OMV & Adnocs Meisterarbeit
Ob alle die große Dimension dieses Zusammenschlusses begriffen haben?
Florian Beckermann. Als im Sommer 2023 die OMV ad hoc tickerte, dass man über die Borealis-Zukunft unter neuem Dach verhandelt, gingen einige Augenbrauen in die Höhe. Erst wenige Jahre zuvor hatte die OMV – noch unter CEO Rainer Seele – 75 % an der Borealis von Adnoc „günstig“ erworben. Es roch nach „Nachverhandlungen“ zum ungünstigen Zeitpunkt. Gerade unter dem Aspekt, dass die gesamte OMV-Konzernstrategie in Richtung nachhaltiger Petrochemie-Konzern umgelenkt wurde, wirkte die Idee konträr. OMV und Borealis sollte man doch zusammendenken.
Erst langsam reifte der Gedanke in der Szene, dass zusammen mit Adnocs Borouge in Abu Dhabi ein echter Weltplayer geschaffen werden könnte. Die Parameter eines Joint-Ventures waren entscheidend. Schnell kristallisierten sich komplexe Kriterien her-aus: OMV und Adnoc agieren auf Augenhöhe, eine bare Zuzahlung der OMV gleicht Bewertungsfragen aus. Für Standort und Entsendungsrechte gibt es Präferenzen. In diesem Stadium versank der Deal für über ein Jahr. Einzig auf der Hauptversammlung poppte die Frage ohne neuen Erkenntnisgewinn auf. Man verhandelte im Geheimen.
Entscheidende Figuren: OMV-CEO Alfred Stern war Borealis-Vorstandschef – nicht nur auf dem Papier der geeignetste Vertreter. Ihm gegenüber OMV-Aufsichtsrat und Adnoc-Chef-Manager Khaled Salmeen. Bereits bei seiner Wahl in den Aufsichtsrat hinterließ er einen eindeutigen Eindruck: Der Mann beherrscht sein Geschäft perfekt und hat ein Ziel vor Augen – Abu Dhabis Konzerne auf Weltniveau im Kunststoffbereich zu führen.
Verzögerung: Doch Adnocs-Milliarden-Opportunitätskauf der deutschen Covestro AG hemmte das Thema Borealis nur zeitlich. Zumal aufgrund der weltwirtschaftlichen Lage nicht unbedingt leichte Zukunftsprognosen einzupreisen waren. Auch Tochter-zu-Schwester-Verhandlungen mit Mutterkonzernen haben besondere Eigenheiten, Staatsbeteiligungen ebenso. Das geht selten schnell.
Ergebnis: Angesichts dieser Ausgangslage ist das Ergebnis auf beiden Seiten als Meisterarbeit zu bezeichnen. Einerseits gelingt es der OMV, den Standort Wien mit dem dann wohl größten Börse-gelisteten Unternehmen Österreichs zu bereichern. Die oben genannten Kriterien werden eingehalten. Mehr noch, man einigt sich darauf, den „Kuchen“ durch die kanadische Nova Chemicals noch globaler und größer werden zu lassen. Kein schlechter Schachzug in einem heiß umkämpften Markt. Angesichts dessen ist die bare Zuzahlung verkraftbar. Dass Adnoc zukünftig den Aufsichtsratsvorsitz der Borouge Int. stellen wird, mag dem Umstand geschuldet sein, dass die meisten Assets der Borouge bereits heute in Abu Dhabi liegen. Wie sich die Führungsebene zusammensetzt, ist offen. Ob alle in Österreich die große Dimension dieses Zusammenschlusses begriffen haben, ist ebenso offen.
Auf den zweiten Blick ergeben sich auch eine Reihe von Anschlussfragen: Welche Investoren will das Zweitlisting der Borouge in Österreich und Europa ansprechen? Stimmt die Equity-Story? Wie muss sich die Nachhaltigkeitsstrategie der OMV ändern? Personell deuten viele Finger auf Stern als Boss für die Borouge International. Der Job könnte ihm irgendwie bekannt vorkommen.
Florian Beckermann ist Vorstand des IVA – Interessenverband für Anleger