Erste Group in Polen: Santander-Kauf ein Coup?
Florian Beckermann. Die Entscheidung der Erste Group, einen 49 %igen Anteil an der Santander Bank Polska für rund 6,8 Milliarden Euro zu erwerben, sorgte für stark hochgezogene Augenbrauen in der Szene. Was lange erwartet wurde, wird endlich gut? Nicht wenige hegen aber auch Zweifel. Ein kritischer Überblick:
1. Strategische Expansion in einem wachstumsstarken Markt?
Fakt ist, die Erste steigert ihre Präsenz in Zentral- und Osteuropa erheblich. Polen gilt als einer der dynamischsten Bankenmärkte Europas, mit stabiler Wirtschaft und attraktiven Margen. Durch die Beteiligung an der drittgrößten Bank mit rund 7,5 Millionen Kunden stärkt sie ihre Position. Ob das starke Wachstum in Polen anhalten wird, ist offen. Der Bankenmarkt ist kompetitiv. Der polnische Regulator beinahe legendär, wenn es um die Wahrung nationaler Interessen gegen ausländische Finanzinstitute geht. Dennoch ist aus strategischer Hinsicht der Schritt nach Warschau unvermeidbar und klares Bekenntnis zur Bankausrichtung.
2. Finanzielle Tragfähigkeit und solide Kapitalbasis?
Die Erste strotzt vor Finanzkraft. Die Finanzierung der Transaktion erfolgt vollständig aus internen Mitteln, unterstützt durch die Streichung eines geplanten Aktienrückkaufprogramms in Höhe von 700 Millionen Euro und einem „Eindampfen“ der Dividende. Für Aktionäre kann dies eine traurige Nachricht sein (obwohl der Aktienkurs zunächst sehr positiv reagierte). Warum keine Kapitalerhöhung angestrebt und die Dividendenstrategie beibehalten wurde, wird zu Diskussionen führen.
3. Bewertung und Renditeaussichten
Der Kaufpreis entspricht dem 2,2-fachen des materiellen Buchwerts der Santander Bank Polska – nicht billig. Dennoch erwartet man eine Kapitalrendite von etwa 11 % im ersten Jahr nach Abschluss der Transaktion. Einstweilen fehlen noch genaue und aktuelle Bewertungsdaten für eine kritische Analyse. Fraglich ist beispielsweise dennoch, welchen Preis pro Kunde die Erste zahlen wird, bzw. ob, durch die Abgabe von Kunden an die Santander Consumer Bank, diese bisher katastrophale Ratio nicht noch schlechter wird. Ferner dürfte jedem im Erste Management klar sein, dass ein schlagendes CHF-Risiko analog zum RBI-Fiasko in Polen sofortige Konsequenzen zur Folge haben wird. Offensichtlichere Learnings aus den Fehlern der Konkurrenz gibt es nicht.
4. Partnerschaft mit Santander
Trotz des Verkaufs bleibt Santander mit einem Anteil von 13 % an der polnischen Bank beteiligt und plant eine strategische Zusammenarbeit im Corporate & Investment Banking, sowie im Zahlungsverkehr. Grundsätzlich eine professionelle Staffelstabübergabe. Dennoch: die Erste hat – auch ohne die 50-%-Schwelle zu überschreiten – die Führung inne. Die Erwartungshaltung richtet sich auf die Kommandos aus Wien. Man fühlt sich an die BCR-Transaktion erinnert. Der damalige Kauf war lang zu verdauen. Das Leben mit Minderheitsaktionären der BCR gehörte dazu.
Fazit: Die Erste stärkt ihre Marktposition in der Zielregion und ihre Kundenbasis erheblich. Strategisch handelt es sich um einen vielfach geforderten Schritt, der sicher positiv zu bewerten ist. Die finanziellen
Konditionen klingen dagegen hart. Doch: „Was nichts kostet, ist auch nichts wert?“ Diesem Sinnspruch getreu mag man auf die Qualität hoffen, für die Santander nicht immer gestanden hat.
Und bei aller Diskussion darum, in welchen Regionen man vertreten sein mag, zählt am Ende eines: Profit. Daher werden einige die Frage stellen, wäre die Kaufkraft der Erste Group nicht in Deutschland besser aufgehoben gewesen …
Florian Beckermann ist Vorstand des IVA – Interessenverband für Anleger
Karl-Heinz Grassers dickes finanzielles Ende für Österreich.
Die Erkenntnis, sich etwas verrannt zu haben, mag auch in der EU-Kommission gereift zu sein.
Florian Beckermann. Wer alt genug ist und sich für Wirtschaft und Politik interessiert, kam am sogenannten „Buwog-Prozess“ gar nicht vorbei. „Buwog“ genannt, da es um Straftaten rund um Veräußerung der staatlichen „Bundeswohnbaugesellschaft“ gleichen Namens ging – nach einem Börsengang 2014 gehört die Gesellschaft heute der deutschen Vonovia SE.
Seinerzeit erfolgte der Verkauf im Rahmen eines vermeintlich geheimen Bieterverfahrens an ein „Österreich“-Konsortium aus Immofinanz AG u.a. um genau eine Million Euro mehr (961 Millionen Euro) als das zweithöchste Gebot der CA Immobilien Anlagen AG. Kurz: Allein diese Preisnähe ließ die Wahrscheinlichkeit eines „Zufallstreffers“ auf Lotto-Jackpot-Niveau fallen. Nicht nur gelernte Österreicher verorteten die Mischung aus krimineller Energie und Geiz. Es mag den Verdacht der absoluten Schieflage noch erhärtet haben, dass mit diesem Preis 60.000 Wohnungen mit einem Quadratmeterpreis von rund 594 Euro verkauft wurden, obwohl schon damals ungefähr das Doppelte am Markt üblich war. Beide Bieter witterten ein gutes Geschäft. Die Republik schluckte wohl einen Schaden von mehr als einer Milliarde. Doch damit nicht genug.
Ab 2009 kamen weitere Beweise hinzu, die aus dem Verdacht viele Jahre später nun zur Verurteilung des ehemaligen Finanzministers Karl-Heinz Grasser führten. Die glaubhafte „Umkehr“ des Mittäters Peter Hochegger wird dazu seinen Beitrag geleistet haben – andernfalls wäre ein solcher Urteilsspruch über einen ehemaligen Finanzminister allein auf Indizien nicht nur in Österreich ein juristischer Stunt geworden. Mit dem Urteil wegen Veruntreuung und Geschenkannahme durch Beamte ist strafrechtlich festgestellt, dass zum Schaden der Republik gehandelt worden ist – der zumindest die „Provision“ zugestanden hätte. Grasser muss die Haft antreten und hat Privatinsolvenz erklärt. Für ihn kommt das dicke Ende bereits jetzt.
Doch gibt es auch andere Geschädigte? Voluminös ist der Schadensersatzanspruch der CA Immo gegen die Republik von rund 1,9 Milliarde Euro (ein Betrag, den Finanzminister Markus Marterbauer wohl nicht im Budgetdefizit berücksichtigt hat). Wie angedeutet, machte Immofinanz mit dem Verkauf wenige Jahre später wohl den besten Deal der
Unternehmensgeschichte. Ein Deal, den die CA Immo hätte machen können, wenn alles mit rechten Dingen zugegangen wäre. Grassers endgültiges Urteil hilft der zivilrechtlichen Durchsetzung gegen die Republik natürlich weiter.
Ein ganz dickes Ende für den Steuerzahler droht. Insbesondere mit der Einrede der Verjährung kann man dagegen argumentieren – dünnes Eis. Zusätzlich kann man, wie üblich, die praktischen Schwierigkeiten der Herleitung des entgangenen Gewinns ausdiskutieren – mühsam, aber machbar. Doch wie steht die Republik da, wenn selbst erwiesenes kriminelles Verhalten seitens der Amtsträger nicht zum Schadensersatz führt? Muss der Staat für die Mauscheleien der Amtsträger haften? Es geht mal wieder um die Glaubwürdigkeit der Republik und seiner Beteiligung am freien Wirtschaftsmarkt. Nichts weniger.
Florian Beckermann ist Vorstand des IVA – Interessenverband für Anleger
„Omnibus“: Das EU-Parlament fährt halb mit
Die Erkenntnis, sich etwas verrannt zu haben, mag auch in der EU-Kommission gereift zu sein.
Florian Beckermann. Dass die europäischen Nachhaltigkeitsberichterstattungspflichten eine kostspielige Datensammlung geschaffen haben, ist keine Neuigkeit. Dass die Sammlung teils völlig überschießend ist, auch nicht. Dass es außerhalb von einer spezialisierten Nachhaltigkeitsszene bisher kaum Widerhall findet, ist etwas erstaunlicher. Man wäre fast versucht zu behaupten, dass der Anleger bei den Nachhaltigkeitsberichten schlicht abgehängt wurde. Die zu hohe Neuerungsgeschwindigkeit und die marginale monetäre Ergebnisrelevanz insinuiert, erzeugen die Tabellen in den aktuellen Nachhaltigkeitsberichten der Hauptversammlungssaison bei Privatanlegern nicht mal ein müdes Lächeln – von Fragen dazu ganz zu schweigen. Die Erkenntnis, sich etwas verrannt zu haben, mag auch in der EU-Kommission gereift zu sein. Mit dem Ergebnis, dass eine „Modifikation“ erfolgt – man schickt den Anlegern (und den Unternehmen) einen „Omnibus“. Man möge doch aufschließen. Genug der Polemik …
Bekanntlich hat die EU-Kommission grundsätzlich zwei Richtlinien unter dem Oberbegriff „Omnibus“ in Arbeit: Einerseits die so genannte Stop-the-clock-Richtlinie: Hier soll die zweite Welle der Berichtspflichten nach der CSRD (Corporate Sustainable Reporting Directive – Nachhaltigkeitsberichterstattungsrichtlinie) sowie die Anwendung der umstrittenen Lieferkettenrichtlinie (CSDDD) zeitlich (zwei Jahre) verschoben werden. Sprich, Länder und Unternehmen erhalten mehr Zeit zur Umsetzung – hiervon wäre auch Österreich betroffen, da die CSRD noch nicht durch den Nationalrat in nationales Recht umgesetzt wurde.
