M&G: Der Aktienmarkt bekommt ein anderes Gesicht

Von Richard Halle, Manager des M&G (Lux) European Strategic Value Fund.

(24.05.) Ist die aktuelle Value-Rallye eine Momentaufnahme oder startet jetzt das lange erwartete Comeback? Die ehrliche Antwort: „Wir wissen es nicht“, sagt Richard Halle, Manager des M&G (Lux) European Strategic Value Fund. „Anders als unsere Kollegen aus dem Growth-Bereich ist ein echter Value-Investor immer vorsichtig, wenn es um Fragen zu künftigen Entwicklungen geht.“ Halle sieht mehrere gute Gründe für das Scheitern eines Value-Comebacks in den letzten zehn Jahren – und findet, dass diese inzwischen an Gewicht verloren haben. Das sind die wichtigsten Unterschiede:

1. Umkehr des Wachstumstrends
Die Marktteilnehmer sind lange einem tief verwurzelten und sich selbst verstärkenden Trend zu Wachstums- und Qualitätsaktien gefolgt. Je länger solch ein Trend anhält, desto mehr Energie ist für eine Umkehr erforderlich. Bisherige Anläufe zu einem Value-Comeback waren allerdings nur kurzlebig und nicht sehr umfassend. In den letzten zehn Jahren galt vielmehr eher: Jede Value-Rallye war eine hervorragende Gelegenheit, auf Wachstum zu setzen.

Nun ist die Rotation hin zu Value jedoch sowohl stark als auch andauernd, wachstumsorientierte Investoren mussten erhebliche Verluste hinnehmen – und zwar nicht nur diejenigen, die spät eingestiegen sind, sondern häufig auch jene, die noch vor Beginn der Corona-Pandemie in Growth investierten.

2. Extreme Streuung bei den Bewertungen
Fakt ist: Der Trend hin zu Value folgte auf eine unglaubliche Rallye der Wachstums- und Qualitätstitel nach Ausbruch der Corona-Krise. Aus unserer Sicht war dies eine Phase des „Dampfablassens“ beziehungsweise der Kapitulation, was am Ende langfristiger Trends durchaus üblich ist. In der Folge waren die Bewertungen so breit gestreut wie selten zuvor am Aktienmarkt. Und nun spricht schon die Mathematik dafür, dass sich die Rotation aufgrund der extremen Ausgangslage weiter fortsetzen könnte.

3. Die Welt verändert sich
Aktuell erleben wir das Ende mehrerer starker und langfristiger Trends, die bisher Gegenwind für Value bedeutet haben. Mehr noch, diese Trends werden sich mit ziemlicher Sicherheit umkehren. Zunehmende Globalisierung, immer weiter sinkende Zinsen, Dominanz der Zentralbanken, groß angelegte Kreditschöpfung, unglaubliche Gelddruckerei und Deflation: All dies hat das letzte Jahrzehnt geprägt. Unserer Meinung nach haben diese Faktoren allerdings auch stark zu der extremen Bewertungsstreuung und – wir wagen es auszusprechen – zu Spekulationsexzessen beigetragen. In den nächsten zehn Jahren wird die Welt – und damit auch der Aktienmarkt – wohl ein anderes Gesicht bekommen.

Ein Aspekt wird dabei unserer Meinung nach häufig übersehen: Die meisten Menschen halten Value- und Growth-Titel für zwei unterschiedliche, aber klar voneinander abgegrenzte Gruppen von Aktien. In Wirklichkeit sind sie das jedoch nicht. In Zeiten des Wandels können einstige Value-Titel durchaus zu neuen „Lieblingen“ unter den Wachstumswerten werden – wie zum Beispiel die „langweiligen“ Basiskonsumgüteraktien während des TMT-Booms (Technologie, Medien und Telekommunikation). Genau diese wurden dann Mitte bis Ende der 2010er Jahre gefeiert, als die Anleger „Anleihe-ähnliche“ Titel liebten.

Das gilt ebenso umgekehrt: Auch Wachstumstitel können zu Value-Aktien werden. Ein Beispiel dafür sind die Telekommunikationsaktien vor und nach der TMT-Blase oder Banktitel vor und nach der Finanzkrise. Wir sind überzeugt, dass es auch jetzt zu solchen Fällen kommen wird.

4. Wachstumsinvestitionen weiterhin dominant
Aktuell setzen die Märkte immer noch sehr stark auf Wachstumstitel und sind bei Value-Aktien „short“. Eine Kurzanalyse verschiedener Datenbanken zeigt, dass (noch) fast kein Investmentfonds nennenswerte Gelder in Value-Titel investiert. Und bei Privatanlegern dürfte es ähnlich aussehen. Das Potenzial für Value bei einer Umstellung der Anleger ist somit gegeben.

Eine andere oft gestellte Frage lautet: Ist die Zeit reif, um bei günstigen Wachstumsaktien einzusteigen? Das könnte das Thema eines längeren Beitrags sein. Die kurze Antwort ist jedoch eindeutig: unserer Meinung nicht einmal annähernd.“