Die Kolumne der Anlegerschützer vom IVA

Das „alte Böse“ gibt‘s immer noch

Florian Beckermann. Unter diesem Titel könnte man eine Krimi-Serie führen oder eine Statistik. Diesmal wieder im Fokus: Vorstände und ihre Nebenbeschäftigungen wie Insiderhandel oder Bestechlichkeit. Als Aktionär wundert man sich zurecht: Wer macht das? Hohe Gagen reichen nicht? Aufsichtsräte seien gewarnt. Immer noch.

Diese Woche hatte drei Aufreger: Sinister liest sich das Projekt „Tango“ des Hugo-Boss Vorstandsvorsitzenden Daniel Grieder zusammen mit René Benko. Krone und News zitieren aus einem E-Mail-Verkehr zwischen beiden, wonach diese geplant haben sollen, die Kontrolle über die deutsche Modemarke zu erlangen. Lancierte Informationen über kursrelevante Ereignisse stehen ebenso in Rede. Die BaFin und die Staatsanwaltschaft in Deutschland ermitteln. Der Börsenkurs von Hugo Boss fiel seit Mitte 2023 um rund 50 % , zuletzt spontan rund 8 %.

Spektakulär geht es gerade beim bayrischen Freizeitfahrzeughersteller KnausTabbert zu (eine Aktie, die sich auch in Österreich einer gewissen Beliebtheit erfreut). Nach einer Razzia und der Inhaftierung von zwei Vorständen übernahm nun der Großaktionär Wim de Pundert die CEO- und CFO-Position. Die genannten Vorstände wurden mit sofortiger Wirkung entlassen. Sie sollen von Zulieferern Bestechungsgelder über 50.000 Euro angenommen haben. All dies bei Millionengehältern. Für alle genannten gilt natürlich die Unschuldsvermutung.

Der Skandal trifft das Unternehmen ungünstig: Der Campingsektor kämpft mit Problemen. Viele Händler haben hohe Lagerbestände, die finanziert werden müssen. Deshalb hält sich der Handel aktuell mit größeren Bestellungen zurück. Die Aktie verlor in den letzten sechs Wochen 56 % an Wert.

Quasi als Gegensignal verhängte die FMA eine noch nie da gewesene Strafhöhe gegen eine natürliche Person, Österreicher, Vorstand bei einem börsengelisteten, deutschen Unternehmen. Über Jahre hinweg beschäftigte sich dieser mit Insiderhandel in der klassischen Ausprägung. Im Zuge der Untersuchung gestand der Mann, dass er seine Kenntnis von nicht öffentlichen, kursrelevanten Informationen dazu genutzt hat, mit Aktien und Derivaten des Unternehmens zu handeln, bevor die Informationen mit Ad-hoc-Meldungen bekanntgegeben wurden. Insgesamt erzielte er durch die verbotenen Geschäfte einen Vorteil von 104.394,39 Euro in Form von Gewinnen sowie vermiedenen Verlusten. Dieser Vorteil wird von der FMA für verfallen erklärt und eingezogen. Zusätzlich wird für die Verstöße gegen die Bestimmungen von Insiderhandel eine Strafe in Höhe von 704.375 Euro fällig. Allein die siebenfache Strafhöhe des kriminell erlangten Vorteils sollte Abschreckung genug sein. Ein schwacher Trost für Aktionäre, deren Schäden weitaus größer sind. Die Frage nach dem „wie“ tangiert die Aufsichtsräte. Nicht nur in Bezug auf die Auswahl der geeigneten, integren Vorstände, sondern auch auf deren Tätigkeitsüberwachung. Die profane Gier kommt weiterhin in den höchsten Chefetagen vor. Aktionäre bestehen auf einem Null-Toleranz-Ansatz und einer glaubwürdigen lückenlosen Aufklärung – es ist ihr Geld. Aufsichtsräte sollten hier nicht nachlassen. Das gilt übrigens auch für „neues Böses“

 

 

Wirecard-KapMuG: Attacke auf Braun und EY

Deutsches Kapitalanleger-Musterverfahren gegen Wirecard hat begonnen.

Florian Beckermann. Es sind nicht wenige österreichische Aktionäre, die im Rahmen des Wirecard-Skandals zu Schaden gekommen sind. Allein die Wiener Rechtsanwaltskanzlei von Eric Breiteneder vertritt mehr als 2.500 mit einer Schadenssumme im dreistelligen Millionenbereich (wirecards-claims.com). Teilweise diese und andere Geschädigte haben nun das deutsche Kapitalanleger-Musterverfahren (KapMuG) begonnen. Ihre eventuell vorhandenen Schadensersatzansprüche werden im KapMuG-Verfahren am Beispiel eines Musterklägers verhandelt. Die Klagen von 8.500 früheren Wirecard-Aktionären sind hier gebündelt. Hinzu kommen weitere 19.000 Anleger, die sich an dieses Verfahren angehängt haben. Insgesamt geht es um finanzielle Forderungen in Höhe eines einstelligen Milliardenbetrags.

Seit vergangenen Freitag wird es in einer Event-Halle des ehemaligen Flughafens München-Riem ernst: Erste große Fragestellung an das Gericht ist zunächst, was das Verfahren juristisch feststellen soll. Hierüber gibt es naturgemäß Streit. Über 2.500 Anträge auf Feststellungsziele vernebeln die Lage.

Musterbeklagter in diesem Verfahren ist neben Ex-Wirecard-Vorstandschef Markus Braun unter anderem EY (Ernst & Young, Deutschland). Das Wirtschaftsprüfungsunternehmen hatte viele Jahre die Geschäftszahlen des Aschheimer Dax-Konzerns geprüft und ein sogenanntes Testat ausgestellt. Ob ein solches Testat eine Kapitalmarktkommunikation darstellt und inwiefern EY deswegen überhaupt im Zuge des KapMuG-Verfahrens für eventuelle Schadensersatzforderungen herangezogen werden kann, ist offen. Mit dieser Frage wird sich der erste Zivilsenat des Gerichtes beschäftigen müssen. Eine Vielzahl von Aktionären hatte sich auf das Testat „verlassen“ und immer wieder wurde argumentiert, dass man ohne dieses nie investiert hätte. An dieser Stelle wurde die Causa durchaus emotional.

In der Verhandlung ließ das Gericht bereits durchblicken, dass es dazu noch keine feste Meinung hat. EY hat schon vor Beginn der mündlichen Verhandlung klargemacht, dass es Schadensersatz-Forderungen für unbegründet hält. Eine wegweisende Entscheidung ist zu erwarten.

Warum erst jetzt? Mitte 2023 waren in Deutschland die meisten Kläger mit der Verjährung konfrontiert. Erst nach dem relevanten Datum – exakt drei Jahre nach dem Zusammenbruch des Wirecard-Konzerns – war die Eröffnung eines solchen Verfahrens sinnvoll. Es gilt neben dem Strafverfahren gegen Braun und Co. als eines der wichtigsten Verfahren. Weitere Klagen sind hiervon jedoch nicht berührt.

Wie üblich zu Beginn der Verhandlung hat die Richterin zu einer gütlichen Einigung aufgerufen. Dies mag angesichts eines möglichen mehrjährigen Verfahrens gut gemeint sein. Einstweilen scheinen jedoch viele Anleger weiterhin erzürnt, ob der Causa Wirecard. Geschichten um den ehemaligen CFO und „Austro-Geheimagenten“ Jan Marsalek helfen wenig, die Gemüter zu beruhigen.