Die zweite Richtlinie geht ans Eingemachte. Sie soll inhaltliche Anpassungen für die CSRD und CSDDD beinhalten. Aktuell wüst diskutiert werden neue Unternehmensgrößenschwellen für die Anwendungspflicht der CSRD-Richtlinie sowie eine massive Verkürzung der verantwortbaren Lieferkettentiefe. Das Expertengremium EFRAG arbeitet seit März daran und soll bis Oktober 2025 mit konkreten Vorschlägen kommen. Mithin braucht diese Richtlinie mehr rare Zeit, denn ohne Update werden die „alten“ Timelines aktiv. In diesem Sinne beschloss nun nach der EU-Kommission auch das Europäische Parlament in einem Eilverfahren die Stop-the-clock-Richtlinie. Es ist davon auszugehen, dass der Europäische Rat, also die Staats- und Regierungschefs, hier nicht mit zusätzlichen Bedenken eine schleunigste Umsetzung behindern.
Die EU-Kommission möchte in dieser Sache grundsätzlich die Fähigkeit zum Bürokratieabbau und schnellen Verfahren unter Beweis stellen. Beispielhaft für die Dringlichkeit sind die Eingabefristen. Für Unternehmen, die sich zur zweiten „Omnibus“-Richtlinie äußern wollen, gilt der 6. Mai als Stichtag. Vor dem Sommer will Brüssel Fakten schaffen.
Aus Anlegersicht ein grundsätzlich positives Bestreben, wenn sich das erzeugte Chaos schnell beruhigt und die eigentliche Lenkungsarbeit beginnen kann.
Florian Beckermann ist Vorstand des IVA – Interessenverband für Anleger
Addiko-Bank: Berechtigte Sanktionen oder Unrecht?
Dividendenstreichung sorgt für Unmut unter den Anlegern.
Florian Beckermann. Der Begriff „Sanktion“ trifft den österreichischen Aktionär immer häufiger. Zuletzt prominent im Zusammenhang mit russischen ADRs oder in der komplexen Strabag-Aktionäre-RBI-Situation. Die Materie ist so kompliziert und politisch überladen, dass eine seriöse Diskussion darüber kaum möglich scheint. Wenn schon nicht die befassten Juristen eine griffige Erklärung liefern können, bleibt in weiterer Folge der Aktionär auf der Strecke.
Der Fall der Dividendenstreichung bei der Addiko-Bank reiht sich ein.
Für Anleger wirken Sanktionen nicht selten wie ein Blitzeinschlag. Ein Selbstverschulden zu verorten, fällt schwer. Oft ist das Vertrauen in die Funktionstüchtigkeit der technischen Administration und des Anlegerschutzes überzeichnet größer als die internationale Realität. Auch wenn in der jüngsten Vergangenheit immer wieder Rückschritte in der politischen Förderung von Kleinanlegern zu verbuchen waren, befindet sich die zentraleuropäische Anlegerkultur auf einem angemessenen Niveau – Spitzenklasse wünschenswert. Sie ist jedoch teils weit von dem entfernt, was außerhalb der EU oder Nordamerikas geboten wird. Wer dort Wertpapiere kauft, kauft das dortige Rechtssystem mit. Im Falle der Addiko Bank kauft umgekehrt eine serbische Investorengruppe Aktien einer EU-Gesellschaft in Österreich. Die Befindlichkeiten der EZB kauft man in diesem Falle ebenso mit. Im Einzelfall mögen die ausgesprochenen Sanktionen der EZB wenig nachvollziehbar sein, ja ungerecht wirken. Insbesondere dann, wenn die Sperrung der Dividende als Gruppenstrafe alle Aktionäre trifft. Selten hat die EZB mit ihrer Meinung jedoch völlig danebengelegen.
Wer nun Auskunft begehrt, muss lange suchen – eine Behörde für alles gibt es nicht. Die meisten Sanktionen entstehen im Rahmen der UN oder EU. Anknüpfungspunkt ist hier das Außenministerium. Die Überwachung von Sanktionsmaßnahmen erfolgt auf Grundlage des Sanktionengesetzes 2024 und des Devisengesetzes 2004. Die Umsetzung von Finanzsanktionen, die Kredit-, Finanz- und Zahlungsinstitute betreffen, wird durch die OeNB überwacht. Unter Finanzsanktionen ist beispielsweise das Einfrieren von Vermögen von Personen, die Einschränkungen von Zahlungsverkehrssystemen oder das Melden von Vermögen von bestimmten Personengruppen durch Kredit-, Finanz- und Zahlungsinstitute zu verstehen. Finanzsanktionen richten sich als „restriktive Maßnahmen“ gegen Terrorismusfinanzierung, Cyberangriffe, Chemiewaffen oder gegen schwere Menschenrechtsverletzungen und -verstöße. Die OeNB überwacht auch länderspezifische Sanktionsmaßnahmen. Eine andere Lesart erfolgt für güterbezogene Sanktionen. Hier ist die Exportkontrolle des Wirtschaftsministeriums zuständig und für die Durchsetzung der Zoll – bspw. nach dem Investitionskontrollgesetz. Die Überwachung sonstiger Sanktionsmaßnahmen erfolgt durch das Innenministerium, gegenständlich die DSN.
Fazit: Die unberechtigte Sanktion ist weitgehend unbekannt, deren Herleitung erschließt sich jedoch aktuell nur in ausgewählten Fällen. Auch wenn viele Anleger das Instrument damit grundsätzlich als berechtigt ansehen, erodiert es, wenn die Herleitung scheitert. Dann wirkt es intransparent und ungerecht. Dass die involvierten Behörden mehr aufklären könnten, ist kein Geheimnis.
Florian Beckermann ist Vorstand des IVA – Interessenverband für Anleger
Knifflige Jagd nach den Besten
Fürs Management wünscht sich der Aktionär nichts sehnlicher als die Qualifiziertesten.
Florian Beckermann. Fürs Management wünscht sich der Aktionär nichts sehnlicher als die qualifiziertesten und motiviertesten Vorstände und Aufsichtsräte. Kurzum: Die Besten sind gerade gut genug. Doch dieser Wunsch ist äußerst schwierig zu erreichen, wenn die entsprechenden Mittel nicht zur Verfügung stehen. In der modernen Wirtschaftswelt zumindest sind echte Leistungsträger kaum noch mit ein paar blasierten Funktionstiteln zu ködern. Die Karriereperspektive und nicht zuletzt wettbewerbsfähige Vergütung müssen gewährt werden, wenn die Unternehmung sich erfolgreich und nachhaltig behaupten soll. Bei der jährlichen Vergütungsdebatte im Rahmen von Hauptversammlungen geht es den Aktionären und dem kritischen Stimmrechtsberater-Votum oft nur am Rande um die Höhe der Remuneration, sondern meist um die Nachvollziehbarkeit. Somit der Einordnung, ob die gewährte Vergütung auch den Anforderungsparametern entspricht. Diese wären (nicht abschließend):
1. Strategische Exzellenz: Top-Manager sollen Erfahrung und spezifische Weitsicht mitbringen um passgenauere, nachhaltige Strategien zu entwickeln und um die langfristige Wettbewerbsfähigkeit zu sichern.
2. Führungskompetenz & Governance: Leistungsorientierte Führung von Teams, Motivation und die Schaffung einer resilienten Unternehmenskultur sind zwingende Voraussetzungen – dies sind charakterliche Eigenschaften.
3. Finanzielle Performance & Shareholder Value: Unternehmen mit exzellenten Managern erzielen in der Regel bessere finanzielle Ergebnisse, höhere Renditen und stabile Wertentwicklung.
4. Krisenmanagement: In schwierigen Zeiten braucht es kühlen Kopf und Erfahrung. Entschlossenes Handeln und das Minimieren von Risiken führen sicher durch Krisen.
5. Netzwerk & Reputation: Top-Manager sollen wertvolle Kontakte zu Investoren, Politik, Wirtschaft und Medien mitbringen. Mit einem guten Ruf kann ein Manager das Vertrauen steigern – ein starkes Signal für Qualität und Professionalität.
6. Innovation & Wandel: Gute Führung soll Trends früh erkennen, Innovation entsprechend fördern und die (grüne und soziale) Transformation aktiv vorantreiben. Heute wichtiger denn je.
Es ist bei Aktiengesellschaften die Aufgabe des Aufsichtsrates bzw. des Nominierungs- und Vergütungsausschusses diese Parameter in messbare Teile zu zerlegen und in der Vergütungspolitik festzulegen. Das gelingt sichtbar nicht überall. Diskretionäres Gewurschtel ist nicht nachvollziehbar und wird abgelehnt. Der Aufsichtsrat scheitert. Problem: Österreichs Unternehmen verfügen bereits in den Aufsichtsräten über zu wenig Mittel, um für sich selbst das Personal zu generieren, das den Unternehmensanforderungen genügt. Die Aufsichtsräte sind weitgehend zu schlecht vergütet um unabhängig, leistungsorientiert und interventionsfrei agieren zu können – es gibt ein paar Ausnahmen. Welcher internationale Manager mit den oben genannten Qualifikationen übernimmt für 1.500 Euro im Monat und 500 Euro Sitzungsgeld (alles vor Steuern), entsprechende Verantwortung und Zeitbürde? Die erste Reihe, große Motivation oder gar eine Professionalisierung erreicht man so nicht. Hier macht man sich allzu häufig etwas vor. Es muss die Frage erlaubt sein, ob schon die Jagd nach den Besten an der Jägerauswahl scheitert. Die Wettbewerbssituation tritt dann noch hinzu. Hier gibt es Verbesserungspotenzial.
Florian Beckermann ist Vorstand des IVA – Interessenverband für Anleger
Mit Goldplating gegen die Geschlechterquote
Der Entwurf zum Leitungspositionengesetz sorgt für Stress bei börsennotierten Unternehmen.
Florian Beckermann. Es geht um die Geschlechtergleichstellung, eine „neue“ Geschlechterquotendebatte. Eine IVA-Umfrage verdeutlicht den Bruch in der Gesellschaft. Das Thema ist emotional, komplex und politisch bespielt. Wie sieht der Entwurf aus? Eine schleunigst umzusetzende EU-Richtlinie lässt börsennotierten Unternehmen die Wahl: Entweder mindestens 40 % Männer oder Frauen im Vorstand, oder 33 % für Vorstand und Aufsichtsrat zusammen. Doch der noch von Alma Zadic (Grüne) eingebrachte österreichische Entwurf des Justizministeriums sieht vor, dass ab einem Zweier-Vorstand mindestens ein anderes Geschlecht, und dem Aufsichtsrat mindestens 40 % Männer oder Frauen angehören sollen. Eine schärfere nationale Umsetzung einer EU-Richtlinie droht, so genanntes „Goldplating“ – einen Wettbewerbsnachteil kann man verorten. Und alles bitte zeitlich kurzfristig. Zwar erfüllen viele Börsenunternehmungen diese Vorgaben bereits heute, doch manche eben nicht. Sie schwitzen.
