recycelt. Dies gilt für das Metall als Hauptbestandteil der Anlagen, aber auch für ausgewählte Materialfelder wie z. B. IT-Komponenten oder in der mechanischen Fertigung, wo Waren durch Reparatur bzw. Sanierung oder Produktbestandteile durch Recycling im Kreislaufprozess gehalten werden. Ziel des Unternehmens ist es, im Bereich der Zellstofffabriken keinen Abfall mehr zu produzieren. Nebenströme werden direkt in der Anlage wiederverwendet oder zu wertschöpfenden Produkten weiterverarbeitet. Der Geschäftsbereich Pulp & Paper bietet außerdem Second-Hand-Anlagen an, um Ressourcen zu schonen. „Durch das Refurbishing können so Lieferengpässe ausgeglichen werden“, erklärt dazu Michael Buchbauer, Head of Group Finance und Sprecher von Andritz, gegenüber dem Börsen-Kurier.
Auch das Lichttechnik-Unternehmen Zumtobel sieht in der Kreislaufwirtschaft eine Möglichkeit, Lieferengpässen entgegenzuwirken. Dabei hat sich das Unternehmen zum Ziel gesetzt, das Thema Kreislaufwirtschaft allumfassend zu fördern. So werden gemeinsam mit Lieferanten eingesetzte Materialien auf kritische Inhaltstoffe überprüft, der Anteil von Recyclingmaterial erfasst und die Recyclebarkeit systematisch erhoben. Produkte werden von Zumtobel dabei so gestaltet, dass einzelne Komponenten und Materialien voneinander getrennt werden können.
Der Ziegelhersteller Wienerberger verfolgt das Ziel, dass bis spätestens 2023 alle neuen Produkte zu 100 % wiederverwendbar oder recyclebar sind. Eine wichtige Forderung von Experten zur Verbesserung der Kreislaufwirtschaft stellt das Urban Mining dar. Dabei dienen Städte als Rohstoffquelle. In ihnen haben sich große Mengen an Stoffen angesammelt, die es im Wertkreislauf zu halten gilt. Wienerberger setzt diese Forderung bei einem Dachziegelprojekt in Deutschland um. Ziegeln werden aus Abbruchgebäuden produziert. Mit solchen Maßnahmen steigert das Unternehmen laut eigenen Angaben den Anteil an Sekundärrohstoffen bzw. Recyclingstoffen in der Produktion.
Foto: Wienerberger
Die richtige Balance
Aktien und Anleihen für ein breites ESG-Portfolio.
Harald Kolerus. Es gibt verschiedene Wege, sich nachhaltigen Investments anzunähern: Etwa mit Spezialprodukten, die sich auf einzelne Themen konzentrieren, wie z. B. Wasserkraft, Energieeffizienz, Klimawandel etc. Oder man setzt auf den breiten Markt, wählt dabei aber jene Unternehmen aus, die in Sachen Nachhaltigkeit die bessere Bilanz aufweisen. Der „Franklin ESG-Focused Balanced Fund“ (ISIN: LU2319533704) hat sich für die zuletzt genannte Alternative entschieden.
Kern-Investment
Marzena Hofrichter, Fondsmanagerin bei Franklin Templeton Investment Solutions, erklärt im Interview mit dem Börsen-Kurier die grundsätzliche Konzeption des Produkts: „Wir sind bewusst in die Breite gegangen, der Fonds soll somit für Anleger ein Kern-Investment im ESG-Bereich darstellen, anstatt auf einzelne Themen zu setzen. Solche Themenfonds können gut gehen oder auch abfallen, der Investor ist hier von nur einem Bereich abhängig. Wir wählen hingegen Titel aus vielen Industriezweigen aus, die einen besseren ESG-Score aufweisen als ihre Mitbewerber.“ Aber natürlich darf nicht überall veranlagt werden: Ausschlusskriterien betreffen z.B. Verstöße gegen die Menschenrechte, kontroverse und nukleare Waffen, Fracking oder die Tabakindustrie.
Atomkraft, nein Danke
Allerdings, wo zieht man die Grenzen? Stichwort Nuklearenergie: Sie wurde bekanntlich von der EU als nachhaltig „geadelt“, in Frankreich ist sie ohnedies En Vogue, in Deutschland wird eine Verlängerungsphase der Atommeiler gerade heftig diskutiert. Und scheinbar hat die „schmutzige“ Kohlekraft auch noch nicht ausgedient, wie Überlegungen z. B. in Österreich zeigen. Hofrichter positioniert sich in diesem Zusammenhang klar: „Im Fonds haben Unternehmen, die einen Anteil von 10 % bei der Stromerzeugung aus Kohle oder 5 % bei AKWs überschreiten, keinen Platz. Daran wird sich erstmals nichts ändern, auch wenn die Situation aufgrund des Ukraine-Kriegs und der Energiekrise natürlich sehr ernst ist. Es gilt aber mehr denn je: Wir müssen möglichst schnell grüne Energien forcieren.“
Gegen Greenwashing
Der Börsen-Kurier wollte von der Expertin auch wissen, wie sich Anleger vor Greenwashing schützen können. Immerhin schießen an allen Ecken und Enden (vermeintlich?) grüne Fonds aus dem Boden, die Lage sei unübersichtlich. Hofrichter dazu: „Ich hoffe, dass es hier mit zunehmender Transparenz und Regulierungsmaßnahmen zu Verbesserungen kommen wird. Wir haben einen großen internen Pool an ESG-Spezialisten, holen uns aber gleichzeitig unabhängige Partner mit ins Boot. So ist es z. B. bei diesem Fonds das Forum Nachhaltige Geldanlage (FNG), das den hohen ESG-Standard verifiziert. Dessen sehr strenge Kriterien gelten für uns als Messlatte, der Franklin ESG-Focused Balanced wurde auch bereits mit zwei von drei möglichen Sternen ausgezeichnet, die vom FNG vergeben werden.“
Neutral gewichtet
Wobei der Fonds ein Multi-Asset-Produkt ist, soll heißen: Um die richtige Balance zu finden, investiert er in Aktien aus entwickelten Ländern rund um den Globus. Im Anleihen- und im Corporates-Segment ist er hauptsächlich auf Emissionen von Europäischen Ländern ausgerichtet. Wie geht nun das Fondsmanagement mit der derzeit extrem schwierigen Lage an den Finanzmärkten (geopolitische Spannungen, hohe Inflation, Zinswende, steigende Rezessionsgefahr) um? Hofrichter: „Unser Risikoappetit hält sich derzeit in Grenzen. Wir sind neutral positioniert, das heißt die Aktien-Anleihen-Quote liegt bei fifty-fifty. Derzeit sind Prognosen besonders schwierig, es gilt am Ball zu bleiben, tägliches Monitoring ist Pflicht.“
Foto: Zastrzezone / Jurek Murawski
China: Positive Überraschungen?
BNP Paribas hält Aktien aus dem Reich der Mitte für attraktiv bewertet.
Harald Kolerus. Es waren nicht immer die besten Meldungen, die uns in jüngerer Vergangenheit aus China erreichten: Das Wirtschaftswachstum läuft nicht mehr so rund wie früher; Covid macht nach wie vor zu schaffen; der Staat greift in den Aktienmarkt ein; Skandale im Immobilienbereich. All das bereitet Kopfzerbrechen.
Risken beachten
Aktien-Expertin Jessica Tea erklärt gegenüber dem Börsen-Kurier, warum sie dennoch mit Optimismus in die Zukunft blickt. Sie ist Investment-Spezialistin für Asien und China bei BNP Paribas Asset Management. In Hongkong beheimatet, hat sie hautnahen Kontakt zum Marktgeschehen und gab in Wien ihr Wissen weiter: „Natürlich dürfen wir mit Blick nach China die Risiken nicht übersehen. Hierbei handelt es sich vor allem um die Covid-Lockdowns, die gesamte geopolitische Situation, Druck am Immobilienmarkt und Regulationsbestrebungen Pekings.“ Die gute Nachricht lautet dabei: „Was Immobilien und Regulatorien betrifft, scheinen wir das Schlimmste hinter uns zu haben, auch wenn man diese Themen nicht ganz vergessen darf.“
Qualität statt Quantität
Bezüglich Corona bleibt Peking hart, wechselt aber von einer Null-Toleranz zu einer „dynamischen“ Politik. Das heißt, es wird auf Massentests (Erreichbarkeit von Teststationen in Zentren innerhalb von 15 Minuten) und schnelle lokale Eindämmung gesetzt, bevor sich das Virus großflächig verbreiten kann. Auch Impfkampagnen werden forciert – hier hat China in der Altersgruppe über 80 Jahren noch Nachholbedarf. In Bezug auf die Gesamtwirtschaft steht statt quantitativem qualitatives Wachstum im Vordergrund: „Denn oberstes Ziel der Regierung ist es, für Stabilität zu sorgen und das Vertrauen der Investoren zurückzugewinnen. Unterstützt werden die traditionelle Infrastruktur aber auch neuere Bereiche, wie der Aufbau einer kohlenstoffarmen Wirtschaft sowie die Modernisierung der IT- und Logistikbranche“, erklärt Tea.
Günstig bewertet
Was die Expertin positiv ins Treffen führt, sind die „sehr attraktiven Bewertungsniveaus chinesischer Aktien“. Diese finden sich bei einem KGV von 11, was für Luft nach oben sorgt und auf positive Überraschungen hoffen lässt. Deshalb ist der Aktienfonds „BNP Paribas China Equity“ (ISIN: LU0823425839) von einer zuvor defensiveren Ausrichtung jetzt aggressiver unterwegs. Wobei Stock-Picking, aktives Management, aber auch ein holistischer, also ganzheitlicher Ansatz verfolgt werden. Auf Nachhaltigkeit wird dabei nicht vergessen: ESG-Faktoren spielen beim Investmentprozess eine gewichtige Rolle, zum Beispiel sollen kontroversielle Waffen, Kinderarbeit oder der Kohlebereich vermieden werden. „Die Liste der Ausschlusskriterien ist lang. Der Umgang mit ESG hilft uns dabei, den langfristigen Wert eines Unternehmens besser einschätzen zu können“, so Tea.
Spannende Aktien
Welche Titel landen nun aber im Portfolio? Hier einige Beispiele: Die drei größten Positionen bilden derzeit Netease, Tencent (beide aus der Kommunikationsbranche) und Meituan (Konsum). Eine Aktie, die für „grüne Innovation“ steht, ist wiederum Hongfa Technology. Das Unternehmen beschäftigt sich mit Forschung und Entwicklung, Herstellung und Verkauf von Relais-Produkten. Hongfa profitiert von der steigenden Nachfrage nach Relais und dem Wachstum bei Elektrofahrzeugen.
