Greater Europe

Die neue Bundesregierung bemüht sich um kollegiale Amtsführung und nimmt aus diesem Grunde auf viele Partikularinteressen Rücksicht. Allgemein soll gespart werden, große Reformwürfe fielen bislang nicht auf. Umso mehr erstaunt es, dass Wirtschaftsminister Wolfgang Hattmannsdorfer als Gastredner auf dem CDU-Parteitag mit der durchaus visionären Idee einer Erweiterung des Europäischen Wirtschaftsraumes (EWR) auf Kanada und Israel aufgefallen ist. Nun mag es derzeit aus anderen Gründen nicht gerade der richtige Zeitpunkt sein, Israel aufzunehmen, der Grundgedanke selbst bietet jedoch die Möglichkeit, in Richtung einer EUTotalreform weiter zu denken, die spätestens seit dem Brexit diskutiert hätte werden müssen. Dem EWR gehören die EUMitgliedsstaaten plus Norwegen, Island und Liechtenstein an. Dabei handelt es sich um eine vertiefte Freihandelszone, nicht um eine Zollunion, nicht um eine Zollunion per Definitionem. Würde man diesen Wirtschaftsraum unter bewusstem Verzicht auf andere Themen aufwerten, böte sich so ein niederschwelliges Angebot an Großbritannien, Kanada, und warum nicht auch an Australien und Neuseeland. Selbst die Türkei, vielleicht auch der eine oder andere Mittelmeeranrainerstaat, könnten Beitrittskandidaten sein. Damit wären genannte Staaten in ihren wirtschaftlichen Interessen stärker an die EU gebunden, ohne EUMitglieder sein zu müssen. Gleichzeitig könnte ein solches „Greater Europe“ für seine Mitglieder attraktiv genug sein, um Druck auf Brüssel in Richtung Verschlankung, Entschlackung und Entbürokratisierung auszuüben. (22.05.)

TIBOR PÁSZTORY, CHEFREDAKTEUR