Statistik: Wie eine Blitzumfrage des IVA herausstellte, halten 68 % die Vorgabe der EU-Richtlinie für ausreichend oder votieren für eine Abmilderung des Gesetzesvorschlags, während jedoch 68 % der befragten Frauen den Gesetzesvorschlag präferiert. 48 % sind gegen eine Quotenregelung, 43 % halten sie für sinnvoll (Frauen 89 %). Eine tiefe Kluft.
Klar ist, das Erreichen einer Geschlechtergleichstellung stößt auf gesellschaftsstrukturelle Probleme. Die für die Börse naheliegenden Instrumente der BWL oder Leistungsmessung sind wenig geeignet, eine Antwort auf die Quotenfrage zu entwickeln. Sie sind geschlechtsneutral. Es geht um eine gesellschaftlich-soziale Frage.
Kritik: Dass eine Quotenregelung gegen das Leistungsprinzip verstößt, Diskriminierung, Frust oder Vorurteile gar provozieren könnte, ist System-immanent. Zusätzlich wirkt ein solcher Eingriff in die Privatautonomie für Einige gar als Börsenhindernis. Er ist geeignet, Unternehmen vom österreichischen Markt abzuhalten oder zu verdrängen – mithin der genannte Wettbewerbsnachteil. Mit der prognostizierbaren Vermeidungsstrategie „Zweiervorstand“ wird Transparenz, Gremien- und Berichterstattungsqualität umgehend erodiert – US-Verhältnisse drohen. Dass zusätzlich die beschleunigte Zwangsquote zu nachteiligem Stückwerk führen wird, verwundert nicht.
Fazit: Der IVA empfiehlt in seiner Stellungnahme, den Zeitrahmen zu überdenken und Unternehmen mehr Anpassungsfrist zu gewähren. Ferner legt er den Fokus auf eine Leistungsbestellung in Vorstand und Aufsichtsrat. Dies ist nur durch eine Breitenwirkung zu erreichen. Flexible Arbeitszeitmodelle, anonyme Bewerbungsverfahren, verbesserte Elternkarenzzeitlösungen oder – speziell für Frauen – die gezielte Förderung für Führungspositionen oder Mutterschutzlösungen auf Vorstandsebene sollten als geeignetere Mittel zumindest überprüft werden.
Florian Beckermann ist Vorstand des IVA – Interessenverband für Anleger
OMV & Adnocs Meisterarbeit
Ob alle die große Dimension dieses Zusammenschlusses begriffen haben?
Florian Beckermann. Als im Sommer 2023 die OMV ad hoc tickerte, dass man über die Borealis-Zukunft unter neuem Dach verhandelt, gingen einige Augenbrauen in die Höhe. Erst wenige Jahre zuvor hatte die OMV – noch unter CEO Rainer Seele – 75 % an der Borealis von Adnoc „günstig“ erworben. Es roch nach „Nachverhandlungen“ zum ungünstigen Zeitpunkt. Gerade unter dem Aspekt, dass die gesamte OMV-Konzernstrategie in Richtung nachhaltiger Petrochemie-Konzern umgelenkt wurde, wirkte die Idee konträr. OMV und Borealis sollte man doch zusammendenken.
Erst langsam reifte der Gedanke in der Szene, dass zusammen mit Adnocs Borouge in Abu Dhabi ein echter Weltplayer geschaffen werden könnte. Die Parameter eines Joint-Ventures waren entscheidend. Schnell kristallisierten sich komplexe Kriterien her-aus: OMV und Adnoc agieren auf Augenhöhe, eine bare Zuzahlung der OMV gleicht Bewertungsfragen aus. Für Standort und Entsendungsrechte gibt es Präferenzen. In diesem Stadium versank der Deal für über ein Jahr. Einzig auf der Hauptversammlung poppte die Frage ohne neuen Erkenntnisgewinn auf. Man verhandelte im Geheimen.
Entscheidende Figuren: OMV-CEO Alfred Stern war Borealis-Vorstandschef – nicht nur auf dem Papier der geeignetste Vertreter. Ihm gegenüber OMV-Aufsichtsrat und Adnoc-Chef-Manager Khaled Salmeen. Bereits bei seiner Wahl in den Aufsichtsrat hinterließ er einen eindeutigen Eindruck: Der Mann beherrscht sein Geschäft perfekt und hat ein Ziel vor Augen – Abu Dhabis Konzerne auf Weltniveau im Kunststoffbereich zu führen.
Verzögerung: Doch Adnocs-Milliarden-Opportunitätskauf der deutschen Covestro AG hemmte das Thema Borealis nur zeitlich. Zumal aufgrund der weltwirtschaftlichen Lage nicht unbedingt leichte Zukunftsprognosen einzupreisen waren. Auch Tochter-zu-Schwester-Verhandlungen mit Mutterkonzernen haben besondere Eigenheiten, Staatsbeteiligungen ebenso. Das geht selten schnell.
Ergebnis: Angesichts dieser Ausgangslage ist das Ergebnis auf beiden Seiten als Meisterarbeit zu bezeichnen. Einerseits gelingt es der OMV, den Standort Wien mit dem dann wohl größten Börse-gelisteten Unternehmen Österreichs zu bereichern. Die oben genannten Kriterien werden eingehalten. Mehr noch, man einigt sich darauf, den „Kuchen“ durch die kanadische Nova Chemicals noch globaler und größer werden zu lassen. Kein schlechter Schachzug in einem heiß umkämpften Markt. Angesichts dessen ist die bare Zuzahlung verkraftbar. Dass Adnoc zukünftig den Aufsichtsratsvorsitz der Borouge Int. stellen wird, mag dem Umstand geschuldet sein, dass die meisten Assets der Borouge bereits heute in Abu Dhabi liegen. Wie sich die Führungsebene zusammensetzt, ist offen. Ob alle in Österreich die große Dimension dieses Zusammenschlusses begriffen haben, ist ebenso offen.
Auf den zweiten Blick ergeben sich auch eine Reihe von Anschlussfragen: Welche Investoren will das Zweitlisting der Borouge in Österreich und Europa ansprechen? Stimmt die Equity-Story? Wie muss sich die Nachhaltigkeitsstrategie der OMV ändern? Personell deuten viele Finger auf Stern als Boss für die Borouge International. Der Job könnte ihm irgendwie bekannt vorkommen.
Florian Beckermann ist Vorstand des IVA – Interessenverband für Anleger
Strabag: Streubesitz-Befreiungsschlag?
Mehr Freefloat würde dem Unternehmen und der Aktie gut tun.
Florian Beckermann. Florian Beckermann. Bei Strabag-Aktionären herrscht Jubelstimmung: Die Aktie auf Allzeithoch. Um 70 Euro je Aktie wurde für den Baukonzern kürzlich an der Wiener Börse bezahlt. Ein Wert, der noch vor wenigen Monaten utopisch erschien. Kausal, ist nicht nur das gigantische Infrastrukturpaket Deutschlands, sondern auch gemachte Hausaufgaben. Zeit, die Streubesitz-Phobie abzulegen und mehr Anleger zu gewinnen.
Der Kurs: Kurz nach dem IPO im Jahr 2006 erreichte die Strabag knapp über 50 Euro. Um sehr bald danach diese Zone für viele Jahre nicht mehr wieder zu sehen. Die Finanzkrise schlug vollständig zu. Dabei fehlte nicht das Projektkapital, man quälte sich – ein Margenkampf. Aktionären ist noch Ex-CEO Thomas Birtel in Erinnerung, der mit ruhiger Hand die 3-%ige Ebit-Marge predigte, um sie nach Jahren zu erreichen. Der Kurs steckte zuletzt um die 40 Euro fest. Heute sprechen wir von realistischer 5-%iger Ebit-Marge. Man sollte nicht vergessen, dass der Konzern mit über 70.000 Beschäftigten ein „Tanker“ ist, der auf schnelle Lenkbewegungen wenig reagiert. Der kürzlich so tragisch verstorbene CEO Klemens Haselsteiner setzte den Kurs in die Zukunft: Digitalisierung, pragmatische Nachhaltigkeit und Margenwachstum prägten seine Zeit. Heute präsentiert sich die Strabag so aufgestellt, dass das deutsche Wachstumspaket beim Branchenführer mit ca. 5 % Marktanteil (Tendenz steigend), zusätzlich zum ohnehin guten Wachstum, ein zusätzliches Drittel an Marktkapitalisierung beschert. Das Glück bevorzugt den Vorbereiteten. Ein Nachfragehoch, das auf wenig verkaufswillige Aktionäre trifft.
Die Eigentümer: Die „Beziehung“ des Syndikats der Haselsteiner-Privatstiftung, Vehikel der Raiffeisen Niederösterreich-Wien & Uniqa und der Rasperia Trading MKAO, die dem russischen Oligarchen Oleg Deripaska zugerechnet wird, ist dramatisch. Grob umschrieben: Entstanden aus viel Ost-Fantasie, blieb zeitweise nur noch die Dividendenkontinuität der Eheklebstoff. Dem Streubesitz mit etwas über 10 % war die Beiwagerlrolle zugedacht, obwohl dem Unternehmen schon seit 2014 (mit den ersten Sanktionen gegen Deripaska) ein größerer Streubesitz gut getan hätte. Doch blieb das Syndikat selbst nach Rauswurfs Deripaskas bis heute. Angesichts der Kapitalunterlegungspflichten für derart Industriebeteiligungen bei Finanzinstituten fast ein Unikum.
Die Erweiterung: In den Planspielen von Börsenexperten geisterte eine Vergrößerung des Streubesitzes längst herum. Der geringe Freefloat war vielen institutionellen Investoren trotz interessanter Geschäftslage schlicht zu dünn, warum nicht ändern? Sodenn stellt sich die Frage, ob mit einer sanktionsbedingten Lösung der Rasperia Beteiligung eine Möglichkeit entsteht, den Streubesitz zu erhöhen. Strategisch interessant ist es ohnehin. Der wirtschaftliche Erfolg hängt jedoch auch an der Glaubwürdigkeit der Equity-Story für den Streubesitz. Diese braucht jedenfalls noch ein Update für diese Strategie. Zusätzlich scheint es sinnvoll eine Platzierung in Deutschland anzustreben – der stärkste Markt für die Strabag.
Florian Beckermann ist Vorstand des IVA – Interessenverband für Anleger
Wirecard-KapMuG: Feierlaune für EY?