Bemerkenswert: Etwa 28 % des Fondsportfolios ist im Bereich „grüner Innovationen“ investiert, also in Unternehmen, die mit der Verringerung des Kohlenstoff-Fußabdrucks oder Verbesserungen der Energieeffizienz in Zusammenhang stehen.
Foto: Pixabay / jplenio
Die Welt hat sich in den letzten Tagen strukturell verändert
Ukraine-Krieg befeuert weiter Inflation, Fragmentierung der Eurozone und Kreditpreise im Extrembereich.
(20.06.) Die Welt hat sich in der letzten Woche strukturell verändert. Die Federal Reserve (Fed) hat die Zinssätze um 75 Basispunkte angehoben; eine Anhebung, die seit 28 Jahren nicht mehr geschehen ist. Bis zu einem gewissen Grad hatte der Markt einen solchen Schritt bereits eingepreist, denn 2-jährige US-Staatsanleihen sind 300 Basispunkte billiger als im Oktober letzten Jahres, und 2-jährige Anleihen rentieren jetzt mit 3,375 %. Dies zeigt, inwieweit die Märkte weitere Maßnahmen der Fed, die die Zinsen voraussichtlich weiter anheben werden (Fed Funds Range 1,5-1,75 %), bereits abgewertet haben.
Die Spannungen begannen am vergangenen Freitag, als der Verbraucherpreisindex in den USA, der angeblich seinen Höchststand erreicht hatte, statt 8,3 % nur 8,6 % anzeigte. Hinzu kam, dass die Umfrage der University of Michigan zu den langfristigen Inflationserwartungen um 0,3 % auf 3,3 % stieg. Einfach ausgedrückt: Die Inflation und die Inflationserwartungen gehen in die falsche Richtung, und die Fed hat dies mit einer Zinserhöhung um 75 Basispunkte anerkannt und damit bewiesen, dass sie es ernst meint, wenn es um die Inflationsbekämpfung geht.
Die Bank of England hob daraufhin die Zinssätze um 25 Basispunkte an, um zu zeigen, dass sie sich um die Inflation kümmert, doch angesichts der negativen Wachstumszahlen für April beginnt das Vereinigte Königreich, sich mit der potenziell toxischen Mischung aus höheren Zinsen und einer schrumpfenden Wirtschaft auseinanderzusetzen.
Die außerplanmäßige EZB-Sitzung gab den italienischen und anderen südeuropäischen Anleihemärkten Auftrieb, wo man sich erneut Sorgen über die absoluten Kosten der Verschuldung (über 4 % für Italien) und die relativen Kosten der Verschuldung (+2,4 % gegenüber Deutschland) macht. Beide Zahlen sind nicht gut, und die EZB spricht von einer Fragmentierung der Eurozone, während sie nervös über ihren ersten offiziellen Zinsschritt im Juli nachdenkt.
Gewinnprognosen der Unternehmen halten sich trotz Inflationsdruck
Der weltweite Inflationsdruck ist größtenteils auf die höheren Energiepreise nach dem Einmarsch Russlands in der Ukraine zurückzuführen, insbesondere in Europa, das sich schnell von dem inzwischen sehr teuren russischen Gas lösen will. Inflationsdruck besteht auch bei anderen wichtigen russischen und ukrainischen Exporten wie Getreide, Düngemitteln und anderen Rohstoffen.
Die höheren Energie- und Lebensmittelpreise wirken wie eine Steuer auf den Verbrauch. Die Verbraucherstimmung in den fortgeschrittenen Volkswirtschaften ist in jüngster Zeit auf ein Niveau gesunken, das auf dem Höhepunkt der weltweiten Pandemie im Jahr 2020 erreicht wurde. Außerdem sinkt das Vertrauen der Unternehmensleiter, was wahrscheinlich zu einer Drosselung der Investitionsausgaben führen wird.
Trotz dieses düsteren Bildes haben sich die Gewinnprognosen der Unternehmen insgesamt bisher bemerkenswert gut gehalten. Vielen Unternehmen ist es gelungen, die höheren Input- und Arbeitskosten weiterzugeben. Allerdings mehren sich die Anzeichen für überschüssige Lagerbestände in einigen Branchen, z. B. im Einzelhandel, in der Elektronikbranche und in der Halbleiterindustrie.
In einer Welt, in der das Angebot an Verbrauchsgütern zugenommen hat – und die Ausgaben dafür durch höhere Energie- und Lebensmittelpreise eingeschränkt werden -, werden die Gewinnspannen der Unternehmen wahrscheinlich unter Druck geraten. Es gibt Spielraum für weitere Schwäche bei Risikoanlagen.
Die unmittelbare Auswirkung der US-Leitzinserhöhung auf die Aktien war kontraintuitiv – US-Aktien zogen stark an, wobei Wachstums- und Technologiewerte am stärksten zulegten. Dies kann darauf zurückgeführt werden, dass der Markt den Schritt erfolgreich eingepreist hat, nachdem die Erwartungen einer Zinserhöhung um 75 Basispunkte am Vorabend der Sitzung von ca. 4 % in der Vorwoche auf ca. 89 % deutlich angestiegen waren.
Die Aktienmärkte haben sich seit mehr als sechs Monaten auf die Aussicht auf höhere Zinsen und ein schwächeres Wachstum eingestellt, wobei sich die negativen Auswirkungen auf Wachstumswerte am deutlichsten zeigten. Das 12-Monats-Kurs-Gewinn-Verhältnis des MSCI World Index ist inzwischen von 19 (Herbst 2021) auf etwa 14,5x gefallen. Außerhalb des GFC und der anschließenden Krise in der Eurozone wurden Aktien in diesem Jahrhundert noch nie dauerhaft unter dem 14-fachen gehandelt.
Wachstums- und Mid/Small-Cap-Aktien überverkauft
Trotz der „Erleichterungsrallye“ am Mittwoch ist es noch zu früh, um zu sagen, dass diese Anpassung abgeschlossen ist – die rasche Neubewertung der Absichten der Fed in der letzten Woche könnte noch eine weitere Kapitulation nach sich ziehen. Wahllose Verkäufe haben jedoch einige Aktienkurse in den Bereich des “Überschießens” gebracht.
Aus unserer Sicht sind die Marktbedingungen in vielerlei Hinsicht überverkauft (insbesondere im Hinblick auf Wachstums- und Mid-/Small-Cap-Aktien). Angesichts der schwierigeren Aussichten werden einige die Inflationswelle besser bewältigen als andere, und vor einem solchen Hintergrund ist eine Bottom-up-Aktienauswahl von entscheidender Bedeutung.
Keine dieser Unsicherheiten hinsichtlich der strukturellen Bewertung von Anleihen hat den Kreditmärkten geholfen, deren Preise sich jetzt in einem Extrembereich befinden, wie er zuletzt 2011 oder in der Liquiditätslücke zu Beginn der Covid-Krise zu beobachten war. Die Kosten für Schulden steigen, und unser Standard-Anleihefonds mit Investment-Grade-Rating rentiert inzwischen mit fast 5 %. Der „Wert“ war eine der wichtigsten Triebfedern für das Investitionsdenken, und „Wert“ gibt es derzeit reichlich, aber das wird auch weiterhin eine fieberhafte Einschätzung bleiben, bis es mehr Klarheit bei den Geldkosten gibt.
Was unser gesamtes Portfolio betrifft, so sind wir weiterhin von den Fundamentaldaten der Unternehmen, in die wir investieren, überzeugt. Die Volatilität eröffnet große Chancen für längerfristige Renditen bei den Aktien, in die unsere nachhaltigen und Wachstumsfonds investieren. Unsere Einkommensstrategien erweisen sich mit ihrem bewährten Fokus auf Finanzkraft und Dividendenfähigkeit einmal mehr als relativ defensive Strategie.
Wiener Börse Preis: AT&S erstmals Sieger im ATX
Finanzminister Brunner mit Börse-Chef Boschan und Peter Schneider (li.) vom ATX-Sieger AT&S.
Red. Zwölf Unternehmen wurden am Dienstag der Vorwoche beim „Wiener Börse Preis“ im Palais Niederösterreich in feierlichem Ambiente mit Awards geehrt. Nach zwei Jahren in kleinem Kreis wurde die wichtigste Auszeichnung des österreichischen Kapitalmarktes wieder vor hochrangigem Publikum im Rahmen einer Festveranstaltung überreicht. Unabhängige Fachjurys bestehend aus Analysten der ÖVFA (für die ATX-, Mid Cap- und Corporate-Bond-Preise), Finanzjournalisten koordiniert durch APA-Finance (Journalisten-Preis) sowie dem Vönix-Beirat (Nachhaltigkeitspreis) kürten die Preisträger. Vorstandsmitglieder der börsennotierten Unternehmen nahmen die Auszeichnungen in fünf Kategorien entgegen.
„Es ist großartig, wieder die breite Finanzmarkt-Community im Publikum zu begrüßen und das Scheinwerferlicht auf die Leistungen der Unternehmen des österreichischen Kapitalmarkts zu werfen. Die börsennotierten Unternehmen sind Österreichs Aushängeschilder im globalen Wettbewerb und der Wiener Börse Preis würdigt die herausragenden Entwicklungen,“ so Christoph Boschan, CEO der Wiener Börse.
„AT&S überzeugte mit laufender Berichterstattung, umfassender IR-Tätigkeit, erfahrenem Management sowie maximaler Punktezahl bei quantitativen Faktoren wie Kursentwicklung und Liquidität“, erklärte Friedrich Mostböck, Präsident der ÖVFA, zu Platz 1 in der Bewertung. AT&S Austria Technologie & Systemtechnik AG siegte damit erstmals in der Königsdisziplin ATX-Preis, nachdem das steirische Unternehmen bereits vergangenes Jahr den dritten Platz in dieser Kategorie erreichte. Die weiteren beiden Plätze des ATX-Preises gingen an die OMV und Wienerberger, die ebenfalls durch ihre Strategie, Berichterstattung und Investor Relations-Tätigkeiten überzeugten.
