Hochfrequente Daten als Fieberthermometer der Weltkonjunktur

Bei der Analyse der Erholung setzen Experten laut Christian Nemeth verstärkt auf Daten wie Energieverbrauch oder Bewegungsströme.

09.06. Die Weltwirtschaft zeigt sich vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie und der eingeleiteten Gegenmaßnahmen weiterhin stark geschwächt. An den Finanzmärkten keimt trotz weiter bestehender Abwärtsrisiken Optimismus auf. Die Aktienkurse setzen langsam ihre Erholung fort, Investoren schenken den schwachen Wirtschaftsdaten nur mehr wenig Beachtung. Bei der Analyse der Wirtschaftserholung setzen Finanzexperten laut Christian Nemeth, Chief Investment Officer der Zürcher Kantonalbank Österreich AG, verstärkt auf hochfrequente Daten wie etwa Energieverbrauch oder Bewegungsströme. Diese bilden aktuelle Entwicklungen in der derzeitigen Umbruchsituation zwischen Lockdown und Hochfahren schneller ab als traditionelle Indikatoren.

Spätestens seit dem Tiefpunkt der Wirtschaftskrise im April besteht kein Zweifel daran, dass die Weltwirtschaft in Folge des Lockdowns als Maßnahme gegen Covid-19 so stark schrumpfen wird wie seit dem zweiten Weltkrieg nicht mehr. Die Zürcher Kantonalbank Österreich AG geht von einem Rückgang des globalen BIP um 4,5 Prozent im Jahr 2020 aus. Nachdem die Prognosen mehrmals nach unten korrigiert werden mussten, ist nun erstmals Licht am Ende des Tunnels zu sehen. Im Mai entschieden sich zahlreiche Länder zu einer schrittweisen Lockerung. Daher blickten auch die Konsumenten vielerorts wieder optimistischer in die Zukunft. Die erwartungsgemäß im zweiten Halbjahr spürbare konjunkturelle Erholung ist auf einem guten Weg und die Prognoserisiken sind erstmals seit Auftreten des Coronavirus nicht mehr einseitig nach unten gerichtet.

Gleichgewicht zwischen Chancen und Risiken Falls die bisher eingeleiteten Maßnahmen Wirkung zeigen oder eine effektive medizinische Behandlung gegen Covid-19 gefunden wird, könnte das die Entwicklung sogar noch beschleunigen. Einige Risiken bleiben vorerst aber bestehen: Länder wie die USA, Brasilien oder Russland haben noch mit hohen Infektionszahlen zu kämpfen und eine zweite Infektionswelle ist nicht auszuschließen. Steigende Firmenkonkurse oder eine dauerhaft erhöhte Arbeitslosigkeit sind weitere potenzielle Gefahrenherde. Diesem Gleichgewicht zwischen Chancen und Risiken trägt die Zürcher Kantonalbank Österreich AG mit einer neutralen Aktiengewichtung Rechnung. Defensive Märkte und Regionen stehen aber weiterhin im Fokus.

Hatten die Aktienmärkte zu Beginn der weltweiten Krise auch aufgrund von Panikreaktionen im März mit Rekordverlusten zu kämpfen, sind die aktuellen Konjunkturdaten für die Börsenkurse kaum mehr relevant. Die Investoren zeigen sich offenbar trotz der ernüchternden wirtschaftlichen Situation optimistisch und setzen auf eine fortgesetzte Regeneration der Wirtschaft und steigende Aktienkurse im weiteren Jahresverlauf. Die Erholung der meisten Aktienindizes seit den Tiefständen im März beläuft sich auf 20 bis über 40 Prozent.

Asset Manager greifen zu alternativen Indikatoren Asset Manager verfolgen die Entwicklung akribisch mit und ziehen für ihre Analysen Indikatoren verschiedener Art heran. In der aktuellen Umbruchphase zwischen Lockdown und Öffnung ist eine extreme Spreizung zwischen der Bewertung der aktuellen und jener der zukünftigen Situation zu beobachten.

Daher wird das Augenmerk verstärkt auf alternative Teilindikatoren gelegt. Hochfrequente Daten erlauben – beinahe in Echtzeit – Rückschlüsse auf aktuelle Entwicklungen. So lassen sich beispielsweise Veränderungen hinsichtlich der Wirtschaftsaktivitäten zeitnah nachvollziehen, womit traditionelle Indikatoren nicht dienen können. Viele klassische Ansatzpunkte wie Auftragseingänge oder Einkaufsmanagerindizes sind derzeit zu wenig aussagekräftig, um kurzfristige Trends widerzuspiegeln. Damit sind nicht nur die Infektionsraten gemeint. Die Stromproduktion der US-Bundesstaaten gibt etwa Aufschluss darüber, wie hoch der Energiebedarf der US-Volkswirtschaft und somit auch die Aktivität energieintensiver Unternehmen ist. Daten über Sicherheitskontrollen von US-Reisenden durch die Transportation Security Administration bilden Reisebewegungen ab. Daten von Reservierungssystemen wie „Open Table” wiederum lassen Rückschlüsse auf die Entwicklung der nun wieder hochfahrenden Gastronomie zu.

Diese verschiedenen anonymisierten Daten werden jedoch nicht isoliert betrachtet, sondern fließen in all ihrer Breite in die Gesamtbeurteilung ein. Finanzprofis bekommen dadurch ein adäquates Werkzeug zur Lageeinschätzung in die Hand. Die alternativen Teilindikatoren werden auch in den kommenden Monaten ein wichtiger Wegbegleiter sein. Nach Ende der Krise werden die traditionellen Indikatoren wieder mehr in den Vordergrund treten. Dennoch ist von einer anhaltenden Bedeutung hochfrequenter Daten auszugehen.

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