Enttäuschendes Zwischenergebnis für Wirecard-Geschädigte
Florian Beckermann. Es war eine verstörende Nachricht für die geschädigten Anleger im deutschen KapMuG-Verfahren der Wirecard-Pleite vergangene Woche. Das befasste OLG München hatte ein Zwischenergebnis veröffentlicht. Kurzform: Man sieht im Bestätigungsvermerk des Wirecard-Wirtschaftsprüfers Ernst & Young Deutschland („EY“) keine Kapitalmarkt-relevante Information im Sinne des (alten) Gesetzes. Eine Haftung von EY in diesem Verfahren verliert damit an Wahrscheinlichkeit. Nicht wenige Anleger zogen beide Augenbrauen in die Höhe. In der ersten Reaktion unkten einige: Man mag kaum eine praxisfernere Einschätzung abgeben.
Im KapMuG-Verfahren, ausgeschrieben „Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz“, gibt es in Deutschland die Möglichkeit einer „Sammelklage“. Die Anführungszeichen sind Absicht, da es keine Sammelklage nach US-Vorbild ist. Vielmehr werden mit einem Musterkläger eine Reihe von Fragen entschieden, anhand deren eine Einzelfallentscheidung leichter fallen soll. Insofern ist es eher eine Klags-Managementtool, als eine Sammelklage. Selbst unter Juristen ist es wenig beliebt – nicht zuletzt wegen langer Verfahrensdauern bisher. Der Fall der Deutschen Telekom dauerte 20 Jahre und der Musterkläger verstarb über die Prozessdauer. Vorteil: Geschädigte können sich leicht beteiligen. Dies haben bei Wirecard knapp 30.000 Anleger getan, unter ihnen einige tausend Österreicher. Die Aktie war in Österreich nicht nur bei mutigen Tradern beliebt.
Ein Grund, warum auch konservative Investorenkreise Wirecard kauften, lag in der Existenz des Bestätigungsvermerks durch die renommierte Wirtschaftsprüfungskanzlei EY, die großes Vertrauen genoss. Der mögliche Kriminalfall, lanciert durch die Vorstände Markus Braun, Jan Marsalek und Co., beschäftigt die Strafgerichte und Verfolgungsbehörden (es gilt die Unschuldsvermutung). Er rückte aber auch die Prüfungstätigkeit von EY in Zweifel. Soweit, dass EY als einer der gewichtigen Schadensersatzquellen von großem Interesse ist. Das KapMuG zielte hierauf.
Pikant: Aufgrund des Wirecard-Falls hatte der Deutsche Bundestag ein Gesetz beschlossen, welches den Bestätigungsvermerk des Wirtschaftsprüfers deutlicher als relevante Kapitalmarktinformation qualifiziert. Für Fälle zeitlich nach Wirecard ist die Beurteilung einfacher. Diskutabel ist, ob das neue Gesetz die bisherige Praxisrealität nur „klarstellt“ und somit schon zuvor eine Haftung bejaht werden könnte. Das OLG verneint dies.
Fazit: Ein ‚Zwischenergebnis‘ ist weder ein erstinstanzliches Urteil noch eine endgültige Entscheidung dieser Fallfrage. Nicht nur der Instanzenzug, sondern auch andere Entscheidungen in Parallelverfahren mögen die Einschätzung des OLG München korrigieren. Für Feierlaune bei EY oder allzu große Enttäuschung bei den Anlegern scheint es etwas verfrüht. Andere Verfahren, z. B. das Verfahren des DSW (Deutsche Schutzgemeinschaft für Wertpapierbesitz) über eine niederländische Stiftung, bleiben gefährlich und aufrecht.
Florian Beckermann ist Vorstand des IVA – Interessenverband für Anleger
Hat die EU gegen die USA Chancen?
Der Zolldisput zwischen der Union und den Staaten kennt keine Gewinner.
Florian Beckermann. Es ist kein Geheimnis, dass die zweite Trump-Administration das Thema der Strafzölle gegen die EU hoch priorisiert. Das Tempo ist rasant. Die EU-Vertreter hocken schwitzend daneben und hoffen, dass es schon nicht so schlimm werden könnte. Doch Donald Trump liebt die Eskalation und die EU ist ein gefundenes Opfer? Abwarten.
Strafzölle erzeugen ein Lose-Lose-Szenario. Sie verteuern Importe, sie erzeugen höhere Kosten für Verbraucher. Eine steigende Inflation ist oft die Folge. Globale Lieferketten werden gestört und auch hier verteuern sich die Produkte für den Endverbraucher. Die gesamte Wettbewerbsfähigkeit leidet – Arbeitsplätze, Wirtschaftswachstum sowieso. Die Vergeltungsmaßnahme – Gegenzoll – belastet die Situation weiter. Investitionen in solchen Szenarien unterbleiben, eine globale Produktionsverlagerung setzt ein. Darüber hinaus werden nicht wettbewerbsfähige Unternehmen am Leben gehalten, mit entsprechenden verheerenden Konsequenzen später. Letztlich leiden insbesondere niedrige Einkommen besonders unter dieser Situation.
USA und EU beglücken sich bereits heute mit Zoll-Böswilligkeiten (z. B. für Eisen-, Stahl- und Aluminiumerzeugnisse). Am 12. März werden dann 25 % hierfür aufgeschlagen. Die EU revanchiert sich mit Zöllen gegen Produkte aus US-Bundesstaaten, die Trump unterstützt haben, z. B. Harley Davidson in Florida.
Wie könnte man einem Eskalationsszenario durch umfassende Importzölle begegnen? Einstweilen kaufen die US-Amerikaner europäische Produkte und bezahlen in Dollar. Was wiederum zum Kauf von US-Anleihen oder Aktien führt. Die Finanzkraft landet partiell wieder in Europa. Bekanntermaßen sind US-Fonds die größten Investoren auf den europäischen Märkten. Ihre Erträge übertreffen gar europäische Profite in den USA. Ähnlich geht es den Einkünften aus US-Dienstleistungen gegenüber der EU, auch hier hat die EU ein Defizit.
Der österreichische Ökonom Gabriel Felbermayr sieht hierin eine Chance, einen wirkungsvollen Gegenschlag zu setzen, indem man einen Strafzoll hier ansetzt. Was bei Dienstleistungen noch aussichtsreich erscheint, kann gerade bei Kapitaleinkünften nach hinten losgehen. US-Fonds haben selten Probleme damit, ihre Investments mit Verlust zu verkaufen. Emotionalität gibt es nicht. Der Verlust wäre enorm, da sie selbst als Käufergruppe ausfielen. Europäische Investoren/Anleger sind zwar finanziell in der Lage, gegenzuhalten, doch die europäische Aktienkultur würde die Chance nicht ergreifen (können), selbst wenn man den Willen dazu besäße. Gleichermaßen darf man das Exposure europäischer Anleger in den USA nicht vergessen, es ist massiv. Ein Gegenzoll hätte ähnliche Effekte. Ein fulminanter Börsenabschwung wäre jedenfalls zu erwarten.
Angesichts der kurzen Zeitachse Trumps in Sachen Strafzölle, scheint eine Beruhigung der Lage politisch nicht einzutreten. Zu leicht ist politisches Kleingeld verdient, zu spät werden die katastrophalen Folgen sichtbar. Die Abschreckung durch eigene Defizitsektoren Trump von einer weiteren Eskalation abzuhalten, ist ein gefährliches Spiel – aber nicht verloren. Besser wäre jedoch für alle, das Spiel gänzlich sein zu lassen.
Florian Beckermann ist Vorstand des IVA – Interessenverband für Anleger
Ein Wort zur Bankenabgabe …
Vorsicht! Die Gefahren einer solchen fiskalischen Maßnahme sind immens. (26.02.)
Florian Beckermann. Eine kritische Haltung zur Bankenabgabe in dieser Kolumne ist keine Überraschung. Es ist kaum verwunderlich, dass hier für die wirtschaftlichen Interessen der tausenden Bank-Aktionäre in Österreich aufgezeigt wird. Die folgenden Punkte richten sich nicht gegen steuerliche Solidarität, es geht nicht um Schuldzuweisungen oder ideologische Vorbehalte. Basierend auf Tatsachen sollen nochmals die Gefahren einer solchen fiskalischen Maßnahme herausgearbeitet werden:
1. Signalwirkung: Eine sachfremde „Abgabe“ erzeugt international den Eindruck der steuerlichen Willkür. Die negativen Effekte für den Markt sind tiefgreifend. Das Vertrauen wird nachhaltig gestört. Die bloße Existenz einer solchen Abgabe reicht!
2. Wettbewerbsnachteil: Heimische Banken verlieren an Attraktivität im internationalen Vergleich – nicht nur als Aktieninvestment, sondern auch als Geschäftspartner. Bei der dringenden Bankenkonsolidierung am europäischen Markt wird der Standort geschwächt.
3. Kostenüberwälzung: Banken geben
die Abgabe über höhere Gebühren oder schlechtere Konditionen an Kunden weiter. Die Profiteure sind beispielsweise ausländische Direktbanken. Ist das sinnvoll?
4. Wachstumsbremse: Analog verteuert eine Zusatzsteuer die Kreditvergabe, hemmt Investitionen und damit wirtschaftliches (Binnen-)Wachstum. Ein Wachstum, welches Österreich dringend benötigt.
5. Doppelbelastung: Banken zahl(t)en bereits hohe Steuern und Regulierungsgebühren. In den 18 Jahren seit der Finanzkrise wurde hochverzinsliches, staatliches „Rettungskapital“ zurückgezahlt. Unmengen von teuren regulatorischen Risikopuffern wurden eingebaut. Erst in diesen Tagen erreichen die Bankaktien wieder das Niveau von 2007 – bei einer vielfach größeren Geldmenge. Die regulatorische Belastung hat den Plafond erreicht.
6. Fehlanreize: Finanzgeschäfte wandern (weiter) in den unregulierten Schattenbankensektor ab. Finanzierungsquellen jenseits einer staatlichen Überwachung werden weiter gestärkt. Die Causa Signa könnte ein warnendes Beispiel vor einer solchen Entwicklung sein.
7. Gießkannenprinzip: Auch risikoarme Banken werden belastet, ohne die eigentlichen Ursachen von Finanzkrisen zu adressieren – Haupttreffer werden wohl bei Erste Group und Bawag gelandet. Ein Lenkungseffekt dieser „Abgabe“ fehlt bisher völlig.
8. Bürokratiekosten: Hoher Verwaltungsaufwand für Banken und Behörden. Unzweifelhaft wird eine solche Abgabe zu komplexen Einhebungs- und Vermeidungsberechnungen führen. Zusätzliche Kapazitäten werden dort gebunden.