Peter Schneider, CSO von AT&S, freute sich über die Auszeichnung: „AT&S hat sich in den vergangenen Jahren als globaler Technologieführer für Leiterplatten und Substrate etabliert. Neben unseren hervorragenden Mitarbeitern sehen wir vor allem die Börsennotierung als Grundstein für unser gesundes Unternehmenswachstum. Marktpräsenz ist für unseren weiteren Erfolg entscheidend und deshalb bedanken wir uns herzlich bei der österreichischen Kapitalmarkt-Community. Auszeichnungen wie der Wiener Börse Preis ermutigen uns, unseren Weg fortzusetzen.“
Foto: Wiener Börse
Cyberversicherung wächst „unter Schmerzen“
Cybercrime wird komplexer. Der Versicherungsbedarf steigt. Der Kostenpunkt allerdings auch.
Emanuel Lampert. Das „Millionen-Erbe“ aus Südafrika, die „Bank“, die Kundendaten bestätigt haben will: Sind solche Mails schon Cybercrime? Ohne es versicherungstechnisch zu werten: Im Grunde sind all das Betrugsversuche, und es ist nicht mehr nur ein Trend, sagt Natascha Jäger, CEO Austria für die Cogitanda Dataprotect AG, Niederlassung Österreich, in einem Expertengespräch des Börsen-Kurier. Es gebe inzwischen viele Tools, die selbst Kleinkriminelle einsetzen können.
Und in welchem Rahmen bewegt sich der Schutz einer Cyberversicherung? „Wenn man es terminologisch herunterbrechen will, geht es um die Verletzung von Vertraulichkeit, Verfügbarkeit oder Integrität von Computersystemen“, skizziert Stephan Eberlein, Group Practice Leader Financial Lines vom Versicherungsmakler Greco. Viele Fälle der eingangs geschilderten Art dürften ihm zufolge nach den klassischen Musterbedingungen im Markt deshalb keine Cyberversicherungsfälle sein.
Grenzen der Cyberversicherung
Angenommen, eine App fürs Auto wird gehackt und selbiges gekapert, oder jemand bricht digital ins Smart Home ein: Wo ist die Grenze zwischen dem, was ohnehin zum Beispiel eine Kasko deckt, und der Cyberversicherung? Peter Loisel, er ist Country Head Austria bei Finlex, sieht im Gespräch Überlappungen zwischen einzelnen Sparten schwinden: In der Sach- und Haftpflichtversicherung gebe es immer mehr Cyberausschlüsse, „sodass die Cyberversicherung immer wichtiger wird“.
In der traditionellen Sachversicherung gebe es für die Betriebsunterbrechungsversicherung einen materiellen Auslöser wie Feuer oder Flut, sagt Johannes Gschossmann, Line Manager Financial Lines, Eastern Region, beim Versicherer Chubb. Der zusätzliche Wert der Cyberversicherung sei, dass sie einen „immateriellen Auslöser“, das Hacking, das die Firma zum Stillstand bringt, einbeziehe.
Martin Beste, Geschäftsführer der R+V in Österreich, sieht die Grenzen einer Cyberversicherung etwa bei Ereignissen wie Krieg, Rebellion oder staatlich veranlassten Handlungen wie Spionage oder Cyberkrieg. Ob und wie ein Unternehmen cyberversichert werden kann, hänge auch von Faktoren wie der Betriebsart oder der möglichen Versicherungssumme ab.
Schadenpotenzial ermitteln
Homeoffice, Privatgeräte im Unternehmens-einsatz: Eberlein sieht hier die Unternehmen in der Pflicht. Für sie gehe es um Krisenmanagement und Abgeltung eines finanziellen Verlusts. Auch wenn „noch immer viel zu tun ist“, sagt Jäger, das Risikobewusstsein habe sich seit den Lockdowns deutlich gebessert. Für sie ist Gerätewartung ebenso Unternehmenssache wie die Ausstattung der Mitarbeiter mit sicheren Arbeitsmitteln. Es gehe schließlich auch um schützenswerte Unternehmensdaten.
Wichtig ist, dass sich Unternehmen bewusstwerden, „was in Gefahr ist“, was der Schadenfall kosten würde und wie ihr Sicherheitskonzept aussieht, betont Gschossmann. Für die Absicherung gegen individuelle Attacken könne und sollte man „möglichst breit“ Versicherungsschutz kaufen, „denn die Wahrscheinlichkeit, attackiert zu werden, ist in den vergangenen zwei Jahren doch sehr stark gestiegen“.
Cyberkriminalität habe sich zu einer „gewinnorientierten“ Industrie entwickelt, warnt Beste. Nicht mehr das „Ob“ eines Vorfalls, sondern das „Wann“ sei die Frage. Die R+V empfehle daher für jedes Unternehmen eine Cyberversicherung.
Pricing „höllisch schwierig“
Loisel verweist auf Prognosen, wonach der Cyberversicherungsmarkt in den nächsten 20 Jahren um 25 % pro Jahr wachse. Es sei aber „ein Wachstum mit Schmerzen“, denn „dummerweise steigen auch die Kosten“. Das Pricing in der Cyberversicherung sei „höllisch schwierig“, andererseits sei unverständlich, wenn man Preise ungeachtet des bisherigen Schadenverlaufs anhebe.
Gschossmann argumentiert, das Schadengeschehen habe sich vor zwei bis drei Jahren deutlich verschärft, bedingt durch verstärkte Ransomware-Angriffe und komplexer gewordene Attacken. „Die Angreifer lernen. Sie waren auch in der Lage, sehr große Unternehmen über lange vorbereitete Attacken stillzulegen.“ Selbst, wenn man noch nicht attackiert wurde, steige die Wahrscheinlichkeit dafür. Auch das systemische Risiko sei zu berücksichtigen: „Was ist, wenn eine Attacke abertausende Polizzen ‚abräumt‘?“
Die beobachteten Preissteigerungen seien „teilweise wirklich eklatant“ gewesen, sagt Jäger. Gemessen an den möglichen Kosten eines Schadens sei eine Cyberversicherung aber nach wie vor „absolut zu empfehlen“. Sie plädiert für „neue Denkmodelle“ in der Tarifkalkulation und eine dynamische Bewertung des Schadengeschehens. Eberlein meint: Cyber sei ein sehr junges Produkt, die Prämie müsse sich erst finden.
Ist Cybercrime mehr ein „menschliches“ als ein technisches Risiko? Mangelnde Schulung der Mitarbeiter, etwa in puncto Phishing, sei oft die Schwachstelle, die Angreifer nutzen, sagt Gschossmann. „Risiko Mensch ja, aber auch Chance Mensch“, meint Jäger: „Wenn man die Mitarbeiter ins Boot holt, sind sie die erste und beste Verteidigungslinie im Unternehmen.“
Foto: AdobeStock / Nicolas Herrbach
25 Jahre im Einsatz für die Kinder dieser Welt
Seit 1997 hilft Jugend Eine Welt jungen Menschen mit Bildung in eine bessere Zukunft.
Red. Millionen von Kindern weltweit kämpfen mit kleinen Gelegenheitsjobs auf der Straße tagtäglich um ihr Überleben, schuften als billige Kinderarbeiter in Haushalten, in Minen oder in landwirtschaftlichen Betrieben. Sie erleben Gewalt und Ausbeutung. Eine Schule zu besuchen oder gar eine Berufsausbildung zu absolvieren ist ihnen meist verwehrt und ihre Chancen auf ein späteres Leben in Würde sind damit gering.
Solche Schicksale zum Positiven zu verändern, genau dafür engagiert sich seit nunmehr 25 Jahren die in Österreich ansässige Hilfsorganisation „Jugend Eine Welt – Don Bosco Entwicklungszusammenarbeit“.
Bildung überwindet Armut
Nachdem er sich fünf Jahre lang als Mitarbeiter des Österreichischen Entwicklungsdienstes im südamerikanischen Ecuador in einem Zentrum der Salesianer Don Boscos um Straßenkinder gekümmert hatte, gründete der Tiroler Reinhard Heiserer (siehe Foto) gemeinsam mit einer kleinen Gruppe Gleichgesinnter im Juni 1997 in Wien den Verein Jugend Eine Welt. Mit dem Ziel, sich weltweit für die Rechte von Kindern und Jugendlichen einzusetzen, sie aus Risikosituationen zu befreien, ihnen etwa ein neues Zuhause und die Chance auf schulische Bildung und berufliche Ausbildung zu geben.
25 Jahre später ist Jugend Eine Welt zu einer der wichtigsten Hilfsorganisationen im Bereich der nachhaltigen und langfristigen Entwicklungszusammenarbeit in Österreich geworden. Unter dem Leitsatz „Bildung überwindet Armut“ haben in dieser Zeit viele engagierte Menschen dazu beigetragen, die Lebenssituation junger Menschen und deren Familien insbesondere in Ländern des Globalen Südens zu verbessern. Über 3.000 unterschiedliche Projekte und Programme in zahlreichen Ländern Asiens, Afrikas, Lateinamerikas, dem Nahen Osten und Osteuropa wurden in diesem Vierteljahrhundert umgesetzt, unterstützt, mitgetragen oder weiterentwickelt. Wie Schulen, Universitäten, Berufsausbildungseinrichtungen, Sozialzentren, Heime für Straßenkinder, Förderprogramme für Mädchen und Frauen sowie Programme zur nachhaltigen Armutsbekämpfung und Umweltinitiativen. Jugend Eine Welt arbeitet bei all diesen Projekten nach dem Assistenzprinzip – mit verlässlichen und bewährten Projektpartnern vor Ort, zumeist aus dem weltumspannenden Don Bosco-Netzwerk.
Zudem erreichen Jugend Eine Welt nach Naturkatastrophen, bei Hungersnöten und kriegerischen Konflikten immer wieder Hilferufe aus aller Welt. So wurde in den vergangenen Dekaden Humanitäre Nothilfe etwa bei den großen Erdbebenkatastrophen in Pakistan, Haiti, Nepal, Ecuador, bei Hungerkrisen im Südsudan und Äthiopien, während der Corona-Pandemie oder jetzt aktuell in der Ukraine geleistet.
Freiwilligeneinsätze und alternative Finanzierungsmodelle
Eine weitere wichtige Säule der Arbeit von Jugend Eine Welt sind die Volontariats- und Freiwilligeneinsätze für junge Erwachsene sowie Erwachsene mit Berufserfahrung in einem der weltweiten Bildungs- und Sozialprojekte. An die 800 Volontäre waren in den vergangenen 25 Jahren bereits im Einsatz.
