Wachstum: USA und China lassen Europa dramatisch zurück
Zu langsame Hilfen für Unternehmen, schleppender Fortgang bei Impfungen. Ein Kommentar von Mag. Alexander Eberan, Leiter Private Banking Wien Steiermärkische Sparkasse.
(02.04.) Europa hinkt infolge der Covid-Krise in seinem Wachstum den USA und China immer dramatischer hinterher. Die US-amerikanische und die chinesische Wirtschaft werden 2021 fast doppelt so stark wachsen wie die europäische, stellen die Experten der Steiermärkische Sparkasse Private Banking in ihrem jüngsten Marktkommentar fest. Die Hauptgründe dafür, dass Europa immer mehr ins Hintertreffen gerät, seien schleppende Corona-Wirtschaftshilfen und der zähe Fortschritt bei den Covid-Impfungen, so die Analyse. Einzig an den Börsen zeichne sich für Europa ein kleiner Hoffnungsschimmer ab: Industriewerte, die in Europa stärker als in den USA und China gewichtet sind, geben ein starkes Lebenszeichen von sich.
Zukunftsfähigkeit Europas in Gefahr
Die dritte Covid-Welle nimmt Kontinentaleuropa neuerlich den konjunkturellen Atem, obwohl die Notenbanken auf dem Gaspedal stehen und mittels lockerer Geldpolitik die Wirtschaft stützen. Das europäische BIP-Wachstum wird heuer im besten Fall rund 3,7% betragen, während die USA mit einem prognostizierten Plus von 6,5% überraschen und China ungeachtet der weltweiten wirtschaftlichen Verwerfungen weiterhin ein solides Wachstum von 6 % erwartet. Dieser Vergleich zwischen den großen Wirtschaftsmächten ist umso gravierender, als die Covid-Rezession in Europa 2020 einen wesentlich heftigeren BIP-Einbruch mit sich brachte als dies in China und den USA der Fall war, nämlich um rund 7%. Es rächen sich nun die Langsamkeit in fiskalpolitischen Maßnahmen, wie der Auszahlung von Corona-Hilfen an bedürftige Unternehmen und auch die späte Verfügbarkeit der Unterstützung aus dem „Next Generation EU-Fonds“. Diese Mittel dürften erst gegen Jahresmitte 2021 zu fließen beginnen. Auch in der Impfstatistik liegt Europa (ohne Großbritannien) deutlich hinter den USA. China kann sich aufgrund der strengen Kontrolle über das Infektionsgeschehen generell beim Impfen mehr Zeit lassen. Die Zukunftsfähigkeit von good old Europe steht auf dem Spiel: Mit seinem ökonomischen Neustart nach der Covid-Krise könnte der Kontinent gegenüber China bis zu fünf oder sechs Quartale sowie gegenüber den USA ein bis zwei Quartale zurückhängen. In der Finanzzeitrechnung sind das riesige Dimensionen.
US-Wirtschaft wächst überraschend stark
Besonders überrascht haben kürzlich die USA. Als die Volkswirte des Federal Reserve System ihre jüngsten Wachstumsschätzungen vorlegten, enthielt der Datensatz eine spektakuläre Prognose. Um 6,5 % soll, nach Berechnung der Ökonomen, das BIP in der größten Volkswirtschaft der Welt in diesem Jahr wachsen. Der so genannte US Rescue Act, also das 1,9 Billionen US-Dollar schwere Covid-Hilfsprogramm, das die Regierung von US-Präsident Joe Biden auf den Weg gebracht hat, zeigt Wirkung. Aufgrund von Basiseffekten wird die US-Wirtschaft mit dem starken Wachstum im heurigen Jahr die mehr als vierprozentige Schrumpfung des Vorjahres kompensieren. Sollte die Prognose so eintreffen, würde die US-Wirtschaft zum ersten Mal seit den 1970er Jahren stärker expandieren als die chinesische. In China wird das sechsprozentige Wachstum lediglich eine Normalisierung auf das Vor-Covid-Wirtschaftstempo bedeuten. Anders als in Europa und den USA ist in China im Jahr 2020 der Output nicht geschrumpft, sondern um rund 2% gewachsen. Chinas Kommunistische Partei begnügt sich mit deutlich bescheideneren unterstützenden Maßnahmen, wobei diese auf eine Verbesserung des strukturellen Wachstums und auf Unabhängigkeit gerichtet ist: Sowohl der Inlandskonsum als auch die Produktion vor Ort in China inklusive Forschung und Entwicklung sowie Umweltschutzmaßnahmen und Nachhaltigkeit werden gefördert.
Old Economy – Industrie- und Finanzaktien
Ein positiver Aspekt für Europas Wirtschaft tut sich währenddessen an den Börsen auf. Die in Europa stärker als anderswo gewichteten Industrie- und Investitionsgüterwerte zeigen Potenzial, denn sie sind im Vergleich zu anderen Sektoren wie Technologie immer noch relativ attraktiv bewertet. Industrie-Aktien nehmen viel von der konjunkturellen Erholung – vor allem der brummenden chinesischen und US-amerikanischen Wirtschaft – vorweg. Das alles basiert naturgemäß auf der Annahme, dass die Corona-Pandemie im Sommer überwunden ist. Zyklische Alternativen zu Industriewerten sind Aktien von Finanzunternehmen, die ebenfalls an Europas Börsen eine führende Rolle spielen. Sie profitieren nicht nur von einer steigenden Zinskurve, sondern auch vom beschleunigten globalen Wachstum, das geringere Kreditausfälle erwarten lässt. In Europa haben 69 % der Finanzwerte zuletzt von besser als erwarteten Gewinne berichtet und 65 % der Firmen haben auch höhere Erlöse erzielt. In den USA haben sogar 80 % der Financials im US-Aktienindex S&P 500 höhere Gewinne verlautbart als vorab geschätzt wurde – 75 % berichteten auch von höheren Erlösen. Die Aussichten für den Finanzsektor bleiben auch für das zweite Quartal positiv, sagen die Anlageexperten der Steiermärkischen Sparkasse.
Foto: Steiermärkische Sparkasse