Fazit: Bankinvestments liefen in den vergangenen Jahren gut. Basierend auf den Zinsvorgaben der EZB und einer ausgehungerten Kostenstruktur blieb auch bei geringem taktischen Geschäftsgeschick einiges im Institut. Diese Profite wecken Begehrlichkeiten, insbesondere in Zeiten einer forcierten Budgetknappheit.
Für den Markt und den Aktionär wirken diese Wünsche mehr als befremdlich, geradezu verfehlt. Die Auswirkungen auf unseren Standort sind toxisch. Und Aktienhistorisch gesehen sind die Auswirkungen unfair. Es bleibt zu hoffen, dass die politischen Parteien in ihrem Bemühen um ausgewogene Lösungen für das Budgetproblem noch weitere Möglichkeiten prüfen.
Florian Beckermann ist Vorstand des IVA – Interessenverband für Anleger
Politisches Weiterwurschteln wäre schlimm
Was droht dem Wirtschaftsstandort Österreich als nächstes? (19.02.)
Florian Beckermann. Realwirtschaft und Börsenwirklichkeit klaffen auseinander. Wirtschaftsvertreter wechseln vom taktischen Alarmismus bald zur Dauer-Sirene. Österreichs Industrieproduktion schrumpft am stärksten in der Euro-Zone (-9,5 %). Staatsquote und Abgabenlast sind am Plafond. Dazu ist der Staat politisch gelähmt. Trotz Börsenhoch verstärkt sich die Depression – fiskalische Raubideen wie die Bankenabgabe gießen Öl ins Feuer. Der Blick in die USA beruhigt nicht. Ein Update.
Mit der legendären mehrjährigen Verschlafenheit erreichte der ATX Total Return letzte Woche sein Allzeithoch. Der Dax/Nasdaq etc. übertreffen sich seit Jahren. Gerade der Vergleichsindex Dax ist weniger von der Binnenwirtschaft abhängig, er ist vielmehr ein partieller Weltwirtschaftsindex. Die ATX-Höhe hängt fundamental an der Bewertung der Banken und Versicherungen, letztlich dem Zinsniveau. Deutschland und Österreich sind aber Binnenkonjunkturschwächlinge. ATX/Dax sind daher nicht völlig repräsentativ. Die Binnenwirtschaft schlägt Alarm – politische Hilfe vergeudet blind Zeit in Koalitionsverhandlungen. Ein Ergebnis ist nicht zählbar. Ähnlich zur Sicherheitspolitik klaffen auch für die Wirtschaft politischer Gestaltungswille und realitätsgetriebene Erfordernisse auseinander.
Anders in den USA: Die zweite Trump-Regierung prescht mit einem Kahlschlag in Regulatorik und Institutionen sowie massiven Steuerentlastungen derart vor, dass Staatswirtschafts-Europa (und Österreich) nur noch Standort-Rettungspolitik betreiben kann. Donald Trumps System-Axt, geschwungen von Elon Musk, wird aufzeigen, welche Institutionen oder Steuern entbehrlich sind. Frei nach Milton Friedman: „Wirtschafts-, Agrar-, Bildungs-, Wohnbau- oder Arbeitsministerium usw.? Abolish.“ Die US-Einkommensteuer (!) wackelt. Die Wettbewerbsvorteile sind kaum zu beziffern. Wenn man noch bedenkt, welche Staatslasten in Europa durch angemessene Verteidigungskosten noch hinzukommen werden, wird der Stress der heimischen Wirtschaft nachvollziehbar. Aber Trump wäre nicht Trump hätte er nicht ein diabolisches Sedativ für Europa in der Tasche: Der schnelle (Zwangs-)Frieden in der Ukraine. Eine Erlösung für die europäische Politik und ein Booster für die Märkte. Die Vorlage für ein politisches Weiterwurschteln mit geringem Erkenntnisgewinn? Langfristig ein sehr teurer Deal für Europa, wohl nicht nur geopolitisch.
Fazit: „Niemals das erste Angebot annehmen“ oder „manchmal ist der beste Deal, derjenige den man nicht macht“ sind Business-Sprüche, die übertragen in die Welt der Politik schwerwiegende (traurige) Konsequenzen haben können. Wir sehen es gerade im Koalitionschaos in Österreich. Andererseits ist das Verschlanken eines Staates, Deregulierung und Kostensenkung wie in den USA gerade vorgemacht, hoch interessant. Österreich wäre nach Jahrzehnten der Staatsausdehnung gut beraten, hier genau abzuschauen. Besser als guter Beifahrer, denn als schlechter. Es geht um mehr als nur Peanuts.
Florian Beckermann ist Vorstand des IVA – Interessenverband für Anleger
Virtuelle Hauptversammlungen: Deutsche Götterdämmerung.
Endlich gibt es ein Umdenken bei den deutschen AGs – Vorbild ist Österreich. (12.02.)
Florian Beckermann. Das Format der rein virtuellen Hauptversammlung und deren Befürworter geraten ins Schwitzen. Nachdem in der österreichischen Hauptversammlungskultur das Format nahezu völlig abgelehnt wurde, zieht jetzt auch langsam der deutsche Markt nach. Das ist eine weitgehend gute Nachricht für Investoren und Kleinanleger, die zumindest einmal im Jahr die Verantwortlichen für ihre Investments einmal physisch zu Gesicht bekommen wollen. Elfenbeinturm-Gehabe des Managements kennt man zwar auch in Österreich, doch deutsche Ausmaße hat es nie erreicht. Ein positives Signal für unseren Markt bestätigt eine Vielzahl der Marktkenner.
Was ändert sich nun? Zweifellos haben viele Berater (oder besser „Beschützer“) dem rein virtuellen Format die Phalanx gemacht: Risikoärmer, da vorhersehbarer, mehr Beratungsaufwand, Aktionärsfragen vielleicht weniger spitz – eine vermeintliche Win-Win-Situation für Management und Beratung. Plus: Aufgrund der schieren Größe der Dax-Unternehmen und mehreren Tausend Aktionären ergab es auch im Einzelfall wirtschaftlich Sinn – fast ausschließlich in Deutschland. Den Nachteil des vermeintlichen Aktionärsunmutes nahm man billigend in Kauf, obwohl eine Vielzahl weiterer triftiger Argumente dagegensprechen.
Doch sukzessive hat das Umdenken mit dem völligen Ende der Pandemie nun auch Vorstandsetagen erreicht, die nicht als besonders verbunden zu ihren Aktionären gelten. Mit gewichtigen Konsequenzen: Gerade dort, wo man aufgrund von Pandemiewirkung und einer virtuellen Hauptversammlung noch über Schwierigkeiten hinweggeschaut hat, herrscht jetzt intensive Aktionärsfürsorge. Großinvestoren wie Deka oder Union Investment eskalieren jedes Jahr ihre Forderung, endlich wieder ins Präsenzformat zurückzukehren, um gerade die wichtige Auseinandersetzung wieder zu führen. Die deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz hat unlängst dem Vorstand der Investorenbegehr-resistenten Siemens Energy mit Nichtentlastung gedroht, sollte wieder eine virtuelle Versammlung durchgeführt werden bzw. man sich wieder vor den Aktionären verstecken wolle.
Die Wahl des Versammlungsformats ethisch zu goutieren und mittelfristig einen Governance-Fehltritt daraus abzuleiten ist das Ergebnis falscher Rechtssetzung des deutschen Gesetzgebers und der vermeintlichen Schutz-Lobbyisten. Wohl dem Unternehmen, welches sich auf die eigenen ethischen Standards verlassen hat und weiter-hin auf das Präsenzformat gesetzt hat.
Der IVA hat in unzähligen Äußerungen auf eine Best-Practice hingewiesen, die sich aus dem Markt entwickeln muss und nicht vom Amateur-Gesetzgeber erlassen wird. Dabei wurde stets auf das Präsenzformat mit sukzessiv-moderner werdenden Elementen verwiesen. Letztlich muss der Aktionär die Wahl haben, wie er teilnehmen möchte. Das fördert die Aktienkultur.
Florian Beckermann ist Vorstand des IVA – Interessenverband für Anleger
Immobilieninvestments auf dem Prüfstand
Der OGH hat zuletzt vor allem Vermietern diesbezüglich Kopfzerbrechen bereitet. (05.02.)
Birgit Kraml. Wer Immobilien kauft, investiert in Wertsteigerung und Rendite. Wesentliches Kriterium sind dabei in der Regel die Bestandverträge. Neben der Miete spielen die Betriebskosten eine wesentliche Rolle, da sie – aus Vermietersicht – so weit wie möglich auf den Mieter überwälzt werden sollen. Auch das Mietrechtsgesetz sieht vor, dass die vom Vermieter aufgewendeten Kosten für das Gebäude vom Mieter zu tragen sind.
Der Oberste Gerichtshof (OGH) hat in den vergangenen Jahren vor allem Vermietern diesbezüglich Kopfzerbrechen bereitet. Vorgegebene Klauseln (also solche die Allgemeine Geschäftsbedingungen gleichkommen bzw. vom Vermieter vorgegeben werden) müssen, wenn das Gegenüber Verbraucher ist, transparent sein.
Eine in AGB oder Vertragsformblättern enthaltene Vertragsbestimmung ist unwirksam, wenn sie unklar oder unverständlich abgefasst ist. Gemäß OGH ist jede Bestimmung, die nicht im Einzelnen ausgehandelt wurde, eine allgemeine Geschäftsbedingung, auch dann, wenn der Vertrag individuell ausgearbeitet, aber einseitig vorformuliert wurde. Es reicht nicht aus, dass er erörtert wurde, vielmehr muss der Unternehmer zur Änderung des von ihm verwendeten Texte erkennbar bereit sein. Der OGH stellte klar, dass das Versenden eines Vertrags „zur Durchsicht“ dabei nicht ausreiche, um die Verhandlungsbereitschaft des Unternehmers kundzutun.
Konkret sah ein Vertrag vor, dass der Mieter „Bewirtschaftungskosten“ zu tragen hätte, wobei hier mit dem Adverb „insbesondere“ auf die §§ 21 ff MRG verwiesen wurde. Die beiden Erstinstanzen sahen im Adverb keine Verletzung des Transparenzgebots, der OGH stoß sich daran: Das Adverb ließe die Kläger im Unklaren darüber, was als Bewirtschaftungskosten zu verstehen sei. Er ließ den restlichen Teil der Bestimmung, der klar und eindeutig auf Betriebskosten gemäß §§ 21 ff MRG verwies, nicht gelten, da nach § 6 Abs 3 KSchG unklare und unverständliche Vertragsbestimmungen zur Gänze unwirksam sind und auch eine geltungserhaltende Reduktion nicht möglich ist.