Auch im Finanzsektor, konkret bei der Suche nach alternativen Finanzierungsmodellen, hat Jugend Eine Welt wiederholt neue und innovative Wege beschritten. Ob mit zinsenlosen Darlehen, Krediten oder Social Impact Investments – Privatpersonen wie Firmen und Institutionen werden verschiedene Varianten geboten, Geld auf sinnvolle Weise nachhaltig zu investieren. So wurde etwa mit der Don Bosco Bildungsanleihe in der nun schon dritten Auflage eine sozial nachhaltige Anleihe erfolgreich am Kapitalmarkt platziert. Mit dem Erlös daraus wurde der Ausbau der Salesianer-Universität in Ecuador ermöglicht.
Ein Leben in Würde für alle Menschen
„Die Arbeit wird uns leider auch in Zukunft nicht so schnell ausgehen“, sagt Gründer und Geschäftsführer Reinhard Heiserer. Aber um Kindern und Jugendlichen zu helfen, sucht Jugend Eine Welt im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit ständig neue Ideen, neue Förderer und neue Wege der Finanzierung. „Eine gerechtere Welt, in der alle Menschen in Würde leben, ist möglich“, ist Reinhard Heiserer auch nach 25 Jahren Einsatz überzeugt.
Foto: Jugend Eine Welt
Growth-Aktien: Langer Atem zahlt sich aus
Ein Kommentar von Arnaud Cosserat, CEO von Comgest.
(14.06.) Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine sorgte zuletzt für deutliche Preissteigerungen bei Rohstoffen und im Energie-Bereich, was die ohnehin schon hohe Inflation weiter anheizte. Besonders Growth-Aktien sind von der Erwartung steigender Zinsen und der damit einhergehenden Gefahr einer Rezession betroffen, wobei Unternehmen und Anleger gleichermaßen vor Herausforderungen gestellt sind. Arnaud Cosserat, CEO der internationalen Fondsboutique Comgest, gibt eine Einschätzung zur aktuellen Situation:
Im Euroraum hat sich die Inflation im Mai auf einem Rekordhoch von 8,1 Prozent eingependelt. Dies ist der höchste Wert seit November 1984 – in den USA sowie vielen Schwellenländern liegt sie sogar noch höher. Die Kombination aus hoher Inflation und nachlassendem Verbrauchervertrauen führte in den letzten Wochen bei vielen Investoren dazu, dass sie sich eilig von hoch bewerteten Wachstumsaktien trennten. Deutlich sichtbar wird das unter anderem am MSCI Growth Index, der seit Jahresbeginn seinem Value-Pendant mit großem Abstand hinterherhinkt. Diese Entwicklungen gehen auch an unseren Hauptstrategien – Europa, Global, Japan, Schwellenländer, USA – nicht spurlos vorbei. So war die schwächere Performance im ersten Quartal größtenteils auf die geringe Präferenz für Growth-Aktien und starke Kursgewinne in den Segmenten Rohstoffe, Zykliker und Energie zurückzuführen, Sektoren, in denen wir aufgrund mangelnder Vorhersehbarkeit kaum investiert sind.
Gewinnwachstum als langfristiger Treiber
Die Historie hat immer wieder gezeigt, dass die Angst vor steigenden Zinsen Abschläge bei Growth-Titeln mit sich brachte. Anschließend folgte aber eine Erholung bei jenen Qualitätsunternehmen, die in der Lage sind, überdurchschnittliches Wachstum des Gewinns je Aktie über einen längeren Zeitraum zu generieren. Generell haben Märkte die Tendenz, Unternehmen mit starkem, nachhaltigem Wettbewerbsvorteil und anhaltend überdurchschnittlichem Gewinnwachstum nicht angemessen zu bewerten. Nachhaltiges Wachstum des Gewinns je Aktie führt allerdings zu überdurchschnittlichem Renditepotenzial bei unterdurchschnittlichem Risiko. Diese Titel heben sich in ihrer Branche durch konjunkturunabhängige Wachstumsstärke hervor, was nicht viele Unternehmen bieten können.
Strukturelles Risikomanagement
Angesichts der Vielzahl an Unsicherheiten, die die Marktteilnehmer derzeit in ihren Entscheidungen maßgeblich beeinflussen, erweist sich ein sorgfältiges Bottom-up-Research und eine umsichtige Titelauswahl als erfolgsentscheidendes Kriterium. So gewährleistet ein intensives Research und Teamentscheidungsprozesse unter anderem eine umfassende Risikobewertung. Risikomanager widmen sich unabhängig davon insbesondere dem Monitoring der Liquidität von Aktien und Portfolios. ESG-Integration ermöglicht es zudem, ein tiefgreifendes Verständnis der Unternehmen zu erlangen, womit ihre Qualität noch besser einzuschätzen ist. Dies ist mitunter auch ein Grund, wieso unser hauseigenes ESG-Team mittlerweile auf sechs Experten angewachsen ist.
Mit Blick auf die Einzeltitelebene haben beispielsweise ASML, Novo Nordisk und Straumann gute Aussichten auf nachhaltiges Wachstum – das auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten. Schließlich können sie ökonomische Burggräben vorweisen, die mit hoher Preissetzungsmacht und hohen Bruttomargen einhergehen. Preissetzungsmacht ermöglicht es Unternehmen, steigende Kosten weiterzugeben und weiterhin in ihre Wettbewerbsfähigkeit zu investieren. Sogar Investment-Legende Warren Buffett pflegte einst zu sagen: „Wenn man die Macht hat, die Preise zu erhöhen, ohne Geschäft an die Konkurrenz zu verlieren, hat man ein sehr gutes Unternehmen.“
ASML: Der Wert des Wachstums
Der niederländische Halbleiterspezialist und Marktführer bei Lithografie-Geräten ASML ist eine unserer größten Positionen. Als wir im Jahr 2017 unsere Position in ASML eröffneten, wurde die Aktie mit einem KGV von 32x bewertet. Bezugnehmend auf die Gewinne aus dem Jahr 2020 entspricht unser Einstiegspreis von damals heute einem KGV von 19x. Angesichts unserer Prognosen für 2025, sinkt es sogar auf 7x. Langfristig wird die Nachfrage nach Halbleitern dynamisch wachsen und damit steigt auch die Nachfrage nach Lithografie-Geräten. Diese Geräte sind hochkomplex und die Entwicklung der jüngsten Generation von Geräten dauert mehr als ein Jahrzehnt. ASML investiert stark in Forschung und Entwicklung, sodass neue Innovationen auf den Markt gebracht werden können. Aktuell wird ein neuartiges Gerät entwickelt, das rund 350 Millionen Euro kosten wird – das heißt, das Zweifache der heutigen Geräte. In einem neuen 10-Jahres-Plan erwartet ASML ein zweistelliges Umsatzwachstum, das durch weitere Digitalinvestitionen und technologische Erneuerungen unterstützt wird.
Novo Nordisk: Wachstum durch Innovation
Das dänische Pharmaunternehmen Novo Nordisk verzeichnete im Jahr 2021 einen Umsatzanstieg von 14 Prozent, angeführt von der GLP-1-Produktreihe zur Behandlung von Diabetes und den Verkäufen von Medikamenten gegen Fettleibigkeit. Im Juni 2021 erhielt das Unternehmen in den USA zudem die Zulassung für sein neues Medikament Wegovy, das für die Behandlung von Fettleibigkeit eingesetzt wird und innerhalb von wenigen Wochen öfter verschrieben wurde als sein Vorgänger in fünf Jahren. Mit über 100 Millionen Erwachsenen, die allein in den USA an klinischer Adipositas leiden, ist die Nachfrage hier enorm.
Straumann: Strategische Akquisitionen
Das Schweizer Unternehmen konnte sich in den letzten Jahren auf dem Markt als spezialisierter Anbieter für hochwertige Premium-Zahnimplantate positionieren. Diese Nische weitete Straumann durch gezielte Akquisitionen aus – etwa durch den Zukauf eines brasilianischen Unternehmens, das auf Discount-Implantate spezialisiert ist. Ebenso dürfte die Übernahme von ClearCorrect, Hersteller von Aligners bzw. transparenten Zahnspangen, einer der wichtigsten Wachstumstreiber in den nächsten Jahren sein. Die Umsätze im ersten Quartal 2022 stiegen über alle Regionen hinweg um 27 Prozent und lagen damit 15 Prozent über den Erwartungen.
Die Märkte sind aktuell mit einer erhöhten Volatilität konfrontiert und Anleger befassen sich teilweise mit kurzfristigen Ereignissen und Erwartungen. Stilrotationen wie jene zugunsten von Value-Aktien sind Ausdruck dieser Spekulationen. Wir sind allerdings nach wie vor davon überzeugt, dass sich die Kurse langfristig hauptsächlich wieder an der Gewinnentwicklung der Unternehmen orientieren sollten.
Stand der Daten: 31. Mai 2022
Kosten „grüne“ Investments Performance?
Bezahlen nachhaltig orientierte Anleger ihr „grünes“ Investment mit weniger Rendite?
Andreas Dolezal. „Grün“ zu investieren liegt seit Jahren im Trend. Die Mittelzuflüsse in nachhaltige Finanzprodukte zeigen, dass beim Geldanlegen das grüne Gewissen immer wichtiger wird. Studien sollen belegen, dass mit ESG-orientierten Investments sogar mehr Rendite erzielt wurde als mit nicht-nachhaltigen. Auch die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde ESMA kommt (am 5. April 2022) zum Schluss: „ESG-Fonds brachten Anlegern im Jahr 2020 bessere Renditen.“
Anleger kennen den obligaten Warnhinweis auf Finanzprodukten: „Wertentwicklungen der Vergangenheit lassen keine Rückschlüsse auf zukünftige Entwicklungen zu.“ Das gilt auch für Studien zur historischen Performance. Der Krieg in der Ukraine, hohe Inflationsraten, steigende Energiekosten, Chinas No-Covid-Strategie und Lieferkettenprobleme rund um den Erdball verändern die Situation an den Kapitalmärkten massiv – und machen solche Studien zur Makulatur.
Verluste des Tech-Sektors
Während nachhaltig orientierte Anleger, die beispielsweise in bahnbrechende Technologien und damit in den transitorischen Wandel investiert haben, derzeit Verluste erleiden, erzielen jene, die auf fossile Energiequellen wie Erdöl und Gas gesetzt haben, Gewinne. Einem zweistelligen Minus steht ein zweistelliges Plus gegenüber (MSCI Disruptive Technology Index vs. MSCI World Energy Index, 3M & 1Y).
