Polen: Reiz und Ärger am Expansionsmarkt für Österreichs Konzern
Florian Beckermann. Nicht erst seit dem beschlossenen Kauf der Santander Bank Polska durch die Erste Group ist Polen ein Wachstumszielmarkt. Nein, viele andere österreichische börsengelistete Unternehmen haben Polen seit Jahren im Visier und sind dort tätig. In weiten Teilen ist es eine Erfolgsgeschichte. Andere Teile sind betrübt durch nationale Besonderheiten, ja strategische polnische Interessen, die insbesondere auf Österreichs Expansionen eine Zwangswirkung entfalten, die nicht jedem gefällt. Aktionäre kommen zum Handkuss.
Niemand bezweifelt den fulminanten Aufstieg Polens zu einer nachhaltigen Wirtschaftsmacht in Zentraleuropa mit Führungsanspruch. Wer heute durch Polen reist, wird Zeuge eines modernen, selbstbewussten Landes. Längst sind die Zeiten von Ampeln auf Autobahnen oder Tempolimits als Mindestreisegeschwindigkeitsangaben vorbei – sofern man die Schlaglöcher ignorierte. So weist Polen seit Jahren hohe Wachstumsraten in nahezu allen ernstzunehmenden makroökonomischen Kennzahlen auf. Österreich wollen wir in diesem Zusammenhang besser aktuell nicht erwähnen.
Zusätzlich gibt die politische Positionierung als unerschütterlicher Nachbar und Freund der Ukraine dem Land eine weitere Wachstumsmöglichkeit, sollte es dort zum baldigen Wiederaufbau kommen. So ist es wenig verwunderlich, dass Strategen längst die dortige Marktpräsenz für zwingend erforderlich halten. In weiterer Folge – wie bei Erste zu sehen – nicht ohne auch kräftig dafür zu zahlen. Die Immobilienindustrie war zweifelsohne eine der Vorreiterinnen und ist bis heute erheblich investiert. Man erinnert sich an die Großinvestitionen in den Spire Tower der vormaligen Immofinanz, heute CPI Europe. Versicherungen wie Uniqa oder VIG sind feste Größen.
Geht es um polnische Interessen, kann die Situation auch weitaus weniger „erfreulich“ werden. Es waren vor allem polnische Kunden, die Strabag zur Reduktion des Deripaska-Anteils zwangen und so einen Dominoeffekt erzeugten, der zunächst Milliardenkosten für RBI beinhaltet. Es war auch RBI, die sich mit den Polbank-Transaktionen ein Schweizer Franken Fremdwährungsrisiko einfing, das bisher in der Abwicklung mehr als 2 Milliarden Euro gekostet hat. Die mitunter protektionistische Justiz und regulatorische Verwaltung haben schon manchen internationalen Konzern verzweifeln lassen und zur „Flucht“ bewegt.
Fazit: Neben Rumänien stellt Polen den stärksten zentraleuropäischen Markt dar – mit attraktiven Wachstumsperspektiven. Nicht dabei zu sein, kann sich kaum ein zentraleuropäischer Spieler leisten, sofern er denn den Anspruch hat, eben dieser sein zu wollen. Ab einer gewissen Unternehmensgröße ist es zwingend, sich für Märkte, wie Polen Lösungen zu überlegen. Die Kunden fragen es nach. Wer hier dann nicht liefern kann verliert viel – insbesondere Marktanteile.
Florian Beckermann ist Präsident des IVA – Interessenverband für Anleger