Der Mieter kann daher sämtliche über die Jahre bisher bezahlten Betriebskosten zurückverlangen und muss auch in Zukunft keine Betriebskosten zahlen. Ob unter diesen Bedingungen ein Vermieter den Vertrag abgeschlossen hätte, darf dahingestellt bleiben.
Diese Entscheidung ist auch insofern bemerkenswert, als es nicht um eine Verbandsklage ging, die sich gegen typische Vertragsformblätter, die x-fach verwendet werden, oder gegen Kleingedrucktes, das ein Verbraucher überlesen könnte, richtete, sondern gegen einen individuell formulierten Mietvertrag, wobei sich Vermieter und Mieter auch kannten und befreundet waren und im Vorfeld auch mieterfreundliche Zugeständnisse vorbenommen worden waren. Auch auf die Frage, dass die Transparenz durch dispositives Recht (konkret §§ ff 21 MRG) klargestellt wären, ließ der OGH offen.
Davon abgesehen, dass Verbrauchern offensichtlich jegliches Verständnis und Mündigkeit abgesprochen wird, werden mit solchen Entscheidungen der Wert der Vertragsfreiheit und der (Jahrtausende alte!) Grundsatz „pacta sunt servanda“ in Frage gestellt.
Autorin Dr. Birgit Kraml, LL.M. ist Partnerin und leitet das Immobilienrechtsteam bei DLA Piper Rechtsanwälte in Wien
Bitcoin: Vorsicht muss bleiben.
Eine Industrie findet ihren Weg in den Finanzmarkt. (22.01.)
Florian Beckermann. Viele Mitglieder des IVA haben eine grundsätzlich kritische Haltung zu Kryptowährungen. Nicht wenige teilen die Ansicht, dass deren Existenz die globale Nachfrage nach Geldwäsche widerspiegelt. Doch seit 15 Jahren beschäftigt sich Investorenszene mehr oder weniger zumindest mit der populärsten Kryptowährung Bitcoin. Mit der Zulassung eines börsengehandelten GoldmanSachs-ETFs bei der SEC im vergangenen Jahr erreicht sie einen Massenmarkt. Nicht zuletzt der Hype, den US-Präsident Donald Trump um die Währung entfachte, führte zu einem fulminanten Anstieg über 100.000 E im Wechselkurs. Wobei ein eigenes Interesse an der Wirksamkeit seines Memecoins hinzugedacht werden muss – ob seine Euphorie darüber hinaus positiv anhält, ist unklar. Jedenfalls nutzen viele Dienstleister diesen Boom für sich. Eine Industrie findet ihren Weg in den Finanzmarkt.
Der Erfolg hat viele Gründe: Neben dem politischen Rückenwind kommt seit Jahren ein Vertrauensverlust gegenüber der traditionellen Investmentindustrie den Kryptos entgegen. Die unübersichtliche Marktsituation der üblichen Inflationssicherungsinstrumente z. B. Gold, trägt dazu bei. Alternativen sind gefragt. So mischt sich bei vielen Anlegern stetig und interessiert Bitcoin ins Portfolio. Die Negierung von Krypto durch Anleger lässt mithin nach, man will dabei sein. Zuweilen auch nur in geringem Ausmaß. Weniger Gier, mehr Interesse scheint die Motivation zu beeinflussen.
Kritische Haltung ist weiter notwendig:
Es ist nicht zu vernachlässigen, dass insbesondere Bitcoin für die größten Finanzskandale der jüngeren Vergangenheit gesorgt hat. Die Milliardenpleite der Plattform FTX unter der Führung von Sam Bankman-Fried ist allen noch in Erinnerung – Bitcoin Tiefstkurs rund 17.000 E.
Des Weiteren steigt die kriminelle Energie mit steigendem Wert parallel. Milliarden in der Digitalwährung verschwinden jedes Jahr. Den Opfern ist es oft zu peinlich, eine Anzeige zu erstatten. Hunderte Millionen Dollar in Kryptowährungen werden weiterhin als Lösegeld für kriminelle Hackerattacken jährlich gezahlt – von illegalen Aktivitäten im Darknet ganz zu schweigen. Nur mit höchsten Compliance-Standards kann hier eine Legalitätszone geschaffen werden, die letztlich eine Etablierung dauerhaft ermöglicht.
Kapital heißt Verantwortung: In diesem Sinne muss sich jeder Investor überlegen, wem es nützt, wenn man nicht-staatliche Währungen bzw. Zahlungsformen unterstützt und westlich-geprägte, globale Leitwährungen erodiert? Dies ist alles zusätzlich zum Kursrisiko zu bedenken. Bekanntermaßen kein unpolitisches Kursrisiko, weitgehend losgelöst von wirtschaftlichen Prämissen. Natürlich ist in jeder Anlageform ein Risiko enthalten. Innovation inkludiert oft ein erhöhtes Risiko. Insbesondere rein künstliche Formen bedingen eine erhöhte Abhängigkeit. Die entsprechende Risikoabwägung, ja der Spekulationswille, sollte weiterhin die Beträge des Investments bestimmen.
Autor Florian Beckermann ist Vorstand des IVA – Interessensverband für Anleger
Heikle Standortdebatte: Worauf es wirklich ankommt
Populismus schadet dem Standort; die Debatte darf aber geführt werden. (22.01.)
Florian Beckermann. Wer dieser Tage die Echokammern der österreichischen Wirtschaft belauscht, wird Zeuge einer handfesten Wirtschaftsstandort-Kampagne. Angefangen bei Wirtschaftskammer und Industriellenvereinigung über Thinktanks bis hin zu politischen Parteien sind sich alle einig: Der Standort ist höchst reformbedürftig. Zeitweise gewinnt man das Gefühl, eigentlich gegen die wirtschaftlichen Vorteile eines Standorts in der Wüste Gobi keinerlei Chancen zu haben! Insbesondere die steuerlichen Voraussetzungen, Lohnstückkosten und Bürokratie gelten als schlagende Argumente. Unbestritten handelt es sich um dauerhaft reformbedürftige Themen.
Eine Standortdebatte birgt aber grundsätzliche Nachteile: Neben eigener Rufschädigung tritt eine verstärkte Polarisierung ein. Die Fachebene der Diskussion wird durch umfassenden kurzdenkenden Populismus gestört, Wettbewerbsverzerrung wird in Kauf genommen.
Eine selbsterfüllende Prophezeiung tritt ein: Negative Stimmung, ja Motivationslosigkeit. Soweit die Theorie.
In der Praxis ist es kaum von der Hand zu weisen, dass sich keine zentralasiatischen Unternehmer in Österreichs Industriezonen verirren – auch aus anderen Destinationen blieb der „Ansturm“ aus. Dennoch haben andere europäische Länder mit ähnlichen Voraussetzungen Betriebsansiedlungen sehr erfolgreich erreicht. In Sonderwirtschaftszonen gelangte man beispielsweise in Polen nicht nur auf die Bürokratie-Überholspur, sondern erhielt auch noch langfristige Steuerzuckerl. Vorteile, deren Ernte das Land heute einfährt.
Die Standortqualitäten der Zukunft mögen von solchen Ideen ebenfalls profitieren, ein „Gamechanger“ in Sachen Wettbewerbsvorteil sind sie weniger. Es ist keine Neuigkeit, dass sich die nächste industrielle Revolution durch Automatisierung und künstliche Intelligenz tiefgreifend gegen die Arbeitskraft vieler Menschen stellt. Ein Standort muss daher sein Humankapital für eine resiliente Wirtschaft entwickeln.
Grundsätzlich hat Österreich dazu beste Voraussetzungen, in der Finanzwirtschaft, der hochspezialisierten Industrie, im Tourismus oder der Gesundheitsbranche ist der Faktor Mensch unverzichtbar. Eine hohe Energiequote aus nachhaltigen Quellen kommt vorteilhaft hinzu.
Umgekehrt ist das Österreich von heute leider kaum mehr ein Platz für Menschen mit Kapital, sei es finanziell oder im Knowhow. Es droht immer wieder ein leistungsfeindliches Umfeld zu entstehen – wer riskiert hier noch? Zusätzlich gab man sich allzu lange Zeit mit Mittelklasse-Standortkriterien zufrieden – wen bekommt man dann? Wer also eine zukunftsorientierte Standortdebatte führen möchte, muss hier ansetzen.
Aus Sicht des IVA kommt dabei dem international anerkannten Faktum ein nachhaltig „Sicherer Hafen“ für Kapitalanlage zu sein, überragende Bedeutung zu. Dies schließt einen hohen Qualitätsanspruch an heimische Anlageformen ein. Wenn mit einem nachhaltigen fiskalischen Pragmatismus und Rechtssicherheit, langfristige Planbarkeit entsteht, gewinnt der Standort über die Belange der parteipolitisch gefärbten betriebswirtschaftlichen Deckungsbeitragsdebatte hinaus.
Autor Florian Beckermann ist Vorstand des IVA – Interessensverband für Anleger
Pierer Mobility/KTM: Es wird emotional.
Die a.o. HV der Pierer Mobility steht vor der Tür. (15.01.)
Florian Beckermann. Mit der außerordentlichen Hauptversammlung der Pierer Mobility am 27. Jänner findet die Sanierung des Pierer-Imperiums einen vorläufigen Höhepunkt. Eine Kapitalmaßnahme und eine Aufsichtsratswahl sind geplant. Aufgrund der Börsennotiz ein öffentlicher Baustein in einem sonst recht Gerüchte-affinen Verfahren. Die Gefühlslage ist aufgeheizt. Nicht nur dem IVA werden wiederholt Sorgen und Ärger geklagt. Es geht um viel.
Es ist unzweifelhaft, dass der Standort Mattighofen in den letzten Jahrzehnten aufgrund der KTM zu einem Magneten für Know-how geworden ist – mit allen positiven und negativen Effekten. Eine Region hat die Vorteile eines Weltkonzerns gespürt. Lebensentwürfe bauen auf dem Erfolg dieser Unternehmung auf. Ein gewisser Stolz schwingt mit.
Die Kritik am Management reißt nicht ab und wird auf der Hauptversammlung zur Sprache kommen: Warum wurde weiter auf Halde produziert? Warum hat man die Händler vorfinanziert? Warum wurden Qualitätsprobleme nicht erfolgreich beseitigt? Wie passt das alles mit der 2023er Bilanz zusammen? Warum konzentrierte sich die Verantwortung nahezu ausschließlich auf Stefan Pierer? Warum konnte kein Aufsichtsrat Pierer in seinen „Expeditionen“, Leoni/Rosenbauer/IV bremsen? Stichwort: Fokuszeit. Auf mögliche Antworten darf man gespannt sein. Für Emotionen scheint gesorgt.