Oftmals übersehen Anleger die Tatsache, dass klimafreundliche Aktienfonds und ETFs verstärkt im Wachstums- und Tech-Sektor investiert sind. Unternehmen wie Apple, Visa, Microsoft, Amazon und Alphabet sind unter nachhaltigen Gesichtspunkten besonders gefragt, weil sie im Vergleich zur „schmutzigen“ Old Economy weniger schädliche Treibhausgase emittieren. Mit ihrem geringeren CO2-Fußabdruck punkten sie beim Klimathema. Als Growth-Titel liefern sie in guten Marktphasen das größere Plus (daher auch Gewinner der Studien), verlieren aber in Korrekturphasen mehr. Wie gewonnen, so zerronnen.
Ob und wie schnell sich dieser Umstand ändert, wenn sich die Finanzmärkte wieder beruhigen und im Hinblick auf das Erreichen der engagierten EU-Klima- und Umweltziele weitere Billionen Euro in nachhaltige Investitionen fließen, wird die Zukunft zeigen. Momentan läuft „schmutzig“ besser als „grün“.
Kritischer Mindestanteil
Einen weiteren Tiefschlag versetzen „grünen“ Veranlagungen die strengen EU-Kriterien für nachhaltige Finanzprodukte. Finanzprodukte, die sich gemäß den EU-Kriterien als (ökologisch) nachhaltig bezeichnen dürfen, beinhalten einen Mindestanteil an nachhaltigen Investitionen. Dieser Mindestanteil muss – unabhängig von der Marktsituation – immer investiert sein. Cash-Bestände oder Absichern mittels Hedging gelten gemäß den EU-Kriterien nämlich nicht als nachhaltige Investments.
Der Handlungsspielraum von Assetmanagern, der gerade in schwierigen Marktphasen unverzichtbar ist, wird durch die EU-Regularien spürbar beschnitten, weil festgelegte Mindestanteile niemals unterschritten werden dürfen. Das Begrenzen von Verlusten durch Umschichten in Cash ist in EU-konformen nachhaltigen Finanzprodukten nur eingeschränkt möglich. Auch das kann zu Verlusten führen.
„Grün“ investiert zu sein, kann in der aktuellen Marktsituation sowie im Vergleich zu traditionellen Geldanlagen durchaus erheblich an Performance kosten. Gleichzeitig kann sich durch den beschnittenen Handlungsspielraum von Assetmanagern das Anlage- bzw. Verlustrisiko weiter erhöhen. Ob dieser Preis das beruhigte „grüne“ Gewissen aufwiegt, muss jeder nachhaltig orientierte Anleger für sich selbst entscheiden.
Foto: AdoeStock / fotopoly
Ab Herbst 2023: Goldbarren made in Austria
Edelmetallhändler Philoro investiert 60 Mio Euro und errichtet „Goldwerk“ vor den Toren Wiens.
Red./ks. Als Händler von Gold und anderen Edelmetallen hat sich das österreichische Unternehmen Philoro im gesamten deutschsprachigen Raum etabliert. 15 Filialen in Österreich, Deutschland, der Schweiz und Liechtenstein sowie ein Onlineshop stehen den Kunden mittlerweile zur Verfügung. Im vergangenen Jahr konnte Philoro erstmals knapp 2 Mrd Euro Umsatz erwirtschaften.
Jetzt wurde ein ganz neues spannendes Kapitel eröffnet: Bereits im Oktober 2020 hat das Unternehmen ein 35.000 Quadratmeter großes Areal im Businesspark Korneuburg erworben, jetzt wurden die Pläne für die Errichtung des „Philoro Goldwerk“ präsentiert. Der Name steht für eine Scheideanstalt modernsten Zuschnitts, wie Geschäftsführer Rudolf Brenner vergangene Woche im Palais Niederösterreich in der Wiener Herrengasse ausführte: „Das ist nicht nur für uns, sondern für den gesamten heimischen Goldmarkt ein wichtiger Schritt. Wir bauen mit modernsten Materialien, setzen ein ganzes Bündel an Maßnahmen zur Nachhaltigkeit um und werden allein für die erste Ausbaustufe 60 Mio Euro investieren.“
Eckpunkte
Die Produktionskapazität soll nach Fertigstellung bis zu 120 Tonnen im Jahr betragen. Das entspricht etwa 2,5 % der gesamten Weltproduktion. Für das erste Jahr 2024 sind 60 bis 70 Tonnen geplant. Ziel sei es weiters, in Zukunft 100 % der Produktion aus recyceltem Gold zu fertigen. Sehr wichtig dafür ist laut Philoro auch die Erreichung höchster Qualitätsstandards. Hier ist die Zertifizierung durch die „London Bullion Market Association“ (LBMA) das Maß der Dinge. Philoro verkauft bereits heute ausschließlich Produkte, die diesem Top Level entsprechen, und will auch die eigene Scheideanstalt zertifizieren lassen.
100 neue Arbeitsplätze in „Fort Knox“
Geschäftsführer René Brückler, der für das Projekt die Hauptverantwortung trägt, verweist auch auf einen wichtigen wirtschaftlichen Aspekt: „Wir werden damit letztlich einen wichtigen Teil der Wertschöpfungskette nach Österreich holen und können mit der Inbetriebnahme auch Goldbarren ‚made in Austria‘ herstellen, mit unserer eigenen Prägung, aber natürlich auch gerne für andere Unternehmen.“
Und: „Es wird ein beeindruckendes Gebäude mit modernsten Anlagen und Materialien und großflächiger Photovoltaik. Das Goldwerk selbst wird 100 neue Arbeitsplätze schaffen, wir werden zudem aber auch unsere Zentrale und das Logistikteam hier ansiedeln und damit insgesamt 300 Mitarbeiter am Standort Korneuburg beschäftigen“, so Brückler.
Glücklich über diese Riesen-Investition und die vielen neuen Arbeitsplätze zeigt sich natürlich auch Niederösterreichs Wirtschaftslandesrat Jochen Danninger: „Das Gold, das in der neuen Scheideanstalt gewonnen wird, wird einerseits zu Goldbarren, Münzen oder auch Halbfertigerzeugnissen für Juweliere verarbeitet, aber es entstehen in Zukunft auch Komponenten für die Industrie, und angesichts der fragilen internationalen Lieferketten ist jede Produktion, die wir bei uns in Niederösterreich haben, von großer Bedeutung und ein enormer Gewinn.“
Korneuburgs Bürgermeister Christian Gepp ist hoch erfreut über die Neuansiedlung in seiner Gemeinde: „Wir sind stolz, ein Unternehmen wie Philoro bei uns willkommen heißen zu dürfen. Und natürlich ist es auch spannend zu wissen, welch komplexe Prozesse hier ablaufen und dass wir künftig ein kleines ‚Fort Knox‘ in Form des Hochsicherheitslagers bekommen werden.“
Die Umsetzung des Projektes wird die Position des Unternehmens jedenfalls deutlich stärken, und damit auch die Attraktivität als Partner, zeigt sich Rudolf Brenner optimistisch: „Wir sind innerhalb der Branche ohnehin in stetigem Austausch, das Goldwerk ist derzeit zweifellos ein Highlight und zahlreiche Interessenten haben schon einmal vorgefühlt, wie eine Zusammenarbeit aussehen könnte.“
Foto: Philoro
Mikrofinanz zeigt sich krisenresistent
Die Entwicklungsgenossenschaft Oikocredit blickt auf ein respektables Ergebnis zurück.
Lea Schweinegger. Trotz der Pandemie bleibt die Nachfrage für faire Kleinstkredite und Finanzierungen von landwirtschaftlichen Genossenschaften im globalen Süden stabil. Wie es scheint, sind die so-genannten „Dorfökonomien“ resilienter gegen Verwerfungen auf den internationalen Finanzmärkten als die Indizes der großen Börsenplätze. Oikocredit ist einer der weltweit größten „Social-Impact“-Investoren mit einem Schwerpunkt auf nachhaltige soziale Entwicklung mittels Mikrokrediten. Mehr als 55.000 Investoren stellen dafür mehr als 1 Mrd Euro zur Verfügung.
Sie erhalten neben einer „Sozial-Rendite“ (Gutes tun, Anm.) auch eine Finanz-Rendite, die sich in den 45 Vor-Pandemie-Jahren in einer Dividende von zumeist 2 % zeigte. Derzeit beträgt die Dividende 0,5 %.
Ein Gutteil der Arbeit der im Jahr 1975 gegründeten Genossenschaft wird vom ehrenamtlichen Engagement getragen. Im Börsen-Kurier nimmt der Vorsitzende des österreichischen Förderkreises Oikocredit sowie Gründer von Mindful Finance, Friedhelm Boschert (Foto), zu aktuellen Fragen Stellung.
Börsen-Kurier: Pandemie, Krieg, Klimawandel – wir leben in bedrückenden Zeiten. Wie hat diese Gemengelage die Situation der Partner, die Kreditnehmer in aller Welt, verändert? Friedhelm Boschert: Schon vor zwei Jahren hatten sich die weltweiten Lockdowns auch in einem temporären Stillstand der Kleinstunternehmer-Aktivitäten niedergeschlagen. Die Bauern schafften es häufig nicht mehr, die Produkte auf die Märkte zu bringen. Doch die Flexibilität in den Ländern des globalen Südens führte zu einer deutlich schnelleren Anpassung an die geänderte Situation. Heute sieht man mit Sorge auf die hohen Nahrungsmittelpreise, die in erster Linie die Ärmsten der Armen besonders treffen. Hier kann der Staat nur begrenzt einspringen und die Partner der Oikocredit sind in besonderem Maße gefordert, Belastungen abzumildern, z. B. durch Stundung von Kreditraten, aber auch dadurch, neue Einkommensquellen durch Anbau von Nahrungsmitteln zu erschließen.
Börsen-Kurier: Wie schwer ist es aktuell, Projekte und Finanzierungen durchzuführen?
Boschert: Nachdem viele Jahre lang die Zielgruppe der Oikocredit, die Armen mit einem Einkommen von weniger als 2 USD pro Tag, erfreulicherweise geschrumpft ist, beobachten wir seit einiger Zeit, beschleunigt durch die Pandemie, wieder ein deutliches Ansteigen der Armut im globalen Süden. Der Bedarf für Projekte und Finanzierungen ist also nach wie vor sehr hoch und steigt. Allerdings muss die Oikocredit als Verantwortlicher Investor auch die Risikoseite im Auge haben. Und hier sind die Risiken – allen voran die Risiken aus dem Klimawandel – weltweit klar gestiegen, sodass eine besondere Sorgfalt bei der Auswahl der Projekte und Partner gefordert ist.
