Keine rasche Erholung in Sicht

Historischer Einbruch auf dem europäischen Neuwagenmarkt – keine rasche Erholung in Sicht

• Neuwagenabsatz sinkt EU-weit im April um 76 Prozent, in Österreich um 65 Prozent

• Starkes Nord-Süd-Gefälle: Südeuropa mit stärksten Einbußen

• Marktanteil von Elektroantrieben steigt auf Rekordniveau, Neuzulassungen sinken aber nun auch bei Elektroautos

• EU-weit 2020 Absatzrückgang um ein Drittel erwartet

19.05. Der EU-Neuwagenmarkt ist im April so stark eingebrochen wie nie zuvor – um 76 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat. In Österreich wurde mit einem Rückgang um 65 Prozent ebenfalls ein historischer Einbruch registriert.

Europaweit verzeichneten die Länder die drastischsten Rückgänge, die am stärksten von der COVID-19-Pandemie betroffen waren und die massivsten Eindämmungsmaßnahmen umsetzten: In Belgien, Frankreich, Großbritannien, Irland, Italien und Spanien sanken die Neuzulassungen jeweils um fast 90 Prozent und mehr.

Die staatlichen Maßnahmen fielen innerhalb Europas unterschiedlich stark aus – entsprechend groß ist die Bandbreite in Bezug auf die Einbußen auf dem Neuwagenmarkt: In den skandinavischen Ländern wurden Rückgänge um etwa ein Drittel verzeichnet, im deutschsprachigen Bereich (Österreich, Deutschland, Schweiz) lagen die Einbußen bei etwa zwei Dritteln, im Süden Europas kam der Markt fast vollständig zum Erliegen.

Gerhard Schwartz, Leiter Industrial Products bei EY Österreich, rechnet mit einer leichten Entspannung der Lage im Monat Mai: „In den meisten Ländern Europas werden die Beschränkungen derzeit gelockert, das öffentliche Leben kommt wieder in Gang, wenngleich je nach Land unterschiedlich schnell und unterschiedlich stark. Diese Lockerungen werden sich auch in den Neuzulassungen widerspiegeln.“ Für den Monat Mai rechnet Schwartz EU-weit mit einem Rückgang um etwa 50 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat.

Konjunktursorgen bremsen Autoabsatz
Die Branche stehe nun vor mehreren Herausforderungen, sagt Schwartz: „Dass nun die Autohäuser in vielen Ländern wieder geöffnet haben, hat einen gewissen stabilisierenden Effekt, führt aber leider nicht dazu, dass die Kunden wieder in Scharen in die Showrooms strömen. Denn zunehmend zeigen sich die massiven konjunkturellen Folgen der COVID-19-Pandemie. Immer mehr Menschen machen sich Sorgen um ihren Job oder sind gar bereits arbeitslos – ein Neuwagenkauf steht da nicht zur Debatte. Und auch bei gewerblichen Neuzulassungen werden wir weiterhin starke Einbußen sehen, denn massive Umsatzrückgänge und die extreme konjunkturelle Unsicherheit zwingen viele Unternehmen zum Sparen. Gerade Autovermietungen, die in einigen Teilen Europas sehr wichtige Abnehmer von Neuwagen sind, werden kaum noch neue Fahrzeuge ordern.“

Elektro-Marktanteil steigt weiter
Im März sind die Neuzulassungen von Elektroautos in vielen Märkten noch gestiegen – inzwischen leidet auch dieses Segment zunehmend unter der Krise. In den Top-5-Märkten Westeuropas – das sind Deutschland, Großbritannien, Frankreich, Italien und Spanien – sank der Absatz rein elektrisch betriebener Neuwagen im April um 36 Prozent, in Österreich schrumpfte der Absatz von Elektroautos um 23 Prozent.

Die Neuzulassungen von Plug-in-Hybriden gingen in den Top-5-Märkten nur um 17 Prozent zurück, was allerdings ausschließlich auf die nach wie vor starke Entwicklung in Deutschland zurückzuführen ist, wo die Neuzulassungen in diesem Segment um 84 Prozent zulegten. Auch in Österreich stieg die Nachfrage von Plug-in-Hybriden: um 22 Prozent.

Deutlich schlechter entwickelten sich die Neuzulassungen bei Benzinern und Dieselneuwagen: In den Top-5-Märkten schrumpfte der Absatz von Benzinern um 86 Prozent, in Österreich um 71 Prozent. Diesel-Fahrzeuge verzeichneten in den Top-5-Märkten einen Rückgang um 84 Prozent, in Österreich um 64 Prozent.

„Elektrische Antriebe erfreuen sich zwar steigender Beliebtheit, aber es zeichnet sich nun ab, dass auch der Elektroboom aufgrund der aktuellen Krise ein vorläufiges Ende hat“, sagt Schwartz. „In diesem Segment sind es allerdings derzeit in erster Linie die Produktionsunterbrechungen und daraus resultierenden Lieferengpässe, die die Neuzulassungen bremsen – denn für viele Modelle liegt noch eine hohe Zahl an Bestellungen vor.“ Mittelfristig werde sich die Konjunkturkrise aber auch in den Bestellungen von Elektroautos niederschlagen – wenngleich voraussichtlich weniger stark als bei Volumenmodellen und mit zeitlicher Verzögerung, erwartet Schwartz.

Im April stiegen die Marktanteile elektrifizierter Neuwagen erneut deutlich: In den Top-5-Märkten kletterte der Marktanteil von Elektroautos von 1,3 auf 5,1 Prozent, in Österreich von 2,3 auf 5,0 Prozent. Bei Plug-in-Hybriden gab es in den fünf größten Märkten ein Wachstum von 0,8 auf 4,0 Prozent, in Österreich von 0,6 auf 1,9 Prozent. Zusammen kamen elektrifizierte Modelle damit in den Top-5-Märkten auf einen Marktanteil von 9,1 Prozent (Vorjahr: 2,1 Prozent). In Österreich stieg der Marktanteil von 2,8 auf 6,9 Prozent.

Ausblick: 2020 EU-weit Absatzrückgang um mindestens ein Drittel erwartet
Im bisherigen Jahresverlauf liegt der österreichische Neuwagenmarkt um 42 Prozent unter dem Vorjahresniveau, EU-weit ist ein Rückgang gegenüber dem Vorjahreszeitraum um 39 Prozent zu verzeichnen.

Innerhalb der EU ist im Gesamtjahr 2020 mit einem Rückgang von mindestens 35 Prozent auszugehen. Dieser historische Einbruch werde massive Folgen für die europäische Automobilindustrie haben, so Schwartz: „Die Branche wird mittelfristig mit massiven Überkapazitäten umgehen müssen, denn auch im kommenden Jahr werden wir noch mit den konjunkturellen Nachwehen dieser Krise kämpfen – selbst wenn die Pandemie dann vorüber sein sollte.“

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