Zurück zur Tagesordnung, deren Abstimmungsergebnisse aufgrund der mehr als 70 %igen Stimmgewalt der Pierer Bajaj AG eher formal sein werden. Im wirtschaftlichen Mittelpunkt steht die Schaffung von Finanzinstrumenten, wie Wandelschuldverschreibungen oder Genussscheinen mit einem Volumen von bis zu 900 Millionen Euro mit Bezugsrechtsausschluss für die bestehenden Aktionäre. Man erinnert sich an deutlich geringere Notwendigkeiten? Ob diese Summe ausreicht oder überhaupt insgesamt ausgenutzt wird, hängt wesentlich von der Konzerngesamtbetrachtung ab. Eine verlässliche Aussage läßt sich nicht treffen. Der Bezugsrechtsausschluss ärgert, sind doch viele Streubesitzaktionäre interessiert, an der Erholung der Marke KTM mitzuwirken – schade.
Polarisierend wirkt die Nominierung von Stephan Zöchling als Aufsichtsrat für die Pierer Mobility. Dem Ex-Investmentbanker wird Sanierungskompetenz zugeschrieben. Zusammen mit Hans-Peter Haselsteiner kaufte er vor einigen Jahren den Autozulieferer Remus.
Kritischer wiegt jedoch seine Bekanntheit aus seinem Engagement für den sanktionierten russischen Oligarchen Oleg Deripaska und dessen Firmen, sowie seine Nähe zu Siegfried Wolf. Unlängst kaufte er die Abwicklungsreste der russischen Sberbank in Wien. Ferner war er wesentlicher Bestandteil der Struktur „Iliadis“ die Deripaskas Strabag-Anteile mit den RBI-Russland-Anteilen abzutauschen suchte. Dieser Deal wurde nachvollziehbarerweise abgesagt. Eine Klage gegen die großen Raiffeisen-Aktionäre daraus in Höhe von rund 1,9 Milliarden Euro ist in Russland anhängig. Angesichts der unklaren Zukunft des Konzerns ist seine Motivations- und Interessenslage offen.
Autor Florian Beckermann ist Vorstand des IVA – Interessensverband für Anleger
Signa-Stiftung: Peschorns Nadelstiche
Fall Benko: Gefahr für Brandmauer bei Stiftungen ist große. (09.01.)
Florian Beckermann. Der Präsident der Finanzprokuratur Wolfgang Peschorn wirkt erfreulich spaßbefreit. Beruhigend nüchtern konzentriert er sich auf seine Aufgabe, der „Anwalt des Staates“ zu sein. In seiner Tätigkeit erlangte er in den vergangenen Monaten besondere öffentliche Aufmerksamkeit, indem er die geplante Insolvenzstruktur der Eigenverwaltung des Signa-Imperiums juristisch zerschoss. Pointiert nutzte er das kleine Kaliber, von einigen hunderttausend Euro Steuerschuld, um das Sanierungs-Gewurschtl zu beenden. Gewurschtl? Dieser Eindruck muss entstehen, wenn der Schuldner offensichtlich genüssliche Bootstouren unternimmt oder seine menschliche Macht mit einem Jagd-Foto untermauert – ohne René Benko wäre Georg Dornauers Ausflugserinnerung mit Traditionskopfbedeckung weit weniger „wichtig“ gewesen.
Längst kocht die Seele vieler anderer Insolventer, Gläubigervertreter und Bürger, die keine Lust auf Einserschmäh haben. Eine glaubhafte Transparenz erreichte man so nicht. Nicht zuletzt muss hinterfragt werden, ob es sich um bloßes Unvermögen des Masseverwalters handelt oder der gesetzliche Spielraum einfach missbraucht wird. Vermutlich beides. Bei Letzterem setzt Peschorn an und fordert Transparenz aus Benkos „Laura-Privatstiftung“-Dunstkreis, ja es müsse auch eine Art Konzernhaftung durch die involvierten Personen „fingiert“ werden. Er sieht juristische Ansätze. Dahinter entfaltet sich ein spannendes und gewagtes Infragestellen mit der Konstitution des Privatstiftungssystems in Österreich.
Seit Jahrzehnten hat sich die Rechtsform Privatstiftung und die ähnliche Struktur in Lichtenstein zu einem formidablen „sicheren Hafen“ für Kapital entwickelt. Kapital, welches hinter der Brandmauer der Stiftung gebunkert wurde, galt gemeinhin als fast unangreifbar. Extrem wenige nachteilige Einzelfälle bestätigen das Erfolgsmodell. Jedoch bröseln auch die sichersten Rechtskonstruktionen, wenn persönliche Haftungsfragen ausexekutiert werden. Kaum ein seriöser Beobachter glaubt, dass Benko vor der Insolvenz nicht die Zentralgestalt seiner mannigfaltigen Strukturen gewesen ist. Nach der Insolvenz mag er wohl auch weiterhin zentraler Nutznießer der Privatstiftungen sein. Eine mehr als schiefe Gesamtoptik entsteht: Ist eine eventuell auf Missbrauch und Umgehung angelegte Struktur schutzwürdig? Ob man persönlich dafür haften möchte, ist klärungsbedürftig.
Die große Mehrheit der Privatstiftungen und deren Anleger hat ein großes Interesse daran, langfristig Rechts- und Planungssicherheit zu erlangen. Viele Stiftungsvorstände leisten gute Arbeit und sichern Industriebetriebe, Vermögen und Arbeitsplätze nachhaltig in Österreich. Privatstiftungen sind mithin ein wichtiges Element der heimischen Finanzwirtschaft.
Wenn nun die Brandmauer aus nachvollziehbaren ethischen Gründen aufgeweicht wird, so ist größte Vorsicht geboten. Denn gerade diese recht solide Ausgestaltung der Rechtsform macht ihren Charme aus. Das berechtigte Transparenzerfordernis läuft Gefahr, ins Fahrwasser der „Beliebigkeit“ zu geraten. Diese Entwicklung gilt es jedenfalls zu verhindern.
Autor Florian Beckermann ist Vorstand des IVA – Interessensverband für Anleger
Erste Koalitions-Duftnoten
Österreichs Kapitalmarkt leider wieder nur politisches Randthema. (18.12.)
Florian Beckermann. Aus den aktuellen Koalitionsverhandlungen zum Thema Kapitalmarkt sickert wenig heraus. Der Markt ist hoffnungslos. Eine erfahrungsgenährte Austro-Lähmung erstickt jegliche Euphorie. Neben den politischen Unterschieden scheinen alle denkbaren Maßnahmen unter dem Hammer des Budget-Konsolidierungszwangs zerschlagen zu werden. Zusätzlich herrscht in Teilen der involvierten Volkswirtschaftsberater der Glaube, durch eine steuerliche Bestrafung von Sparern die Umverteilung zu vertiefen, den Binnenkonsum zu steigern und so das Budget zu sanieren. Es droht eine Verböserung der Lage des „Kapitals“. Wenn man dazu noch die Gerüchte um eine Veränderung der ÖBAG oder das Schlagwort „Volkssparbuch“ hört, drückt die Forderung nach der Wiedereinführung der KESt-befreienden Behaltefrist einen Gegensatz aus, der beispielhafter kaum sein kann.
Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass das Budget ein formidables Loch aufweist und die Sanierung ausgabenseitig nicht leicht wird. Die Baustellen: Renten, Gesundheit, Subventionen oder Eigenkosten erzeugen ein strukturelles Defizit, welches über Jahre hinweg den Staat belasten wird. Ein EU-Defizitverfahren scheint fix. Ein Effizienz-Review ist gefragt.
Also macht man sich auf die Suche nach Geld. Und findet es in der Sparquote der Haushalte. Diese ist hoch. Warum? Die Enteignung der Sparer durch die Inflation hatte in Österreich den EU-Spitzenwert erreicht. Der Kaufkraft-Raub schmerzt bis heute. Nach wie vor herrscht Angst, wieder durch Intervention zur Kasse gebeten zu werden. Die finanzielle Planungssicherheit ist bei den Bürgern nicht ausreichend! Der Konsum hängt, man (über-)spart. Anreize für den heimischen Aktienmarkt und damit Investitions- und Risikokapital für Wachstum zu generieren, z. B. durch die genannte KESt-Befreiung, hat man bisher verpasst. Die Konjunktur stottert. Ein Eingriff durch Vermögenssteuern wird die Balance zwischen Geben und Nehmen nachhaltig weiter stören. Die Abwanderung von Kapital ins Ausland ist zwangsläufig. Ein „Volkssparbuch“ wird den Effekt nicht verhindern. Der Kapitalbedarf des Staates wird dadurch letztlich nur noch höher.
Doch die Abwanderung kann noch schlimmer werden. Die ÖBAG hat sich als professioneller, ertragreicher Puffer zwischen Staat und internationalem Kapitalmarkt etabliert, der Interventionsfreiheit sei Dank. Das Pflänzchen des Vertrauens ist jedoch noch klein und weiter ausbaufähig. Rück-Politisierungsideen geraten daher nachteilig und antiquiert.
Wer die US-Entwicklungen verfolgt, sieht dort einen starken Wunsch nach dem Aufbrechen von Interventionen und Umverteilungsmechanismen. Eine „schöpferische Zerstörung“ durch Donald Trump und der amerikanische Erneuerungswille wirken wie eine Antipode zu den Duftnoten aus den Koalitionsverhandlungen. Könnte dieser Ansatz nicht auch überlegenswert sein, es wäre das Beste aus zwei Welten?
Autor Florian Beckermann ist Vorstand des IVA – Interessensverband für Anleger
Wandelt sich die Anlegermoral?
Wandelt sich die Anlegermoral beim Thema Rüstung? (11.12.)