Börsen-Kurier: Wo liegen die geographischen Schwerpunkte? Und können Sie sich vorstellen, auch in einer Nachkriegs-Ukraine verstärkt aktiv zu sein?
Boschert: Die geographischen Schwerpunkte liegen nach wie vor in Südamerika (46 % aller Finanzierungen, gefolgt von Asien (32 % aller Finanzierungen) und Afrika (19 %). Aus Zentral- und Osteuropa hat sich die Oikocredit schon vor Jahren zurückgezogen, um sich besser auf die Armutsbekämpfung im globalen Süden konzentrieren zu können. Im Sinne einer Arbeitsteilung werden andere Partner wie die Weltbank oder Entwicklungshilfe-Agenturen den Wiederaufbau in der Ukraine begleiten.
Börsen-Kurier: Auf der anderen Seite stehen die Anleger. Welches Feedback gibt es von dieser Seite? Bei einem Investment in Oikocredit steht der reine Blick auf die Rendite ja nicht im Vordergrund.
Boschert: Doch, der Blick auf die Rendite bleibt zunächst mal der Gleiche. Jedoch verstehen wir und unsere Anleger die Rendite als aus zwei Teilen bestehend. Die Finanzrendite, die sich in der Dividende niederschlägt. Die betrug die längste Zeit der Oikocredit-Aktivitäten 2 %, wird jedoch aufgrund der Risikovorsorge derzeit bei 0,5 % gehalten. Auf der anderen Seite steht die Sozial-Rendite, die nicht in einer einzigen Zahl beziffert werden kann. Dafür veröffentlicht die Oikocredit jährlich ihren „Wirkungs-Report“, in dem die Wirkungen ihrer Finanzierungen und Projekte sehr genau erfasst und beschrieben werden. Damit für den Investor klar ist, wie sein Geld wirkt.
Börsen-Kurier: Sie haben auch die Organisation Mindful Finance gegründet, inwieweit dämpfen die äußeren Umstände wie Krieg, Inflation usw. die Ambition der Menschen, in Sachen Geldanlagen Nachhaltigkeit walten zu lassen? Oder anders gefragt: Tendieren Menschen in unsicheren Zeiten nicht eher dazu, in Finanzangelegenheiten zurückhaltend zu reagieren bzw. Altbewährtes (Gold oder Immobilien) und Sicherheit Versprechendes vorzuziehen?
Boschert: Mindful Finance bedeuted zunächst, bei Finanzentscheidungen „achtsam“ zu sein. Das ist überhaupt nicht das Gleiche wie „vorsichtig“. Sondern soll heißen, dass wir immer stärker nach der letztendlichen Wirkung unserer Geldentscheidungen fragen müssen: Was bewirkt meine Geldentscheidung letzten Endes? Kinderarbeit oder Bildung? Waldvernichtung oder Klimaschutz? Wir müssen lernen, von der Wirkung her zu denken. Und alle Studien zeigen, dass wirklich nachhaltige Investments auch in finanzieller Hinsicht die bessere Rendite haben. Eben weil die Unternehmen und Projekte besser gemanagt werden und zumeist in Zukunftsbereichen investiert wird.
Börsen-Kurier: Und abschließend: Was haben Oikocredit-Investoren angesichts der hohen Inflation einerseits und wieder steigender Zinsen andererseits in der näheren Zukunft zu erwarten?
Boschert: Die Rahmenbedingungen an den Finanzmärkten verändern sich gerade fundamental. Im Sinne der Nachhaltigkeit ist das durchaus zu begrüßen, wenn durch die Zinssteigerungen etwa der Immobilien-Wahnsinn und die damit verbundene Naturzerstörung ihr Ende finden. Auf der anderen Seite forciert die Politik mit Nachdruck, dass Finanzmittel in nachhaltige Projekte fließen sollen. „Sustainable Finance“ ist der Oberbegriff dafür und das, was wir in der Oikocredit leisten, fällt bereits seit Langem in diese Kategorie: Geld für die nachhaltige Entwicklung von Menschen und Planeten einzusetzen.
Foto: Katharina Schiffl
Zwischen Wettbewerbsnachteil und großer Chance
ESG-Vorreiterrolle Europas wird innerhalb der Industrie sehr kontrovers diskutiert.
Christian Sec. Die Vorreiterrolle Europas im Bereich der Nachhaltigkeit erreicht mit dem geplanten EU-Lieferkettengesetz einen neuen Höhepunkt. Der Entwurf verpflichtet EU-Firmen dazu, ihre Zulieferer entlang der gesamten globalen Lieferketten zu überprüfen, inklusive aller direkter und indirekter Geschäftsbeziehungen. Die offensive ESG-Strategie Europas stößt dabei nicht nur auf Zustimmung, wie ein Interview von Georg Knill, Präsident der Industriellenvereinigung, mit der APA zeigt. Laut Knill riskiere Europa mit seiner Vorreiterrolle einen groben Wettbewerbsnachteil gegenüber anderen Ländern. Gleichzeitig könnten die Klimaziele nicht erreicht werden, wenn die anderen großen Player der Welt noch nicht so weit seien. Entspannter sehen die Großunternehmen in Österreich das Vorpreschen der EU. So erklärt uns Milena Ioveva, Chief Sustainability Officer, beim Bauunternehmen Porr: „Kritiker an der Vorgangsweise Europas haben Recht, dass wir nur gemeinsam die Kehrtwende schaffen können. Aber auch wenn Europa in puncto ESG-Regulierungen wesentlich schärfere Vorgaben trifft, sehen wir die Chance, Europa als zukunftsfähigen Standort mit Vorbildwirkung zu etablieren.“ Ioveva sieht dabei die Rolle Europas als First-Mover im Bereich ESG am Weltmarkt als Vorteil, weil früher oder später die anderen Länder mitziehen müssen und dieser Wandel für die Unternehmen eine große Herausforderung darstellen wird.
Der Gummi-Konzern Semperit schlägt in dieselbe Kerbe. „Auf Dauer wird es sich wohl kein großes Land leisten können, den Zug zu verpassen“, so Kristian Brok, COO von Semperit, gegenüber dem Börsen-Kurier. Er fügt hinzu: „Das Thema Nachhaltigkeit beschleunigt Innovationen, die an-dernfalls in dieser Geschwindigkeit vielleicht nicht zu erwarten gewesen wären.“ Innovationskraft, die wohl dringend benötigt wird für ein Europa in der Technologieklemme zwischen Asien und USA.
Aufwand erhöht sich
Für die Unternehmen ergibt sich durch das Reporting von Nachhaltigkeit, Taxonomie und künftig auch Due Diligence ein hoher Aufwand, wie der Lichttechnikproduzent Zumtobel nach Anfrage des Börsen-Kurier erklärt, wobei das Unternehmen meint: „Unsere Netzwerkpartner sind der Gesetzgebung mit ihren Fragen und Anliegen mitunter schon voraus.“ Nichtsdestoweniger erwartet das Vorarlberger Unternehmen von der Politik, dass nicht die ganze Verantwortung auf die Unternehmen abgewälzt wird. „Es bedarf einer Schaffung von politischen Rahmenbedingungen, die die Anstrengungen zu ESG-Themen auch beispielsweise durch Kriterien im Rahmen der öffentlichen Beschaffung unterstützen.“
Auch der Kartonhersteller Mayr-Melnhof verstärkt bereits im Vorfeld möglicher verstärkter Due-Diligence-Pflichten die Prüfung der Lieferanten, im Bestreben, diese und deren Produktionsschritte eingehender zu erfassen und zu verstehen. „Die Risikobewertung von Lieferanten wird in den kommenden Geschäftsjahren auf Gruppen-Ebene daher fokussiert, um dieses Ziel umzusetzen. Chancen und Risiken sollen aufgedeckt und angemessen eingeordnet, bearbeitet oder beseitigt werden“, so der Konzern in seinem nichtfinanziellen Jahresbericht.
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„Wetten Sie nicht auf eine weiche Landung!“
Unser Star-Gastautor Nouriel Roubini ist bekannt für seine pessimistische Sicht der Dinge.
Red. 2021 konzentrierte sich die große Debatte über die weltwirtschaftlichen Aussichten darauf, ob die steigende Inflation in den USA und anderen hochentwickelten Volkswirtschaften vorübergehender oder langfristiger Art sei. Wichtige Notenbanken und die meisten Wall-Street-Researcher waren überzeugt, sie wäre vorübergehender Art. Sie führten das Problem auf Basiseffekte und vorübergehende Angebotsengpässe zurück und implizierten damit, dass die hohe Inflation rasch wieder in den Zielkorridor der Notenbanken von 2 % fallen würde.
Derweil argumentierten diejenigen, die meinten, sie wäre langfristiger Art (angeführt von Lawrence H. Summers von der Universität Harvard, Mohamed A. El-Erian vom Queens’ College der Universität Cambridge und weiteren Ökonomen), dass die Inflation hoch bleiben würde, weil die Konjunktur aufgrund einer exzessiven Gesamtnachfrage dabei sei, zu überhitzen. Diese Nachfrage würde von drei Faktoren angetrieben: einer anhaltend lockeren Geldpolitik, übertriebenen Konjunkturimpulsen durch die Fiskalpolitik und einer raschen Anhäufung von Ersparnissen auf Seiten der privaten Haushalte während der Pandemie, die nach der neuerlichen wirtschaftlichen Öffnung zu einem Nachfrageschub führte.
Auch ich gehörte jener zweiten Gruppe an. Aber ich argumentierte, dass zusätzlich zu der überhöhten Gesamtnachfrage mehrere negative Gesamtnachfrageschocks zu der steigenden Inflation – und tatsächlich zu einer Stagflation (verringertem Wachstum bei gleichzeitig erhöhter Inflation) – beitrügen. Die ursprüngliche Reaktion auf Covid-19 hatte zu Lockdowns geführt, die deutliche Verwerfungen in den globalen Lieferketten verursachten und das Angebot an Arbeitskräften verringerten (was in den USA einen sehr angespannten Arbeitsmarkt zur Folge hatte). Dann kamen in diesem Jahr zwei zusätzliche Angebotsschocks dazu: Russlands brutale Invasion in der Ukraine, die die Rohstoffpreise (für Energie, Industriemetalle, Nahrungsmittel und Dünger) in die Höhe trieb, und Chinas „Null-Covid-Reaktion“ auf die Omikron-Variante, die zu einer weiteren Runde von Engpässen in den Lieferketten führte.