Franz Jahn. Ändern sich die Zeiten, ändern sich auch die Ansichten. Noch vor wenigen Jahren galten Investments in Rüstungsunternehmen als unmoralisch und wurden deshalb abgelehnt. Nun dürfte sich das Blatt zumindest bei einem Teil der Investoren gewendet haben. Dennoch stehen Investments in Rüstungsunternehmen bei vielen Kapitalanlagegesellschaften noch auf der „Black List“. Teils weil das in selbst auferlegten freiwilligen Verpflichtungen festgelegt ist, teils auch, weil dies wegen der Erlangung diverser Nachhaltigkeits-Gütesiegel zwingend erforderlich ist bzw. war. So etwa verlangte das bekannt strenge Österreichische Umweltzeichen ÖGUT UZ 49 in der Fassung vom 12. Jänner 2020 noch den definitiven Ausschluss von Unternehmen, die konventionelle und/oder kontroversielle Rüstungsgüter erzeugten oder handelten. Doch auch die Juroren des Österreichischen Umweltzeichen „gehen mit der Mode“ und schwächten in der seit 1. Jänner 2024 geltenden neuen Fassung die Richtlinien bedeutend ab. Neuerdings sind nur mehr Unternehmen, die kontroversielle Waffen und/oder wesentliche Komponenten dafür herstellen verpönt. Demnach sind Investments in klassische Rüstungsunternehmen als „nachhaltige Finanzprodukte“ deklariert. Diese erinnert an die überraschende Kehrtwende der Europäischen Union, die in letzter Minute vor Inkrafttreten des Green-Deals die Erzeugung von Nuklearenergie kurzerhand als nachhaltig im Sinne der EU-Taxonomie definiert hat.
Wer in den vergangenen Jahren bewusst in nachhaltige Investmentfonds gemäß Artikel 9 der Sustainable Finance Disclosure Regulation (SFDR) investiert hat, könnte mit seinem Geld bald unabsichtlich Waffenproduzenten finanzieren. Dem zugrunde liegt die aktuelle politische Entwicklung, die eine gewisse Flexibilität bei der Definition moralischer Werte mit sich bringt. In den seit 14. Mai 2024 geltenden Leitlinien der ESMA (European Security and Markets Authority) sind nur mehr jene Investmentfonds nicht nachhaltig, die in Unternehmen investieren, die an Aktivitäten in Zusammenhang mit umstritteneren Waffen beteiligt sind.
Dieser Meinungsumschwung kommt natürlich nicht von ungefähr. Da viele Banken und (institutionelle) Investoren Waffenproduktion als ein Ausschlusskriterium definiert haben, geht der Rüstungsindustrie das Geld aus, obwohl es jetzt mehr denn je nötig ist. Investoren, die sich dennoch für Rüstungsaktien entschieden haben, verweisen auf eine sehr gute Wertentwicklung. „Rüstungs-abstinente“ Fonds haben sich im Vergleich zur Benchmark oft schlechter entwickelt. Immer mehr Anlegerinnen und Anleger schwanken zwischen moralisch korrekten Investments alter Definition und der Verlockung mit boomenden Rüstungsunternehmen den Anlageerfolg aufzubessern. Namhafte Investmentfonds greifen die Lockerung der Regulatorik auf und bauen ihre Exposures in Rüstungsunternehmen sukzessive aus. Experten der ethisch korrekten Vermögensverwaltung können dem Meinungsumschwung nichts abgewinnen. Wer nach ethisch sauberen Kriterien investieren möchte, sollte den Prinzipien weiterhin treu bleiben und nicht der Gesinnungsethik verfallen.
Investoren, die die nötige Flexibilität bei den persönlich definierten Anlagekriterien mit sich bringen, dürften dank staatlicher Investitionsprogramme in den nächsten Jahren von den Anlagechancen in der Rüstungsindustrie profitieren.
Autor Franz Jahn, MBA ist Mitglied im Beirat des IVA – Interessensverband für Anleger
Die Kolumne der Anlegerschützer vom IVA
Das „alte Böse“ gibt‘s immer noch
Florian Beckermann. Unter diesem Titel könnte man eine Krimi-Serie führen oder eine Statistik. Diesmal wieder im Fokus: Vorstände und ihre Nebenbeschäftigungen wie Insiderhandel oder Bestechlichkeit. Als Aktionär wundert man sich zurecht: Wer macht das? Hohe Gagen reichen nicht? Aufsichtsräte seien gewarnt. Immer noch.
Diese Woche hatte drei Aufreger: Sinister liest sich das Projekt „Tango“ des Hugo-Boss Vorstandsvorsitzenden Daniel Grieder zusammen mit René Benko. Krone und News zitieren aus einem E-Mail-Verkehr zwischen beiden, wonach diese geplant haben sollen, die Kontrolle über die deutsche Modemarke zu erlangen. Lancierte Informationen über kursrelevante Ereignisse stehen ebenso in Rede. Die BaFin und die Staatsanwaltschaft in Deutschland ermitteln. Der Börsenkurs von Hugo Boss fiel seit Mitte 2023 um rund 50 % , zuletzt spontan rund 8 %.
Spektakulär geht es gerade beim bayrischen Freizeitfahrzeughersteller KnausTabbert zu (eine Aktie, die sich auch in Österreich einer gewissen Beliebtheit erfreut). Nach einer Razzia und der Inhaftierung von zwei Vorständen übernahm nun der Großaktionär Wim de Pundert die CEO- und CFO-Position. Die genannten Vorstände wurden mit sofortiger Wirkung entlassen. Sie sollen von Zulieferern Bestechungsgelder über 50.000 Euro angenommen haben. All dies bei Millionengehältern. Für alle genannten gilt natürlich die Unschuldsvermutung.
Der Skandal trifft das Unternehmen ungünstig: Der Campingsektor kämpft mit Problemen. Viele Händler haben hohe Lagerbestände, die finanziert werden müssen. Deshalb hält sich der Handel aktuell mit größeren Bestellungen zurück. Die Aktie verlor in den letzten sechs Wochen 56 % an Wert.
Quasi als Gegensignal verhängte die FMA eine noch nie da gewesene Strafhöhe gegen eine natürliche Person, Österreicher, Vorstand bei einem börsengelisteten, deutschen Unternehmen. Über Jahre hinweg beschäftigte sich dieser mit Insiderhandel in der klassischen Ausprägung. Im Zuge der Untersuchung gestand der Mann, dass er seine Kenntnis von nicht öffentlichen, kursrelevanten Informationen dazu genutzt hat, mit Aktien und Derivaten des Unternehmens zu handeln, bevor die Informationen mit Ad-hoc-Meldungen bekanntgegeben wurden. Insgesamt erzielte er durch die verbotenen Geschäfte einen Vorteil von 104.394,39 Euro in Form von Gewinnen sowie vermiedenen Verlusten. Dieser Vorteil wird von der FMA für verfallen erklärt und eingezogen. Zusätzlich wird für die Verstöße gegen die Bestimmungen von Insiderhandel eine Strafe in Höhe von 704.375 Euro fällig. Allein die siebenfache Strafhöhe des kriminell erlangten Vorteils sollte Abschreckung genug sein. Ein schwacher Trost für Aktionäre, deren Schäden weitaus größer sind. Die Frage nach dem „wie“ tangiert die Aufsichtsräte. Nicht nur in Bezug auf die Auswahl der geeigneten, integren Vorstände, sondern auch auf deren Tätigkeitsüberwachung. Die profane Gier kommt weiterhin in den höchsten Chefetagen vor. Aktionäre bestehen auf einem Null-Toleranz-Ansatz und einer glaubwürdigen lückenlosen Aufklärung – es ist ihr Geld. Aufsichtsräte sollten hier nicht nachlassen. Das gilt übrigens auch für „neues Böses“
Wirecard-KapMuG: Attacke auf Braun und EY
Deutsches Kapitalanleger-Musterverfahren gegen Wirecard hat begonnen.
Florian Beckermann. Es sind nicht wenige österreichische Aktionäre, die im Rahmen des Wirecard-Skandals zu Schaden gekommen sind. Allein die Wiener Rechtsanwaltskanzlei von Eric Breiteneder vertritt mehr als 2.500 mit einer Schadenssumme im dreistelligen Millionenbereich (wirecards-claims.com). Teilweise diese und andere Geschädigte haben nun das deutsche Kapitalanleger-Musterverfahren (KapMuG) begonnen. Ihre eventuell vorhandenen Schadensersatzansprüche werden im KapMuG-Verfahren am Beispiel eines Musterklägers verhandelt. Die Klagen von 8.500 früheren Wirecard-Aktionären sind hier gebündelt. Hinzu kommen weitere 19.000 Anleger, die sich an dieses Verfahren angehängt haben. Insgesamt geht es um finanzielle Forderungen in Höhe eines einstelligen Milliardenbetrags.
Seit vergangenen Freitag wird es in einer Event-Halle des ehemaligen Flughafens München-Riem ernst: Erste große Fragestellung an das Gericht ist zunächst, was das Verfahren juristisch feststellen soll. Hierüber gibt es naturgemäß Streit. Über 2.500 Anträge auf Feststellungsziele vernebeln die Lage.
Musterbeklagter in diesem Verfahren ist neben Ex-Wirecard-Vorstandschef Markus Braun unter anderem EY (Ernst & Young, Deutschland). Das Wirtschaftsprüfungsunternehmen hatte viele Jahre die Geschäftszahlen des Aschheimer Dax-Konzerns geprüft und ein sogenanntes Testat ausgestellt. Ob ein solches Testat eine Kapitalmarktkommunikation darstellt und inwiefern EY deswegen überhaupt im Zuge des KapMuG-Verfahrens für eventuelle Schadensersatzforderungen herangezogen werden kann, ist offen. Mit dieser Frage wird sich der erste Zivilsenat des Gerichtes beschäftigen müssen. Eine Vielzahl von Aktionären hatte sich auf das Testat „verlassen“ und immer wieder wurde argumentiert, dass man ohne dieses nie investiert hätte. An dieser Stelle wurde die Causa durchaus emotional.
In der Verhandlung ließ das Gericht bereits durchblicken, dass es dazu noch keine feste Meinung hat. EY hat schon vor Beginn der mündlichen Verhandlung klargemacht, dass es Schadensersatz-Forderungen für unbegründet hält. Eine wegweisende Entscheidung ist zu erwarten.
Warum erst jetzt? Mitte 2023 waren in Deutschland die meisten Kläger mit der Verjährung konfrontiert. Erst nach dem relevanten Datum – exakt drei Jahre nach dem Zusammenbruch des Wirecard-Konzerns – war die Eröffnung eines solchen Verfahrens sinnvoll. Es gilt neben dem Strafverfahren gegen Braun und Co. als eines der wichtigsten Verfahren. Weitere Klagen sind hiervon jedoch nicht berührt.
Wie üblich zu Beginn der Verhandlung hat die Richterin zu einer gütlichen Einigung aufgerufen. Dies mag angesichts eines möglichen mehrjährigen Verfahrens gut gemeint sein. Einstweilen scheinen jedoch viele Anleger weiterhin erzürnt, ob der Causa Wirecard. Geschichten um den ehemaligen CFO und „Austro-Geheimagenten“ Jan Marsalek helfen wenig, die Gemüter zu beruhigen.