Ein „Sieg“, bei dem alle verlieren
Wir wissen jetzt, dass jene zweite Gruppe die Inflationsdebatte des Jahres 2021 „gewonnen“ hat. Angesichts einer steil auf beinahe zweistellige Werte gestiegenen Inflation haben die US Federal Reserve und andere Notenbanken eingestanden, dass das Problem nicht vorübergehender Art ist und man ihm dringend durch Straffung der Geldpolitik begegnen muss.
Dies hat eine weitere große Debatte ausgelöst: ob die Wirtschaftspolitik eine „weiche Landung“ für die Weltwirtschaft herbeiführen kann. Die Fed und andere Notenbanken behaupten, dass es ihnen gelingen wird, ihre Leitzinsen gerade stark genug anzuheben, um die Inflationsrate auf ihren Zielwert von 2 % hinunterzuziehen, ohne dabei eine Rezession zu verursachen. Aber viele andere Ökonomen und ich bezweifeln, dass dieses „Goldlöckchen-Szenario“ – eine Konjunktur, die weder zu stark erhitzt noch zu sehr abkühlt – erreichbar ist. Das erforderliche Maß an geldpolitischer Straffung wird unweigerlich eine harte Landung in Gestalt einer Rezession und höherer Arbeitslosigkeit hervorrufen.
„Ein Wunschdenken“
Weil stagflationäre Schocks sowohl das Wachstum verringern als auch die Inflation in die Höhe treiben, stellen sie die Notenbanken vor ein Dilemma. Wenn ihre höchste Priorität darin besteht, die Inflation zu bekämpfen und eine gefährliche Entankerung der Inflationserwartungen (das heißt eine Lohn-Preis-Spirale) zu verhindern, müssen sie ihre unkonventionelle expansionistische Geldpolitik auslaufen lassen und die Leitzinsen in einem Tempo erhöhen, das vermutlich eine harte Landung nach sich ziehen wird. Doch wenn ihre Spitzenpriorität darin besteht, Wachstum und Beschäftigung aufrechtzuerhalten, müssen sie ihre Politik langsamer normalisieren und das Risiko einer Entankerung der Inflationserwartungen eingehen, und so den Boden für eine über dem Zielwert liegende Inflation bereiten.
Das Szenario einer weichen Landung nimmt sich daher wie Wunschdenken aus. Inzwischen hat sich der Anstieg der Inflation derart verstetigt, dass nur eine starke Straffung der Geldpolitik sie wieder in den Zielkorridor zurückbringen kann. Unter Rückgriff auf frühere Episoden hoher Inflation gehe ich davon aus, dass die Wahrscheinlichkeit einer harten Landung innerhalb von zwei Jahren bei mehr als 60 % liegt.
Verschuldung könnte Zinserhöhungen bremsen
Doch gibt es noch ein drittes mögliches Szenario. Die Geldpolitiker äußern sich derzeit, was die Inflationsbekämpfung angeht, gern aggressiv, um zu verhindern, dass diese außer Kontrolle gerät. Aber das heißt nicht, dass sie nicht letztlich klein beigeben und einen Anstieg der Inflationsrate über den Zielwert zulassen werden. Da ein Erreichen dieses Zielwerts eine harte Landung erfordern dürfte, könnten sie letztlich die Zinsen erhöhen und dann kalte Füße bekommen, sobald dieses Szenario wahrscheinlicher wird. Zudem könnten Zinserhöhungen, weil derart viele private und öffentliche Schulden im System stecken (global 348 % vom BIP), einen neuerlichen Kurssturz an den Renten-, Aktien- und Kreditmärkten auslösen, was den Notenbanken einen weiteren Grund für einen Rückzieher verschafft.
Vereinfacht gesagt: Die Bemühungen zur Inflationsbekämpfung könnten ohne Weiteres zu einem Absturz der Konjunktur, der Märkte oder beider führen. Schon jetzt hat die bescheidene Straffung der Geldpolitik durch die Notenbanken die Finanzmärkte erschüttert, wichtige Aktienindizes nähern sich Bärenterritorium (einem Rückgang von 20 % gegenüber den jün-gsten Höchstständen), und die Anleiherenditen und die Risikoaufschläge für Kredite steigen. Doch wenn die Notenbanken jetzt einen Rückzieher machen, wird das Ergebnis den stagflationären 1970er- Jahren ähneln, als eine Rezession mit hoher Inflation und einer Entankerung der Inflationserwartungen einherging.
Rezession wird immer wahrscheinlicher
Welches Szenario ist am wahrscheinlichsten? Das hängt völlig von einer Kombination unsicherer Faktoren ab, darunter der Hartnäckigkeit der Lohn-Preis-Spirale, dem Grad, zu dem die Leitzinsen zur Zügelung der Inflation (durch Schaffung eines Überangebots auf den Waren- und Arbeitsmärkten) steigen müssen, und der Bereitschaft der Notenbanken, schmerzhafte Entscheidungen zu treffen, um ihre Inflationsziele zu erreichen. Darüber hinaus bleibt abzuwarten, welchen Verlauf der Krieg in der Ukraine nehmen und was für Auswirkungen er auf die Rohstoffpreise haben wird. Gleiches gilt für Chinas Null-Covid-Politik mit ihren Auswirkungen auf die Lieferketten und für die aktuelle Korrektur an den Finanzmärkten.
Die Geschichte zeigt, dass eine weiche Landung höchst unwahrscheinlich ist. Damit bleiben die Möglichkeiten einer harten Landung mit einer Rückkehr zu niedrigerer Inflation oder ein Stagflationsszenario. So oder so ist eine Rezession in den nächsten zwei Jahren wahrscheinlich.
Aus dem Englischen von Jan Doolan, © Project Syndicate 1995 bis 2022
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Automobilindustrie: Rekordgewinne trotz rückläufigem Pkw-Absatz
Automotive Bilanzen Q1-2022 – eine Analyse von EY.
(26.05.) Die Autokonzerne trotzen der Chipkrise, Lieferketten-Unterbrechungen und dem Krieg in der Ukraine und weisen von Quartal zu Quartal höhere Gewinne aus: So haben die 16 größten Autokonzerne der Welt im ersten Quartal einen operativen Gewinn von insgesamt 34,1 Milliarden Euro eingefahren – 19 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum und der höchste je in einem ersten Quartal erwirtschaftete Gewinn.
Trotz eines kräftigen Absatzrückgangs um elf Prozent kletterte der Umsatz um sieben Prozent. Die stärksten Absatzeinbußen verzeichneten die Unternehmen in China, wo die Verkäufe um 17 Prozent einbrachen. In den USA ging es um 16 Prozent nach unten, in Westeuropa um zwölf Prozent. Spitzenreiter beim Umsatz war Volkswagen mit einem Umsatz von 62,7 Milliarden Euro, dicht gefolgt von Toyota mit 62,2 Milliarden Euro.
Die höchsten Gewinne verzeichneten Volkswagen (8,3 Milliarden Euro), Mercedes-Benz (5,2 Milliarden Euro) und Toyota (3,6 Milliarden Euro). Bei den Gewinnmargen hatte hingegen erneut Tesla die Nase vorn: Der kalifornische Elektroautobauer erzielte eine Marge von 19,2 Prozent und lag damit vor Mercedes-Benz (15,0 %), Volkswagen (13,3 %) und BMW (10,9 %).
Das sind Ergebnisse einer Analyse der Finanzkennzahlen der 16 größten Autokonzerne der Welt, die die Prüfungs- und Beratungsgesellschaft EY quartalsweise erstellt.
„Die hervorragenden Zahlen im ersten Quartal sollten nicht von der extrem angespannten Lage in der Autoindustrie ablenken“, erklärt Axel Preiss, Leiter Advanced Manufacturing & Mobility bei EY. „Tatsächlich sind die Lieferketten zurzeit eine große Bedrohung für die Branche. Die gute Umsatz- und Gewinnentwicklung ist vor allem auf die hohe Nachfrage zurückzuführen, wegen der die Hersteller zurzeit kaum noch Preisnachlässe gewähren müssen.“ Von dieser Ausnahmesituation profitieren vor allem Anbieter im Premiumsegment, so Preiss: „Hochpreisige Neuwagen verkaufen sich bestens, Premium-Anbieter fahren derzeit Traummargen ein.“
Nicht alle Hersteller verzeichnen allerdings eine gestiegene Profitabilität: So schrumpfte die Marge von Toyota im Vergleich zum Vorjahreszeitraum von 9,0 auf 5,7 Prozent, Ford verzeichnete einen Rückgang von 8,5 auf 5,2 Prozent. Etliche Konzerne kämpfen nach wie vor mit einer niedrigen Marge: Die Hälfte der untersuchten Unternehmen meldet für das erste Quartal eine Marge von unter sechs Prozent. Preiss dazu: „Insgesamt haben die Autokonzerne im ersten Quartal mehr Gewinn gemacht als je zuvor. Die Hälfte des Gesamtgewinns geht aber auf die Top-3-Verdiener zurück – es gibt einige Hersteller, an denen der Gewinn-Boom vollständig vorbei ging.“
China bereitet zunehmend Sorgen
Die große Unbekannte ist derzeit die weitere Entwicklung auf dem wichtigen chinesischen Markt, der im ersten Quartal immerhin für 39 Prozent des Absatzes der deutschen Autokonzerne stand. Preiss betrachtet die Entwicklung dort mit Sorge: „Die strengen Lockdown-Maßnahmen in China setzen den Neuwagenabsatz massiv unter Druck. Zurzeit sind auch keine Lockerungen in Sicht, deswegen drohen am chinesischen Markt auch in den kommenden Monaten weitere Absatzrückgänge. Problematisch auch für europäische Betriebe ist die eingeschränkte Produktion vor Ort – die hat nämlich auch Folgen.“ Die Einschränkungen in China dürften daher weltweit zu spüren sein, schätzt Preiss die Situation ein.
Ausblick: Hoffen auf mehr Halbleiter
Die Hoffnungen der Hersteller ruhen derzeit vor allem auf einer besseren Versorgung mit Halbleitern. „Sobald sich die Situation bei den Chips verbessert, werden auch die Pkw-Absätze wieder steigen. Die Auftragsbücher sind gut gefüllt“, sagt Preiss. Allerdings werden sich laut Ansicht von Preiss auch die massiv gestiegenen Energie- und Rohstoffkosten auf die Bilanzen der Konzerne auswirken. Ein weiteres Gewinnwachstum sei daher unwahrscheinlich – auch angesichts der schwierigen Lage in China.
Am Fokus auf Premiumfahrzeuge dürfte sich vorerst wenig ändern, erwartet Preiss, wobei sich die Ressourcenallokation weiter von Verbrennern auf elektrifizierte Fahrzeuge verlagert: „Elektroautos werden zunehmend profitabel und gerade in gehobenen Preisklassen kommen viele neue, attraktive Elektroautos auf den Markt. Die Nachfrage und Preisbereitschaft sind hoch.“ Das Premiumsegment dürfte zudem am wenigsten unter der erwarteten weiteren Konjunkturabschwächung leiden, erwartet Preiss: „Die Konjunkturprognosen sind derzeit alles andere als rosig. Steigt die Inflation, sinkt die Kaufkraft. Auch die Unsicherheit über die weitere Entwicklung etwa bei der Energieversorgung ist groß. Die Autohersteller sollten sich daher auf stürmische Zeiten vorbereiten.“
Wohin die Welt steuert
Zweifel, Drama, aber auch Gelassenheit beim Weltwirtschaftsforum in Davos.
Roman Steinbauer. Nach der Zwangspause fand vom 22. bis 26. Mai das Weltwirtschaftsforum (WEF) in gewohnter Form wieder im Kongresszentrum Davos statt. Im Ambiente der imposanten Schweizer Bergwelt gelegen, trafen sich mehr als 2.400 renommierte Ökonomen, Wissenschafter, Politiker sowie Medienvertreter, um über die aktuellen Fragen der Welt zu diskutieren. Die Veranstaltung unter dem Titel „Die Geschichte am Wendepunkt“ wurde durch die Schwerpunkte Wirtschaftserholung nach der Pandemie, Osteuropa-Konflikt sowie Klimaschutz dominiert. Den Finanzmarkt betreffend, filterte der Börsen-Kurier Aussagen diverser Ökonomen und Vorstände global agierender Unternehmen.
Der Vize-CEO von S&P Global, Dan Yergin, umriss die gegenwärtige Entwicklung des Weltgeschehens auf seine Weise: „Wir sind auf dem Weg in eine fragmentierte, nicht globalisierte Welt.“ Anne Richards, CEO bei Fidelity International, erwartet weitere zwei Quartale erhöhter Volatilität und gab zu bedenken: „Erst dann sehen wir letztendlich die weitere Marktrichtung. Das Risiko einer Rezession hat sich aber unterdessen erhöht.“ Optimismus für den chinesischen Markt sah Jakob Stausholm (CEO des Rohstoff-Riesen Rio Tinto) und forderte im Sinne der Rohstoff-Konglomerate: „Die Staaten sollen Geld in die Hand nehmen und die Infrastruktur ausbauen, denn das tut allen gut.“
Die Chefökonomin des Internationalen Währungsfonds, Gita Gopinath, mahnte die rasche Eindämmung der Inflation durch die US-Notenbank ein. Konträr und warnend dazu der prominente Wirtschaftswissenschafter der Columbia Universität, Joseph Stiglitz: „Die reflexartige Gegensteuerung mit Anhebung der Leitzinsen wird diesmal gegen die Inflation nicht wirken.“ Damit fördere die Fed nur eine Rezession und Finanzkrise. Stiglitz erkennt generell eine Bedrohung für das Weltwirtschaftssystem und die Demokratie. EZB-Präsidentin Christine Lagarde, die keine Rezession in Europa erwartet, stellte sich Behauptungen entgegen, die EZB laufe der Inflation hinterher und legte klar: „Wir sind in keinem Panik-Modus.“ Von einer Rezession und einem diesbezüglichen Handlungsbedarf werde nicht ausgegangen.
Quer zu denken empfahl Investmentbanker und Ex-CEO bei JPMorgan Chase, Jamie Dimon: „Die Gewitterwolken über der Weltwirtschaft könnten unerwartet rasch abziehen.“ UBS-CEO Ralph Hamers sieht wiederum die Welt nach dem Pandemie- und Kriegs- nun in einen Übergangsschock hineinlaufen. Mit einer gegenläufigen Sicht zur US-Devise ließ Rebecca Patterson, CIO bei Bridgewater Associates, aufhorchen: „Der Dollar ist nun verwundbar, sowohl in der Betrachtung des bisherigen Verlaufs als auch strukturell.“ Nach Bob Prince, Co-CIO dieses Hedgefonds, habe der Einzug einer Stagflation bereits begonnen.
David Livingstone, CEO von Citibank Europa, machte sich um die hohe Abhängigkeit der EU von den Bankbilanzen Sorgen. Zuversicht zeigten der Präsident der US-Börse NYSE, Lynn Martin, der kein Abebben des Zustroms an Börsengängen erkennt, sowie der Marriott-Vorstandsvorsitzende Tony Capuano, der im Hotelsegment „derzeit eine starke Macht zur Preissetzung“ registriert. Morgan Stanleys Chef-Aktienstratege Mike Wilson stellt fest, dass wir uns längst in einem Bärenmarkt befinden. Moderna-Vorstand Stephane Bancel fürchtet wiederum um den Platz in vorderster Reihe: „Es gibt so viele Krisen in der Welt, dass die Gesundheit an Gewicht verlieren wird.“
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Hausgemachte Inflation kostet Kaufkraft
„Zwangssparen statt Bausparen“ könnte das Motto der aktuellen Inflationsperiode lauten.
Michael Kordovsky. Seit dem Ende der Finanzkrise 2008/09 bis ins Jahr 2020 hinein herrschte eine Langzeitperiode niedriger Inflationsraten, während sich die wachsende Geldmenge in Asset-Inflation in Form steigender Immobilienpreise, Aktien- und Anleihen-Kurse niederschlug. Die Consumer-Inflation blieb indessen niedrig, denn es herrschte ein Überangebot, zumal sogenannte „Zombiefirmen“, die eine Periode mit höheren Zinsen nicht überstanden hätten, infolge der niedrigen Anleihen-Renditen und Kreditzinsen gut überleben konnten.
Künstliche Warenverknappung
Erst Verordnungen zur Corona-Bekämpfung führten durch unterbrochene Lieferketten infolge geschlossener Betriebe und Häfen zu Lieferverzögerungen und Knappheiten. Kaum war dies bekannt, setzte am Markt der Mechanismus der Self-Fulfilling-Prophecy ein: Handel und Industrie begannen größere Lagerbestände kritischer Waren und Rohstoffe zu horten und bestimmte Produkte waren schnell ausverkauft – eine Entwicklung, die der Ukraine-Krieg noch verstärkte. Und so schlug plötzlich die expandierende Geldmenge in der Consumer-Inflation durch. Die höchsten Inflationsraten seit den frühen 1980er-Jahren waren die Folge. Die US-Inflationsrate erreichte im März mit 8,5 % den höchsten Stand seit Dezember 1981 und lag im April mit 8,3 % nur knapp darunter. Um 30,3 % be-sonders stark stieg die Energiepreiskomponente. Gebrauchte Autos und Trucks verteuerten sich um 22,7 % und Flugtarife um ein Drittel. Die Stundenlöhne im Privatsektor stiegen indessen nur um 5,5 %, weshalb die Lohn-Preis-Spirale noch nicht in Gang gesetzt wurde.
In Europa gestiegen sind primär die Energiepreise, die im HVPI mit 10,93 % gewichtet sind. Einem Plus von 44,3 % im März steht ein Plus von 37,5 % im April gegenüber. Unverarbeitete Lebensmittel verteuerten sich um 9,2 % und Tabak um 7,6 %. Die Kerninflation ohne Energie, Lebensmittel, Alkohol und Tabak läge nur bei 3,5 %. Der Inflationsbeitrag von Energie liegt bei 3,7 %-Punkten im Vergleich zu den Dienstleistungen mit 1,38 %-Punkten. Quer durch die EU weisen neun von 26 Mitgliedsstaaten Inflationsraten in zweistelliger Größenordnung auf. Die höchsten Inflationsraten weisen im April folgende Länder auf: Estland (19,1 %), Litauen (16,6 %), Tschechien (13,2 %), Lettland (13,1 %), Bulgarien (12,1 %), Rumänien (11,7 %), Polen (11,4 %), Niederlande (11,2 %) und Slowakei (10,9 %). Am niedrigsten sind die Inflationsraten noch in Malta und Frankreich (je 5,4 %) und Finnland mit 5,8 %.
Konsumrestriktion
Quer durch Europa wird dadurch Kaufkraft beschnitten, denn noch zu Jahresbeginn lagen in 13 EU-Staaten die Mindestlöhne unter 1.000 Euro und nur in sechs über 1.500 Euro, nämlich Frankreich, Deutschland, Belgien, Niederlande, Irland und Luxemburg. Somit ist auch nicht verwunderlich, dass sich das Absatzvolumen im Einzelhandel quer durch die EU von einem Plus von 5,6 % im Feber auf Plus 1,7 % im März reduzierte. Gleichzeitig brach das Absatzvolumen des Versand- und Internet-Einzelhandels im März auf Jahresbasis um 10,5 % ein, und selbst der Konsum von Nahrungsmitteln, Getränken und Tabakwaren war um 2,1 % rückläufig. Der letzte Zuwachs wurde hier im November 2021 (+0,7 %) verzeichnet. Es sieht also ganz so aus, als würde sich der Konsum auf das Allernotwendigste fokussieren. In den USA hingegen wuchsen im April die Einzelhandelsumsätze noch um 8,2 % (ex Autos sogar um 10,9 %), was auf einen im Vergleich zu Europa robusteren Arbeitsmarkt zurückzuführen ist.
Mit einer stärkeren Konjunkturabschwächung in Europa kann von dort ausgehend eine Preisdämpfung einsetzen. Voraussichtlich wird dies frühestens gegen Jahresende 2022 erkennbar.
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Zweite Säule: Einigkeit der Sozialpartner wichtig
Minister Martin Kocher über demografische Entwicklung, Arbeitsmarkt und Altersvorsorge.
Marius Perger. Im Sommer 2020 hatte Martin Kocher, damals als Leiter des Instituts für Höhere Studien (IHS), in einem „Policy Brief“ auf die geringen Anteile der zweiten und dritten Säule des Pensionssystems in Österreich im Vergleich zu anderen OECD-Staaten hingewiesen.
Als nunmehriger Bundesminister